OlympiaHistorische Kite-Premiere, Buhls Medaillentraum geplatzt, Nacras im Rodeo-Ritt

Tatjana Pokorny

 · 05.08.2024

Nacra-17-Fotokunst von Sailing Energy
Foto: Sailing Energy/DSV
Tage wie diese: Für die einen markierte der zweite Olympia-Sonntag in der Bucht von Marseille die historische Premiere der neuen schnellsten Disziplin der gesamten Olympischen Sommerspiele – die Kiter sind los! Im Schatten der bunten und rasanten Show bekam ein wankender Großer einen weiteren Stich in seine schon offene Wunde: Philipp Buhl begrub seinen Medaillentraum auch im dritten Olympia-Einsatz, obwohl er nach harter Frühstart-Disqualifikation ein Gala-Rennen bestritt – und gewann.

Der olympische Segelsport zeigte sich an Tag acht der Regatta in der Bucht von Marseille von einer neuen Seite, servierte eine historische Premiere: Erstmals kreuzten die Kiter im Zeichen der fünf Ringe auf. In beiden Flotten sind mit Jannis Maus (Cuxkiters) und Leonie Meyer (Norddeutscher Regatta Verein) auch starke deutsche Akteure am Start.

Kite-Premiere bei Olympia: “Historisch, wundervoll!”

Jannis Maus berichtete von der Euphorie, die von den foilenden Board-Bändigern mit ihren Lenkdrachen am Strand in der Fan-Zone und auf der vollbesetzten Mole ausgelöst wurde: „Die Atmosphäre hier ist phänomenal, da allein über tausend Leute auf der Mole zu haben. Jedes Mal, wenn man nur den Kite startet, wird man die ganze Zeit bejubelt. Das Wort historisch passt sehr, sehr gut. Dass ich hier Deutschland im Nachbarland das erste Mal repräsentieren und abliefern darf, das kann ich wirklich nicht in bessere Worte fassen als: historisch, beeindruckend, wundervoll!“

Sowohl Leonie Meyer als auch Jannis Maus stiegen gut in die mit Spannung beobachtete Serie ein, lagen nach den jeweils ersten vier Wettfahrten des Frauen- und des Männerfeldes auf den Plätzen sieben und acht. Was den Kitesport für viele so faszinierend, aber auch nicht ganz ungefährlich macht, sind die hohen Geschwindigkeiten der Top-Akteure. Jannis Maus sagt: “Wir sind absolut die schnellste Disziplin der Olympischen Spiele. Die Bahnradfahrer kommen nahe dran mit 70, 80 Stundenkilometern in der Spitze, aber sonst ist niemand annähernd so schnell wie wir.“

Dagegen ist der Ilca 7 eine eher langsame, jedoch in der Spitze enorm umkämpfte und deswegen sportlich hochspannende olympische Bootsklasse. Hier wollte Philipp Buhl seine beeindruckende Laufbahn mit einer Medaille krönen. Doch nun müsste ein Wunder passieren, damit er nach seiner manchmal fast verzweifelten Achterbahnfahrt durchs olympische Ilca-7-Klassement noch nach Edelmetall greifen kann. Der 34-jährige nimmermüde Ilca-7-Vorreiter sah die Möglichkeit auch selbst nicht mehr.

Buhls Frühstart: “Wie ein Stich in die offene Wunde”

Nach bereits drei hohen zweistelligen Ergebnissen in seiner Olympia-Serie kam Buhls Frühstart-Disqualifikation am Sonntagnachmittag einem Stich in seine bereits offene Wunde gleich, wie er selbst feststellte. Es war kaum eine Sekunde, die Philipp Buhl im Kampf um die Medaillen zum disqualifizierten Frühstarter machte und seinen Traum hat platzen lassen.

Die Bilder, die er sich selbst später vom Start besorgte, haben den Allgäuer zwar laut Wettfahrtleitung als Frühstarter bestätigt. Nach den Aufnahmen aber waren rund zwei Dutzend Ilca-7-Steuermänner in diesem siebten Rennen zu früh dran. Nur neun wurden als Frühstarter identifiziert und notiert. Sie zahlten dafür einen hohen Preis: 44 Punkte kostete dieser BFD. Für Philipp Buhl war es ein Streicher zu viel auf dem ohnehin schon stark belasteten Olympia-Konto.

Es ist eine einzige Tortur gewesen seit gestern” (Philipp Buhl)

Seine Erkenntnis: “Mir ist klar, dass das mit dem Podium nichts mehr wird. Es könnte jetzt irgendwie der komplette Zufall eintreten, und dann wird das vielleicht noch was, aber da braucht man nicht dran zu glauben. Dementsprechend ist diese Woche nicht schönzureden. Ich bin extrem enttäuscht und traurig.”

Die Gala nach dem Tiefschlag

Dem in dieser Woche zu oft zu spät ins Ziel gekommenen Champion half es wenig, dass ihm in Rennen acht eine Gala gelang. Sein wunderschön anzusehender Rennsieg und das kurz in seinem Gesicht aufblitzende typische Lächeln konnten die bis dahin eingefahrene Serie nicht ungeschehen machen. Dass der formidable Buhl-Lauf live im TV gezeigt wurde und ihm die kleine Genugtuung bescherte, später einmal zeigen zu können, dass er bei Olympia 2024 – wie auch in Enoshima – ein Rennen gewonnen hat, war kein echter Trost für den Perfektionisten: “Die ganze Woche ist extrem enttäuschend und eine Katastrophe. Ich habe schon ganz schön viel darüber nachgedacht.”

Trotz allem wird der letzte Hauptrundentag der Ilca-7-Flotte für Philipp Buhl von enormer Bedeutung sein. Er lag nach acht von zehn Rennen bis zum Medal Race am Sonntagabend auf Platz 13. Nach dem 2016 für ihn schon enttäuschenden 14. Platz bei Olympia in Rio und dem starken 5. Platz in Enoshima, hat sich Philipp Buhl in Marseille nun eine letzte, aber für ihn sehr wichtige Aufgabe gestellt: „Ein Top-Ten-Ergebnis ist immer noch möglich. Es macht einen Unterschied, ob man am Ende Sechster, Siebter, Achter oder Neunter wird oder 15. bis 20. Für mich zumindest.“ Er wird in den letzten beiden Hauptrundenrennen am Montag sehen, was für ihn noch geht.

Wenn denn etwas geht. Die abflauenden Winde in Marseille könnten Philipp Buhl und anderen noch einen letzten Strich durch die Rechnungen machen. Das taten sie heute schon bei anderen. Beispielsweise auf dem Kurs der 470er-Mixed-Teams. Da quälten sie unter anderen auch Simon Diesch und Anna Markfort, die es entgegen allen Prognosen nur mit vier bis sieben Knoten Wind zu tun bekamen. Der Steuermann vom Württembergischen Yacht-Club und seine für den Verein Seglerhaus am Wannsee und den Joersfelder Segel-Club startende Vorschoterin hatten an ihrem dritten Segeltag mit den leichten Bedingungen schwer zu kämpfen.

Leichte Winde, schwere Prüfungen

Das Duo kam in den sehr leichten Mittagswinden mit den Rängen 16 und 9 ins Ziel und lag vier Rennen vor dem Medaillenfinale der neuolympischen Zweihand-Jollendisziplin für gemischte Doppel auf Platz neun. Das entsprach nicht dem Plan der erklärten Medaillenjäger, deren stärkste Vorstart-Konkurrenten mit den Spaniern Jordi Xammar/Nora Brugmann und den Japanern Keiju Okada/Miho Yoshioka auf den Plätzen zwei und drei rangierten.

Die Spitzenposition hatten nach sechs von zehn Wettfahrten bis zum Finale die Österreicher Lara Vadlau und Lukas Mähr eingenommen. Die Steuerfrau sagte: “Wir versuchen einfach, cool zu bleiben. Wenn man uns von den Leinen lässt und Luft zum Atmen gibt, dann können wir das im Moment sehr gut umsetzen. Diese Leistung gilt es zu halten, und dann schauen wir, was dabei rauskommt.” Auf die Frage, ob die Stärke ihrer Crew von der Erfahrung auf leichtwindigen österreichischen Binnenseen herrühre, lachte Lara Vadlau und sagte: “Das letzte Mal, dass wir auf einem Binnensee gesegelt sind, ist vielleicht 20 Jahre her. Wir Österreicher versuchen immer, so oft wie möglich ans Meer zu kommen.”

Simon Diesch erklärte, warum dieser Olympia-Tag für seine und viele weitere 470er-Mixed-Crews zum mühsamen Geschäft geriet: „Anders als in allen Vorhersagen hatten wir heute superwenig Wind, eher an der Unterkante dessen, was man überhaupt segeln kann. Vier bis sieben Knoten – und das mit einem Riesenschwell, der von draußen reinlief. Die Welle ist also noch da, der Wind nicht mehr. Das war bedingungstechnisch unheimlich schwierig. Wenn man sich dann nicht von Anfang an irgendwie aus dem Feld rausziehen kann, wird es einfach schwierig.“

Kohlhoff/Stuhlemmer preschen vor

Mit Blick auf die zweite Halbzeit inklusive doppelt gewertetem Medaillenrennen sagte Simon Diesch: „Man muss sich jeden einzelnen Schritt genau überlegen, darf aber Situationen auch nicht zerdenken. Man muss mit dem segeln, was man gerade hat.“ Vorschoterin Anna Markfort stimmte zu und sagte: „Man muss im Moment bleiben. Das, was man hat, analysieren und daraus dann überlegen, wie man das umsetzt.“

Das wird sich auch Julia Büsselberg vornehmen, die am zweiten Tag in Folge nicht an die Auftakterfolge ihrer Olympia-Premiere anknüpfen konnte. Die Steuerfrau vom Verein Seglerhaus am Wannsee kehrte nach den Rängen 23 und 33 und vor den noch ausstehenden beiden Montagsrennen bis zum Medaillenfinale als 23. des Zwischenklassements in den Olympia-Hafen Marseille zurück. In ihrer Flotte liefern sich die Niederländerin Marit Bouwmeester (1x Gold, 1x Silber, 1x Bronze) und die amtierende dänische Olympiasiegerin Anne-Marie Rindom den erwarteten Zweikampf, in dem die Holländerin kurz vor dem Finale die Bugspitze nach herausragender Serie klar vorn hat.

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“Nach vorn” lautet auch das Programm von Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer bei ihrem zweiten gemeinsamen und dem dritten Olympia-Start des Steuermanns. Nach ihrem holprigen Einstieg in die olympische Nacra-17-Serie finden sich die Bronzemedaillen-Gewinner von Enoshima im Olympia-Revier der Bucht von Marseille immer besser zurecht. Das Spiel der foilenden Katamarane war schön und teilweise auch spekatulär anzusehen.

Kollision, Bruch am Ruder und Arbeit fürs Technik-Team

Obwohl die Winde für die Nacra-17-Flotte über weite Strecken mit um die 13 Knoten überschaubar blieben, sorgten erneut Schwell und diffuse Wellenbewegungen für Rodeoszenen auf dem olympischen Katamaran-Kurs. Wieder spukte die Spaßfrage durch einige Köpfe: “Fahrt ihr noch das Boot, oder fährt das Boot euch?” Beides war der Fall. Das Mixed-Katamaran-Duo vom Kieler Yacht-Club meisterte diese Bedingungen bestens, steigerte sich mit den Rängen 6, 3 und 2 im Verlauf des Nachmittags auffallend stark und lag am Sonntagabend auf Platz vier in Tuchfühlung zu den Top-Drei.

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Steuermann Paul Kohlhoff erklärte anschließend: „Wir hatten nach dem gestrigen Tag ein bisschen was gutzumachen. Das ist uns heute meistens ganz gut gelungen. Wir haben immer noch einiges verschenkt, ein paar wenige Punkte liegen lassen, aber es hätte trotzdem deutlich schlechter gehen können. Jetzt sind wir ganz glücklich, dass wir wieder näher vorn dran sind als gestern noch.“

Dass die Kieler vor dem Gate im zweiten Rennen noch eine kleine Kollision hatten, tat ihrem exzellenten Olympia-Tag keinen Abbruch. Da wollten die Argentinier vor dem Gate noch innen reinfahren. Kohlhoff erzählte: “Er hat uns von hinten überfahren, hatte eine Welle und ist dann aber so früh abgefallen, dass wir sein Leewant und den Gennaker im Gesicht hatten. Er ist quasi von Luv in uns reingefahren.” Die Argentinier bereinigten sich durch einen Strafkringel. Die Deutschen brachten ihrem Technik-Team über Nacht Arbeit, weil ihr Steuer bei der Kollision etwas abbekommen hatte.

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