Tatjana Pokorny
· 08.08.2024
Eines ist nach zwölf Tagen der olympischen Segelregatta sicher: Windprognosen für die Bucht von Marseille sind nicht sicher! Auch am geplanten Finaltag der Serie mit zehn olympischen Segeldisziplinen verlief wenig, wie es die Meteorologen vorhergesagt hatten. Stattdessen mussten sich die Nacra-17-Finalisten wieder mit zwei Rümpfen durch die glitzernden Fluten schieben. Die Kiter mussten warten, bevor sie ein gutes Windfenster am Nachmittag für ihre Halbfinals und das Finale der Frauen nutzten. Fürs Männer-Finale reichte der Druck nicht mehr. Es findet nun am Reservetag statt: Toni Vodisek, Max Maeder, Ricardo Pianos und Valentin Bontus treten an zum furiosen Freitag.
Es war bis zum Schluss ein Kreuz bei dieser Olympia-Regatta mit dem Wind. Die Österreicher Lara Vadlau und Lukas Mähr ließen sich davon aber nicht beeindrucken. Sie waren als Spitzenreiter in die erste Medaillenentscheidung des Tages gestartet, lagen im 470er-Mixed nach Matchrace-Szenen mit den spanischen Jägern Jordi Xammar und Nora Brugman zunächst am Ende der Flotte auf Rang zehn. Sie arbeiteten sich vor, fielen wieder zurück. Wo man hinsah, wurde spannend gekämpft.
Die Medaillenverteilung änderte sich mit Fortschreiten des Rennens ständig. Am Ende reichte Vadlau/Mähr nach hochkonzentrierter Vorleistung in der Hauptrunde Rang sieben im Medaillenrennen zum goldenen Triumph. Lara Vadlaus nussbraune Augen strahlten im gradlinig geschnittenen Gesicht, als sie sagte: „Wir sind Olympiasieger, das hört sich verdammt gut an. Das habe ich dem Luki schon draußen am Wasser gesagt. Wir haben daran geglaubt, dass wir eine Medaille holen können, wenn wir gut segeln. Aber Gold, das ist genial!"
470er-Mixed-Silber ging an die Japaner Keju Okada und Miho Yoshioka. Die Schweden Anton Dahlberg und Lovisa Karlosson freuten sich über Bronze wie über Gold. Leidtragende des hochspannenden Finals waren die Spanier Jordi Xammar und Nora Brugman. Die amtierenden 470er-Weltmeister vom Real Club Náutico de Barcelona wollten in Marseille um den Olympiasieg kämpfen und mussten die Regatta nach Rang neun im Medaillenrennen ohne Medaille beenden.
Das zweite Medaillenrennen des Tages bestritten die größten vorolympischen Favoriten als Zweite noch einmal stark. Nach fünf Rennsiegen und – bis auf einen Frühstart – ausschließlich Top-Fünf-Ergebnissen feierten Italiens America’s-Cup-Steuermann Ruggero Tita und seine Vorschoterin Caterina Banti ihren zweiten Olympiasieg in Folge. Technisch herausragend und bis an die Grenzen des Erlaubten präpariert und auf dem Kurs in allen Bedingungen stark, demonstrierten die Azzurri erneut ihre Überlegenheit. Silber gewannen die Nachfolger von Rio-Olympia-Star Santi Lange: Mateo Majdalani und Eugenia Bosco reichte Rang sieben im Medaillenfinale zum zweithöchsten Platz auf dem Podest.
Bronze sicherten sich die jubelnden Kiwis Micah Wilkinson und Erica Dawson. Tragisch endete das Finale für die sympathischen britischen Medaillenkandidaten John Gimson und Ana Burnet. Kurz vor ihrer Hochzeit unterlief den als Dritte mit Silber- und Bronze-Chancen ins Finale eingezogenen Nacra-Seglern ein sehr knapper Frühstart, den sie aber nicht als solchen identifiziert hatten. Entsprechend bereinigten sie sich nicht, wurden disqualifiziert und beendeten ihre zuvor so gelungene Woche als Vierte.
“Wir versuchen, uns nicht nach Ergebnissen zu beurteilen. Ich bin unglaublich stolz darauf, wie wir diese Woche gesegelt haben”, fand Steuermann Gimson tröstliche Worte nach dem Tiefschlag. Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer (Kieler Yacht-Club) gelang zum Abschluss im Katamaran-Finale “light” noch ein fünfter Rang. In der Gesamtwertung blieb es bei Platz acht für die Olympia-Dritten von Enoshima.
Steuermann Paul Kohlhoff zog an Tag zwölf der Olympia-Regatta eine kurze Bilanz: „Das Team, der Verband und alle drumherum haben auf dem Weg hierher einen extrem guten Job gemacht. Die haben sich nicht viel vorzuwerfen. Wir als Nacra-Team haben mit so wenig Wind wie bei dieser Olympia-Woche einfach nicht gerechnet. Das hat unsere schon verkleinerte, aber vorhandene und bekannte Achillesferse getroffen.“
Mit Vorschoterin Alica Stuhlemmer hatte Paul Kohlhoff vor seinem dritten und dem zweiten gemeinsamen Olympia-Einsatz zu den DSV-Medaillenhoffnungsträgern gezählt. Doch konnten die Kieler Katamaran-Asse ihre Bronze-Leistung von vor drei Jahren in Japan in Marseilles Extrembedingungen nicht wiederholen.
Nach den Zweihand-Jollen und den Katamaranen gehörte die Bühne von Marseille den neuolympischen Kitern. Abwechselnd trugen Männer und Frauen erst ihre Halbfinals, dann ihre Finalläufe aus. Wobei die Männer nicht mehr zur Entscheidung kamen, weil der Wind erneut einbrach. Die Halbfinalläufe der jeweils zwei Gruppen bei den Männern und Frauen zeigten, worauf sich Tausende Fans auf der Mole des Olympia-Hafens Marseille, in der Beach-Arena und an den Stränden gefreut hatten: packende Action, Aufholjagden, Positionskämpfe und Spannung bis ins Ziel.
Jannis Maus bekam es in seinem Halbfinale mit dem Österreicher Valentin Bontus, dem Briten Connor Bainbridge und dem Amerikaner Markus Edegran zu tun. Zwei konnte er nach gelungenem Start souverän in Schach halten, doch Valentin Bontus gewann den Lauf und zog ins Finale ein. Als Fünfter bei seiner Olympia-Premiere zog Jannis Maus nach kurzer Enttäuschung über den verpassten Finaleinzug sehr versöhnlich Bilanz, sagte: „Ich bin bei der WM Top-Fünf gefahren. Wenn es mehr geworden wäre, dann wäre das absolut fantastisch gewesen. Natürlich wäre eine Medaille der Hammer gewesen, aber auch so kann ich sehr zufrieden sein. Ich habe das Ziel, dass ich mir selbst gesteckt hatte, erreicht.“
Beim Blick zurück auf die stark verkürzte Serie, in der aufgrund anhaltend schwieriger Leichtwindverhältnisse bei den Männern nur 7 von 16 geplanten Rennen in der Hauptrunde ausgetragen werden konnten, sagte der dynamische Fahrer von den Cuxkiters: „Ich hätte vielleicht in der sehr verkürzten Regatta etwas mehr Risiko eingehen können, aber das ist halt ein bisschen ein Rückschaufehler, im Nachhinein leicht festgestellt.“
Fürs Finale der Kiter am Freitag drückt Jannis Maus einem Akteur die Daumen: „Ich finde, dass Max Maeder es auf jeden Fall verdient hätte. Er ist so solide gefahren. Er ist so ein toller Sportsmann. Ich hoffe, er schafft es.“ Die eigene Kite-Karriere will Jannis Maus gern fortsetzen: „Es ist eine tolle Leistung, dass wir Kiter mit zwei fünften Plätzen das beste deutsche Ergebnis abliefern konnten. Für mich geht es auf jeden Fall weiter mit dem Sport. Es macht mir viel zu viel Spaß, als dass ich jetzt sagen würde: Einmal Spiele, und das war’s.“
Nach Jannis Maus war Leonie Meyer in ihrem Halbfinale gefordert, in dem es ihr die Gegnerinnen zunächst schwerer machten, als es der Kielerin lieb war. Dass sie als Fünfte zum starken deutschen Kite-Auftritt genauso beitrug wie Jannis Maus, war vor allem ihrem Kampfgeist und ihrer guten Geschwindigkeit zu verdanken.
Zwar schied Leonie Meyer nach einem dramatischen Halbfinallauf, grandioser Aufholjagd und packendem Zielduell mit der Holländerin Annelous Lammerts aus. Doch das war unter Wert geschlagen. Meyers Protest gegen eine Vorfahrtsverletzung der niederländischen Siegerin wurde nicht stattgegeben.
Meyer berichtete nach dem Halbfinale: „Meiner Meinung nach hat sie da auf jeden Fall eine Regel gebrochen. Ich habe direkt protestiert. Dann haben sie uns reingeschickt. Dann kamen die Tränen. Dann haben sie uns wieder rausgeschickt, weil hier am Strand gesagt wurde, dass die Holländerin disqualifiziert wurde und es halt mein Race Win ist. Wir sind also alle wieder rausgefahren, um dort ganz lange zu warten und dann doch zu erfahren, dass sie sie nicht disqualifiziert haben.“
Leonie Meyer hat eine beeindruckende Olympia-Woche bestritten und will es voraussichtlich nicht dabei belassen. Die 31-Jährige sagte nach dem Halbfinale mit ihrem Sohn Levi auf den Schultern: „Es waren krasse Entbehrungen, die man als Mama hergeben musste. Aber es lohnt sich natürlich. Jetzt würde ich das gern noch mal machen und mit einer Medaille nach Hause kommen. Ich habe auf jeden Fall diese Woche gezeigt, dass das Potenzial da ist.“ Erste Kite-Olympiasiegerin ist die Britin Ellie Aldridge, die Frankreichs Kite-Star Lauriane Nolot und die Niederländerin Annelous Lammerts auf die Plätze zwei und drei verwies. Ausnahme-Kiterin Daniela Moroz blieb als Vierte ohne Medaille.
Mit zwei fünften Kite-Plätzen, zwei sechsten Plätzen durch die jungen Skiffseglerinnen Marla Bergmann und Hanna Wille und die erst 22-jährige Windsurferin Theresa Steinlein sowie dem achten Platz durch Kohlhoff/Stuhlemmer konnten fünf von zehn DSV-Teams die Top-Ten erreichen. Leistungsträger wie Windsurf-Welt- und Vizeweltmeister Sebastian Kördel (12.), der 2020er-Ilca-7-Weltmeister Philipp Buhl (13.) oder die 470er-Mixed-Vizeeuropameister Simon Diesch und Anna Markfort (14.) verfehlten ihre Medaillenziele, nahmen sich nach der extremen Leichtwindserie aber dafür vor allem selbst in die Pflicht.
Natürlich ist das Abschneiden sehr, sehr bitter. Wir hatten einfach Medaillenkandidaten dabei, die vielleicht nicht so gut in die Regatta gefunden haben. Ganz, ganz bitter natürlich für Buhli und Basti, die es nicht in die Medal Races geschafft haben, obwohl sie es verdient hätten” (Jannis Maus)
Für die Segelnationalmannschaft ist es die erste olympische Segelregatta seit 2012 ohne Medaillen. Zuletzt konnten die DSV-Segler im japanischen Enoshima eine Silber- und zwei Bronzemedaillen gewinnen. DSV-Sportdirektorin Nadine Stegenwalner sagte: „Für eine detaillierte Analyse ist es während der noch laufenden Wettkämpfe etwas früh, aber sie wird intensiv, offen und ehrlich kommen.“
Fürs gesamte Team sagte Nadine Stegenwalner: „Natürlich sind wir enttäuscht, denn wir alle brennen für dieses Team. Wir haben aber auch gerade bei den jüngeren Teams einige gute Ergebnisse erzielt, die Zuversicht für 2028 machen. Andere sind leider unter ihren Erwartungen geblieben, haben nicht ihr Potenzial abrufen können. Die Wetterbedingungen waren hier besonders, aber natürlich auch für alle gleich. Sie waren aber leichter, als wir es in vielen Trainings hier hatten. Zudem hat sich das Format verkürzt, die Reservetage sind rausgefallen – auch das war neu.”
Weiter sagte Nadine Stegenwalner in Marseille: “Wir werden gründlich analysieren, aber eines ist auch klar: Das nächste Olympiarevier 2028 in Los Angeles ist wieder ganz anders. Es werden andere Rahmenbedingungen sein, es ist eine andere Zeitzone. Die Trainingsmöglichkeiten werden in Übersee andere sein, allein von der Anreise her. Dementsprechend muss man – egal, wie gut man abgeschnitten hat – immer prüfen: Was kann man aus diesem Zyklus lernen? Was lief gut und was muss man anpassen? Und das wird klar und ehrlich und auch bis zu einem gewissen Grad schonungslos erfolgen müssen.“