Tatjana Pokorny
· 04.08.2021
Nach dem Medaillen-Fest für das German Sailing Team am Vortag glänzten die 470er-Seglerinnen Luise Wanser/Anastasiya Winkel am Schlusstag der Olympia-Regatta
Zum Finale der Olympia-Regatta in Enoshima zeigte sich endlich wieder der Vulkan Fuji in einem Wolkenkranz und bildete die spektakuläre Kulisse für die historisch vorerst finalen Medaillenrennen in den 470er-Flotten für Frauen und Männer. Ein letztes Mal machten Damen und Herren ihre Olympia-Besten unter sich aus – ab 2024 geht es in der Zweihand-Jolle im Mixed zur Sache. Aus bislang zwei olympischen Disziplinen wird dann eine.
Die beiden deutschen 470er-Olympia-Starterinnen haben bereits neue Kampagnen angekündigt. Die deutschen 470er-Männer hatten die Qualifikation für diese Spiele verpasst, stehen aber in den Startblöcken. Bevor die neuen GER-Mixed-Teams aber durchstarten, brachten Luise Wanser und Anastasiya Winkel ihre olympische Premiere einen Tag nach dem Medaillen-Fest der Teamkameraden stilvoll zu Ende.
Die Crew vom Norddeutschen Regatta Verein war auch in das Medaillenfinale der besten zehn 470er-Seglerinnen an diesem Mittwoch nicht ohne Gedanken an ihren verheerenden ersten Tag der Olympia-Regatta gestartet . Die Last der Doppel-Disqualifikation wegen einer 200 Gramm zu schweren Trapezhose der Vorschoterin ließ sich bis zum Ende nicht ganz abwerfen, auch wenn die 23-jährige Steuerfrau und ihre 27-jährige Vorschoterin jeden Tag aufs neue wie Löwinnen kämpften, um zu zeigen, "dass wir besser sind, als es unsere Platzierung zeigt", wie es Luise Wanser formulierte. Im Ziel fielen sich die beiden Seglerinnen, die erst seit gut einem Jahr in einem Boot sitzen und mit Rang zwei im Medaillenrennen noch Olympia-Sechste wurden, nach ihrer Achterbahnfahrt der Emotionen in die Arme. Platz sechs muss man mit zweimal 22 Punkten Maximalstrafe auf dem Konto in einem hochkarätigen Olympia-Feld erst einmal erreichen.
Wer rechnen kann und den Konjunktiv bemühen möchte, der kann es den Endergebnissen der Frauen im Abgleich zu den Medaillengewinnerinnen entnehmen: Wären da nicht die Disqualifikationen, sondern die auf dem Wasser ersegelten Ränge fünf und sechs an Tag eins gewesen, hätte diese Crew mindestens an den Medaillen gekratzt. Nun gehören aber Regelwidrigkeiten bei Olympia bestraft (nur vielleicht nicht so hart), und der Konjunktiv ist im Sport nichts wert. Die Vorstellung, zu was Wanser und Winkel imstande gewesen wären und in Zukunft in neuen Team-Konstellationen mit männlichen Teamkameraden noch sein können, ist zumindest tröstlich.
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"Ich habe jeden Tag gerechnet, wie es ohne die Disqualifikation gewesen wäre", gibt Luise Wanser freimütig zu, "ich brauchte das für mein Selbstbewusstsein. Dass ich weiß: Ich bin Weltspitze." Tatsächlich war die erst 2020 neu formierte Crew nicht nur in den eigenen Augen bei diesen Olympischen Spielen für mehr als nur das Dabeisein angetreten. Die überaus ehrgeizigen Frauen hatten ein Jahr lang intensiver trainiert als alle anderen. In vielen Monaten waren sie bis zu 28 Tage auf dem Wasser. Ihr italienischer Trainer hatte der international vor Olympia kaum bekannten Kombination ebenso eine Medaille zugetraut wie andere Trainer, die Luise Wanser und Anastasiya Winkel beim Training in Italien beobachten konnten. Beispielsweise der französische 470er-Trainer Philippe Mourniac, der vor dem Start der Olympia-Regatta sagte: "Ich habe sie im Training gesehen. Die beiden können hier ganz vorn mit dabei sein."
Das klappte aus bekannten Gründen nicht ganz. Doch Platz sechs zeigt am Ende, dass die Experten richtig lagen. Anastasiya Winkel sagte nach dem Finale zu den teaminternen Rechenspielen nur kurz: "Ich glaube, heute wären wir Dritte. Gestern fehlten uns vier Punkte auf Platz drei, und die haben wir heute bekommen." Die Rechenspiele blieben Theorie – aber eine tröstliche und für die Zukunft vielversprechende. Weshalb beide Seglerinnen stolz auf sich und ihr Team waren, bevor sie sich nun schon wieder trennen und neue Mixed-Teams gründen müssen, weil sich das Rad der olympischen Segeldisziplinen weiterdreht. Was bleibt, ist die Erkenntnis von Anastasiya Winkel: "Wir hatten viele Emotionen im Spiel, aber sind bei allem bis zum Ende professionell und ruhig geblieben. Das ist das Höchstniveau an Zusammenarbeit. Das wünsche ich mir auch für die Zukunft."
Der "Wunschzettel" geht an ihren Mann, denn Anastasiya Winkel plant eine Olympia-Kampagne mit Malte Winkel. "Er ist der beste Steuermann, und wir wollen es zusammen versuchen." Auch Luise Wanser will sich im 470er-Mixed beweisen, hat bereits einen Partner im Visier, möchte aber in den kommenden drei Monaten erst ihr Studium beenden und dann offiziell durchstarten. Beide Frauen dürften auf der Haben-Seite des German Sailing Teams stehen bleiben. Für das auch der Trainer Riccardo de Felice ganze Arbeit leistete, indem er die Frauen nach dem Tiefschlag zum Auftakt immer wieder antrieb und dazu motivierte, wieder in Bestform zu agieren.
Über die 470er-Medaillen jubelten zum Schluss der Olympia-Regatta in Japan dieses Mal noch andere: Bei den Frauen segelten die Britinnen Hannah Mills und Eilidh McIntyre zum Olympiasieg. Die Polinnen Agnieszka Skrzypulec und Jolanta Ogar gewannen Silber. Bronze ging an die Französinnen Camille Lecointre und Aloise Retornaz, die kurz nach dem Finale mit einem Protest gegen die beiden vor ihnen platzierten Teams für Schreckmomente und viel Aufregung sorgten, bevor die Jury den Protest gegen das angebliche Teamsegeln der Gegnerinnen abwies. Es blieb nach einer aufgeregten halben Stunde bei den auf dem Wasser ersegelten Platzierungen.
Bei den 470er-Männern hatten sich zuvor die top-favorisierten Australier Mat Belcher und Will Ryan vor den Schweden Anton Dahlberg/Fredrik Bergstrøm und den Spaniern Jordi Xammar/Nico Rodriguez durchgesetzt. Die Männer sorgten nach der Entscheidung für hochemotionale olympische Momente: Der spanische Steuermann Jordi Xammar zertrümmerte vor lauter Freude mit der Faust beinahe den Rumpf seines Bootes, weil er im Überschwang seiner Gefühle immer wieder darauf einhämmerte. Die Schweden lagen minutenlang selig auf dem blauen Teppich der olympischen Slipbahn, und schließlich umarmten sich alle sechs Medaillengewinner lange, herzlich und so fair, dass es eine wunderbare Werbung für den olympischen Segelsport war.