Der Kampf um die Meisterschaft der fünften SailGP-Saison ist entschieden: Erstmals hat Sir Ben Ainslies Team Emirates GBR mit Steuermann Dylan Fletcher das Zwei-Millionen-Dollar-Finale gewonnen. In Abu Dhabi verwiesen die im America’s Cup 2024 gestählten Briten die Liga-Schwergewichte aus Australien und Neuseeland auf die Plätze zwei und drei. Team Germany beendete seine erst zweite SailGP-Saison im Formel-1-Segelrennsport von nach Rang sieben in Abu Dhabi auf Platz neun. Ohne das Strafpunktgewitter von Sydney früh im Jahr, als Schwarz-Rot-Gold in Folge von Trainingskollisionen eine Rekordlast von zwölf Minuspunkten zu schultern hatte, hätte es Platz sieben sein können.
An die in der zweiten Saisonhälfte stark ansteigende Formkurve will der deutschen Rennstall 2026 anknüpfen. Ebenso an die erfolgreiche Deutschland-Premiere in Sassnitz. Sportlicher Leitwolf im Team ist Steuermann Erik Kosegarten-Heil. Im Interview blickt der 36-Jährige auf ein bewegtes Jahr zurück und der neuen Saison hungrig entgegen.
Erik Kosegarten-Heil: (Lacht). Ich mache das, worauf ich Lust habe… Im Ernst: Ich bin Segler, also Sportler. Die Medizin ist wie Segeln ein Erfahrungssport. Da kann man trotz Studium bei mir, dem noch das praktische Jahr fehlt, noch nicht so von Können reden.
Auf jeden Fall!
Nicht so positiv auf die Schule… Ich glaube, ich bin zweimal sitzengeblieben, war zwischenzeitlich auf der Realschule, bin dann wieder aufs Gymnasium zurückgewechselt. Ich wurde nie als blöd eingestuft, habe aber früher nur für die Lehrer gearbeitet, die ich gut fand.
Mit drei Monaten habe ich da schon im Babykorb auf dem runden Tisch im Club gestanden. Dann habe ich auch viel Tennis gespielt, viele andere Sportarten gemacht, weniger Schulthemen. Ein paar Fächer waren interessant für mich: Biologie, auch Physik, das Naturwissenschaftliche.
Immer mehr. Es gibt noch nicht so viele Perspektiven, wenn man den Sport professionell betreiben will. Aber das Setup und die Skills, die man lernt, die sind einfach gigantisch. Du managst von früh an ein Startup auf verschiedenen Ebenen – eine richtig gute Ausbildung.
Das war am 16. Juni 2023 in Chicago.
Auf jeden Fall. Man ist immer ein bisschen aufgeregt, auch wenn ich teilweise Aufregung extra erzeugen muss, damit ich fokussiert bin. Das versuche ich, indem ich selbst mental den Druck erhöhe. Ich mache Dinge im Leben, weil ich sie mag. Wenn ich was mag, bin ich gut. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass mein Leben davon abhängt. Also rede ich mir selbst ein, mehr Druck zu haben. In Racing-Momenten brauche ich manchmal einen etwas schärferen Kopf.
Darüber habe ich neulich mal nachgedacht. Ich glaube, dass mein Selbstvertrauen in die Sachen, die ich mache, relativ okay ist. Vielleicht, weil ziemlich viele der wilden Ideen funktionieren, die man so zusammenbringt. Daraus resultiert auch Ruhe. Ich habe viel Vertrauen, dass wir im SailGP erfolgreich sind, wenn wir genügend Hirn und Energie reinstecken.
Das Segeln und die Boote sind einmalig, die G-Kräfte gigantisch. Mit den neuen Foils fühlt es sich jetzt mehr wie auf Schienen an. Die Boote waren vorher wie Rallye-Autos, jetzt sind sie Formel-1-Autos. Es ist mir eine Ehre, das machen zu dürfen. Es gibt vom sportlichen Wert her nichts Höheres. Wäre ich noch technologieaffiner, würde mich vielleicht der America’s Cup reizen.
Es gibt da viele Ebenen: Auf der einen Seite profitieren Teameigner und Investoren davon, dass die Teamwerte steigen. Die ersten Teams waren damals noch für fünf oder sechs Millionen Euro zu kaufen. Unser Team wurde für 20 Millionen Euro gekauft. Das US-Team wurde etwas später für 40 Millionen Euro verkauft. Fürs spanische Team will die Liga 70 Millionen haben. Die zweite Ebene ist die Vermarktung von Segelflächen. Es profitieren aber auch wir Segler von den Möglichkeiten, die dieser Wettbewerb auf Top-Niveau bietet.
Das war schon gut. Auch, wenn du Vertrauen hast, ist es immer gut, wenn das Team durch Ergebnisse bestärkt wird. Die bringen denen Selbstbewusstsein, die zweifeln. Ich fand, dass wir das ganze Jahr schon gute Schritte gemacht, nur lange nicht vollständige Rennen zusammengebracht hatten. Das ist in der zweiten Saisonhälfte öfter gelungen. Wir haben intensiv an der Kombi Steuern/Wingtrimm/Flight Control gearbeitet.
Da waren die Pausen zwischen den Events kurz – gut für uns. Flow ist auf jeden Fall wichtig. Die Europa-Saison hat uns in Form gebracht.
Die Starts im SailGP sind mit das komplizierteste Thema, dass es im weltweiten Segelsport gibt – mein Thema. Ich lerne immer noch, was die Daten auf den Screens an Bord aussagen, wie viel Relevanz sie für mich haben. Teilweise nutzt man sie viel, teilweise gar nicht. Man muss eine Balance finden, wann man die Software einsetzt und wann man auf sich hört. Ich bin da noch am Anfang der Reise…
Nein, ich bin nicht so der typischen Datenanalyst. Ich agiere auf der reduzierten Seite. Mit 20 Prozent Aufwand kriegt man schon 80 Prozent Leistung raus. Für nur etwas mehr ist der Aufwand gleich extrem viel höher.
Es gewinnen die Teams den Startschnitt, die bewusst die richtige Anlage wählen, ausführen und reproduzieren können. Daran arbeiten wir. Man kann verschiedene Angänge wählen, muss sich nur der Konsequenzen bewusst sein: Bist du früh dran, dann bist du alleine. Du hast die Übersicht, aber die Gefahr, dass Leute von hinten kommen, die schneller sind als du. Wenn du spät in die Startbox kommst, dann bist du der, der schneller reinkommt. Aber es kann sein, dass du keinen Platz mehr bekommst. Wenn du im Fleet bist, dann hast du die Kontrolle Boot zu Boot. Du kannst ein, zwei Boote wählen, die unterwenden und deren Start bestimmen. Aber du hast überhaupt keine Kontrolle über den Rest der Flotte.
Wir sind mehr als bereit, diesen Weg zu gehen. Für uns gab es in der gerade beendeten Saison mit Sassnitz eine sichtbare Trendwende. Da hatten wir vorher vier Tage Training. Die waren eine Welt für uns und haben einiges damit zu tun. Wir sind eines der Top-Teams der zweiten Saisonhälfte. Das liegt etwas über unserem aktuellen Leistungsvermögen, zeigt aber, was möglich ist. Wenn du gut startest, technisch, taktisch und strategisch gut über den Kurs kommst, geht vieles. Uns fehlt aber immer noch Trainingszeit, um das konstanter hinzukriegen. Fernziel ist natürlich, diese Serie zu gewinnen. Das wollen wir unbedingt. Das ist die Mentalität im Team.
Ich würde nicht sagen, dass es keine Chance dafür gibt, aber sie ist extrem niedrig. Wir fangen in Perth an. Wir haben selbst schon erlebt, was im Starkwind-Revier mit dem ‚Fremantle Doctor‘ los sein kann. Da war Armageddon! Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass wir bis Mitte des Jahres ein freies Boot zur Verfügung haben werden. Ich glaube, dass bis dahin mindestens ein Boot ‚down‘ ist und das Trainingsboot gebraucht wird.
Manchmal fährt er wilde Manöver, weil er einfach immer noch ein Typ ist, der versucht, Dinge schnell umzusetzen. Generell ist Russell ein gigantischer Typ, kommt von der Seglerseite. Ich finde unglaublich, wie er mit Larry Ellison diese Vision vorangetrieben hat. Aus deutscher Perspektive bietet der SailGP die einzige Chance, dass sich ein Projekt langfristig erfolgreich etablieren und wirtschaftlich funktionieren kann. Wir haben die Chance, ein Bilderbuchteam zu werden, wenn die im Raum stehenden Chancen Realität werden.“
Im Vergleich zum olympischen Segeln ist es so, dass es im Zweifel eine Stimme geben muss, die entscheidet. Im olympischen Segeln ergibt sich die Entscheidung automatisch: Entweder ist bei zwei Seglern einer gegen den anderen, dann entscheidet der Trainer. Oder man ist sich einig. Beim Racen im SailGP kann man kaum sechs Stimmen auf eine Entscheidung bringen. Das heißt: Auf dem Wasser treffe ich auf Basis aller Informationen die schnellst- und bestmöglichen Entscheidungen.
Ich war von Beginn an dabei, das Team zusammenzustellen. Als Initiator hatte ich vieles in der Hand. Ich hatte am Anfang das Gefühl, ich muss mich mehr um die Sportdirektion als ums Athlet-Sein kümmern. Das hat sich durch die Hilfe von Lennart geändert. Ich versuche, die Stimme aus dem Sportteam in Richtung unseres Managements zu sein. Im Segelteam ist es auch meine Aufgabe, die Athleten zu verstehen und das Beste aus ihnen herauszuholen.
Lennart und ich denken, dass eine Top-Sechs-Platzierung das Ziel sein kann, auch wenn wir 2026 mit Artemis Racing ein Team mehr, also 13 sind und es immer enger zugehen wird. Wir hatten dieses Jahr die Top-Sieben ins Visier genommen. Das hätten wir ohne die die Strafpunkte geschafft.
Bislang nicht. Aber ich werde älter, habe jetzt schon mal einen Gedanken dahingeworfen. Vielleicht mal ein Rolex Sydney Hobart Race. Mit Will Tiller aus unserem Team habe ich überlegt, möglicherweise mal das Transpac von LA nach Hawaii zu segeln. So kann ich das mal checken.