OlympiaKiter stark, aber schluckt die Marseille-Flaute die Medaillenchancen der GER-Segler?

Tatjana Pokorny

 · 05.08.2024

Zum zweiten Mal nach 2016 Olympiasiegerin im Ilca 6: die Niederländerin Marit Bouwmeester
Foto: World Sailing/Lloyd Images
Der neunte Tag der Olympia-Regatta in Marseille begann für die Kiter der Segelnationalmannschaft gut, bevor sich die Flaute durch alle Flotten fraß. Die Nacras schafften zwar drei Rennen, doch in was für Bedingungen? Das größte Frauen-Feld der Ilca 6 bekam mit sehr viel Mühe ein Rennen zustande und kürte vorzeitig die neue Königin des olympischen Segelsports. Ilca 7 und 470er-Mixed wurden zwar losgeschickt, gingen aber leer aus – mit unguten Folgen für die GER-Akteure

”Atypisch” war an diesem neunten Tag in der Olympia-Bucht von Marseille ein häufig genutztes Wort zur Beschreibung der extremen Leichtwindbedingungen. Die britische 470er-Mixed-Steuerfrau Vita Heathcote sprach es lachend aus. Sie lag mit ihrem Vorschoter Chris Grube am Morgen des vierten Regattatages ihrer Flotte auf Platz elf und bekam ebenso wenig eine Chance, sich mit Blick aufs Medaillenrennen der Top Ten weiter vorzuarbeiten wie Simon Diesch und Anna Markfort. Das deutsche Duo hätte sich an diesem Montag gern weiter nach vorn in Richtung Medaillen gekämpft.

Am Abend aber lagen alle 470er-Mixed-Duos noch auf den gleichen Plätzen, denn die beiden Rennen ihrer Flotte hatte die Flaute ebenso verschluckt wie die letzten beiden Hauptrundenrennen für die Ilca-7-Männer. Das angesichts der Prognosen schon befürchtete Szenario traf Philipp Buhl noch einmal hart. Der Allgäuer hätte viel für die Chance gegeben, noch einmal zwei Rennen lang um seine Qualifikation fürs Medaillenfinale am Dienstag kämpfen zu dürfen. Er bekam sie nicht und musste seinen dritten Olympia-Einsatz nach Platz 14 in Rio de Janeiro und Platz fünf in Enoshima als 13. “sehr enttäuscht” beenden.

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Buhl und Bernaz verpassen das Olympia-Finale

Der Perfektionist in Buhl brachte trotz seiner Trauer über sein Abschneiden kurz in Erinnerung, dass man angesichts der schwierigen Wetterlage “ja auch an den vorherigen segelbaren Tagen einmal drei Rennen hätte austragen können”. Denn schließlich sei das ausgeschriebene Ziel zu verfolgen, zehn Wettfahrten bis zum Medaillenrennen zu bestreiten. So blieb es – wie von Buhl und vielen nationalen und internationalen Seglern schon geahnt – bei acht Wettfahrten für die Ilca-Männer. Das waren an diesem letzten olympischen Segeltag für Philipp Buhl und auch seinen langjährigen Sparringspartner Jean-Baptiste Bernaz zwei zu wenig.

Auch für den Franzosen platzte der Medaillentraum bei Olympia, für den er im fünften Anlauf so hart gearbeitet hatte und wie nie zuvor im Rampenlicht seiner Landsleute stand. Wie Philipp Buhl ist auch Jean-Baptiste Bernaz nicht im Finale dabei. Der Tageszeitung “Le Télegramme” sagte er am traurigen Ende seiner letzten Olympia-Teilnahme: “Es ist hart, weil ich mich von allen verabschieden wollte, weil ich so schnell nicht wieder Laser fahren werde.”

Von den großen drei aus der deutsch-französisch-norwegischen Trainingsgruppe hat es nach acht Rennen nur der Norweger Hermann Tomasgaard als Fünfter in die Top Ten der so heiß umkämpften Ilca-7-Flotte geschafft. Am Dienstag kämpfen sie um die Medaillen. Tomasgaard trennen vor dem doppelt gewerteten Finale 17 Punkte von der Bronzemedaille, die er in Enoshima vor drei Jahren zum ersten Mal gewonnen hatte.

Es ist mental hart für unsere Gruppe” (Hermann Tomasgaard)

Erst vor wenigen Wochen hatte das Trio Buhl, Bernaz und Tomasgaard mit viel Olympia-Vorfreude beim letzten gemeinsamen Regattatest im Rahmen der Kieler Woche vereint das Podium besetzt. Hermann Tomasgaard sagte am Montagnachmittag in Marseille: “Es ist ziemlich traurig, dass wir es nicht alle drei ins Finale geschafft haben. Sogar für mich war es eine nur einigermaßen gute Regatta. Ich bin nicht da, wo ich sein wollte.” Als entscheidend betrachtet Tomasgaard den vergangenen Samstag – Tag zwei der Ilca-7-Serie –, als sie sich alle im selben Rennen hohe zweistellige Ergebnisse eingefangen hatten. “Wir lagen alle zusammen hinten. Uns fehlte das Bisschen, um uns da wieder rauszuziehen.”

“Wir hatten alle mit der Bucht zu kämpfen. Sie war ein bisschen atypisch diese Woche. Es gab nicht diese Links-Vorteile, die wir erwartet hatten. Aber wir haben sicherlich genügend hier trainiert. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht genau, woran es lag. Uns fehlte ein wenig die Schärfe, um ganz vorn zu segeln und unsere Entscheidungen selbst zu treffen.” Top-Favorit Matt Wearn hat sie gehabt, diese Schärfe. Der australische amtierende Weltmeister und Olympiasieger führt das Feld vor dem Finale mit nur 38 Punkten an. Lediglich der zyprische Dauerläufer Pavlos Kontides könnte ihn bei 14 Punkten Rückstand im doppelt gewerteten Finale im Kampf um Gold noch angreifen.

Der 34-jährige Kontides wiederum sagt, dass er als Zweiter vor dem Finale in keiner idealen Lage stecke. “Matt wird mich im Auge haben, weil ich der Einzige bin, der ihn noch gefährden kann. Gleichzeitig liegen hinter mir Leute, die auch um Medaillen kämpfen.” Noch wichtiger aber war es Kontides, der mit seiner Laser-Silbermedaille 2012 als erster zyprischer Sportler eine olympische Medaille für sein Land gewonnen hatte, am Tag vor der Entscheidung an seine Frau und die gemeinsame zweijährige Tochter zu denken. “Sie sind wundervoll. Meine Frau macht die ganze Arbeit, und ich habe hier so viele Wartezeiten …”

Nacra-Könner steigern sich über den Tag

Gesegelt allerdings wurde an diesem zähen, für viele enttäuschenden Tag aber doch. Das kleine und feine Nacra-17-Feld quälte sich durch drei Rennen. Über die Windangaben von etwa sieben Knoten bei der TV-Übertragung musste Vorschoterin Alica Stuhlemmer allerdings lachen: “Viereinhalb, fünf Knoten waren es in den ersten beiden Rennen. Das reicht nicht zum Foilen.” Das von ihrer Crew schon auf ein Minimum gedrückte unterste kleine Windfenster ist die bekannte Achillesferse der deutschen Katamaran-Könner, die vor drei Jahren in Enoshima mit Bronze glänzten. Dass sie diese Probleme ab sieben Knoten abstreifen können, war an der Leistungssteigerung im letzten Rennen des Tages zu erkennen, als sie mit Rang fünf wieder in der Top-Gruppe agierten.

Wenn es morgen so ist wie heute, wird es ein verdammt schwieriger Tag. Sobald es aber sieben, acht Knoten sind, können wir wieder ganz vorn mitspielen” (Alica Stuhlemmer)

Zuvor allerdings hatten sich Kohlhoff/Stuhlemmer mit 13 und 8 einige Punkte eingefangen. So lagen sie vor den letzten drei geplanten Hauptrundenrennen am Montagabend auf Platz sechs. Dabei hatten sie 21 Punkte Rückstand auf den dritten Platz angesammelt, den die Neuseeländer Micah Wilkinson/Erica Dawson mit 28 Zählern punktgleich hinter den zweitplatzierten argentinischen Santi-Lange-Nachfolgern Mateo Majdalani/Eugenia Bosco besetzten. Spitzenreiter sind im Endspurt zum Finale die italienischen Dominatoren, Olympiasieger und Weltmeister Ruggero Tita und Caterina Banti nach sechs Tagessiegen in neun Rennen mit nur 14 Punkten auf dem Olympia-Konto.

Kiter Meyer und Maus rücken vor

Das Nacra-17-Finale ist ebenso wie das 470er-Finale für den 7. August angesetzt. Ob davor am Dienstag noch Hauptrundenrennen bestritten werden können, war am Abend in Marseille ungewiss. Sicher aber war, dass die deutschen Kiter diesen so mühsam zu Ende gehenden Tag mit zwei Blitzeinsätzen zum Freudenfest gemacht hatten.

Für Leonie Meyer (Norddeutscher Regatta Verein) und Jannis Maus (Cuxkiters) war Tag neun der Olympia-Regatta ein guter Tag. Zwar mussten sie nach ihren jeweils einzigen Rennen des Tages lange warten, bis auch ihre anstehenden Läufe der gerade erst am Sonntag begonnenen historischen erste Olympia-Serie auf den Folgetag verschoben wurden. Doch ihre einzige Rennchance des Tages nutzten beide Top-Akteure vom German Sailing Team beinahe optimal.

Jannis Maus rückte mit einem weiteren zweiten Rang im Zwischenklassement auf Platz vier vor. Dabei gelang es dem deutschen Formula-Kiter sogar, Weltmeister und Top-Favorit Max Maeder aus Singapur hinter sich zu lassen. Jannis Maus kommentierte die schöne Schau für die Fans so: „Das war heute da draußen in den leichten Winden schwerer, als es von außen aussah. Man muss auf jeden Fall die Augen offen haben und mit Köpfchen fahren. Ich konnte auf dem letzten Downwind noch vom Vierten auf den Zweiten vorfahren und das auch halten. Max und ich haben uns aber in den leichten Winden auf dem Weg zur Luvtonne die Seele aus dem Leib gepumpt.“

Auch Leonie Meyer zog nach zwei Tagen der olympischen Kitesport-Premiere eine positive Bilanz. Die 31-jährige Kielerin lag nach insgesamt 4 von 15 geplanten Rennen auf Platz fünf hinter den Co-Favoritinnen Eleanor Aldridge (Großbritannien), Daniela Moroz (USA), Elena Langwiler (Schweiz) und Lauriane Nolot (Frankreich). Leonie Meyer sagte: „Mich hatte das Olympiafieber schon vorher gepackt, weil andere vor uns angefangen hatten. Jetzt sind wir auch im Game. Das ist cool! Heute haben wir lange gewartet. Dann kam auch ein bisschen Wind, und wir sind ein gutes Rennen gefahren.“

Marit Bouwmeester ist Olympias neue Segel-Königin

Der 5. August wird auch deshalb in Erinnerung bleiben, weil der olympische Segelsport eine neue Königin hat. Hollands Ilca-6-Dominatorin Marit Bouwmeester gewann die olympische Serie mit 30 Punkten nach neun Rennen bereits vor dem Medaillenfinale. Mit der zweiten Goldmedaille nach 2016 sowie Silber 2012 und Bronze 2021 ist die 36-jährige Mutter einer zweijährigen Tochter jetzt die erfolgreichste Seglerin der Olympia-Geschichte. Sie verdrängte die ehemalige britische 470er-Seglerin und aktuelle SailGP-Strategin Hannah Mills (2x Gold, 1x Silber) vom Thron und nahm umjubelt Platz.

Was für ein harter Tag! Wir waren so dicht an der Insel dran. Ein irrer Tag” (Marit Bouwmeester)

Die Ilca-6-Flotte der Frauen hatte nach vielen Versuchen am Montag ein zähes Rennen über die Bahn gebracht. Während im Pressezentrum in Marseille Dutzende holländische Journalisten mit jeder Bewegung Bouwmeesters mitfieberten, brachte die Seglerin ihre Mission ruhig mit Rang 20 zu Ende. Sie hatte sich zuvor nicht ein hohes Streichergebnis geleistet und war nach der Absage von Rennen zehn nicht mehr einzuholen. Die Absage markierte auch für Julia Büsselberg das Ende ihrer Olympia-Premiere.

Olympia-Gedanken von Julia Büsselberg

Die 24-jährige Ilca-6-Steuerfrau hatte sich sehr viel mehr vorgenommen als Platz 25 und blickte zurück: „Ich habe konstant angefangen. Alle waren damit zufrieden (Red.: mit den Rängen 10, 14, 10). Ich noch nicht mal richtig, weil ich da auch schon Punkte liegen gelassen habe. Der Tag vorgestern, der war halt schwer (Red.: mit den Rängen 27, 24, 27). Auch schwer zu verdauen. Da waren die letzten zwei Tage wieder besser, aber ich bin nicht mehr in den Rhythmus reingekommen, den der Event versucht hat, einem reinzudrücken."

Julia Büsselberg, die in einem der abgebrochenen Rennversuche am Montag in der Spitzengruppe lag, nimmt auch positive Gedanken mit von ihrem Olympia-Einsatz: „Ich war hier bei Olympia. Solange, wie es gedauert hat, ist das ein Erfolg gewesen. Ich habe zwar im Ergebnis überhaupt nicht zeigen können, was ich kann. Aber ich habe immer wieder in Momenten gezeigt, dass ich da bin. Das kann ich für mich mitnehmen, auch wenn es kein anderer sehen kann.”


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