Am 29. und 30. November werden die Augen der internationalen Segelwelt und der SailGP-Fans auf Abu Dhabi gerichtet sein. In den Vereinigten Arabischen Emiraten steigt das Finale der fünften Saison. Die Favoriten haben sich dafür in insgesamt 80 Rennen bei elf Events in Position gebracht. Die führenden drei Teams aus Großbritannien (85 Punkte), Neuseeland (82 Punkte) und Australien (80 Punkte) haben sich die besten Chancen auf den Einzug ins Triple-Finale erarbeitet.
Aber auch den spanischen Titelverteidigern (76 Punkte) kann der Satz ins entscheidende Rennen der Saison noch gelingen, an dessen Ende den Siegern zwei Millionen US-Dollar Preisgeld winken. Um erneut das große Finale zu erreichen, müssten Diego Botins Los Gallos beim Mubadala Abu Dhabi Sail Grand Prix am Ende der Fleetraces beispielsweise vier Plätze besser sein als Tom Slingsbys Bonds Flying Roos.
Wer macht das Rennen um zwei Millionen US-Dollar? Weil das einzige Finalrennen – wie im SailGP üblich – bei Null beginnt und keine Punkte aus der Saison mitgenommen werden, werden die Starts, die Tagesform, Nervenstärke und Crew-Zusammenspiel den Ausschlag geben. Bleibt das letzte Event in voraussichtlich eher leichten Winden von Crashes und stets möglichen Schäden oder Ausfällen verschont, geht es für die Top-Drei im letzten Lauf in Abu Dhabi um das größte Preisgeld im internationalen Segelsport.
Wie wichtig die Starts im SailGP sind, haben die Rennen auch in dieser Saison wieder gezeigt. Und so war es auch im großen Finale der vergangenen Saison, in dem die Spanier sensationell Australier und Kiwis besiegen konnten. Mit einem starken Start hatten sie damals das Fundament zu ihrem Triumph gelegt. Zwar waren im Finalverlauf auch zweimal kurz die Australier in Führung gegangen, doch Los Gallos ließen sich nicht erschüttern und landeten ihren Coup.
Das war den Spaniern in einem goldenen Monat gelungen, in dem Steuermann Diego Botin und sein SailGP-Flügeltrimmer Flo Trittel nur wenige Wochen nach dem SailGP-Saisonsieg in der Bucht von Marseille olympisches Gold im 49er gewannen. Im November wurden sie folgerichtig zu den Weltseglern des Jahres 2024 gekürt. Die Konkurrenz weiß, dass mit diesen Spaniern jederzeit zu rechnen ist. Doch Favoriten für das Finale sind sie nicht.
Der Blick auf die Zahlen der Saison spricht für die Briten um Steuermann Dylan Fletcher: Als einziges Team konnten sie drei Events gewinnen. Kiwis und Spanier gewannen zweimal, die Bonds Flying Roos einmal. Mit elf einzelnen Rennsiegen haben die Briten auch in dieser Kategorie die Bugspitzen knapp vorne. Die neuseeländischen Black Foils gewannen zehn Rennen, die Australier neun und die Spanier fünf.
Am auffälligsten ist die Dominanz – und damit auch die Konstanz – der Briten mit Blick auf erreichte Top-Drei-Platzierungen in den Rennen der fünften SailGP-Saison: Dylan Fletcher und sein Team konnten sich 29-mal in den Top-Drei platzieren. Den Kiwis gelang das 24-mal, Australier und Spanier kamen auf 22 und 18 Einzelrennplatzierungen unter den besten drei Teams.
Spannend ist auch der Vergleich zwischen den Steuerleuten der vier Finalkandidatenteams: Der Australier Tom Slingsby ist im Alter von 41 Jahren der älteste und im SailGP mit drei Saison-Siegen erfolgreichste Akteur. Der Laser-Olympiasieger von 2012 war lange Zeit “die Macht” in der Rennliga, bis andere gleich- und auch vorbeizogen. Für ihn käme der vierte Saisonsieg als süße Wiedergutmachung am Ende einer nicht immer leichten Saison.
Peter Burling ist mit 34 Jahren der zweitjüngste im Finalkandidaten-Quartett. Aber keiner seiner Rivalen kann es mit seiner Erfolgsbilanz im Segelsport aufnehmen: Zum 49er-Olympiasieg 2016 hat er auch seine olympischen Silbermedaillen von 2012 und 2021. Dreimal hat “Pistol Pete” mit den Kiwis den America’s Cup gewonnen, bevor er jetzt zum italienischen Team Luna Rossa wechselte. Was ihm fehlt? Der Meistertitel im SailGP!
Diego Botin hat den schon, ist im Alter von 31 Jahren der jüngste unter den Anwärtern und amtierender Olympiasieger im 49er. Sein spanisches Team hat nach dem Coup vom vergangenen Jahr in dieser fünften SailGP-Saison die schwierigste Ausgangsposition für den Kampf um den Einzug ins Finale. Aber Los Gallos haben mehr als einmal gezeigt, dass sie für Überraschungen gut sind.
Zu den spannendsten Fragen vor dem Abu-Dhabi-FInale zählt, ob Dylan Fletcher, seine Strategin und Doppel-Olympiasiegerin Hanna Mills und ihr Team Emirates GBR dem Favoritendruck standhalten werden. Dylan Fletcher ist mit 37 Jahren der zweitälteste Finalkandidat am Steuer, gewann 2021 49er-Gold in Enoshima und an der Seite von Team-CEO Sir Ben Ainslie im vergangenen Jahr in Barcelona die Herausfordererrunde zum America’s Cup. Erst im 37. Match um die Silberkanne waren Peter Burling und die Kiwis eine Nummer zu stark für die Briten.
Können die sich nun im SailGP-Finale für die Cup-Niederlage revanchieren? Zur spannenden Ausgangslage passt der Tipp von Erik Kosegarten-Heil. Während er selbst mit dem Germany SailGP Team den zuletzt so starken Aufwärtstrend in Abu Dhabi fortsetzen will, ist der deutsche Steuermann gut mit den spanischen Seglern befreundet. Jahrelang hatten der deutsche SailGP-Fahrer und sein olympischer 49er-Vorschoter Thomas Plößel mit Botin und Trittel trainiert.
Doch für das SailGP-Finale der fünften Saison hat auch Erik Kosegarten-Heil entsprechend der Vorleistungen in dieser Saison einen anderen Favoriten-Tipp: “Ich bin nicht ganz sicher: Briten oder Kiwis? Die Briten waren über die gesamte Saison so stark, dass sie den Sieg verdienen würden. Aber in einer Situation wie diesem Dreier-Finale könnten auch die Kiwis sehr gute Chancen haben.”
Der Flensburger SailGP-Coach Lennart Briesenick stimmt zu und legt sich fest: “Ich denke, die Briten werden gewinnen. Ich glaube, dass Dylan die Nerven behalten wird.” Die SailGP-Wettquoten sprechen eine ganz ähnliche Sprache wie die Protagonisten im deutschen Rennstall. Für einen Euro Einsatz gibt es beim erfolgreichen Sieg-Tipp für das Emirates Team GBR 2,50 Euro zurück. Die Sieg-Quoten für die weiteren Finalkandidaten: Die Black Foils stehen und die Bonds Flying Roos werden ebenbürtig gesehen, stehen jeweils bei 2,90. Als Außenseiter gelten die Spanier (71,40).
Unabhängig von der finalen Schlacht ums Millionen-Preisgeld, geht es in Abu Dhabi auch um den Event-Sieg und die Platzierungen, die – anders als sonst – beim letzten Kräftemessen der Saison bereits nach den Fleetraces feststehen. In diesem Konzert will das Germany SailGP Team mitspielen. Gerade von mehr als 16.000 Fans zum Team mit dem größten Leistungssprung in dieser Saison ausgezeichnet und davon extra motiviert, soll die Saison idealerweise im Hoch enden.
Erik Kosegarten-Heil blieb bei seinem Kommentar zu den Prioritäten für das nahende Finalwochenende bewusst bodenständig: “Für uns geht es ganz normal weiter. Wir haben ganz normal Rennen vor uns. Wir wollen ganz normal besser werden und die Zeit auf dem Boot maximal nutzen.” Zu was das am Saisonenende noch einmal führen kann, werden die Rennen am 29. und 30. November zeigen.
Das ZDF überträgt die SailGP-Action an beiden Renntagen am 29. und 30. November ab 11 Uhr live. Hier geht es zu den dann aktiv geschalteten Übertragungslinks. Kristin Recke moderiert. Einen guten Ausblick auf den Kampf der Giganten gibt auch Teil 12 der Serie “Racing on the Edge – Segeln am Limit”.