“Als Olympia-Achte saßen wir im August im Zug aus Paris Richtung Deutschland und haben einen Newsletter geschrieben, der deutlich emotionaler gewesen wäre - haben diesen aber nie abgeschickt.
Mittlerweile ist die nötige Ratio eingekehrt und wir stehen nach einigen Wochen des Abstands mit mehr Klarheit im Leben. Was uns jedoch seit dem Sommer bewusst ist und was wir in persönlichen Gesprächen bereits teilweise mitteilen konnten: In der Zukunft werden wir sportlich getrennte Wege gehen.”
Wir sind stolz auf das, was wir aus Kohlhoff Stuhlemmer Sailing seit 2017 gemacht haben.” Paul Kohlhoff
Mit diesen Worten beginnt ein aktueller Newsletter von Deutschlands bester Nacra-17-Crew Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer, die zu diesem Zeitpunkt schon Geschichte ist. Der 29-jährige Kieler schlägt ebenso ein neues Karrierekapitel auf wie seine Vorschoterin. Nach acht gemeinsamen Jahren im olympischen Katamaran und zwei Olympia-Teilnahmen wollen Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer neue Ufer ansteuern. Die sportliche Zukunft peilen die Olympia-Dritten von 2021 und Olympia-Achten von 2024 auf dem jeweils eigenen Weg an.
Alica Stuhlemmer hat bereits die Disziplin gewechselt, absolviert aktuell ihr erstes Trainingslager als iQFOiL-Windsurferin in Cadiz. “Ich schlage nach acht intensiven Jahren im Nacra 17, zwei Olympiateilnahmen und einer Bronzemedaille ein neues Kapitel auf: Ich bin bereits vom Boot aufs Board umgestiegen und werde meine Karriere im olympischen Windsurfen fortsetzen”, sagt die 25-Jährige.
Auf die olympische Zeit mit ihrem Steuermann Paul Kohlhoff blickt sie mit viel Dankbarkeit und Stolz zurück: „Paul und ich haben es mit der Bronzemedaille in Tokio gemeinsam geschafft, uns einen Lebenstraum zu erfüllen. Das wird uns für immer verbinden. Außerdem haben wir ein großartiges Team an unserer Seite und ich bin für jedes Erlebnis und jede Begegnung mit den Menschen, mit denen ich diese Reise teilen durfte, unglaublich dankbar.“
Mit Platz acht hatte das Duo bei den Olympischen Spielen vor wenigen Monaten zwar erneut ein Top-Ten-Ergebnis geholt, doch blieb die zweite Olympiamedaille in der Hitzeschlacht von Marseille bei überwiegend sehr leichten Winden unerreichbar. Für die Trennung des Erfolgs-Duos spielt aber weniger die Olympia-Platzierung als die unterschiedliche Lebensentwicklung eine Rolle auf dem Kurs in die Zukunft.
Alica Stuhlemmer erklärt: “Wie in vielen Lebensbereichen gab es zahlreiche Gründe für diese Entscheidung. Unsere Wege haben sich außerhalb des Sports in unterschiedliche Richtungen entwickelt. In einer Disziplin, in der man mehr als 250 Tage im Jahr zusammen ist – und davon den Großteil im Ausland – wurde es für uns als Team zunehmend schwierig, die notwendige Basis zu finden, um erfolgreich auf Los Angeles 2028 hinzuarbeiten.“
Mein olympischer Traum ist noch lange nicht ausgeträumt.” Alica Stuhlemmer
Alica Stuhlemmer setzt ihre Karriere solo und hochmotiviert auf dem foilenden iQFOiL-Windsurfboard fort. Erste Trainingswochen in Kiel liegen bereits hinter ihr. Mit zunächst geliehener Ausrüstung hat sich Alica Stuhlemmer im Heimatrevier gleich nach dem olympischen Jahreshöhepunkt an die neue Sportart herangetastet und ihr Trainingspensum Schritt für Schritt erweitert. Erfahrene Trainer äußerten sich beeindruckt von ihren Fortschritten, haben positive Rückmeldung zu Talent und Entwicklungspotenzial gegeben.
„Mein Weg im Leistungssport geht weiter. Ich brenne weiterhin für den Segelsport“, sagt Alica Stuhlemmer, die mit ihrem Disziplinenwechsel einen radikalen Schritt wagt „Mit dem iQFOiL habe ich mir eine Einzeldisziplin ausgesucht, die mich sportlich, mental und seglerisch komplett neu herausfordern wird. Ich werde den Segelsport aus einer anderen Perspektive erleben und persönlich und sportlich daran wachsen. Darauf freue ich mich.“
Gleichzeitig weiß Alica Stuhlemmer um die XL-Dimension der neuen Windsurf-Herausforderung: „Die Anforderungen an meinen Körper und die mentale Umstellung, nun alleine auf dem Wasser Entscheidungen zu treffen, sind völlig neu für mich.“ Beim Blick auf den anstehenden Gipfelsturm macht sie sich keine Illusionen: „Ich stehe noch am Anfang. Ich weiß, dass der Weg lang ist, nicht immer gerade verläuft und ich auch Nehmerqualitäten beweisen muss. Natürlich wird die Mission LA28 keine leichte sein, doch das macht gleichzeitig auch den Reiz für mich aus.“
Das Motto der Neu-Windsurferin: “Mutig sein, sich neuen Herausforderungen stellen und daran wachsen.” Über einen möglichen Verbleib in der Nationalmannschaft soll bis zum Ende des Jahres entschieden werden. An Trainingsehrgeiz mangelt es der früheren Nacra-17-Vorschoterin nicht. Sie ist im German Sailing Team als eine der härtesten Arbeiterinnen bekannt. Als ersten Wettkampf hat sie sich den Spanien-Klassiker Trofeo Princesa Sofia zum Etappenziel gesetzt.
“Das wird eine Standortbestimmung für mich. Es wird sicher nicht gleich in der Spitze für mich zur Sache gehen”, sagt die Athletin vom Kieler Yacht-Club mit realistischem Blick auf die Entwicklungsmöglichkeiten. Sie kann aber als eher kleinere Sportlerin in den kommenden Jahren auch davon profitieren, dass die Größe des olympischen Windsurfsegels für Frauen ab der kommenden Saison von acht Quadratmetern auf 7,3 Quadratmeter verkleinert wurde und dann besser zu ihrem Körpergewicht passt.
Ermunterung und auch Unterstützung kommt für die Stuhlemmer-Mission vom German Sailing Team. Sportdirektorin Nadine Stegenwalner sagte: “Alica ist eine ehrgeizige, intensiv arbeitende und fokussierte Sportlerin, die sich gerne Herausforderungen stellt. Wir haben sie bereits zwei Olympiazyklen im Nacra mit vielen starken Erfolgen begleitet und sind gespannt, was nun der LA 2028-Zyklus auf dem Board für Alica bereithält. Wir wünschen Alica viel Erfolg für das spannende Projekt.”
Natürlich wird die Mission LA28 keine leichte sein, doch das macht gleichzeitig auch den Reiz für mich aus.” Alica Stuhlemmer
Beim Blick auf den anstehenden Gipfelsturm macht sich die Leistungssportlerin keine Illusionen: „Ich stehe noch am Anfang. Ich weiß, dass der Weg lang ist, nicht immer gerade verläuft und ich auch Nehmerqualitäten beweisen muss.”
Paul Kohlhoff befindet sich parallel in einer anderen Lebenssituation. Der Fokus des 29-Jährigen vom Kieler Yacht-Club liegt zunächst auf der Geburt seines zweiten Kindes, das er mit seiner Partnerin Jana im kommenden März erwartet. Seine Suche nach “einer vielversprechenden und aussichtsreichen Mission auf dem Wasser oder an Land” dauere noch an. “Sie läuft auf Hochtouren. Bisher aber ohne spruchreifes Ergebnis”, so der erfahrene olympische Steuermann, der sich aktuell aufs Familienleben konzentriert.
Auf die gemeinsame Zeit mit Alica Stuhlemmer blickt Paul Kohlhoff positiv zurück, sagt aber auch: “Es ist an der Zeit, dass wir beide uns neuen Projekten verschreiben und die Vergangenheit hinter uns lassen - immer mit dem Bewusstsein, dass wir gemeinsam Großes erreicht haben und uns für immer dankbar sein werden für den großen Einsatz, die gebrachten Opfer und die Leistungen, zu denen wir uns gegenseitig gebracht haben.”
Weiter sagte Kohlhoff, der immer eine Profikarriere im Segelsport im Visier hatte: “Wir sind stolz auf das, was wir aus Kohlhoff Stuhlemmer Sailing seit 2017 gemacht haben!” Seine Familie, Freunde und langjährige Partner spricht er an, wenn er sagt: “Das Team Kohlhoff Stuhlemmer Sailing wird immer ein fester Bestandteil unserer Leben sein, denn ihr habt uns geprägt und uns angetrieben und ihr standet hinter uns - egal in welcher Situation. Dafür sind wir euch für immer dankbar.”