Tatjana Pokorny
· 04.02.2018
Wieder einmal stehen die olympischen Segeldisziplinen auf dem Prüfstand: Welche Klassen bleiben, welche haben ausgedient? Für 2024 drohen Änderungen…
Alle Jahre wieder stehen die olympischen Segeldisziplinen auf dem Prüfstand: Sind sie noch modern genug, oder müssen sie gegen neue, attraktivere Klassen ausgetauscht werden, weil sonst womöglich der gesamte Segelsport in seinem olympischen Dasein gefährdet ist? Die sich aktuell wieder einmal drehende Medaille hat zwei Seiten: Einerseits muss der Segelsport attraktiv bleiben, will er seinen olympischen Status gegen neu aufkommende spektakuläre Sportarten verteidigen. Andererseits bringt der regelmäßige Austausch von Boostklassen auch Nachteile mit sich. So etwa den, dass Teams jahrelang hart und entbehrungsreich für Olympia trainieren, ihnen die angestrebte Olympiateilnahme kurz vor Erreichen der Ziellinie aber inhaltlich unmöglich gemacht wird, weil ihre Disziplin abgeschafft wird. Man darf es sich wie bei einem Speerwerfer vorstellen, der seine ganze Jugend über trainiert, bevor der Speerwurf auf seinem Leistungshöhepunkt als Disziplin aus dem Olympia-Programm fliegt. Dabei kann der Speerwerfer ebenso wenig kurzfristig auf eine andere Disziplin wie Kugelstoßen oder den 100-Meter-Lauf ausweichen wie ein Finnsegler von 90 bis 100 Kilogramm Körpergewicht auf den Laser oder gar ein RS:X-Surfer auf ein Segelboot. Und: Der Speerwerfer muss das auch nicht tun, denn seine Disziplin zählt seit 1908 zu den fest etablierten Olympia-Attraktionen.
Auf der Liste für die mit Blick auf die olympische Regatta 2024 in Marseille zu überprüfenden olympischen Segeldisziplinen sind nach einer Entscheidung des Events Comitee des Weltseglerverbandes World Sailing nun die Disziplinen Finn-Dinghy, 470er Männer, 470er Frauen und die RS:X-Surfer und Surferinnen gelandet. Bei dem Votum des Events Comittee handelt es sich bislang nur um eine Empfehlung, die nun an das World Council des Weltverbandes geht. Erst nach dessen Evaluierung und Abstimmung steht fest, welche Disziplinen sich tatsächlich einer gründlichen Überprüfung unterziehen müssen. In diesem Prozess muss jedes Council-Mitglied mindestens vier Disziplinen für die Intensiv-Prüfung nominieren. Erst nach dieser Abstimmung werden vier zu überprüfende Disziplinen festgelegt.
Hier die aktuell gefährdeten Olympia-Disziplinen im Bild:
Über die Kurzliste mit den fünf bedrohten Disziplinen hatten 14 Mitglieder im Events Comittee debattiert und abgestimmt. Die auf die "schwarze Liste" gerückten Disziplinen hatten jeweils 11 oder 12 Stimmen der Wahlberechtigsten erhalten, während auf die anderen Disziplinen nicht mehr als vier oder fünf Stimmen entfallen waren. Zuvor war diskutiert worden, ob nicht sogar alle zehn olympischen Segeldisziplinen ganz neu überdacht werden sollten. Auch, weil laut Weltseglerverband das Internationale Olympische Kommitee keine Begrifflichkeiten wie den Finn-Dinghy-Zusatz "Schwergewicht" schätze. In dieser Diskussion hatten sich aber jene durchgesetzt, die darauf hingewiesen hatten, dass ohnehin keine vollständige Ersetzung aller bestehenden Disziplinen geplant sei. Sicher geblieben sind nun vor der Entscheidung über mögliche Erneuerungen fünf Disziplinen, die allenfalls mit einer Um- oder Neubenennung zu rechnen haben: "Männer Ein-Personen-Jolle Fleetracing" (Laser), "Frauen Ein-Personen-Jolle Fleetracing" (Laser Radial), "Männer Zwei Personen Fleetracing" (49er), "Frauen Zwei Personen Fleetracing" (49erFX), "Mixed Zwei Personen Fleetracing" (Nacra17). So formuliert, definiert der Weltseglerverband seine Fleetracing-Kern-Disziplinen.
Sobald das Council seine Entscheidung über die vier zu überprüfenden Disziplinen getroffen hat, wird das gleiche Gremium in einer zweiten Abstimmungsrunde darüber entscheiden, "wie eine möglichst gute Balance innerhalb der Disziplinen" gewahrt bleiben kann. Diese Entscheidung wird im Juni 2018 beim Halbjahrestreffen des Weltverbandes in London fallen. Der gesamt Auswahl-Prozess soll bis November 2018 andauern und kann sogar um bis zu einem weiteren vollen Jahr verlängert werden, um allen beteiligten Klassen die Chance zur Auswahl neuer Ausrüstung und Tests zu geben. In der ausführlichen Erklärung des Weltseglerverbandes heißt es zum Schluss fast schon ein wenig sarkastisch: "Am Ende des gesamtes Prozesses wird das IOC im Juni 2020 jede Disziplin auf ihre Erfolge hin überprüfen und die Vorschlagsliste (Red.: des Weltseglerverbandes World Sailing) absegnen (oder nicht)."
Unabhängig von dem komplexen Wahlvorgang bleibt es ein Ziel des Weltseglerverbandes, seine Klassen in Übereinstimmung mit den europäischen Anti-Monopol-Gesetzen zu bringen. Diesbezüglich werden die Klassen RS:X, Laser und Laser Radial überprüft. Gegebenenfalls könnte es künftig mehr als nur einen Hersteller für die OneDesign-Sportgeräte geben. Der Nachteil: Es wird bei mehreren Herstellern eventuell schwieriger, die Gleichheit des Materials zu garantieren. Bei Olympia und Weltmeisterschaften werden die Boote von den Produzenten gestellt. Der Vorteil: Mehrere Hersteller einer Bootsklasse würden vermutlich zur Kostendämmung in diesen Klassen beitragen.
Hier die aktuell nicht gefährdeten Olympia-Disziplinen im Bild: