Olympische Spiele 2024Die Favoriten und die Chancen der Deutschen

Tatjana Pokorny

 · 17.07.2024

Olympische Spiele 2024: Die Favoriten und die Chancen der DeutschenFoto: Felix Diemer/DSV
Simon Diesch und Anna Markfort im 470er
Zu den bekanntesten Startern zählen bei den olympischen Segelwettbewerben einerseits amtierende Gold-Verteidiger von Enoshima 2021. Gleich mehrere wollen es in der Bucht von Marseille wieder wissen. Andere Favoriten sind erstmals dabei, weil es ihre Disziplinen vorher auf der olympischen Bühne noch nicht gab. Dazu kommen Dauerbrenner, die mal dran wären

49er-Frauen: Nichts zu verlieren

Martine Grael und Kahena Kunze sind bei diesen Olympischen Spielen keine zwingenden Gold-Kandidatinnen im Frauen-Skiff 49erFX. Die Brasilianerinnen hatten ihr Land nicht auf Anhieb für Olympia qualifizieren können. Bei der Weltmeisterschaft in diesem Jahr verpassten sie das Podium als Vierte knapp. In der Weltrangliste lag das Duo im Juli auf Platz sechs. Auf ihrer Haben-Seite aber stehen schon zwei olympische Goldmedaillen. Mehr Gold hat noch keine Seglerin bei Olympischen Spielen gewinnen können. Allerdings sitzt mit der britischen SailGP-Strategin Hannah Mills eine andere auf dem Thron der erfolgreichsten Olympiaseglerin seit 1900. Auch sie gewann zweimal Gold (2021, 2016), dazu aber einmal Silber (2012) im 470er der Frauen.

Martine Grael und Kahena Kunze könnten sie verdrängen. Sie waren 2016 in der heimischen Guanabara Bucht zu Füßen von Zuckerhut und Christusstatue zu ihrem ersten Olympiasieg gesegelt. Als Königinnen von Rio rissen sie ihre Fans in einen landesweiten Segel-Freudentaumel. Steuerfrau Martine Grael, deren Vater Torben Grael fünf olympische Medaillen in Starboot und Soling – darunter zwei goldene – gewann, könnte in diesem olympischen Sommer sogar ihren Dad mit dreimal Gold überflügeln. Auch die Welt hat Martine Grael wie ihr Vater schon umsegelt. 2017/2018 zählte sie im Volvo Ocean Race zu den Steuerleuten im holländischen Team AkzoNobel.

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Gemeinsam haben Martine Grael und Kahena Kunze jetzt die Chance, zu den erfolgreichsten Seglerinnen der Olympia-Geschichte aufsteigen – wenn die niederländischen Weltmeisterinnen Odile van Aanholt und Annette Duetz und weitere Großkaliber wie Olympiasiegerin und Weltumseglerin Tamara Echegoyen mit Paula Barcelo sie denn lassen. Ins Kräftemessen der Klassengigantinnen wollen Hanna Wille und Marla Bergmann, mit 22 und 23 Jahren ein Jahrzehnt jünger als manch eine Gegnerin, mit frischer Kraft und eingreifen. Die jungen Frauen vom Mühlenberger Segel-Club haben nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.


49er-Männer: Neue Hackordnung

Ähnliches gilt für Jakob Meggendorfer und Andreas Spranger vom Bayerischen Yacht-Club. In ihrer 49er-Welt sind nach dem olympischen Karriereende von Superstars wie den America’s-Cup-Verteidigern und Olympiasiegern Peter Burling und Blair Tuke sowie den zweimaligen Bronze-Gewinnern Erik Heil/Thomas Plößel (NRV Olympic Team) andere nachgerückt. Spaniens SailGP-Asse Diego Botin/Florian Trittel, die französischen Weltmeister Erwan Fischer/Clément Pequin und die 2023er-Weltmeister Bart Lambriex/Floris van de Werken wollen ebenso eine Medaille wie der Schweizer SailGP-Steuermann Sebastian Schneiter mit Arno de Planta und weitere nachgerückte Mannschaften.


Ilca 7: Die Zeit ist reif für Philipp Buhl

Festhalten will sein bereits in Enoshima gewonnenes Olympia-Gold der australische Ilca-7-Dominator Matt Wearn. Im letzten Jahr vor Olympia musste sich der Sieggewohnte allerdings öfter dem rasant aufgestiegenen Briten Michael Beckett geschlagen geben, als ihm lieb war. Michael Beckett, der vor drei Jahren in Japan noch als Geschlagener der britischen Ausscheidung fürs olympische TV-Team arbeitete, ist die aktuelle Nummer zwei der Weltrangliste. Er gewann im Frühjahr den Spanien-Klassiker Trofeo Princesa Sofia, wo der Weltranglisten-Erste sogar nur Fünfter wurde. Zweiter hinter Beckett war Philipp Buhl. Der deutsche Weltranglisten-Dritte ist im Spiel, wenn es vor Marseille um die olympischen Medaillen geht.

Buhl war der Mann, der Wearn 2020 in dessen Heimatrevier eine schmerzhafte Niederlage beibrachte und ihm die WM-Krone wegschnappte. Mit ihm selbst und den Sparring-Partnern Hermann Tomasgaard (Olympia-Dritter 2021 aus Norwegen) und dem 2022er-Weltmeister Jean-Baptiste Bernaz aus Frankreich, dem immer noch gefährlichen zweimaligen Weltmeister Pavlos Kontides (Zypern) und dem Neuseeländer Tom Saunders ist der engere Kreis der Marseille-Medaillenkandidaten im Ilca 7 beisammen. Beim letzten großen Gipfeltreffen, der WM im Januar dieses Jahres, hatte Wearn die Bugspitze vorne. Es folgten Tomasgaard, Beckett und Buhl als Vierter. Die Güte in der breiten Ilca-7-Spitze und der dritte olympische Gipfelsturm Buhls nach Platz 14 in Rio de Janeiro und Platz fünf in Enoshima dürfte in Marseille für Hochspannung sorgen.


Ilca 6: Außenseiterchancen

Parallel zu den Männern treffen im Ilca-6-Frauen die beiden Klassenköniginnen Anne-Marie Rindom (Dänemark) und Marit Bouwmeester (Niederlande) sowie weitere Medaillenkandidatinnen aufeinander. Die 33-jährige Anne-Marie Rindom aus Søllerød ist amtierende Olympiasiegerin und Weltmeisterin. Die 36-jährige Marit Bouwmeester ist viermalige Weltmeisterin, gewann bei Olympia Silber (2012), Gold (2016) und Bronze (2021). Als Mutter einer zweijährigen Tochter will sie im vierten Anlauf noch einmal um alles kämpfen. Wer sie kennt, weiß: Weniger als Gold stellt Marit Bouwmeester nicht zufrieden. Das Olympiarevier beschreibt die junge Mutter, die zehn Monate nach der Geburt zur Europameisterin gekürt wurde, als „sehr fordernd“, verglich es mit dem Rio-Revier von 2016 und sagte: „Hier werden nur die komplettesten Segler gewinnen können.“

Je nach Ergebnis hat die Holländerin Chancen, zur erfolgreichsten Seglerin der Olympia-Geschichte aufzusteigen. Dafür braucht Bouwmeester nichts weniger als ihren zweiten Olympiasieg. Gleichzeitig muss sie schauen, wie sich Martine Grael und Kahena Kunze und andere Top-Seglerinnen schlagen. Scharfe Konkurrenz droht im Ilca 6 unter anderem von der Weltranglisten-Ersten Maria Erdi aus Ungarn, der starken Schweizerin Maud Jayet und der Belgierin Emma Plasschaert. Die Berlinerin Julia Büsselberg startet mit Außenseiterchancen, hat aber bei der WM 2021 mit Platz fünf schon einmal bewiesen, dass sie auch die Größen ihrer Disziplin schlagen kann.


Nacra-17: Italiens -Olympiasieger bleiben die Messlatte

Im Nacra 17 sind erneut die italienischen Überflieger Ruggero Tita und Caterina Banti das Maß der Klasse. Es gibt kaum jemanden, der gegen einen erneuten Olympia-Triumph des America’s-Cup-Steuermanns aus dem Team Luna Rossa Prada Pirelli und seiner großartigen Vorschoterin wetten würde. Um die Medaillen kämpfen auf zwei schnellen Rümpfen auch Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer vom Kieler Yacht-Club. Ob es ein Motivator ist, dass die deutsche Crew in Enoshima vor drei Jahren im hochspannenden Finale schon Olympia-Bronze gewinnen konnte? Paul Kohlhoff sagt: „Wenn du eine Medaille gewonnen hast, willst du wieder eine. Aber: Es ist noch schwerer geworden.“


470er: Gute Aussichten

Neu werden die olympischen Karten im 470er gemischt. Die Klasse feiert in der seit 1976 für Männer und seit 1988 für Frauen olympischen Disziplin ihre Mixed-Premiere auf der Bühne unter den fünf Ringen. Zu den aussichtsreichsten Kandidaten zählen die amtierenden spanischen Weltmeister Jordi Xammar und Nora Brugmann, die Franzosen Camille Lecointre/Jérémie Mion, die Briten Vita Heathcote/Chris Grube, die 2023er-Weltmeister Keiju Okada/Miho Yoshioka aus Japan, die Schweden Anton Dahlberg/Lovissa Karlsson und auch die Österreicher Lara Vadlau und Lukas Mähr. Hier wollen und können die WM-Vierten Simon Diesch und Anna Markfort (Württembergischer Yacht-Club/Verein Seglerhaus am Wannsee) in den Kampf um die Medaillen eingreifen.


Kiten-Männer: Das Ausnahme-Talent Max Maeder

Die neu-olympischen Kiter haben mit dem erst 17 Jahre alten Maximilian Maeder aus Singapur den vermutlich dominantesten Favoriten über alle zehn olympische Segelsportdisziplinen. Was der kluge Kopf mit Schweizer Vater angeht, das gewinnt er seit geraumer Zeit auch. Seinem Alter weit voraus, gilt der mit Englisch, Deutsch, Französisch und Mandarin viersprachig aufgewachsene Seriensieger als Jahrhundert-Talent.

Ob diesen Teenager in der Bucht von Marseille jemand schlagen kann? Der deutsche WM-Fünfte Jannis Maus, dessen Leistungskurve im vergangenen Jahr immer steiler nach oben zeigte, sagt lächelnd: „Schwierig! Aber vielleicht ist es bei Olympia anders und er ist doch menschlich?“ Die Stärken des 95-Kilo-Ausnahme-Kiters Max Maeder beschreibt Maus so: „Er ist sehr fokussiert. Wenn man sich mit diesem 17-Jährigen unterhält, dann hat man das Gefühl, man spricht mit einem 40-jährigen Kite-Professor. Er ist mega weit, sehr, sehr reif, drückt sich extrem gebildet aus. Man kann sich supergut mit ihm unterhalten. Auf dem Wasser ist er eine Maschine.“

Im Gegensatz zu den Windsurfern bestreiten die neu-olympischen Kiter ihr Finale mit den besten vier Akteuren, von denen einer oder eine ohne Medaille bleiben. Jannis Maus sagt: „Wenn ich es ins Finale schaffe, dann will ich auch eine Medaille. Wir haben uns in den letzten Wochen vor Olympia sehr intensiv auf dieses Szenario vorbereitet.“ Das Szenario könnte auch den Weltranglisten-Fünften Valentin Bontus beinhalten. Der Österreicher und der Deutsche kennen sich gut. Beide wollen eine Medaille bei den Spielen ihres Lebens.


Kiten Frauen: Viele Kandidatinnen

Bei den Kiterinnen war lange Zeit Daniela Moroz aus den USA der Superstar, doch hat sie zuletzt gewackelt, verpasste bei der WM in diesem Jahr das Finale der besten vier Kiterinnen. Das WM-Gold sicherte sich die überragende Französin Lauriane Nolot vor der Britin Eleanor Aldridge und weiteren Französinnen aus der stärksten Frauen-Kite-Nationalmannschaft der Welt, von denen aber mit Nolot nur eine bei Olympia starten darf. Auch die Schweizer EM-Vierte und ehemalige Top-Eishockeyspielerin Elena Lengwiler, die 2019 erst zum Kitesport kam, gilt als Medaillenkandidatin. Die Kieler Powerfrau Leonie Meyer (NRV Olympic Team) – zehn Kilogramm leichter als manch eine Gegnerin – wird bei den Kiterinnen vor allem in leichteren Winden ihr strategisch-taktisches Können ausspielen.


IQ-Foil-Männer: Große Medaillenchance

Im ebenfalls neu-olympischen iQFoil zählt der Radolfzeller Sebastian Kördel vom NRV Olympic Team zu den Medaillenkandidaten. Der 1,91 Meter große Windsurfriese kreuzt als Weltmeister von 2022 und als Vizeweltmeister von 2023 zum Gipfeltreffen in der Bucht von Marseille auf. Die Phase, in der Sebastian Kördel zu Jahresbeginn und in der Olympia-Qualifikation einige Rückschläge wegzustecken und technisch zu kämpfen hatte, ist nach jüngsten Einschätzungen und Ergebnissen bei Coach-Regatten überwunden.

Die Melange aus ehemaligen PWA-Stars und früheren olympischen RS:X-Windsurfern, die nun in der neuen olympischen Windsurfdisziplin iQFoil aufeinandertreffen, verspricht für Marseille Hochspannung auf den Boards. Der amtierende italienische Weltmeister Nicolo Renna, der polnische WM-Zweite Pawel Tarnowski, der 2023er-Weltmeister Luuc van Opzeeland und der Franzose Nicolas Goyard zählen zum etwas größeren Kreis der heißesten Medaillenkandidaten.


IQ-Foil-Frauen: Das Finale ist das Ziel

Bei den Windsurferinnen sind es die israelische Weltmeisterin Sharon Kantor und die britische Vizeweltmeisterin Emma Wilson, die ihre Ansprüche auf eine olympische Medaille in diesem Jahr am stärksten unterstrichen haben. Hier tritt mit der 22-jährigen Theresa „Resi“ Steinlein (NRV Olympic Team) die jüngste Athletin der deutschen Segelnationalmannschaft an. Die auffällig gute Strategin hofft auf ihre Finalqualifikation und sagt: „Dann ist bei Olympia vieles möglich.“



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