Für die Zuschauer war es ein Krimi, für die Segler ein anhaltender Stresstest: Der erste Rolex Switzerland Sail Grand Prix brachte die erwartete Leichtwindschlacht vor Alpenkulisse. Mittendrin das Germany SailGP Team, das sich am ersten der beiden Renntag nicht schlecht schlug, aber aus guten Positionen am Start noch kein Kapital ziehen konnte.
Wie in einem anderen Film sah es am zweiten und schon finalen Tag aus. Da machten Steuermann Erik Kosegarten-Heil und seine nur zwei Mitstreiter die extrem leichten Winde auf dem Genfersee zu ihrer Stärke. Sie eröffneten den Tag mit einem Rennsieg und ließen Rang drei in schwierigsten Bedingungen folgen. “Ganz wenig Wind macht keine Laune, aber wenn wir eine Chance zum Foilen haben, dann mögen wir das zu dritt ganz gerne”, erzählte Erik Kosegarten-Heil am Abend in Genf.
“Bildschöne Starts von Erik heute!” Stuart Bithell
Plötzlich war der erste Finaleinzug in der Teamgeschichte erreicht. Dass an beiden Tagen aufgrund der flauen Bedingungen auf drei Crew-Mitglieder reduzierte deutsche Team (wie alle anderen auch) nutzte die Chance maximal. Beim erneut gelungen Start ins Finale profitierte das Trio von der eigenen guten Positionierung und auch vom guten Timing. Im Gegensatz zum Vortag, wo der guten Startpositionierung zu hohe Verluste über den Kurs gefolgt waren, lief es am Sonntag auch in dem Bereich nach Plan.
“Wir haben wirklich extrem an den Starts gearbeitet”, kommentierte Erik Kosegarten-Heil die sichtbaren Verbesserungen in den gegebenen krassen Leichtwindbedingungen. Endlich funktionierte, was im Kopf lange schon klar war. Für die beiden Gegner hatte das Finale dagegen hektisch begonnen, weil die Schweizer nach einiger Wartezeit vom schnellen Wiederanpfiff überrascht wurden.
“Wir hatten eine recht kurze Ankündigung für das Medaillenrennen”, erklärte Erik Kosegarten-Heil das Szenario, in dem sein Team unbedrängt in Lee und mit dem kürzesten Weg zur ersten Wendemarke starten konnte, während Australier und Schweizer sich direkt beharkten. Der deutsche Fahrer beschreibt, was vorher beim Warten auf den Finalstart passiert war: “Es waren plötzlich nur noch zwei Minuten bis zum Start. Wir waren gerade noch hinter der ersten Tonne und die Schweizer waren noch an der ersten Tonne am Rib fest. Ich dachte nur, ach du Heiliger. Dann sind wir los.”
Sodann vermeldeten die Schweizer, dass sie noch keinen Wingstream haben. Weshalb das Finale noch einmal um eine Minute verschoben wurde. “Dadurch waren die Australier zu früh und sind noch einmal zurück. Und wir hatten eigentlich ein gutes Timing, um in die Box zu gehen. Deswegen sind die Schweizer und die Australier dann im Timing gleichzeitig reingefahren. Wir hatten da eine gute Situation”, erzählt Erik Kosegarten-Heil von der Entstehung des Start-Szenarios.
Den folgenden Start- und Zielsieg für Team Germany beschreibt der Fahrer als “extrem gutes Rennen”. Der Schlüssel zum Sieg war in den flauen Winden erneut die Kunst, die F50-Maschinen auf den Foils zu halten. Das gelang nicht immer, aber oft genug. Zwar konnten Tom Slingsby und die Bonds Flying Roos zwischenzeitlich die Lücke zu Schwarz-Rot-Gold verkürzen, als der deutsche Foiler doch einmal in den Fluten kleben blieb, doch dieses Mal kamen Erik Kosegarten-Heil, Stu Bithell und Flight Controller James Wierzbowski rechtzeitig wieder in Fahrt.
Während die Teamkameraden auf den Begleitbooten die Spannung kaum mehr aushielten, Anna Barth die Hände vor die Augen hielt und alle den Atem anhielten, glitt der weiß-blaue Katamaran des Germany SailGP Teams powered by Deutsche Bank in Zeitlupe der Ziellinie entgegen. Das Trio an Bord vollendete den Lauf souverän, ließ weder den Australiern noch dem Heimteam eine Chance. Die Faust von Erik Kosegarten-Heil ging danach in den Himmel über dem Genfersee, an Bord der Begleitboote kannte der Jubel kaum Grenzen.
Die Mannschaft hatte vor allem in diesem, ihrem zweiten Liga-Jahr in viele Rückschläge hinnehmen müssen, war nach einem Strafpunktgewitter früh in der Saison in Sydney zunächst auf den letzten Liga-Platz zurückgefallen. Begeisternd besser lief es beim Heim-Event im August in Sassnitz mit Platz fünf. Eine Woche vor der Schweizer SailGP-Süßwaserpremiere hatte Team Germany vor Saint-Tropez im anhaltenden Aufwärtstrend schon Platz vier erkämpft.
Den vorläufigen Höhepunkt fand das zunehmend erfolgreiche deutsche Spiel im Kräftemessen mit der Elite in der Segel-Formel 1 nun mit dem historischen ersten Teamsieg auf dem Genfersee. Ein wenig erinnerte der Erfolg auch an die noch aus seinen Olympia-Zeiten bekannten Qualitäten von Erik Kosegarten-Heil. Schon bei seinen Olympia-Kampagnen mit Thomas Plößel im 49er galt er als Steuermann, der gut mit schwierigen Leichtwindbedingungen zurechtkam.
Ich mag es, wenn es tricky zugeht.” Erik Kosegarten-Heil
Das hat der gebürtige Berliner, der 2016 in Rio de Janeiro und 2021 im japanischen Enoshima olympische Bronzemedaillen im 49er gewonnen hatte, des Öfteren gesagt. Keine seiner beiden Medaillen hätte er für einen Sieg im SailGP hergegeben, und doch ist mit dem geglückten Gipfelsturm in der Schweiz ein ersehnter und schwer erarbeiteter Wunsch in Erfüllung gegangen. “Das Team”, so Erik Kosegarten-Heil, “hat so lange so hart für diesen Erfolg gearbeitet. Es ist wirklich, wirklich schön!”
In der SailGP-Saisonwertung ist Team Germany (23 Punkte) nun auf den nach dem schwarzen Tag von Sydney nicht mehr für möglich gehaltenen neunten Platz vorgerückt. Die Teams Red Bull Italy (22 Punkte), Mubadala Brazil (14 Punkte) und die glücklos agierenden Amerikaner (minus 7 Punkte) haben sie vorerst hinter sich gelassen. Auf Platz acht liegt vor den letzten beiden Events der fünften SailGP-Saison das dänische Team Rockwool Racing mit 31 Punkten.
Angeführt wird die Saisonmeisterschaft zwei Events vor Ende der fünften SailGP-Saison von den Bonds Flying Roos (76 Punkte) vor Emirates GBR (75 Punkte und Neuseelands Black Foils (73 Punkte). Nach dem vorletzten Event am 3. und 4. Oktober in Cádiz findet das Finale der insgesamt mit 12,8 Millionen US-Dollar dotierten Serie am 29. und 30. November in Abu Dhabi statt.
Glückliches Chaos herrschte nach dem goldenen Gipfelsturm am Abend in der Schweiz im deutschen Teamlager und im Werkstatt-Container. “Der ganze Boden ist voller Champagnerflaschen”, lachte Erik Kosegarten-Heil. Er genoss die Ausgelassenheit seiner Mannschaft.
Der Mitinitiator des deutschen SailGP-Engagements sagte aber auch: “Wir können diesen Erfolg nicht überbewerten. Hier konnten wir durch die Starts gute Rennen fahren. Wir hatten ein bisschen Glück, dass sich die beiden anderen Teams im Finale etwas aufgehalten haben. Das Glück hatten wir in Sassnitz nicht auf unserer Seite, obwohl wir es da verdient hätten. Deswegen ist es hier ein bisschen zurückgekommen.”
Wir sind happy, dass es jetzt geklappt hat. Aber das ist eine Momentaufnahme und noch nicht das, wo wir jetzt stehen.” Erik Kosegarten-Heil
Die Australier, so der Mediziner aus Strande, hätten auf dem Genfersee “die Messlatte gesetzt, wie man das Boot fährt”. Erik Kosegarten Heil sagte: “Ich hätte gedacht, dass die das Rennen mit einer Meile Vorsprung gewinnen, weil sie als einzige Segelzeit auf den neuen Foils hatten. Die waren extrem präzise.” Entsprechend hat Team Germany die Grün-Gelben auch beim Rolex Switzerland Sail Grand Prix gründlich studiert. Team Germanys Erfolg ließ diese Arbeit auch mit den Coaches Lennart Briesenick und Jacopo Plazzi Marzotto mehr als sinnvoll erscheinen.