Tatjana Pokorny
· 01.08.2012
Die deutschen Surfer haben Spaß und Erfolg. Ben Ainslie von beidem für seinen Geschmack zu wenig. Nun wähnt sich das Idol sogar betrogen
Die olympische Regatta hat ihr erstes "Weymouth-Gate": Englands Segelidol Ben Ainslie hat zwar am Donnerstag erstmals den bislang überragend segelnden Dänen Jonas Hogh-Christensen zweimal überflügeln können und seinen Abstand zum überraschenden Spitzenreiter vor den letzten beiden Wettfahrten bis zum Medaillenrennen der Finn Dinghis am Sonntag auf nur noch drei Punkte verkürzt. Doch der 35-Jährige kam nach den Rennen alles andere als erfreut an Land.
Ainslie beschuldigte sowohl Jonas Hogh-Christensen als auch den holländischen Segler Pieter-Jan Postma, sich gegen ihn verbündet zu haben. Vorausgegangen war auf dem Wasser in Wettfahrt acht Ainslies knappe Rundung einer Wendemarke. Sowohl Hogh-Christensen als auch Postma gaben sofort mit wehenden Protestflaggen und lautem Geschrei zu erkennen, dass Ainslie die Tonne berührt habe. Der Brite beschwor später an Land, das er genau das nicht getan hätte.
Dennoch entlastete er sich sicherheitshalber mit einem Strafkringel. Denn er musste davon ausgehen, sich in einer möglichen Protestverhandlung nicht erfolgreich gegen zwei Zeugen verteidigen zu können. An Land stampfte Ainslie mit einiger Wut im Bauch auf und sagte: "Jonas und der Holländer haben sich gegen mich zusammengetan. Das regt mich tierisch auf und wird mich morgen erst recht anfeuern." Der sonst nur auf dem Wasser forsch bis aggressiv agierende Brite sagte wörtlich: "That pisses me off." Wir übersetzen lieber nicht.
Jonas Hogh-Christensens Antwort kam postwendend: "Wenn Ben das wirklich glaubt, dann soll er doch protestieren. Stattdessen hat er den Strafkringel gedreht. Hier bilden sich doch nicht plötzlich Gangs gegen einen anderen Segler. Ich habe gesehen, wie Ben die Tonne berührt hat. Und der Holländer eben auch."
Man möchte beiden Seiten glauben, und doch muss eine geschwindelt haben. Aber wer? Die Suche nach der Wahrheit mithilfe von Fernsehbildern war bis zum Abend noch ohne Erfolg geblieben. Ein Vorspiel zu dem eskalierenden Streit im Kampf um Edelmetall hatte es bereits am Dienstag gegeben. Da hatte Ainslie, man glaubt es kaum, den Holländer nach einem Start auf einen vermeintlichen Frühstart hingewiesen. Pieter-Jan Postma kehrte draufhin tatsächlich zur Linie um, zählte aber gar nicht zu den Frühstartern und war entsprechend erbost. Ben Ainslie hat sich später an Land für seinen Hinweis entschuldigt. Besänftigt hat das den Holländer wenig, der sich aber wohl auch über seine eigene Dummheit ärgerte: Wer fährt schon zurück zur Linie, weil ein Gegner im Kampf um olympische Medaillen es rät?
Die Wogen schlagen bei den Finnseglern hoch und höher. Man mag sich kaum ausmalen, was am Freitag in den beiden letzten Wettfahrten noch passieren wird. Vom Medaillenrennen am Sonntag nicht zu reden, wenn mehr als zehntausend Fans auf den Grüns der Festung "The Nothe" und in der Strandarena von Weymouth ihren Segelstar Ben Ainslie siegen sehen wollen. Es werden aber auch Jonas Hogh-Christensens Vater Jens und eine dänische Fangemeinde sowie Anhänger weiterer Medaillenkandidaten in der britischen Segelarena auf dem Medaillenkurs "The Nothe" erwartet.
Dort möchten Toni Wilhelm und Mona Delle am 7. August gern um eine Medaille kämpfen. Die beiden RS:X-Surfer sind und bleiben zur Halbzeit der olympischen Regatta die leistungsstarken und fröhlichen Aushängeschilder der DSV-Flotte. Toni Wilhelm surfte am Donnerstag mit den Rängen zwei und fünf auf Platz zwei. Zwei gelungene Starts, eine sehr gute taktische Leistung in Wettfahrt 5 und eine gelungene Aufholjagd im sechsten Rennen bescherten dem Schwarzwälder glänzende Aussichten. Der kam entsprechend entspannt von der Piste und sagte: "Ich bin mit meinen Leistungen wirklich zufrieden, aber wir werden erst am Ende sehen, ob es zu etwas Großem reicht." Der Schwarzwälder bleibt bodenständig und bescheiden, wird am morgigen Ruhetag seine Eltern in Weymouth treffen und freut sich auf den Besuch seiner Schweizer Freundin Anne-Sophie Thilo.
YACHT online fragte am Abend den "Fliegenden Holländer" Dorian van Rijsselberge, der das Klassement mit fünf von sechs möglichen Wettfahrtsiegen mit überragender Geschwindigkeit anführt, wie Toni Wilhelm ihn wohl einholen könnte. Der lange Surfer lachte und sagte: "Toni soll sich einfach eine Rakete ans Board bauen..." Nach kurzer Pause fügte er etwas ernsthafter hinzu: "Toni surft super und ist extrem schnell."
Mit strahlendem Lächeln kehrte auch "Sonnenschein" Moana Delle in den Olympiahafen auf Portland zurück. Nach den Rängen neun und fünf startet die Kielerin am Samstag als Gesamt-Vierte in die nächsten Rennen. Die 23-Jährige berichtete: „Ich hatte wieder sehr viel Spaß heute da draußen. Wir hatten fast schon typische Weymouth-Bedingungen. Es waren mehr Speedrennen, also nicht so ganz meine Lieblingsbedingungen. Meine Starts waren okay. Ich habe in beiden Rennen die Nachstartphase nicht perfekt hinbekommen, dann aber wieder aufholen können.“
Einen Dämpfer mussten die Starbootsegler Robert Stanjek und Frithjof Kleen hinnehmen. Die Berliner vom Norddeutschen Regatta Verein und dem Verein Seglerhaus am Wannsee kassierten in ihrer siebten Wettfahrt eine Frühstart-Disqualifikation und kreuzten die Ziellinie der achten Wettfahrt als elfte. Damit fielen sie in der Gesamtwertung Wettfahrten vor dem Medaillenrennen der besten zehn Starboot-Crews am kommenden Sonntag auf Platz acht zurück.
DSV-Sportdirektorin und Deputy Chef de Mission Nadine Stegenwalner nahm die Crew in Weymouth in Schutz: „Der Frühstart ist natürlich ärgerlich für die Mannschaft. So ein Frühstart sollte nicht, kann aber in einem solchen Weltklassefeld passieren. Man muss ein gewisses Risiko in Kauf nehmen, wenn man sich mit den Besten messen will. Ich bin sicher, dass die beiden morgen noch einmal angreifen werden, um sich für das Medaillenrennen die bestmögliche Ausgangsposition zu verschaffen.“ An der Spitze der Starbootflotte liefern sich erwartungsgemäß die beiden Doppel-Olympiasieger Iain Percy und Robert Scheidt ein Giganten-Duell. Vor den letzten beiden Wettfahrten bis zum Medaillenrennen haben sich allerdings die Briten inzwischen mit rasender Vorwind-Geschwindigkeit einen Neun-Punkte-Vorsprung erworben, den auch ein Robert Scheidt samt Vorschoter Bruno Prada nicht mal so eben egalisieren können wird.
Am Donnerstag startete auch die jüngste Mannschaft unter deutscher Flagge in die Olympia-Serie. Ferdinand Gerz und Patrick Follmann aus München, beide 23 Jahre jung, ersegelten bei ihrem Olympia-Debüt in starken Winden um 20 Knoten die Ränge 15 und 17, liegen in der Gesamtwertung auf Platz 16. Steuermann Ferdinand Gerz sagte: "Ich bin nicht unzufrieden, aber das Ergebnis ist ausbaufähig." Am Freitag starten endlich auch die 470er-Seglerinnen Kathrin Kadelbach und Friederike Belcher in ihre Olympia-Premiere.