Das zehnte Event der fünften SailGP-Saison bringt ein neues Revier vor prächtiger Alpenkulisse, viel Vorfreude und ein großes Fragezeichen: Wird es am Wochenende Wind geben auf dem Genfersee? Die aktuellen Prognosen ließen wenige Tage vor der Liga-Premiere auf dem Genfersee einen eher schwachwindigen SailGP-Gipfel erwarten – möglicherweise mit etwas mehr Wind am Sonntag als am Samstag.
Gesegelt wird beim Schweizer SailGP-Debüt in der Bucht von Genf. Das Veranstaltungszentrum befindet sich etwas nödlich der aus dem America’s Cup bekannten Société Nautique de Genève auf der Höhe von Cologny, wo der Yacht Club de Genève (La Tour Carrée) zuhause ist. Der Weg vom letzten Austragunsort Saint-Tropez hierher war für den SailGP-Tross nicht ganz so weit. Das deutsche Team um Fahrer Erik Kosegarten-Heil wird heute in Genf eintreffen.
Ein halbmondförmiger riesiger See statt offenes Meer, eine prächtige Alpenkulisse statt Großstadt-Skyline oder oder Strandambiente: Die Segelliga SailGP erlebt am Wochenende ihre historische Süßwasser-Premiere: Auch Lac Léman genannt, verbindet der größte See Frankreichs und der Schweiz die beiden Nachbarländer. Am 20. und 21. September sind hier erstmals zwölf SailGP-Teams im Einsatz.
Das Gastgeberland ist ein Binnenland ohne Meeresanschluss, doch das hat die Eidgenossen nicht von segelsportlichen Höhenflügen abgehalten. Erfolgreiche Gipfelstürme und eine starke Seglergemeinschaft zeigen die Leidenschaft der Schweizer für den Sport regelmäßig. So lockt die bekannteste Schweizer Regatta Bol d’Or jedes Jahr Hunderte Boote, die den Genfersee in ein Segelmeer verwandeln.
Unvergessen bleiben die Triumphe im America’s Cup. Ernesto Bertarellis Schweizer Team Alinghi gewann 2003 als erstes europäisches Team die wichtigste Trophäe des Segelsports. Ebenso unvergessen bleibt nach dramatischen Monaten damals in Auckland das Kuhglockengeläut, mit dem die Eidgenossen den Triumph feierten. Bei der Rückkehr nach Genf wurde die Mannschaft von 40.000 Menschen mit stürmischem Jubel empfangen.
„Alinghi“-Steuermann im Schweizer Team war vor 22 Jahren Russell Coutts. Die Schweizer verteidigten den America’s Cup 2007 aber nach einem Zerwürfnis zwischen Bertarelli und Coutts schon ohne den Neuseeländer, bevor sie die “bodenlose Kanne” nach einem Gerichtsstreit und der Niederlage im exklusiven Stiftungsurkundenduell mit dem US-Team BMW Oracle Racing 2010 verloren. Auf dessen Seite war inzwischen Russell Coutts als CEO gewechselt.
15 Jahre später kommt Coutts nun in ganz neuer Mission in die Schweiz. Er ist seit 2019 SailGP-CEO, bringt die mit Oracle-Gründer Larry Ellison entwickelte rasante Liga nach Genf. Dort freuen sich Lokalmatador Sébastien Schneiter und seine Eidgenossen aufs erste Heimspiel in ihrer Teamgeschichte. Sie möchten ihren letzten Platz von Saint-Tropez am liebsten mit einer Gala daheim vergessen machen.
Steuermann Sébastian Schneiter, der am 24. September seinen 30. Geburtstag feiern wird, ist in Genf zuhause. Der dreimalige Olympia-Teilnehmer sagte vor dem zehnten Event der fünften SailGP-Saison: „Jedes Team will ein Heimspiel. Aber Genf war mit Blick auf die Logistik und die Organisation eines Events auf einem See mit beschränktem Platzangebot eine Extra-Herausforderung. Es ist groß für uns, dass es jetzt geklappt hat.“
Es hat noch nie etwas wie den SailGP in Genf gegeben.“ Sébastien Schneiter
Schneiter kündigte „ein Festival für Genf und den Segelsport“ an. Weiter sagte der 49er-Segler und Olympia-Achte von Marseille: “Es wird das erste Mal sein, dass wir auf einem so engen Revier segeln. Die Winde werden unbeständig sein, doch das sorgt für enge Rennen mit vielen Überholmanövern und vielen Chancen.” Mit Augenzwinkern fügte er hinzu: “Und natürlich müssen wir die Boote im Süßwasser nicht jeden Tag waschen…”
Einen Traum gestattet sich Schneiter vor dem SailGP-Einsatz auf dem Genfer See auch: “Wir haben zu Beginn der Saison gesagt, dass wir – könnten wir ein Event in dieser Saison aussuchen – gerne dieses hier gewinnen würden. Die Unterstützung, die wir hier haben, motiviert uns sehr. Es ist die perfekte Chance zum Zurückschlagen.”
Erik Kosegarten-Heil und sein Team sind von Saint-Tropez via Nizza in die Schweiz gereist. Sie kreuzen nach Platz fünf bei ihrem Heimspiel in Sassnitz und zuletzt Platz vier in Saint-Tropez gestärkt auf dem Genfersee auf. Der Steuermann sagt: „Es ist eine wunderschöne Location, ein Hammer-Event für viele. Aber die Windchancen sind – übers Jahr betrachtet – nicht sehr hoch.
So werden am Wochenende aller Voraussicht nach die neuen großen Ruder und vielleicht auch die größten, 29 Meter hohen Segelflügel auf den Rennkatamaranen eingesetzt werden. Die Crews könnten nur zu viert und nicht in klassischer Sechser-Konstellation im Einsatz sein. Das Motto: minimales Gewicht und maximale Angriffsfläche für möglicherweise wenig Wind.
Laut Liga heben die F50-Foiler mit den neuen Rudern und ihren optimierten T-Profilen an den Ruderblättern schon ab sechs Knoten ab. Die neuen Ruder wurden über 18 Monate getestet. Der Realitätscheck in flauen Bedingungen steht noch aus, könnte aber jetzt in der Schweiz vor Mont-Blanc-Kulisse kommen. Team Germany will dabei an der zuletzt gezeigten stabileren Form festhalten, den Aufwärtstrend fortsetzen.
Erik Kosegarten-Heil weiß, dass weiter ein Berg Arbeit vor ihm und seinem Team liegt. Der 36 Jahre alte Profi und zweimalige Olympia-Dritte im 49er sagte: “Natürlich können wir uns nicht über die jüngsten Ergebnisse beschweren. Sie tun gut. Aber wir haben immer noch viele ‘easy’ Punkte liegengelassen. Nimmt man unsere Durchschnittsergebnisse von Saint-Tropez an der ersten Leetonne, dann hätten wir die Regatta gewonnen.”
Es ist die Summe aus vielen Situationen und Manövern, die es im deutschen Rennstall weiter zu verbessern gilt. “Wir sind in Saint-Tropez mit Druck insgesamt stark über den Kurs gesegelt, aber unsere Leetonnenrundungen waren nicht immer gigantisch und richtig gute Wenden waren ein Problem.” Ein großes Thema, so Kosegarten-Heil, blieben die Starts, auch wenn sie zuletzt besser liefen. Hier geht es zum Rückblick auf den SailGP in Saint-Tropez.
Auf dem Genfersee steht am kommenden Wochenende für viele Teams einiges auf dem Spiel: Beim vorvorletzten Event der Saison, die mit dem Spanien-SailGP in Cádiz am 4. und 5. Oktober und dem Finale beim Mubadala Abu Dhabi Sail Grand Prix am 29. und 30. November zu Ende geht, wollen sich die Top-Teams maximal für den Kampf um die Saisonmeisterschaft positionieren.
Peter Burlings Black Foils führen die Tabelle nach neun von zwölf Events mit 70 Punkten an. Es folgen Team Emirates GBR (68 Punkte) mit Fahrer Dylan Fletcher und die dreimaligen australischen Rekordsieger der Bonds Flying Roos (67 Punkte) um Steuermann Tom Slingsby. Dicht dran sind noch Diego Botins Los Gallos (64 Punkte). Für Les Bleus (52 Punkte) mit Quentin Delapierre ist der Weg ins große Finale schon sehr weit geworden. Hier geht es zu den Zwischenständen in der Saisonmeisterschaft der mit 12,8 Millionen US-Dollar Preisgeld dotierten Superliga des Segelsports.
Team Germany kann sich bei den letzten Events aufs Weiterlernen konzentrieren. Das Strafpunktgewitter von Sydney wirkt trotz der zuletzt guten Ergebniss bei nur 13 Punkten auf dem SailGP-Konto nach. Es wird bei den letzten drei Events der Saison nicht mehr um riesige Tabellensprünge nach vorne gehen, sondern um Training, Training und nochmal Training für die kommende sechste SailGP-Saison. Für den Rennstall von Thomas Riedel und dem viermaligen Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel wird es die dritte Saison sein, die ohne Straflasten frei beginnen kann.
Das ZDF wird die SailGP-Rennen in Genf wieder an beiden Tagen live übertragen. Kommentator ist dann Nils Kaben. Kristin Recke ist als Reporterin vor Ort am und auf dem Genfersee. Hier geht es zum ZDF-Livestream fürs Wochenende am 20. und 21. September.