Tatjana Pokorny
· 11.11.2022
Bei Olympia waren sie mit zwei Bronzemedaillen die erfolgreichste deutsche Segel-Crew der letzten zwei Jahrzehnte. Jetzt schließen Erik Heil und Thomas Plößel dieses Kapitel und wenden sich neuen Zielen zu
Zwei olympische Bronzemedaillen, WM-Silber und unzählige Erfolge mehr haben Erik Heil und Thomas Plößel über zwei Jahrzehnte zu einer der erfolgreichsten deutschen Olympia-Crews gemacht. Über 7.777 Tage haben der Steuermann und sein Vorschoter vom Norddeutschen Regatta Verein gemeinsam Regatten bestritten. Die erste wurde im Mai 2001 beim Tegeler Jüngstenfest mit Platz zwei belohnt, die letzte war die Weltmeisterschaft der olympischen 49er-Klasse in diesem Jahr. Jetzt beenden die Berliner ihre olympische Segelkarriere, konzentrieren sich aufs Medizinstudium (Heil) und den Job (Plößel). Gleichzeitig haben sie neue Segel-Engagements im Visier.
„Wir hören nicht einfach auf, wollen neue Perspektiven schaffen“, sagt Erik Heil. „Wir sind weiterhin da und tragen unser Wissen in die nächste Generation, wollen uns für den Erfolg der anderen engagieren“, sagt Thomas Plößel. Zu diesem Vorhaben sind der 33-jährige Mediziner Erik Heil und der 34-jährige Ingenieur Thomas Plößel in Diensten von Reckmann Yacht Equipment mit ihrem Heimatverein und dem German Sailing Team im Gespräch. Die Idole der deutschen Skiff-Segler wollen „für die jüngeren Teams da sein“, ihnen den Weg ebnen und helfen, den Fokus zu schärfen.
Die Entscheidung, 2024 nicht mehr selbst in Marseille bei den Olympischen Spielen anzutreten, fiel beiden Top-Athleten vom German Sailing Team schwer. Sie ist in diesem Jahr gereift. „Erik und ich sind ehrgeizig. Wenn wir starten, wollen wir was reißen, idealerweise besser sein als beim letzten Mal. Wir haben in diesem Sommer nach längerer berufsbedingter Pause erkannt, dass wir dieses Ziel nur mit einem Aufwand noch einmal erreichen könnten, der finanziell mehr als fordernd ist und nur bedingt mit unseren beruflichen Ansprüchen vereinbar wäre“, erklärt Plößel.
Ein ausschlaggebender Faktor war die Einführung neuer Materialien in der olympischen Skiff-Klasse 49er. „Wir haben in den letzten Jahren von unserem enormen Wissensschatz gezehrt, den wir mit unserem Team, unserem Coach Marc Pickel und unseren Trainingspartnern aufgebaut haben. Dann haben wir definiert, was notwendig wäre, um das Ziel ‚besser als beim letzten Mal‘ anzusteuern.
Um den Höchststand auch mit dem neuen Material wiederherzustellen, um wirklich Olympia-Gold oder Silber ins Visier zu nehmen, wären sehr viel Geld und ein Fulltime-Einsatz erforderlich. Da redet man über etwa eine halbe Million Euro über zwei Jahre. Über diese Herausforderung haben wir mit Verbänden, unserem Verein, unseren Partnern und innerhalb des Teams intensiv gesprochen. Und uns dann ehrlich eingestanden, dass wir diesen Kurs nicht noch einmal einschlagen können und wollen.“ Thomas Plößel ergänzt: „Es gibt auch andere Segel- und Lebensbereiche, die uns Spaß machen und fordern.“
Einer davon könnte in Zukunft ein deutsches SailGP-Team sein. Die deutschen Antreiber sind dazu weiter im Gespräch mit den Veranstaltern. Diese und weitere Ideen werden Erik Heil und Thomas Plößel als Top-Segler weiter aktiv halten. Sie verlassen die olympische Bühne mit einem weinenden und einem lachenden Auge. „Wir haben viel erreicht, unfassbar viel gelernt und hoffen, dass wir der nächsten Generation gute Perspektiven aufzeigen konnten und in Zukunft weiter können“, sagt Thomas Plößel.
„Wir sind auch unsere eigenen Wege gegangen, haben die Führung einer Olympiakampagne neu definiert. Anfangs haben es einige für übertrieben gehalten, dass wir mit Frithjof Schade einen eigenen Projektmanager hatten und uns sehr umfassend und nachhaltig aufgestellt haben. Am Ende war diese Professionalisierung der richtige Weg zum Erfolg“, erklärt Heil das Modell HP Sailing, das so lange so herausragend funktionierte.
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg war die von Heil und Plößel mit ihren Freunden und nationalen Konkurrenten Justus Schmidt und Max Boehme etablierte, enge und offene Trainingsgemeinschaft im Vorfeld der Olympischen Spiele 2016. Nur eine der beiden Crews konnte sich für Olympia qualifizieren, dennoch gingen sie den gesamten Weg als Einheit zusammen. Das erzeugte die Güte, die zum Gewinn der ersten Bronzemedaille zu Füßen von Rio de Janeiros Zuckerhut erforderlich war. Das Finale und der legendäre Doppelsalto der GER-Crew Heil/Plößel in die Fluten der Guanabara-Bucht bleiben unvergessen.
Mit ihren spanischen Trainingspartnern und Freunden Diego Botin Le Chever und Iago Lopez Marra wiederholten Erik Heil und Thomas Plößel ihr Erfolgsmodell der offenen und zielführenden Zusammenarbeit auf dem Weg zu den in Pandemiezeiten fordernden Olympischen Spielen 2020 in 2021 erneut erfolgreich. Im japanischen Revier von Enoshima erkämpften sie ihre zweite Bronzemedaille im spektakulär spannenden Finale.
Die Crew vom NRV Olympic Team hat ihren Weg stets selbstbewusst vertreten, scheute sich auch nicht, einmal anzuecken, wenn es um die optimale Vorbereitung auf Segelgroßereignisse ging. Am Ende waren sie mit zwei olympischen Bronzemedaillen das erfolgreichste deutsche Olympia-Segelteam der vergangenen zwei Jahrzehnte. Außer Jochen Schümann (3x Gold, 1x Bronze) haben nur elf deutsche Steuerleute oder Crew-Mitglieder in der Geschichte des deutschen Segelsports mehr als eine Olympia-Segelmedaille gewinnen können. Erik Heil und Thomas Plößel sind die Jüngsten in dieser Ausnahme-Liga.
Was sie beim wehmütigen Abschied vermissen werden? „Definitiv das Gefühl, in hochkarätigen Goldfleets vor dem Feld zu pendeln. Das Pushen in niveauvollen Rennen. Den Kampf, sich in einem Rennen von Position fünf noch nach vorn zu segeln. Einfach dieses Gefühl, wenn alles geht, dein Boot perfekt fährt“, sagt Thomas Plößel. Erik Heil nickt: „Dem ist nichts hinzuzufügen.“
Was ihnen der Leistungssport fürs Leben geschenkt hat? Erik Heil denkt kurz nach und sagt: „Viel, muss ich sagen. Das grenzt den Segelsport so wunderbar von allen anderen Sportarten ab: seine unfassbare Vielseitigkeit, seine unendlichen Möglichkeiten. Du bist nicht nur Leistungssportler, du hast dich um ein Projekt zu kümmern, zu dem Materialentwicklung auf hohem Niveau, Logistik, Reiseplanung, Ernährungsthemen und sehr viel mehr gehört.“
Es sei unglaublich, so Thomas Plößel, wie sehr einen der Segelsport über den Tellerrand blicken lasse: „Ich merke jetzt in meinem Job, was der Sport, die Reisen in so viele Länder, der Kontakt mit den unterschiedlichsten Kulturen mir an Softskills wie beispielsweise eine gute Kommunikation und auch viel Wissen über mich selbst und einfach insgesamt fürs Leben gebracht hat.“
Als komplementäre Charaktere haben Erik Heil und Thomas Plößel in ihrer olympischen Karriere auch voneinander profitiert. „Ich habe so viel von Erik gelernt“, sagt der Vorschoter, der es andersherum ganz ähnlich erlebt hat. Seitdem sie mit ihrem ersten wichtigen und weitsichtigen Trainer Michael Koster als Teenager in ihre Weltkarriere starteten, beflügeln sich Heil und Plößel bei aller Unterschiedlichkeit auf dem Wasser sehr effektiv. Die Idee der Olympischen Spiele leuchtet für beide weiter. Die Spiele waren und sind einer der wichtigsten Motivationsfaktoren für die einzigartige Karriere, in der Heil und Plößel nun ein großes Kapitel schließen, um neue zu öffnen.
Ihren Dank richten die Sportler beim Abschied vom olympischen Powerplay an jene, die sie inspiriert, motiviert, begleitet, getröstet, beglückwünscht und beflügelt haben. „Ohne sie hätten wir dieses große olympische Segelkapitel in unserem Leben nicht so schreiben können, wie es möglich war“, sagt Erik Heil. Das gilt den Eltern, Familien und Freunden von Erik Heil und Thomas Plößel, aber auch Verbänden, Vereinen und Förderern. „Die Partnerschaften haben uns sehr vieles ermöglicht, auf das wir stolz sind und das wir gerne geteilt haben“, sagt Thomas Plößel.