SailGP“Ein bisschen wie David gegen Goliath” – Coach Lennart Briesenick im Interview

Max Gasser

 · 22.06.2024

Voller Fokus: SailGP Team Germany Coach Lennart Briesenick während eines Rennens
Foto: Felix Diemer for SailGP
Besondere Einblicke: So arbeitet der deutsche SailGP-Coach Lennart Briesenick
Heute Abend startet ab 22:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit vor der Freiheitsstatue das vorletzte SailGP-Event der vierten Saison. Team Germanys Coach Lennart Briesenick gewährt vor dem Saisonfinale exklusive Einblicke in die Höhen und Tiefen der Kampagne sowie seine besonderen Herausforderungen als SailGP-Coach

YACHT: Wie sind deine ersten Eindrücke aus New York vom Training am Donnerstag und den Practice Races gestern?

Lennart Briesenick: Vorgestern war ein super Tag. Wir haben einen ganzen Segeltag gehabt, sind also viereinhalb Stunden segeln gewesen und haben wirklich jede Minute genutzt. Es war gut, auch das Revier hier kennenzulernen. Denn es gibt ja auch ein bisschen Strom hier, der relevant ist. Zumindest, wenn die Boote nicht foilen. In der Software von den Booten wird ein Strom-Modell eingebaut, damit man beispielsweise die Anlegelinien richtig hat. Und auch das scheint alles ganz gut funktioniert zu haben.

Und heute war ein echt schwieriger Tag, deutlich unter dem, was wir leisten können. Es war wahrscheinlich einer unserer schlechtesten Tage bisher und wir sind uns auch alle einig, dass das unter unserem Niveau ist.

Wo lagen die Probleme?

Wir hatten gestern das, was wir ‘marginal conditions’ nennen, allerdings im oberen Bereich. Man ist also mal auf den Foils und mal nicht. Man musste sehr filigran sein, um das Boot über Wasser zu halten. Und wir haben einige Fehler gemacht, die man hätte vermeiden können, aber die einfach noch nicht automatisiert sind. Und Fehler in solchen Bedingungen werden einfach extrem hart bestraft.

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Im Speed waren wir daher gestern definitiv nicht wettbewerbsfähig. Wir haben die Daten noch nicht gesehen, aber wir haben schon ein ganz gutes Gefühl, was in den Daten zu sehen sein wird. Und auch in einigen der Manöver gab es Schwierigkeiten. Dazu einige strategische Geschichten, wo wir die Laylines zu früh genommen haben. Es kostet sehr viel, dann mit langsamen Geschwindigkeiten um die Tonnen zu gehen.

Mit den Starts waren wir grundsätzlich zufrieden. Daran arbeiten wir von Anfang an und haben auch das als wichtigen Bereich des ganzen Projektes identifiziert. Da können wir schnell lernen und auch im Vergleich zum Feld relativ schnell lernen und performen da auch gut. Wir messen seit Anfang des Jahres und seitdem sind wir wirklich gut auf den Parametern. Und das war heute eigentlich auch alles in Ordnung.

Es gab eine heikle Situation mit den Australiern, die mit einem Punktabzug für euch endete. Was ist passiert?

Die Situation war nach der Lee-Tonne. Nach der Zone ist dort erstmal Lee vor Luv. Zusätzlich war es an der Boundary. Also alle Rechte waren bei Australien. Wir hätten uns freihalten sollen und haben das nicht ausreichend gemacht. Und dann gab es einen Kontakt. Soweit ich das weiß, werden wir daher vier Punkte abgezogen bekommen bei diesem Event. Wir starten also mit vier Minus-Punkten. Und dann werden wir zusätzlich zwei Punkte in der Saison-Wertung abgezogen bekommen. Wenn wir hier fünfter werden, würden wir eigentlich fünf Punkte bekommen, so aber nur drei Punkte.

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Gab es während der Kampagne bereits weitere Tiefpunkte, die dich möglicherweise sogar am ganzen Projekt zweifeln lassen haben?

Nein, würde ich nicht sagen. Ich habe dem Team häufig gesagt, auch wenn es mal gut lief und dann mal wieder ein wenig schlechter, dass es ein bisschen ist, wie David gegen Goliath. Wir segeln hier gegen Leute, die zum Teil in den letzten America's Cup-Ausgaben auf diesen Booten gesegelt sind und natürlich generell gegen mit die besten Segler der Welt, wenn es um schnelle Boote geht. Wir segeln hier gegen keine Gurkentruppe und die anderen Teams haben zudem mehr Erfahrung und noch mehr Training. Das wäre ja utopisch zu denken, dass wir da plötzlich von vornherein vorne mit segeln können. Wir wussten immer, dass die harte Arbeit ist, diesen Lernprozess mitzumachen. Das Einzige, was wir gerade messen, ist, wie schnell wir lernen. Und das ist auch das Einzige, was für uns wichtig ist. Angesichts unserer Lernkurve und wo wir an den verschiedenen Teilaspekten stehen, waren wir bis jetzt echt immer zufrieden.

Du bist also zufrieden mit der Premierensaison?

Für mich sind die letzten zwei Events auch noch wichtig. Ich kann bis jetzt ein Fazit ziehen und sagen: Wir sind in unserem Soll. Wir haben uns Ziele gesteckt, die keine Resultatziele sind, sondern inhaltliche Ziele, aber quantifiziert. Da ist was mit Start drin, da ist was mit Unforced Errors drin, also die unprovozierten Fehler und so weiter. Das sind eine Reihe von Parametern, die wir messen. Da sind wir im Moment bei allen im grünen Bereich. Jetzt müssen wir sehen, wie die letzten zwei Events laufen und ob wir da ins Rote rutschen irgendwo. Aber momentan sind wir ganz zufrieden.

Ist ein besonderes Highlight im Kopf geblieben?

Ja, einer der Starts in Australien, bei dem sich die Jungs und Mädels etwas getraut haben, was das ganze Feld sich nicht getraut hat. Und das Rennen, glaube ich, haben wir dann auch gewonnen. Aber auch der Start war vor allem wirklich gut durchgeführt.

Wie bist du überhaupt zum Coach vom deutschen SailGP-Team geworden?

Das war der klassische Anruf. Erik und ich kennen uns ja schon lange. Ich bin quasi knapp die Generation vor ihm gewesen im 49er, habe aber ganz knapp die Olympia-Qualifikation für London verpasst. Ich habe mit Mitte 20 dann schon aufgehört 49er zu segeln und wollte in meinem Leben was anderes machen. Tobias Schadewaldt und Hannes Baumann haben mich dann aber um ein Training für die Olympischen Spiele gebeten. Zuvor waren wir ja quasi Gegner in der Ausscheidung. Und die jungen Trainingspartner waren damals Erik und Thommy.

Langjährige Weggefährten: Coach Lennart Briesenick (l.) gemeinsam mit Erik Heil (r.) an Bord des deutschen F50s während eines TrainingsschlagsFoto: Felix Diemer for SailGPLangjährige Weggefährten: Coach Lennart Briesenick (l.) gemeinsam mit Erik Heil (r.) an Bord des deutschen F50s während eines Trainingsschlags

Für mich war eigentlich klar, dass ich das mit denen mache , dann aber mein Studium verfolge und in meinem Leben einen anderen Weg gehe. Dennoch habe ich die Bundestrainer immer wieder unterstützt und auch Erik und Thommy haben immer wieder angefragt. Ich habe dann im Event- und Konferenzbusiness gearbeitet. Es kam Corona und es ging uns natürlich nicht gut. Dann habe ich mich doch nochmal überreden lassen für Tokio (Olympia 2021, Anm. d. Red.), weil es in meinem anderen Job wirklich schwierig war. Danach war ich aber sozusagen raus. Bis dann Erik anderthalb Jahre später nochmal angerufen hat. Und so kam das zustande.

Wie war die Umstellung von dieser Art der Trainertätigkeiten zu deinem jetzigen Job?

Das war eine meiner größten Bedenken. Ich habe das Erik dann auch gesagt, dass ich nicht davon überzeugt bin, dass ich der richtige Mann dafür bin. Und, ob es nicht Leute gibt mit mehr Erfahrung. Es ging um Folien und es ging um Katamarane und ich hatte zumindest auf hohem Niveau noch nichts mit Foilen und Katamaranen zu tun. Wir haben also ein bisschen länger geredet und ich hatte Erik eigentlich geraten, wenn er irgendwie bessere Optionen hat, sollte er mit diesen weitermachen, weil ich immer sehr daran interessiert bin, was das Beste für das Projekt ist. Aber Erik hatte ein paar gute Punkte, weil wir natürlich in den Jahren zuvor gut zusammengearbeitet hatten. Und er hatte ja auch wenig Verstand von dem Vorhaben. Die Idee war sozusagen, dass wir uns gemeinsam einarbeiten. Mit der Hilfe von den internationalen Jungs, die er auf dem Boot hatte. Die uns dann erstmal coachen, bevor ich dann mehr übernehmen kann. Aber meine Lernkurve musste auch sehr, sehr steil sein, um das ganze Boot zu verstehen.

Wie setzt sich das Aufgabenfeld von einem SailGP-Coach zusammen?

Da ist natürlich auch viel Organisation mit dran gebunden. Also ich mache die Tagespläne von uns, weil diese Events so stark gestaffelt sind. Bei einer großen Gruppe von Leuten ist es immer wichtig, dass alle wissen, was sie wann machen sollen. Das ist ein wichtiger Aspekt, um ein Fundament zu haben. Während des Events kümmere ich mich dann allerdings nur um das Sportliche. Zusammen mit meinem Co-Trainer Joe natürlich, wenn wir die Informationen von Wetter, Kurs und so weiter haben. Dann machen wir uns Gedanken, wie der Kurs zu segeln ist und so weiter. Und zwischen den Events ist viel Datenanalyse dabei, auch während der Events, was manchmal ein bisschen schwierig ist. Das sind dann lange Abende.

Und dann helfe ich aber auch noch bei anderen Themen im Projekt. Ich bin mittlerweile Vollzeit angestellt und wir sind einfach noch ein bisschen im Aufbau. Ich bringe zudem ein bisschen Berufserfahrung mit, was nicht Segelcoaching ist, sondern aus dem Event- und Konferenzbusiness. Insofern kann ich auch in anderen Bereichen ein bisschen helfen.

Innerhalb dieser Saison wurdet ihr Trainer von eigenen Booten auf dem Wasser, in einen Raum an Land mit allen anderen Trainern versetzt. Welche Vor- und Nachteile hat das?

Ich würde sagen, hauptsächlich Vorteile. So interessant das auch klingt, wenn man es gewohnt ist auf dem Wasser zu sein. Hauptsächlich Vorteile, weil das Spiel, ich nenne das immer ein Spiel, ist ganz anders als das Olympische. Einer der Parameter ist, dass es ein Datenspiel ist und ein digitales Spiel sozusagen. Und das ist unglaublich schwierig auf dem Wasser mit Bildschirm und Sonne und nicht in einer ruhigen Umgebung. Jetzt hat man natürlich mehrere Bildschirme, es ist ganz ruhig, man hat die Kommunikation mit dem Team und man kann die Ruhe auch reinbringen, wenn es auf dem Wasser sehr hektisch ist. Das ist ein Riesenvorteil. Der einzige große Nachteil, würde ich sagen, ist der Blick auf die Wasseroberfläche und den kann auch kein Helikopterbild liefern. Also die ganz unmittelbare Verteilung des Drucks und der Dreher ist schwierig für uns abzuschätzen.

Höchste Konzentration: Blick in die sogenannte Coach Booth beim SailGP-Event in HalifaxFoto: Andrew Baker for SailGPHöchste Konzentration: Blick in die sogenannte Coach Booth beim SailGP-Event in Halifax

Eine große Besonderheit ist die Kommunikation mit dem Team. Denn ihr habt alle Daten und steht in permanentem Funkkontakt. Wie und wie oft nutzt ihr das im Rennen?

Wir sind da ganz vorsichtig rangegangen, weil natürlich auch viel Kommunikation auf dem Boot zwischen den Seglern ist. Am Anfang, wenn man lernt, das Boot zu segeln, ist man im Boot. Und dann muss man irgendwann anfangen zu versuchen, aus dem Boot zu gehen, um dann die taktischen und strategischen Überlegungen zu machen und Entscheidungen zu treffen. Genauso ist es hier auch. Wir sind noch relativ viel im Boot im Vergleich zu vielen anderen. Und insofern sind wir ganz langsam daran gegangen, sozusagen Schritt für Schritt.

Gibt es bestimmte Situationen, in denen du aktuell immer eingreifst?

Was wir ansagen, sind die Zeiten bis zur Boundary oder Anlegelinie. All solche Geschichten, die eher so maschinell sind, sodass diese einfach in den Ohren von den Seglern sind und sie sich im Boot keinerlei Gedanken darüber zu machen brauchen.

Wie setzen andere Teams diese Möglichkeit ein?

Ich bin nicht ganz sicher, wie das in anderen Teams ist. Wir sind natürlich in einem Raum zusammen, aber wir tragen auch immer alle Kopfhörer. Was wir dann immer mal machen, ist, die Kopfhörer abzunehmen, um ein bisschen zu hören, was andere sagen. Aber grundsätzlich haben wir keine sehr spezielle Idee, wie andere das machen. Natürlich haben wir jetzt einen ehemaligen kanadischen Coach. Und insofern, glaube ich, gibt es da keine so großen Unterschiede, wie das gehandhabt wird.

Trainingstage sind extrem knapp im SailGP. Aktuell wird allerdings ein Simulatorprojekt von der Liga vorangetrieben. Das könnte eine sehr attraktive Möglichkeit für neue Teams sein, um möglichst schnell Erfahrung aufzuholen – auch für euch?

Der Simulator wird für uns wichtig sein und auch für alle anderen neuen Teams. Das war wirklich ein Puzzleteil, das extrem gefehlt hat, um die Lernkurve schneller hochzubekommen.

Ein solcher Simulator soll zukünftig für alle Teams verfügbar seinFoto: YACHT/M. GasserEin solcher Simulator soll zukünftig für alle Teams verfügbar sein

Wie habt ihr bisher versucht, die Erfahrungslücke schnellstmöglich zu schließen?

Ich glaube, wir haben uns mehr als andere Teams zwischen den Events mit dem Segelteam in virtuellen Briefings getroffen. Wir sind natürlich auf der ganzen Welt unterwegs, insofern war es auch mal eine Herausforderung mit dem Zeitpunkt. Außerdem haben wir das Projekt angefangen, die Segelsoftware auf Motten oder Switch One Designs zu installieren und so quasi SailGP im Miniaturformat zu segeln. Einfach, um diese ganzen taktischen Situationen anständig zu kreieren. Soweit wir wissen, hat das bisher kein anderes Team gemacht.

Nach New York folgt nur noch San Francisco. Wie nutzt ihr die Zeit zwischen den Saisons?

Wir haben die Möglichkeit, auf dem F50 zu trainieren. Im Moment ist noch die Frage, ob das in Bermuda oder in Dubai sein wird. Wir werden jedenfalls relativ viele Tage trainieren, um uns auf die nächste Saison vorzubereiten. Und wie gesagt, dann haben wir dieses Switch-Projekt, das wir dann aktivieren wollen. Da warten wir im Prinzip auf die Boote und auf die Entwicklung und Anpassungen der Software. Das sind so die groben Pläne. Und dann gucken wir natürlich auch, ob irgendwie größere Foiling-Katamarane, so wie der GC32, eine Möglichkeit für unser Training sind.

Wenn es wieder losgeht, stehen auch deutsche Olympia-Teilnehmer möglicherweise zur Verfügung. Gibt es personell schon Planungen für die neue Saison?

Ja, das haben wir im Blick, aber für uns ist es wichtig, die Saison fertig zu segeln und schließlich eine Bestandsaufnahme zu machen. Und dann entscheiden wir, ob und wie sich etwas ändern kann für die Saison bis nächstes Jahr.


Die SailGP-Rennen werden am 22. und am 23. Juni jeweils ab 22.30 Uhr hier bei wedotv live übertragen.


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