OlympiaHarter Tag mit “brutalen Löchern” – Bergmann/Wille verteidigen Medaillenchance

Tatjana Pokorny

 · 30.07.2024

Die spanischen SailGP-Meister waren am harten Olympia-Dienstag die beste Crew über alle Disziplinen: Diego Botin und Flo Trittel im 49er
Foto: World Sailing/Lloyd Images
Es war ein brutal schwerer Tag in der Bucht von Marseille. Südostwinde prüften die Olympia-Segler in allen Ausprägungen. Oft waren sie gar keine Südostwinde mehr. Dreher von bis zu 60 Grad, Windstärken zwischen null und 25 Knoten, Windlöcher und Böen machten die Kurse zum gemeinen Hindernisparcours. Nur die wenigsten Top-Akteure kamen sauber durch. Selbst die bislang überragend agierende britische Windsurferin Emma Wilson musste einen 17. Rang hinnehmen, bevor sie es mit zwei Tagessiegen wieder krachen ließ

“Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meiner Karriere in so miesen Bedingungen gesegelt zu haben!” Diese deutliche Aussage kam am Dienstagabend von 49er-Weltmeister Erwan Fischer. Der Steuermann kennt die Bucht von Marseille besser als die meisten anderen Olympia-Segler. Der Franzose hat bei der olympischen Regatta am Mittelmeer Heimvorteil, doch das half an diesem fordernden Dienstag nicht wirklich. Mit seinem 49er-Vorschoter Clement Pequin liegt Fischer nach neun von zwölf Rennen bis zum Medaillenfinale in der 20-Boote-Olympia-Flotte der Skiffsegler auf Platz acht.

Spaniens SailGP-Sieger führen im 49er

Zu den wenigen, die das wirre Windgeschehen im französischen Olympia-Revier an diesem Tag im Griff hatten, zählten die frischgebackenen SailGP-Sieger Diego Botin und Florian Trittel. Wie einst ihre Trainingspartner Erik Heil und Thomas Plößel, die in Rio und Enoshima zwei olympische Bronzemedaillen gewannen, mögen es auch die Spanier “tricky”. Mit den Rängen 3, 2 und 2 waren sie an Tag drei der Olympia-Regatta das erfolgreichste Team über alle vier Disziplinen und übernahmen die Führung bei den 49ern.

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Die deutschen 49er-Segler Jakob Meggendorfer und Andreas Spranger dagegen mussten nach zwei gelungenen olympischen Wettkampftagen am Dienstag einige Federn lassen. Mit den Rängen 16, 12 und 11 rutschten sie auf Platz elf zurück. Damit müssen die Bayern in den letzten drei Rennen am Mittwoch um den Einzug ins Medaillenrennen der besten zehn Crews kämpfen.

Steuermann Jakob Meggendorfer berichtete nach den Rennen: „Es war ziemlich durchmischt, lief nicht so gut wie in den vergangenen Tagen. Es waren sehr herausfordernde Bedingungen. Die letzten Tage konnte man ein bisschen schöner segeln, taktisch agieren und schöne Starts fahren. Manche Leute haben es heute gut hinbekommen, wir haben es nicht so gut hinbekommen.“

Deutsches Skiff-Duo von “brutalen Löchern” ausgebremst

Jakob Meggendorfer beschrieb die Windverhältnisse zwei Tage vor den Medaillenrennen für die Skiffdisziplinen am 1. August als schwer interpretierbar. Der phasenweise sogar mit 15 bis 20 Knoten starke Wind sei aufgrund der umliegenden Berge nicht immer richtig in die Bucht reingekommen. Weil auch „brutale Löcher“ dabei waren, müsse man die untere Grenze der Windstärke für diesen Segeltag eher bei fünf Knoten ansetzen, so Jakob Meggendorfer. Für seine Crew standen abends vor dem Hauptrunden-Endspurt am Mittwoch nur noch ein Eisbad und viel Schlaf auf dem Programm.

Besser meisterten die weiter begeisternden 49er-FX-Seglerinnen Marla Bergmann und Hanna Wille die komplexen Prüfungen. Die seit ihrer Kindheit gut befreundeten Frauen schlossen auch ihren dritten Regattatag als bestes deutsches Team ab. Zunächst Sechste nach neun von zwölf Wettfahrten, rückten die jungen Seglerinnen am Abend infolge einer Disqualifikation der finnischen Crew noch auf Platz fünf vor. Mit den Rängen 11, 8 und 8 waren sie zwar von Platz drei nach zwei Tagen leicht zurückgefallen, wahrten aber ihre überraschenden Medaillenchancen.

Fünf Zähler nur trennten Marla Bergmann und Hanna Wille vor den ausstehenden drei Rennen bis zum Medaillenfinale von Platz drei. „Wenn uns jemand vor den Olympischen Spielen gesagt hätte, dass wir zu diesem Zeitpunkt in Angriff auf die Medaillen sein werden, dann hätten wir das nicht geglaubt“, sagte die 23-jährige Hanna Wille. Mit ihrer 22-jährigen Steuerfrau stellt sie das jüngste Team in der mit Olympiasiegerinnen und Weltmeisterinnen gespickten Flotte der 20 internationalen Frauen-Skiffs.

Bergmann/Wille verteidigen Medaillen-Chance

Marla Bergmann zog am Dienstagabend im Olympia-Hafen entsprechend positiv Zwischenbilanz: „Uns hat der bisherige Verlauf in die Stimmung gebracht, dass wir nun wissen, dass wir es aufs Podium schaffen könnten. Wenn man weiß, dass es möglich ist, würde man das natürlich auch gern schaffen.“ Wie fordernd und komplex das Segeln an diesem Tag in der Bucht von Marseille war, beschrieb auch Marla Bergmann anschaulich mit einem Bild: „Wir waren teilweise im Boot und teilweise im Doppelsteher-Überdruck draußen im Trapez. Das hat sich im Bereich von zehn Metern krass verändert.“

Unter den divenhaften Winden litten auch die Windsurfer. Allen voran der deutsche Weltmeister von 2022 und Vizeweltmeister von 2023: Sebastian Kördel fand an diesem Tag kein Rezept im Umgang mit dem wankelmütigen Druck in der Bucht von Marseille. Er hatte trotz intensiver Langzeitvorbereitung im Olympia-Revier und einem entwickelten “Zuhause-Gefühl” noch nie einen ganzen Trainingstag wie diesen Dienstag erlebt.

Ihm lagen die südöstlichen, aber teilweise aus allen Richtungen wehenden und wieder verschwindenden Winde wenig. Das von vielen internationalen Seglern am Dienstag auch als „Stop-and-go“ bezeichnete Segeln bekam der 1,91 Meter große Athlet vom NRV Olympic Team zu keiner Zeit in den Griff. Mit den aus seiner Sicht desaströsen Rängen 15, 21, 11, 20 und 16 fiel er auf Platz 19 zurück. Die Tiefschläge haben ihn getroffen, doch einem Kommentar wich er nicht aus: „Das war ein ziemlich dunkler Tag. Ich hatte vier schlechte Starts. Beim einzigen guten Start war ich dann so weit über der Layline, dass es auch keinen Sinn machte.”

Kördel kassiert Tiefschläge

Der 33-Jährige beschrieb seine Herausforderungen ehrlich und ungefiltert. Dann richtete er den Blick nach sechs von maximal 20 Rennen der neuolympischen iQFoil-Klasse nach vorn: „Ich wusste, dass Niederlagen bei Olympia kommen können und es wichtig sein wird, wie man damit umgeht. Dass die Niederlagen aber so hart und dick kommen würden, damit habe ich nicht gerechnet.“

Vor den nächsten fünf für Mittwoch geplanten iQFoil-Rennen für Männer und Frauen sagte Kördel: „Ich schaue, wie ich damit umgehe und was morgen geht.“ Die Prognosen für Mittwoch versprachen kaum andere, nur noch etwas leichtere Bedingungen. Erschwerend kommt für Kördel hinzu, dass die maximal 20 ins Visier genommenen Rennen bis zu den Finalrunden nach dem Totalausfall an Tag eins kaum mehr machbar sein werden. Ihm bleiben nach sechs unbefriedigenden Rennen im besten Fall zehn weitere Läufe, um das Blatt noch einmal zu wenden. Immerhin stünden damit noch mehr als 60 Prozent der Rennen aus.

Im Aufwärtstrend schloss Sebastian Kördels Team- und Vereinskameradin Theresa Steinlein den olympischen Härtetest am Dienstag ab. Die iQFoil-Windsurferin vom Wörthsee kam im letzten Lauf des Tages nach kraftraubenden drei Slaloms und zwei Kursrennen mit längerer Wartezeit beim Kursumbau als Zweite ins Ziel. Es dürfte physisch einer der härtesten Tage gewesen sein, den die Windsurferinnen zu meistern hatten.

Steinlein bleibt nach hartem Tag in den Top Ten

Der iQFoil-Marathon verlangte an diesem Tag allen Olympia-Aktiven viel ab. „Es war ein langer und harter Tag auf dem Wasser“, sagte die mit 22 Jahren jüngste Athletin der Segelnationalmannschaft. Die Windsurferin vom Norddeutschen Regatta Verein startet nach den Rängen 12, 16, 16, 13 und 2 am Mittwoch als Neunte in ihren dritten Olympia-Tag, nachdem der Auftakt auch für die Windsurferinnen entfallen war.

“The Making of Emma Wilson” – die britische Windsurferin und aktuelle Olympia-Überfliegerin Emma Wilson im Video-Porträt:

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