Tatjana Pokorny
· 16.12.2022
Die Leistungssegler im Norddeutschen Regatta Verein sind eine Klasse für sich. Das haben die Besten vom NRV Olympic Team in diesem Jahr binnen zwei Wochen mit historischen zwei WM-Goldmedaillen in Olympia-Klassen bewiesen – und jetzt vorweihnachtlich gefeiert.
Mit zwei WM-Titeln in Olympiadisziplinen und dazu dem historischen Liga-Triple mit Siegen bei der Deutschen Vereinsmeisterschaft, im Pokal-Finale und in der Champions League ließen es die NRV-Besten im Sportjahr 2022 krachen. Seine Erfolge zelebrierte in dieser Woche das NRV Olympic Team im Clubhaus an der Alster. Bei der Weihnachtsfeier lag Aufbruchstimmung, aber auch etwas Wehmut in der Luft.
Anders als der deutsche Fußball oder auch die Skisportler, segelten die NRV-Crews 2022 auf goldener Erfolgswelle: iQFoil-As Sebastian Krödel brachte die Segelnationalmannschaft in der ab 2024 neuen olympischen Windsurfdisziplin in Pole Position, als er erst die WM-Serie und dann auch das packende Finale vor Brest gewann. Dem 31-jährigen Radolfzeller waren nach dem Goldfinale im Ziel Tränen und Freude der Erleichterung übers Gesicht gelaufen, als er sagte: "Der Druck war unfassbar groß. Dieser Titel steht dafür, dass ich siegen kann." Seine auf Kurs Marseille 2024 wertvolle Erkenntnis teilt Kördel eineinhalb Jahre vor Olympia 2024 mit der Schwester seiner Lebensgefährtin Helena Wanser…
Luise Wanser, NRV-Eigengewächs und Olympia-Sechste 2021 mit NRV-Vorschoterin Anastasiya Winkel, hatte sich nach Kördels WM-Sieg gesagt: "Wenn er das kann, schaffen wir das auch." 28 Jahre Jahre nach dem letzten deutschen WM-Gold in der 470er-Jolle, kletterte mit Luise Wanser und und ihrem Vorschoter Philipp Autenrieth wieder ein deutsches Duo auf den höchsten WM-Podestplatz. In der neuen olympischen Mixed-Disziplin gelang der norddeutsch-bayerische Crew Ende Oktober vor Sdot Yam in Israel eine herausragende Serie. Luise Wanser und Philipp Autherieth gewannen die Welttitelkämpfe schon ein Rennen vor Schluss.
"Wir haben das in unserer ersten gemeinsamen Saison eineinhalb Jahre vor der olympischen Regatta in Marseille geschafft, wo wir Gold gewinnen wollen ", kündigte Wanser bei der Weihnachtsfeier kämpferisch an. Sie habe den Segelsport im Optimisten 15 Jahre zuvor beim NRV kennen- und liebengelernt. "Wenn ich da heute auf die Alster rausblicke, ist das mein Zuhause. Ich wollte Weltmeisterin werden, seit mein erster Trainer mir das mit den Windbändchen und dem ‘Ruder ran, Ruder weg’ erklärt hat. Ich habe immer alles mit riesiger Unterstützung des NRV und des Olympic Teams erreichen können”, sagt die 25-Jährige.
So hat es auch Wansers ehemalige Vorschoterin Anastsasiya Winkel erlebt. Die gebürtige Ukrainerin, seit fünf Jahren mit ihren Ehe- und Steuermann Malte Winkel verheiratet 2021, hatte 2021 ihre Einbürgerungsurkunde erhalten. Ihre Last-Minute-Olympia-Kampagne mit Wanser hätte sogar zu einer Olympia-Medaille führen können, wären da nicht zwei überharte Renndisqualifikationen wegen einer 200 Gramm zu schweren Trapezhose gewesen. Auf Kurs Olympia 2024 trainieren nun beide NRV-Duos – Wanser/Autenrieth und die WM-Sechsten Winkel/Winkel – sowie weitere DSV-Crews im German Sailing Team miteinander, bevor sie im Kampf um nur eine Olympiafahrkarte im 470er-Mixed gegeneinander antreten müssen.
Neben ihrem sportlichen Einsatz hat Anastasiya Winkel seit Kriegsausbruch in der Ukraine mehr als 80 Flüchtlingen zu einer Unterkunft verholfen. Die 19-Jährige sagt: “Ich hätte nicht so viel schaffen können, wenn sich nicht der NRV und sehr viele Mitglieder sofort hinter mich gestellt hätten. Zu wissen, dass man hier auch in schwierigen Situationen die Unterstützung hat, bedeutet mir viel.”
Diese Unterstützung hatten mehr als 13 Jahre auch die Berliner Erik Heil und Thomas Plößel im norddeutschen Verein ihrer Wahl. Die Vizeweltmeister von 2019 nahmen am vorweihnachtlichen Abend des NRV Olympic Teams in dieser Woche nicht ohne Wehmut Abschied von der aktiven Olympia-Karriere. “Ihr habt es geschafft, Leistung mit Leichtigkeit zu verbinden, seid Idole für den Nachwuchs”, zollte Laser-Weltmeister Philipp Buhl den Weggefährten, Vereinskameraden und Freunden Tribut. 2008 hatten sich auch Erik Heil und Thomas Plößel zunächst ein Jahr als Anwärter beweisen müssen, bevor sie in das NRV Olympic Team aufgenommen wurden und in ihre Weltkarriere durchstarteten.
Zwei gerahmte Start-Leibchen von Olympia 2016 in Rio de Janeiro und 2021 in Japan schenkten Heil und Plößel, auch bekannt als “HP Sailing”, bei der Weihnachtsfeier ihrer "Glücksfee" Gyde Persiehl. Zehn 49er-Jollen, mit denen Heil und Plößel zwei olympische Bronzemedaillen, WM-Silber und WM-Bronze gewannen, waren nach der Ehefrau des NRV-Olympic-Team-Gründers benannt. Gunter Persiehl hatte den schlagkräftigen Leistungskader in Folge der Olympischen Spiele 2000 in Sydney gegründet. Das NRV Olympic Team gilt in der deutschen Vereinswelt weit über den Segelsport hinaus als Vorbild für die Förderung von Spitzensport.
"Es ist kein Selbstgänger, im NRV Olympic Team Mitglied zu werden", sagte Gunter Persiehl, "wenn man es aber als Anwärter geschafft hat, dann stehen wir auch wie eine Eins zueinander." Dafür sorgen heute der emphatische und versierte NRV-Geschäftsführer und Sportdirektor Klaus Lahme, potente und stark Regattasport-begeisterte Vereinsförderer und die Leistungssegler selbst im intensiven Austausch untereinander.
Den Pokal des NRV Olympic Teams, auf dem auch der Name von NRV-Segler und Laser-Weltmeister Philipp Buhl eingraviert ist, erhielten in diesem Jahr mit Seb Kördel und Luise Wanser/Philipp Autenrieth erstmals in der Club-Geschichte zwei Teams. Beide zählen mit Blick auf Olympia 2024 zu Medaillenkandidaten, wenn sie sich im Kampf um den Olympiastart national durchsetzen und die Qualifikationshürden nehmen können. Denn ihr glänzendes Olympia-Ziel teilen sie mit weitere Clubkameraden wie Nastja Winkel und nachrückenden Talenten.
Das NRV Olympic Team ist das erfolgreiche Flaggschiff des Norddeutschen Regatta Vereins, das Aushängeschild für gute Arbeit schon im Kinder- und Jugendbereich und auf dem Weg der größten Talente an die internationale Spitze. An die NRV-Leistungen im olympischen sowie weiteren Bereichen kommt in diesem Jahr kein anderer Segelclub und auch kaum ein anderer deutscher Sportverein heran. “Man hat hier in diesem Club das internationale Umfeld um auf Weltniveau zu siegen”, konstatiert der neu-olympische Angreifer Seb Kördel, “das passiert nicht bei Netflix oder irgendwo ganz weit weg, sondern es passiert hier und in diesem Club.”