Anna Barth stieß kurz nach ihrem Abitur am Hamburger Gymnasium Hochrad 2023 zum Germany SailGP Team. Skipper Erik Heil hatte sie damals angerufen, um das Interesse der 49erFX-Junioren-Weltmeisterin auszuloten. Zuvor hatten ihn auf der Suche nach weiblichen Crew-Mitgliedern Empfehlungen aus mehreren Richtungen erreicht. So auch die von Heils früherem Olympia-Coach Thomas Berg, in dessen Trainingsgruppe die junge Skiffseglerin positiv aufgefallen war.
Seit der SailGP-Regatta in Cadiz 2023 ist Anna Barth Teil des deutschen Teams. Zuvor hatte sie an einem SailGP-Trainingscamp für aufstrebende Seglerinnen teilgenommen. Von dort hatten Beobachter gute Eindrücke von ihr und auch 49erFX-Steuerfrau Sophie Steinlein an Erik Heil und das Germany SailGP Team vermeldet. “Die beiden ragten in ihrer Gruppe heraus”, erinnert sich Erik Heil noch gut. Beide wurden ins deutsche Team aufgenommen, wechselten sich in der vierten SailGP-Saison ab.
Geblieben ist Anna Barth. Die Mannschaft wollte die stets zu knappe und wertvolle SailGP-Segelzeit vorerst nicht mehr noch zwischen zwei Frauen aufteilen. “Wir haben gemerkt, dass es blöd war, die ohnehin wenigen Trainingstage noch 50:50 zu teilen”, erklärt Erik Heil. Seit Oktober 2023 ist Anna Barth neben sechs Männern – Erik Heil, Stu Bithell, James Wierzbowski, Jonathan Knottnerus-Meyer, Felix van den Hövel und Will Tiller – die einzige Seglerin in der Crew.
Die bodenständige Sportlerin fühlt sich wohl in der Mannschaft, erlebt den Teamgeist oft als “magisch”. Ihr Skipper Erik Heil beschreibt seine junge Strategin als “ruhigen Charakter”. Anna arbeite, so der Steuermann und Antreiber im Germany SailGP Team, “sehr analytisch”. Sie sei für ihr Alter “sehr wissenschaftlich unterwegs”, helfe dem Team auf verschiedenen Ebenen. An Bord kümmert sich Anna – bei mehr Wind und in den größeren Crew-Konstallationen meist hinter Erik Heil positioniert – um die Navigation im Verhältnis zu den anderen Booten auf dem Kurs und steuert das Boot aus den Manövern raus.
Das ist krass, sauanstrengend.” Anna Barth
Bei weniger Wind ist die 1,69 Meter große Athletin im Minimalaufgebot von vier Akteuren auch als Solo-Grinderin gefordert. “So 100-Kilo-Typen machen das zu zweit. Und ich mache es dann alleine, wenn wir nur noch zu viert sind”, stellt sie nicht ohne Galgenhumor fest. Weshalb das physische Training für diese Herkulesaufgabe “gerade ein bisschen an Nummer eins meiner Prio-Liste steht”, so Anna Barth, die eine solche Superwoman-Kräfte im Rahmen ihrer 49erFX-Olympiakampagne mit Emma Kohlhoffe bislang nicht in dem Ausmaß brauchte.
Bei einem Tag Pause ackert sie sechs Tage die Woche im Gym, läuft und eröffnet und schließt die Tage noch mit Mobilisierungseinheiten. “Ich achte auf meine Gesundheit, meine Ernährung, meinen Schlaf”, sagt Anna. Was bei den Reisen um die Welt nicht immer leicht, aber insgesamt machbar sei. Sie arbeitet dabei mit einem Plan, zu dem der Athletiktrainer vom German Sailing Team und vom Germany SailGP Team unterstützend beitragen.
Als Segelprofi hat Anna Barth viele weitere Aufgaben im Team. Für die Vor- und Nachbereitung der Rennen hat das Germany SailGP Team innerhalb der Mannschaft vier Gruppen gebildet, die sich um die Themen Taktik, Starts, Speed und Kommunikation kümmern. Anna arbeitet in drei dieser Gruppen mit, hat damit auch an Land alle Hände und den Kopf voll mit dem Segeln zu tun. Für sie bietet das SailGP-Engagement weite Felder, in die sie ihr Können einbringen, vor allem aber in steiler Kurve von den Besten lernen kann.
Das sei nicht nur hilfreich beim Aufstieg im SailGP, sondern auch für die eigene Olympia-Kampagne, die sie mit der jungen Kielerin Emma Kohlhoff im 49erFX vorantreibt. Aktuell noch etwas weniger intensiv, denn die 17-jährige Vorschoterin macht erst 2027 ihr Abitur, das Anna Barth seit zwei Jahren in der Tasche hat. Dennoch beflügeln sich die Arbeit im SailGP und die Olympia-Kampagne gegenseitig.
“Mein Weg ist sicher etwas anders als der klassische”, weiß Anna Barth. Sie erklärt: “Die meisten sind erst olympisch erfolgreich, gewinnen eine Medaille und kommen dann in den SailGP. Bei mir mixt es sich. Für die gelernte Skiff-Steuerfrau ein Gewinn: „Ich sehe, wie Erik und Stu arbeiten, kann alles fragen und viel von ihnen lernen.“ Der zweimalige Olympia-Dritte Erik Heil und sein britischer Flügeltrimmer, der 49er-Olympiasieger Stuart Bithell, sind Annas Teamgefährten, Vorbilder und Ratgeber.
Die 20-Jährige nutzt jede Chance für Verbesserungen, studiert oftmals stundenlang Videosequenzen der Top-Akteure im SailGP. Deshalb weiß sie auch genau um die Stärken des eigenen Steuermanns: “Erik ist ein bisschen wie Peter Burling. Das andere Extrem wäre Tom Slingsby. Der ist auf dem Wasser sehr aggressiv und lässt das auch raus. Erik ist schon eher ein Denker. Er denkt viel für sich und macht sich einen Plan. Und er ist super ruhig.”
Erik ist ein genialer Segler.” Anna Barth
Für seine Ruhe auch in stürmischen Zeiten empfindet Anna Barth großen Respekt: “Selbst in hektischen und chaotischen Situationen ist Erik immer der, der sagt: ‘Hey, guys, all good, I got it.’ Der hat echt die Ruhe weg und auch immer wieder Ideen, die „out of the box“ sind. Gerade in der Kombination mit unserem Coach Lennart (Red.: der Flensburger Trainer Lennart Briesenick). Ein Beispiel ist der Start, den wir in Sydney gemacht haben, bei dem wir von unten reingefahren sind. Das war voll Erik. Dass er das einfach durchgezogen und gemacht hat.”
Ohne Russell Coutts und seine Persönlichkeit wäre der SailGP nicht möglich geworden.” Anna Barth
Den Liga-Gründer und Boss Russell Coutts kennt Anna Barth persönlich nur wenig, bewundert aber dessen Wirken für den den Segelsport: “Ich habe noch nie richtig 1:1 mit ihm gesprochen. Ich stand mal dabei, habe ihn ein bisschen kennengelernt. Witzigerweise ist er teilweise auch bei den olympischen Events vor Ort, denn sein Sohn segelt auch 49er.”
Coutts’ seglerisches Lebenswerk beschreibt Anna Barth als imposant. Sie sagt: “Es ist beeindruckend, was der im Segelsport geschafft hat. Und ich finde es richtig cool, dass der SailGP ins Leben gerufen wurde und so weit gekommen ist.” Mit und in der Weltliga des Segelsports will es auch Anna Barth weit bringen, ihre Chancen nutzen, dem Team bestmöglich dienen und maximal viel lernen.
Ihre Leidenschaft fürs Segeln hat sie schon in frühester Kindheit bei Segelausflügen auf der Elb-H-Jolle ihres Vaters entdeckt. Auf der heimischen Elbe hat die im Hamburger Westen großgewordene junge Frau als Schulmädchen beim Mühlenberger Segel-Club schnell Gefallen am Regattasegeln gefunden. Über den 29er ging es dann in Gleitjollen rasant weiter, während der Traum von Olympia wuchs. “Olympischer Erfolg ist ein Riesenziel von mir”, sagt Anna Barth.
Momentan aber ist sie auf ihre Arbeit im SailGP fokussiert, den es stehen gleich zwei Events in schneller Folge auf dem Programm. Am Wochenende steigt zunächst die vierte Regatta der fünften Saison. Am Samstag und Sonntag (15./16. März) geht es in der ehemaligen und kommenden Olympiastadt Los Angeles zur Sache.
Wir wollen gut aus dem Loch von Sydney zurückzukommen.” Erik Heil
An der US-amerikanischen Westküste will das Team um Skipper Erik Heil nach dem Strafpunktgewitter von Sydney fürs Comeback kämpfen. Als aktuelles Schlusslicht der Liga mit immer noch sechs Minuspunkten auf dem Konto, sagte Erik Heil: “Wir wollen den Teamspirit hochkriegen, die Brust wieder weiten und bestmögliche Plätze erreichen.“
Erik Heils Überzeugung von der wachsenden Qualität im deutschen Teams beim Aufstieg in der Segel-Formel 1 ist trotz der beiden ärgerlichen Trainingskollisionen von Sydney unerschüttert: „Unsere Entwicklung ist gut. Wir haben immer gesagt, dass ein Podiumsplatz drin ist, wenn alles zusammenläuft. Das bleibt so.“
Auch Anna Barth sagte: “Die vielen Strafpunkte, die wir in Sydney gesammelt haben, waren sehr schmerzhaft. Wir blicken jetzt aber nach vorn und fokussieren uns auf die Rennen in Los Angeles und San Francisco. Unser Ziel ist es nach wie vor, die Lernkurve steil zu halten, sodass wir bald konstant vorne mitfahren können. Wir freuen uns auf zwei spannende Rennwochenenden an der US-amerikanischen Westküste.“
Auf einem der kleinsten Kurse der SailGP-Liga wurden zuletzt fürs Wochenende eher leichtere Winde erwartet. Das ZDF wird die Rennen an beiden Tagen jeweils ab 21.55 Uhr deutscher Zeit im Livestream übertragen. Kommentatorin ist an diesem Wochenende Kristin Recke. Eine Woche später in San Francisco übernimmt wieder Nils Kaben das Mikro.
Autsch! Der Rückblick auf den Crash-Tag des deutschen Teams in Sydney und die Folgen:
Racing on the edge – ein emotional packender Rückblick auf den Höhenflug und den verpatzten Finaleinzug der Franzosen beim SailGP in Sydney: