Tatjana Pokorny
· 29.11.2019
Deutschlands beste Skiff- und Mixed-Katamaran-Segler sind ab 3. Oktober vor Auckland dreifach gefordert. Im America's-Cup-Revier steht viel auf dem Spiel
Medaillen, Top-Platzierungen, zwei noch fehlende Olympia-Startplätze und Punkte für das eigene Ausscheidungskonto auf Kurs Enoshima: Drei Wochen vor Weihnachten ist die Wunschliste von Deutschlands besten Skiff- und Mixed-Katamaran-Seglern bei der gemeinsamen Weltmeisterschaft im neuseeländischen Revier vor Auckland so lang wie die futuristische Cup-Yacht der Kiwis, die dort in diesen Wochen in imposantem Tempo durch die Trainingsfelder pflügt. In Down Under haben die besten Akteure des German Sailing Teams den ganzen November über intensiv für den Saisonhöhepunkt zum Jahresende trainiert und sich an die krasse Zeitumstellung gewöhnt. Die Bundestrainer und ihre Schützlinge blicken den Welttitelkämpfen der Superlative nun optimistisch entgegen. 412 Seglerinnen und Segler, 206 Teams aus 41 Nationen – darunter 14 (!) Olympiasieger – fiebern dem WM-Startschuss für die spektakulären Olympia-Disziplinen 49er, 49erFX und Nacra 17 am 3. Dezember entgegen.
Die deutschen Crews zählen in allen drei Klassen zumindest zum erweiterten Favoritenkreis, haben aber im ehemaligen und künftigen America's-Cup-Revier noch weitere wichtige Aufgaben zu lösen. Die höchstmögliche Flexibilität ist von den beiden 49erFX-Crews Victoria Jurczok/Anika Lorenz (Verein Seglerhaus am Wannsee) und Tina Lutz/Susann Beucke (Chiemsee Yacht-Club/Hannoverscher Yacht-Club) gefordert. Sie müssen vor allem den noch nicht gesicherten Nationenstartplatz für ihre Disziplin für Olympia 2020 einfahren. Gleichzeitig wollen beide Mannschaften mit einem überzeugenden Ergebnis zeigen, dass sie nach einer längeren Durststrecke und monatelangem Intensiv-Training wieder dran sind an der Weltspitze. Zusätzlich beginnt mit der WM aber auch schon ihre dreiteilige nationale Ausscheidung – im 49erFX kommt es damit zu einem Duell, dass es in dieser Form bereits vor vier Jahren gegeben hat: Jurczok/Lorenz vs. Lutz/Beucke. Damals konnten sich Jurczok/Lorenz durchsetzen und die persönliche Olympia-Fahrkarte lösen, segelten in Rio de Janeiro auf Platz neun. Auch das Duell um das Ticket zu den Pre-Olympics in diesem Jahr hatten wieder die Berlinerinnen für sich entscheiden können. Ob es bei diesem Kräfteverhältnis bleibt oder die bei einer Testregatta in der vergangenen Woche besser platzierten Jägerinnen Lutz/Beucke das Blatt zu ihren Gunsten wenden können – die WM wird darüber erste, aber noch keine vorentscheidenden Aufschlüsse geben. Die nationale Ausscheidung endet wie bei den 49er-Seglern erst nach zwei weiteren Regatten – der WM 2020 im Februar in Australien und dem europäischen Klassiker Trofeo Princesa Sofía im Frühling vor Mallorca.
Einen Vorgeschmack auf das WM-Triple gibt es hier
Vorschoterin Susann Beucke sagte in Auckland: "Die Anzahl der Aufgaben macht keinen großen Unterschied, weil sie sich nicht ausschließen. Wir haben extrem viel trainiert und wissen, dass wir nicht härter hätten arbeiten können. Wir können also selbstbewusst in die WM gehen, und das machen wir auch. Je besser wir fahren, je höher die Chance, dass alles eintritt, was wir uns wünschen." Inzwischen verbindet die beiden FX-Crews immer noch die gemeinsame Aufgabe, den Nationenstartplatz zu sichern, doch sie haben sich gleichzeitig jeweils mit einem eigenen Trainer vorbereitet. Vor allem, weil bei der WM anfangs in Gruppen und möglicherweise nicht immer auf der gleichen Bahn gesegelt wird. Das Risiko erschien zu hoch, sich den Bundestrainer Dave Evans weiter zu teilen. Lutz/Beucke sind deshalb mit dem erfahrenen Coach Ian Barker an ihrer Seite im Einsatz, der unter anderem die 505er-WM 1993 und olympisches Silber im 49er 2000 gewonnen hatte. Jurczok/Lorenz werden mit Dave Evans vom ehemaligen 29er-Weltmeister und 49er-Weltranglisten-Dritten Dave Evans betreut. Steuerfrau Vicky Jurczok sagte vor der WM: "Wir haben viel trainiert und fühlen uns gut vorbereitet. Wir wollen eine gute WM segeln. Alles weitere sind Add-Ons, die sich aus der Platzierung ergeben." Zur überall in Auckland zu verspürenden Segelleidenschaft sagte die Berlinerin: "Neuseeland ist generell ein sportbegeistertes Land. Die Stars hier sind keine Schauspieler, sondern Sportler. Unter anderem die Segler. Cool, oder?" Zu den WM-Top-Favoritinnen im 49erFX zählen vor Auckland die brasilianischen Olympiasiegerinnen Martine Grael und Kahena Kunze, aber auch die neuseeländischen Lokalmatadorinnen Molly Meech und Alexandra Maloney.
Auch die deutschen Mixed-Crews auf den foilenden Nacras müssen bei dieser WM noch den Nationenstartplatz sichern. "Darauf liegt der absolute Fokus", kündigte Steuermann Paul Kohlhoff (Kieler Yacht-Club) an, der mit Alica Stuhlemmer antritt. "Wir sind so fit, wie wir sein wollten, fühlen uns gut und ausgeglichen. Wir sollten unter normalen Umständen selbst mit einer unterdurchschnittlichen Leistung den Nationenstartplatz sichern können." Dabei helfen wollen auch Jan Hauke Erichsen und Carolina Werner. Erichsen hat die Pinne auf dem foilenden Nacra 17 von Johannes Polgar übernommen, der mit einer Knieverletzung pausiert. Erichsen und Werner trainieren seit gut einem Monat zusammen. Die erfahrene Vorschoterin sagt: "Wir sind happy, dass wir teilweise mit den guten Teams mitspielen können. Die Fitness bei uns an Bord ist top, wir haben eine sehr gute Beziehung auf Augenhöhe. Je nachdem, wer näher am Geschehen ist, der darf die Entscheidungen treffen. Wir haben sehr viel Spaß hier auf dem Wasser in diesem spannenden und anspruchsvollen Revier." Die nationale Olympia-Ausscheidung der deutschen Nacra-Crews beginnt im Unterschied zu den Skiffs aber erst im Februar bei der WM in Australien. Womit es für die Katamaransegler etwas leichter ist als für die FX-Crews, sich auf die Sicherung des Nationenstartplatzes, also ein möglichst starkes Gesamtergebnis, zu konzentrieren. Der internationale Favoritenkreis im Kampf um die Nacra-WM-Krone ist enorm. Mit von der Partie sind unter anderem die argentinischen Olympiasieger Santi Lange und Cecilia Carranza Saroli, die australischen Top-Teams Jason Waterhouse und Lisa Darmanin, America's-Cup-Steuermann Nathan Outteridge mit seiner Schwester Haylee, die österreichischen Kieler-Woche-Sieger Thomas Zajac und Barbara Matz, die Dänen Lin Cenholt und Cp Lübeck, die mehrfachen französischen Weltmeister und SailGP-Asse Billy Besson und Marie Riou, die italienischen Weltmeister Ruggero Tita und Caterina Banti und viele mehr, die in den Kampf um die Medaillen eingreifen können.
Sehr viel Spannung verspricht auch die dritte WM-Disziplin: Im 49er kämpft gleich eine Flotte von GER-Skiffs um eine Top-Platzierung und die ersten Punkte für das persönliche Ausscheidungskonto. Den Nationenstartplatz hatten Deutschlands erfolgreiche 49er-Akteure bereits zum erstmöglichen Zeitpunkt bei der WM 2018 gelöst. Damals waren es die WM-Dritten Tim Fischer/Fabian Graf (Norddeutscher Regatta Verein/Verein Seglerhaus am Wannsee), die den Startplatz für die Segelnationalmannschaft knapp vor den viertplatzierten Routiniers Erik Heil/Thomas Plößel mit ihrer überraschenden Bronzemedaille gesichert hatten. Damit aber war nicht automatisch auch das individuelle Startrecht errungen. Darum kämpfen nun ab der WM in Neuseeland mindestens eine Handvoll GER-Erfolgsmannschaften. In Regie von Bundestrainer Marc Pickel wollen es Rio-Bronzemedaillengewinner Erik Heil und Thomas Plößel (Norddeutscher Regatta Verein) noch einmal wissen. Ebenso wie ihre Freunde und langjährigen Trainingspartner Justus Schmidt und Max Boehme, die von ihrem engagierten Club 49 geförderten Europameister von 2015. Vor vier Jahren mussten sich die Kieler im Spitzen-Duell um das Olympia-Ticket Heil/Plößel geschlagen geben. Jetzt wollen sie den Spieß umdrehen. Natürlich rechnen sich auch Tim Fischer und Fabi Graf Chancen im Kampf um nur eine 49er-Fahrkarte nach Enoshima aus. Einen starken Auftritt streben weitere jüngere Crews im Team von Bundestrainer Max Groy, darunter Jakob Meggendorfer/Andreas Spranger (Bayerischer Yacht-Club), die Flensburger Nils Carstensen und Jan Frigge sowie Max Stingele/Linov Scheel (Kieler Yacht-Club) an.
Erik Heil, dessen 49er-Team mit Bronze 2016 die letzte olympische Medaille für den deutschen Segelsport vor drei Jahren gewonnen hatte, sagte vor WM-Beginn in Auckland: "Ich denke nicht, dass unsere Ausscheidung gleich beim ersten Event vorentschieden wird. Aber wir hoffen natürlich, viele Punkte mitnehmen zu können. Entschieden wird es am Ende vermutlich mental, da wir auf fast gleichem Niveau agieren. Wer sich selbst über die nächsten Wochen und Monate die wenigsten Probleme baut, der wird die besten Chancen haben. Ich denke also, dass zwischen Justus und Max, Tim und Fabi und uns Nervenstärke ein wichtiger Faktor sein wird." Seiner Crew, sagt Heil, liegt das vielseitige Revier, in dem die Superstars gleichzeitig die Nationalhelden sind: Peter Burling und Blair Tuke starten als Top-Favoriten in diese 49er-WM. Während ihre Konkurrenz seit Wochen nur im 49er trainiert, wechseln die Kiwis ihre Boote wie Jockeys ihre Rennpferde: Mal segeln sie 49er, dann wieder sind sie mit der pfeilschnellen neuen America's-Cup-Yacht des Emirates Team New Zealand bei der Vorbereitung zur Cup-Verteidigung im Jahr 2021 im Einsatz und pflügen in atemberaubenden Tempo durch die Felder der kleinen Jollen. "Man muss Pete und Blair großen Respekt zollen", sagt Erik Heil, "die bereiten sich hier auf die WM vor und treiben gleichzeitig ihr AC-Programm voran. Es muss unfassbar zeitaufwändig sein, zwei Projekte auf dem Niveau gleichzeitig zu stemmen." Das bewundert auch Justus Schmidt: "Peter und Blair sind mit ihrem Hobel schon ein paarmal an uns vorbeigebrettert. Das ist ein ziemliches Ungetüm und technisch absolut faszinierend. Wir haben die Cup-Yacht auch in Auckland City auf dem Dock gesehen. Wahnsinn, wie präsent und in der Mitte der Gesellschaft der America's Cup hier vor Ort stattfindet."
Das WM-Revier beurteilt nicht nur Schmidt als spannend: "Hier darf man fast alles erwarten, wobei starker Wind recht charakteristisch ist." Das Motto für die 49er-Crews gibt Steuermann Tim Fischer vor: "Erstmal sich in einer guten Position einfinden, dann angreifen." Lächelnd fügt der in Kiel trainierende WM-Dritte von 2018 hinzu: "Die Trainingsregatta hat gezeigt, dass wir Potenzial nach ganz vorn haben." Auch der jüngste der drei aktuell erfolgreichsten deutschen 49er-Steuermänner sagt: "Entschieden wird Segelsport immer im Kopf. Es kommt also auf Nervenstärke an. Man kann sagen, dass wir richtig Bock auf den Nervenkitzel haben." Von den 49er-Bundestrainern gab es bereits grünes Licht für eine optimal vorbereitete Mannschaft. Marc Pickel sagte: "Die Stimmung im Team ist sehr gut. Wir haben uns gut eingelebt und sind bereit für die Herausforderungen." Das bestätigt auch Max Groy, der die jüngeren Top-Teams im German Sailing Team betreut: "Dass wir den Nationenstartplatz schon gesichert haben, ist natürlich gut. Die Weltspitze ist – dieser Trend hat sich schon bei der WM 2018 gezeigt – enger zusammengerückt. Prognosen lassen sich weniger leicht treffen, vieles ist möglich und denkbar. Unser Ziel ist klar: "Wir wollen die bestmögliche WM segeln, schielen nicht zu sehr auf die beginnende Ausscheidung. Auch unsere jüngeren Teams haben schon in der Vergangenheit gezeigt, dass sie auf Augenhöhe mit der Weltspitze kämpfen können." Die WM endet am 8. Dezember mit den Medaillenrennen in allen drei Disziplinen und der Siegerehrung.
Hier geht es ab 3. Dezember zu den Ergebnissen bei der Weltmeisterschaft für die spektakulären Olympia-Disziplinen 49er, 49erFX und Nacra 17.