OlympiaSegel-Medaillen von der Flaute verschluckt – können die Kiter die Bilanz retten?

Tatjana Pokorny

 · 06.08.2024

Weniger als fünf Knoten Wind, zwei Knoten "Speed": Die Bucht von Marseille prüft ihre Herausforderer anhaltend mit extremen Leichtwindbedingungen
Foto: Sailing Energy/DSV
Auch der zehnte Tag der Olympia-Regatta in Marseille tat der Segelnationalmannschaft weh. Wieder galt es, extreme Leichtwindprüfungen zu bestehen. Wieder mussten Wartezeiten überstanden werden. Wieder entfielen Rennen. Am Ende mussten sich Simon Diesch und Anna Markfort nach schwarzem Dienstag tief enttäuscht von ihrer Olympia-Premiere verabschieden. Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer betrieben Schadensbegrenzung, starten am Mittwoch ohne Medaillenchance in ihr Finale. Nur die deutschen Kiter wahrten im Geduldsspiel ihre Chancen auf Edelmetall

Für Simon Diesch und Anna Markfort war der zehnte Tag der Olympia-Regatta in der Bucht von Marseille wohl der härteste ihrer Segel-Karriere. Sie wollten sich in den drei letzten angesetzten Hauptrundenrennen von Platz neun nach vorn kämpfen, sehen, wie dicht sie den Medaillen noch heranrücken können. Stattdessen erlebten sie einen schwarzen Dienstag, wie sie ihn sich schlimmer kaum hätten ausmalen können.

Schon im ersten Durchgang lief kaum etwas nach Plan. Der GER-470er kreuzte die Ziellinie im kleinen Feld der 20 Jollen erst als 19. Boot. Da war klar, dass in Wettfahrt 8 ein Traumlauf hermusste, um sich noch fürs Medaillenrennen zu qualifizieren und auf die bestmögliche Angriffsposition zu katapultieren. Tatsächlich gelang das zunächst. Simon Diesch und Anna Markfort übernahmen in weniger als fünf Knoten Wind und bei Welle gegenan mit einer “Bootsgeschwindigkeit” von etwas mehr als zwei Knoten die Führung und hielten sie lange.

Was die Beobachter an den Live-Trackern zunächst nicht sehen konnten, waren zwei sehr harte Strafen für die deutsche Crew. Die erste bereinigten Diesch/Markfort mit einem Strafkringel – und kämpften weiter. Sie blieben bis zum letzten Ziel-Abschnitt in der Spitzengruppe, als sie erneut eine Flagge gegen sich sahen. Die war den Regeln nach nicht mehr mit einem Strafkringel zu bereinigen. Simon Diesch und Anna Markfort mussten aufgeben. So erklärte sich ihr Schlinger-Kurs in die offensichtlich falsche Richtung, der die Tracker-Beobachter zunächst verwirrte.

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Zwei Flaggen besiegeln das 470er-Mixed-Aus

„Man kriegt Flaggen fürs Pumpen, auch wenn wir nicht verstehen können, wie wir gepumpt haben sollen“, kommentierte Simon Diesch später den endgültigen K.-o.-Schlag für sein Team im Kampf um den Einzug ins Medaillenrennen. Das GER-Team kehrte tieftraurig und enttäuscht in den Olympia-Hafen Marseille zurück, nachdem das neunte und letzte mögliche Rennen ohne ausreichend Wind abgesagt wurde. Das historisch erste olympische 470er-Mixed-Finale findet ohne deutsche Beteiligung statt.

Simon Diesch sagte in einer ersten kurzen Analyse: „Es lag nicht am Wind, es lag nicht an den Bedingungen. Am Ende gewinnt immer der Beste. Es liegt an uns, an unserer Herangehensweise, unsere Fähigkeiten aufs Wasser zu bringen.“ “Wir haben sie nicht rechtzeitig gefunden”, sagte Anna Markfort, deren Tränen den Kummer über die verpassten Chancen nicht wegspülen konnten. “Am Ende des Tages sind wir hier alle Problemlöser. Und wir haben zu wenige Probleme gelöst bekommen”, fasste die 31-jährige Pädagogin den olympischen Tiefschlag für ihr Team zusammen.

Auch die zweite deutsche Mixed-Crew tat sich schwer im einzigen Windfenster, in dem sie nicht ganz auf Augenhöhe mit der Spitze agieren kann. Den zweiten Tag in Folge wurden auch für die Nacra-17-Flotte nur drei bis sechs Knoten Wind serviert. Das schöne Foiling fiel über weite Strecken aus. Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer (Kieler Yacht-Club) sind im Olympia-Konzert der Nacra-Asse die Crew mit dem größten Steuermann. Sie zählen zu den schwereren Teams der olympischen Katamaran-Flotte, auch wenn sie auf Kurs Marseille einige Kilos gelassen hatten.

Die Platzierung ist für mich keine Überraschung. Deswegen kann ich damit leben“ (Paul Kohlhoff)

Wenn Olympia die kleine Achillesferse trifft

Der erneut extreme Leichtwind-Herausforderung konnten Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer die Ränge 14, 17 und 10 abtrotzen – nicht das, was sie schon ab sieben, acht Knoten draufhaben. Das Duo hatte auf Kurs Olympia einiges unternommen, um die bekannte Leistungslücke im untersten Windfenster so klein wie möglich zu machen. Sie konnten sie aber nie ganz schließen und haben das auch stets offen kommuniziert. Bei Olympia dann waren die Winde nicht auf ihrer Seite: Von den zwölf gesegelten Nacra-17-Rennen wird am Ende inklusive Medaillenrennen etwas mehr als die Hälfte im untersten Windfenster stattgefunden haben. Zu viel für die Kieler.

Für dieses Revier – das haben wir jetzt hier in dieser Woche real erlebt – hätten wir noch mehr die Extreme trainieren müssen” (Paul Kohlhoff)

Selbstkritisch warf der vor drei Jahren noch mit seiner Vorschoterin Alica Stuhlemmer mit Olympia-Bronze hochdekorierte Kieler auch einen Blick zurück auf die Olympia-Vorbereitung seines Teams und sagte: „Im Nachhinein finde ich, dass wir uns schlecht auf dieses Revier vorbereitet haben. Wir hatten ehrlicherweise nie so wenig Wind wie jetzt, als wir hier waren. Der weitere Punkt ist, dass man oft erst rausfährt, wenn Wind ist. An so einem Tag wie heute wären wir vermutlich erst rausgefahren, wenn mal ein paar Minuten sieben, acht Knoten sind.“

Die flauen Bedingungen haben ihr Spiel und den erneuten Medaillenangriff zu schwer gemacht. Und nicht nur die. “Die Kenterung im ersten Rennen war total dämlich. Und im zweiten Rennen waren wir noch nicht so richtig drin”, sagte Kohlhoff am Abend vor dem Medaillenfinale rückblickend. Reflektiert nannte er weitere Faktoren, die sich in der Summe zu einer zu hohen Hürde auf dem Medaillenkurs aufgebaut hatten. “Ich glaube, dass wir in Medaillennähe hätten operieren können, wenn uns die Bedingungen etwas mehr gelegen hätten”, fasste er seine vielen Gedanken aber auch versöhnlich zusammen.

Als Gesamt-Achte nach zwölf Wettfahrten ziehen die Olympia-Dritten von Enoshima zwar ins Top-Ten-Finale am Mittwoch ein. Die Medaille aber ist nicht mehr zu holen. Eine Verbesserung bis auf Platz sechs aber ist noch drin. Die Windprognose für Mittwoch ist allerdings – siehe oben – so flau, dass Segler wie Gastgeber und Fans schon um die nächsten Rennen bangen müssen. Und mit ihnen die übertragenden TV-Anstalten, die es in diesen Tagen auch nicht leicht haben mit dem Segelsport, dessen Bilder sonst so gut ankommen.

Können die Kiter die Segel-Bilanz retten?

Für die guten Nachrichten sorgten in Marseille auch am dritten Tag ihrer olympischen Premiere die deutschen Kiter. Sie ließen sich weder vom flauen Windspiel noch von langen Wartezeiten aus dem Konzept bringen. Leonie Meyer und Jannis Maus beantworteten die Herausforderungen in ihrer spektakulären neuen olympischen Disziplin stark: Bei den Frauen erkämpfte Leonie Meyer (Norddeutscher Regatta Verein) Rang sechs im einzigen Rennen des Tages und bleibt als Fünfte auf vielversprechendem Finalkurs.

Die 31-Jährige berichtete: „Ich habe heute einen großen Fehler auf der Startkreuz gemacht und musste dann wieder aufholen. Aber alles gut, ich bin zufrieden. Ich glaube, die Trainer wollen, dass ich noch etwas mehr angreife, mir mehr zutraue. Das versuche ich morgen umzusetzen. Denn jetzt geht es auf jeden Fall um die bestmöglichen Platzierungen fürs Medal Race.“

Auch Jannis Maus (Cuxkiters) konnte erneut auf einen guten Renntag in den komplizierten Leichtwindbedingungen zurückblicken. Der 28-jährige Oldenburger holte nach einem achten noch einen zweiten Rang und sagte: „Bei uns liegt alles so eng zusammen. Ich bin gerade Sechster mit Platz nach hinten und viel Potenzial für vorn.“

Meyer und Maus in Angriffslaune

Seinen Plan für den Folgetag im Kampf um die besten Positionierungen für die Finalserie hatte der offensichtlich wettkampflustige Jannis Maus auch schon bereit: „Ich hoffe, dass wir überhaupt rausgehen. Die Vorhersage sieht eher schwierig aus. Aber wenn wir rausgehen, dann werde ich voll auf Angriff fahren. Ich habe so eine konstante Serie abgeliefert. Für mich geht es eigentlich nur noch nach oben.“

Am Mittwoch sollen zunächst die am Dienstag im zähen Geduldsspiel entfallenen Medaillenläufe für Ilca 6 (Start um 12.13 Uhr) und Ilca 7 (Start um 13.13 Uhr) stattfinden. Im Anschluss daran sind Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer ab 14.43 Uhr im Nacra-17-Medaillenfinale gefordert. Danach soll es um 15.43 Uhr mit dem 470er-Mixed-Finale weitergehen, in das die Österreicher Lara Vadlau und Lukas Mähr als Spitzenreiter starten.

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