Tatjana Pokorny
· 31.07.2024
Der vierte Tag der Olympia-Regatta in Marseille kann von der Segelnationalmannschaft auf der Haben-Seite verbucht werden. Drei von vier Teams konnten glänzen. Nur für die 49er-Segler Jakob Meggendorfer und Andreas Spranger ging dieser Mittwoch nicht nach Wunsch zu Ende. Die Crew vom Bayerischen Yacht-Club verpasste den Einzug ins Medaillenfinale der Skiff-Männer am Donnerstag als Zwölfte mit 15 Punkten Rückstand auf den rettenden zehnten Platz.
„Wir waren die ersten zwei Tage sehr gut im Flow. Die letzten zwei Tage jetzt nicht mehr so gut. Die Woche ist nicht so gut zu Ende gegangen, wie sie angefangen hat. Das Potenzial war da, wir hatten viele Chancen, aber wir konnten sie nicht ganz nutzen“, zog Steuermann Jakob Meggendorfer direkt nach den Rennen eine erste Olympia-Bilanz. Er sagte aber auch dies über den mit Last-Minute-Nominierung stark erfochtenen Olympia-Einsatz: „Das Racen auf olympischem Niveau hat sehr viel Spaß gemacht.“ Die Crew wird zunächst in Marseille bleiben. „Wir wollen morgen Marla und Hanna im Finale unterstützen“, sagte Andreas Spranger.
Das Olympia-Aus nach der Hauptrunde teilten sich die in Kiel lebenden und trainierenden 49er-Bayern mit hochkarätiger Konkurrenz: Auch die dreimaligen niederländischen Weltmeister Bart Lambriex/Floris Van De Werken (11.) und die amtierenden französischen Weltmeister Erwan Fischer/Clement Pequin (13.) verpassten überraschend den Cut. Das sind zwei veritable Beweise dafür, wie schwierig der Umgang mit den instabilen und kaum berechenbaren Winden vor allem in den vergangenen beiden Tagen mit Süd-Südostwindlage war.
Dabei stolperten auch die Top-Drei hin und wieder, fielen aber nicht: Die spanischen SailGP-Sieger Diego Botin und Florian Trittel ziehen am 1. August als Spitzenreiter mit 68 Punkten und fünf Zählern Vorsprung vor Robert Dickson/Sean Waddilove (Irland) ins doppelt gewertete 49er-Finale ein. Die Iren halten bei 73 Punkten ihrerseits drei Zähler Vorsprung vor Isaac McHardie/William McKenzie (76 Punkte) aus Neuseeland, die ihre Chancen wahrten, an die Leistungen ihrer vergoldeten und versilberten Vorgänger Peter Burling und Blair Tuke heranzukommen.
Ich glaube, es wird das engste Medaillenrennen in der Geschichte des olympischen 49er-Segelns” (Diego Botin)
Werden die ehemaligen spanischen Trainingspartner von Erik Heil und Thomas Plößel, die bei den Spielen in Japan als Vierte an den Medaillen vorbeisegelten, dieses Mal die Hand an Edelmetall legen können? Erik Heil glaubt daran. Der Steuermann des Germany SailGP Teams, der sich inzwischen mit Botin und seinen Spaniern im SailGP auf rasenden F50-Katamaranen misst, sieht Diego Botin und Flo Trittel gut aufgestellt fürs letzte Gefecht der Skiffsegler: “Die beiden können tricky.”
Die deutschen Augen werden am Donnerstag aber vor allem auf das Medaillenrennen der zehn 49er-FX-Finalistinnen gerichtet sein. Im erlauchten Top-Ten-Kreis der Skiffseglerinnen lassen die Jüngsten sich selbst und ihre Fans in Deutschland wunderschön träumen: Marla Bergmann und Hanna Wille vom Mühlenberger Segel-Club segeln in der Bucht von Marseille dem wichtigsten Rennen ihrer Karriere entgegen.
Die jungen Seglerinnen haben das Finale bei ihrer Olympia-Premiere als Fünfte nach der Hauptrunde nicht nur souverän erreicht. Marla Bergmann und Hanna Wille ziehen bei 84 Punkten auf dem Olympia-Konto mit zehn Punkten Rückstand auf den Bronzeplatz sogar mit Medaillenchancen in den Showdown der Skiff-Seglerinnen ein. Theoretisch wäre bei 17 Zählern Rückstand auf die führenden Französinnen Sarah Steyaert/Charline Picon sogar Gold möglich.
Wir können stolz darauf sein, heute Nacht an der Spitze zu stehen” (Charline Picon)
Nach dem Olympiasieg greifen aber auch die nur einen Punkt hinter den Französinnen liegenden Niederländerinnen Odile Van Aanholt/Annette Duetz (68 Punkte). Und ebenso die Schwedinnen Vilma Bobeck/Rebecca Netzler (74 Punkte). Im Spiel sind dazu die Norwegerinnen Helene Naess/Marie Rønningen (76 Punkte). Alles ist angerichtet für einen furiosen 49er-FX-Finalkrimi, für den Marla Bergmann und Hanna Wille nur ein Ziel haben. Das brachte Hanna Wille auf den Punkt: “Wir gewinnen einfach das Medal Race!” Noch einmal erinnerte die Vorschoterin mit ansteckender Freude daran: “Wir haben nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Wir gehen voll auf Angriff.”
“Wir haben auch heute hart gekämpft und sind einfach glücklich, dass wir bis zum Ende alles beisammenhalten konnten” (Hanna Wille)
Die sensationelle Ausgangslage ihres Teams mache sie sprachlos, so die 23-Jährige, die das Segeln wie ihre Steuerfrau Marla Bergmann beim Mühlenberger Segel-Club auf dem kapriziösen Elbstrom in Hamburg gelernt hat. Die beiden Skiffseglerinnen sind seit ihrer Kinderzeit Freundinnen, gingen zusammen zur Schule und stehen jetzt Seite an Seite vor dem größten Rennen ihrer Segelkarriere. Hanna Wille sagt: “Das ist so viel mehr, als wir jemals erwartet haben. Wir sind sehr, sehr stolz, dass wir so weit vorn unseren Platz gefunden haben.”
Erfrischend erzählt Hanna Wille auch vom Morgen des entscheidenden letzten Hauptrundentages: “Da sind wir schon ziemlich nervös gewesen. Wir singen dann immer ‚A Million Dreams‘ von The Greatest Showman. Immer, wenn wir nervös wurden, haben wir das angefangen zu singen.“ Ihr neues Olympia-Boot haben Marla Bergmann und Hanna Wille kurz vor den Spielen “Merci” getauft. Sie starten angriffslustig, aber auch mit viel Dankbarkeit ins große Finale. Ihr Versprechen, das Marla Bergmann vor der Olympia-Premiere gegeben hat, haben diese zwei Seglerinnen aus dem German Sailing Team bereits eingelöst: “Die Underdog-Rolle ist für uns nicht schlecht. Wir werden alles geben, um bei den Spielen vorn mit dabei zu sein.”
Die Jüngste der deutschen Segelnationalmannschaft stand den Hamburgerinnen am Mittwoch in der Bucht von Marseille kaum nach. Die 22-jährige Windsurferin Theresa Steinlein vom Wörthsee hat sich an diesem vierten Tag der Olympia-Regatta auf Platz sechs katapultiert. Fünf Rennen bleiben der iQFoil-Athletin vom Norddeutschen Regatta Verein am Donnerstag, um sich die bestmögliche Position fürs Finale am 2. August zu verschaffen.
Zuvor war Theresa Steinlein am 31. Juli Teil einer historischen Olympia-Premiere: Erstmals wurde ein Windsurf-Marathon bei Olympischen Spielen gestartet. Diesen etwas zu ambitionierten Versuch hätte die olympische Wettfahrtleitung an diesem Tag wohl besser bleiben lassen. Er endete nach 90 Minuten mit dem Greifen des Zeitlimits in schwachen Winden mit Abbruch des Rennens. Zuvor hatten sich die Windsurferinnen die Seele aus dem Leib gepumpt, die Boards, die nicht mehr auf die Foils kamen, durchs Wasser gequält. Das war in den angesagten eher leichten und erneut unbeständigen Winden keine gute Werbung für den Surf- und den Segelsport.
Theresa Steinlein hatte nach dem physischen Härtetest, dem noch eine Salve kurzer Rennen folgte, kritische, aber auch lobende Worte für den als Fan-Spektakel vor grandioser Kulisse angedachten Marathon, der in der Flaute verhungerte und die übertragenden TV-Sender verzweifeln ließ:
„Wir standen erst zweimal hinter der Insel. Das war richtig frustrierend, weil Leute, die 20 Minuten hinter dir waren, plötzlich wieder ankamen und mit dir auf einer Linie standen. Aber eigentlich ist der Marathon eine ziemlich coole Idee. Wenn wir durchgefoilt wären, wäre das richtig gut geworden! Ich hatte eine richtig gute Platzierung. Deswegen war der Abbruch umso ärgerlicher. Aber ich habe versucht, es mit den Slaloms auszugleichen.“ Was der früheren Seglerin, die erst vor vier Jahren aufs Windsurf-Board umgestiegen ist, am Mittwochnachmittag im Aufstieg mit den Rängen 5, 5, 13 und 12 mit herausragender Konditionsleistung gut gelang.
Für Hochspannung sorgte am Nachmittag und Abend in der Bucht von Marseille und auch in den Jury-Räumen im Olympia-Hafen dann Sebastian Kördel. Der Windsurf-Weltmeister von 2022 und Vizeweltmeister von 2023 war nach dem Totalausfall aller Windsurf-Rennen am Sonntag am Montag als Co-Favorit in seine Olympia-Premiere gestartet. Statt vorn mitzumischen, geriet der Windsurfriese jedoch schwer ins Wanken. Er surfte sieben schwache Rennen in Folge, kassierte teilweise hohe zweistellige Ergebnisse. Die schwarze Serie des bei Olympia co-favorisierten NRV-Akteurs schien sich am Mittwoch zunächst mit einer Frühstart-Disqualifikation fortzusetzen.
Dann aber kam mit etwas stabileren Winden die krasse Wende, an die kaum einer mehr glauben mochte. Dabei lag Sebastian Kördel im achten Rennen am Mittwoch auf dem Weg ins Ziel als Zweiter erstmals bei dieser Olympia-Regatta in aussichtsreicher Position. Das Ziel war schon nah, als es zur schmerzhaften Kollision mit dem Niederländer Luuc Van Opzeeland kam.
Kördel beschreibt die folgenreiche Situation, während er mit der rechten Hand den Eisbeutel hält, der den demolierten linken Unterarm kühlt: „Er kam ein bisschen höher aus der Halse raus, ich war in Lee, aber noch vorn, er hatte mehr Höhe. Das heißt, er kam von hinten mit Speed auf mich runter. Dann habe ich ‚Raum‘ gebrüllt, um ihm zu zeigen, dass ich da bin, dass ich überlappend bin. Das hat ihn, glaube ich, irgendwie erschreckt. Da hat er angeluvt, hat den Frontflügel verloren, hat sich nach vorn rübergedreht, und ich habe den Mast auf den Arm bekommen.“
Anschließend ließ Kördel es wie nach einem Weckruf auch mit schmerzendem Arm zweimal in Folge krachen – er holte die ersten beiden Rennsiege für das German Sailing Team bei dieser Olympia-Regatta. Nach dem fulminanten Comeback rangierte der 1,91 Meter große Windsurfer zunächst auf Platz 17. In Folge der Kollision protestierten später Kördel und der Niederländer gegeneinander: Kördel gegen Van Opzeeland. Und Van Opzeeland gegen Kördel.
Die Jury gab dem deutschen Windsurfer recht – und den zweiten Rang zurück. Was Sebastian Kördel im Klassement am späteren Mittwochabend noch bis auf Platz 13 vorrücken ließ. So wurde aus dem mit einer Frühstart-Disqualifikation begonnenen Tag noch eine Gala für Kördel, der am Donnerstag voraussichtlich fünf Rennchancen erhält, um sieben Punkte zu Platz zehn aufzuholen und sich für die Finalrunden der neuolympischen iQFoil-Windsurfer zu qualifizieren.
Sein Erfolgsrezept von diesem bewegten vierten Regattatag will Kördel in die ausstehenden Rennen mitnehmen. Er will die vor ihm liegenden Rennen Schritt für Schritt angehen und sagt: „Ich habe mich heute einfach auf meine alten Sachen konzentriert, die ich gut kann: Am Pin starten und schnell sein. Ich hatte auch ein bisschen Glück, dass wir guten Wind hatten und ich nicht so viel pumpen musste. Endlich gab es mal normalen Wind, zehn bis 14 Knoten, nicht irgendwelche Löcher.“ Darauf hoffen alle deutschen und internationalen Olympiaseglerinnen und -segler auch für Donnerstag, an dem erstmals Philipp Buhl (Ilca 7) und Julia Büsselberg (Ilca 6) in die Olympia-Regatta einsteigen.