Tatjana Pokorny
· 09.07.2023
Es ist heiß in Marseille! Das gilt für die Temperaturen jenseits der 30 Grad Celsius ebenso wie für die erwartungsvolle Stimmung im künftigen französischen Olympiahafen. 337 Athletinnen und Athleten mit 252 Booten und Boards sind ein gutes Jahr vor Olympia bereit für die Pre-Olympics. Die olympische Generalprobe beginnt an diesem 9. Juli mit den Kitern, Ilca 7 und Ilca 6 sowie den 470er-Mixed-Crews. Die anderen fünf Disziplinen steigen am Dienstag in die Pre-Olympics ein.
Die Segelnationalmannschaft greift in neun von zehn olympischen Segeldisziplinen an und will bei den Pre-Olympics maximale Erfahrung für den olympischen Gipfel im kommenden Jahr sammeln. Lediglich Deutschlands iQFoilerinnen konnten sich nicht für die Pre-Olympics qualifizieren. Für das German Sailing Team sind 13 Akteure im Einsatz: sieben Männer und sechs Frauen in sechs Booten und auf drei Boards.
Bei einem Altersdurchschnitt von 26,6 Jahren im DSV-Aufgebot für die Pre-Olympics ist der 32-jährige iQFoil-Windsurf-Weltmeister Sebastian Kördel vom Norddeutschen Regatta Verein der älteste und auch erfolgreichste Athlet im aktuellen Aufgebot. Der Radolfzeller zählt in diesen Wochen und auch für Olympia 2024 zu den größten Medaillenhoffnungsträgern des German Sailing Teams.
Die Stimmung im Team ist total gut” (Paul Kohlhoff)
Das gilt auch für die Nacra-17-Segler Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer, die erst ab 11. Juli im künftigen Olympiarevier gefordert sind. Die Katamaran-Mixed-Crew verfügt als einzige deutsche Crew bei der Testregatta über olympische Erfahrung, gewann 2021 im japanischen Revier von Enoshima Bronze. “Wir fühlen uns hier in Marseille wohl. Die Stimmung im Team ist total gut. Es kann losgehen”, sagte Nacra-17-Steuermann Paul Kohlhoff zum Eröffnunsgwochenende.
Er selbst und seine Vorschoterin Alica Stuhlemmer greifen wie 50 Prozent der Starter in den insgesamt zehn olympischen Segeldisziplinen erst ab Dienstag in den Wettkampf ein. Die Atmosphäre im Olympiahafen beschreibt Paul Kohlhoff als inspirierend: “Es ist ein runder Hafen, in dem die Klassen voneinander getrennt untergebracht und angeordnet sind. Es ist viel Platz, und man kann sich gut auf seinen Sport konzentrieren.”
Man kann simulieren, wie es nächstes Jahr bei Olympia aussehen könnte” (Paul Kohlhoff)
Die Teilnahme an der olympischen Testregatta bewertet Kohlhoff als “für uns total wichtig”. Der 28-jährige Kieler sagt: “Wir nehmen sie deshalb sehr ernst. Auch im internationalen Vergleich. Man kann simulieren, wie es nächstes Jahr bei Olympia aussehen könnte. Die Chance will man gern nutzen, ein Ausrufezeichen zu setzen.”
Das streben auch seine Teamkameraden der Segelnationalmannschaft bei der Generalprobe an, bei der die entscheidenden Medaillenrennen am 14. Juli (Formula Kite Männer und Frauen), am 15. Juli (Ilca 6, Ilca 7, 470er-Mixed) und am 16. Juli (iQFoil Männer und Frauen, 49er, 49er FX, Nacra 17) stattfinden.
Zum Auftakt sind vom German Sailing Team im Ilca 6 Julia Büsselberg (Verein Seglerhaus am Wannsee), im Ilca 7 Nik Aaron Willim (Norddeutscher Regatta Verein), bei den Kitern Flo Gruber und Leonie Meyer (beide Norddeutscher Regatta Verein) und im 470er-Mixed Malte und Anastasiya Winkel (Schweriner Yacht-Club/Norddeutscher Regatta Verein) gefordert.
Von diesen Crews bringt neben Kohlhoff/Stuhlemmer nur noch Anastasiya Winkel olympische Erfahrung in den Wettkampf mit. Sie war 2021 in Japan bei den Olympischen Spielen mit Steuerfrau Luise Wanser auf Platz sechs gesegelt. Eine Doppel-Disqualifikation aufgrund einer zu schweren Trapezweste hatte die deutsche 470er-Crew damals um den möglichen Medaillen-Coup gebracht. Bei Olympia 2024 wird in Mixed-Crews um 470er-Medaillen gesegelt. Dafür hat Anastasiya Winkel eine Crew mit ihrem Ehe- und Steuermann formiert. Luise Wanser segelt mit dem bayerischen Vorschoter Philipp Autenrieth.
Das German Sailing Team hat sich für uns viel Mühe gegeben und sehr schöne Rahmenbedingungen geschaffen” (Nik Aaron Willim)
Erstmals auf einer vorolympischen Bühne aktiv sind die Einhandjollensegler Julia Büsselberg und Nik Aaron Willim, der sich in der Qualifikation überraschend gegen Weltmeister Philipp Buhl hatte durchsetzen können. “Ich nehme hier viele neue Eindrücke auf. Das German Sailing Team hat sich für uns sehr viel Mühe gegeben und schöne Rahmenbedingungen geschaffen. Die Segelkurse hier sind sehr unterschiedlich, sodass wir auch mit sehr unterschiedlichen Bedingungen zu rechnen haben. Das ist angenehm. Ich fühle mich wohl mit meinem Schiff und werde versuchen, das Beste aus mir herauszuholen.”
Formula-Kiter Flo Gruber hatte sich in der Qualifikation zur olympischen Testregatta gegen seinen Teamkollegen Jannis Maus (Cuxkiters) durchgesetzt. Gruber ist bereits seit einer Woche in Marseille und hatte auch zuvor schon wie viele Teamkameraden im Olympiarevier trainiert. “Es ist sicher kein leichter Spot. Wir hatten schon viele Trainingsblöcke und Coaches-Regatten hier. Es ist ein anspruchsvolles Revier. Man hat hohe Temperaturen im Sommer. Der Wind ist sehr tricky, dreht oft. Man kann sehr viele verschiedene Windrichtungen haben. Auch das Wasser ist in der Bucht sehr turbulent.”
So eine Erfahrung nimmt man liebend gerne an” (Flo Gruber)
Weiter erzählte Flo Gruber vor den ersten Startschüssen am 9. Juli: “Superstarker Wind ist erst einmal nicht vorhergesagt. Eher leichte bis mittlere Winde, die mir ganz gut liegen.” Zum Wert der Pre-Olympics für die eigenen Olympia-Ambitionen sagte Gruber: “Wir verbringen noch mehr Zeit im olympischen Revier, lernen olympische Abläufe kennen, wie es bei Olympia ablaufen könnte. Da kann man sich noch einmal besser darauf einstellen, was man alles vorbereiten müsste. So eine Erfahrung nimmt man natürlich liebend gerne an. Das gilt auch für Daten, die man jetzt sammeln und für Olympia verwenden kann. Da weiß man dann besser, was bei welchen Winden passiert.”
Das German Sailing Team ist gemeinsam in einem der Hotels in der Nähe des Olympiahafens von Marseille untergebracht, die auch im kommenden Jahr bei den Olympischen Spielen als Unterkunft für die Athleten genutzt werden. “Das ist supercool”, sagt nicht nur Flo Gruber. “So kann man auch gemeinsam mit den anderen Teammitgliedern vom German Sailing Team zusammen frühstücken, abends zusammen essen oder auch mal eine Runde Kicker spielen. Das macht viel Spaß und bringt auch mal gute Ablenkung oder Erkenntnisse, was die anderen so machen. Das ist Gold wert. Wir haben so ein cooles Team außenrum!”
In einer ersten Vergleichseinschätzung sagte nicht nur Flo Gruber: “Das German Sailing Team ist sicher eines von den bestaufgestelltesten Teams hier. Besonders mit den zwei Containern. Einer ist noch im Trainingshafen, einer jetzt im Olympiahafen. Dadurch, dass wir super ausgestattete Container haben, haben wir alle Möglichkeiten. Alles ist sehr gut organisiert. Dadurch können wir uns auf den Sport konzentrieren, was enorm wichtig ist. Ich bin super motiviert!” Die Kiter werden hauptsächlich auf dem küstennahen Kurs Marseille im Einsatz sein, weil sie zwischendurch auch Kites wechseln können müssen.
Kurs Marseille beschreibt Flo Gruber als “tricky”. “Bei leichten, thermischen Winden oder wenn der Wind onshore ist, kommt der Druck nicht ganz bis ans Ufer ran. Es kann dann ein ganz leichter Stau entstehen. Das ist für uns Kiter ein Problem dadurch, dass wir vom Beach aus starten müssen, da auch mal das eine oder andere Rennen ausfallen kann oder verschoben werden muss. Ich hoffe, dass wir einfach während der Regatta ein bisschen Glück damit haben werden.” Der neue Olympiahafen sei “gigantisch”, sagt Gruber, “eine coole Location”. Es gäbe noch einige Baustellen, aber man könne einen perfekten Hafen erwarten.
Man merkt, dass die Franzosen eine große Segelnation sind” (Flo Gruber)
Als positiv empfindet Flo Gruber auf Kurs Olympia die Stimmung in Frankreich: “Man merkt, dass sie eine große Segelnation sind und wirklich dahinterstehen. Da wäre es natürlich schön, wenn alles klappt, ich auch nächstes Jahr hier noch einmal an den Start gehen kann. Dafür werde ich alles geben.”
Diese Einstellung teilt Gruber mit allen Teamkameraden vor Ort, aber auch mit jenen deutschen Top-Seglern und Board-Artisten, die sich nicht für die Testregatta qualifizieren konnten, jedoch in der dreiteiligen nationalen Ausscheidung für die Olympischen Spiele 2024 im kommenden Jahr durchaus noch Chancen haben, den jetzt in Marseille aktiven Teamkameraden den Rang wieder abzulaufen.
Zu den prominentesten deutschen Akteuren, die sich nicht für die Pre-Olympics qualifizieren konnten, das Ziel Olympia 2024 jedoch weiter fest im Visier haben, zählen unter anderen der zweimalige Olympiateilnehmer und Laser-Weltmeister Philipp Buhl (Norddeutscher Regatta Verein), die 470er-Mixed-Weltmeister Luise Wanser/Philipp Autenrieth (Norddeutscher Regatta Verein/Bayerischer Yacht-Club), die 470er-Mixed-Vizereuropameister und Kieler-Woche-Sieger Simon Diesch/Anna Markfort (Württembergischer Yacht-Club/Verein Seglerhaus am Wannsee).