Tatjana Pokorny
· 06.08.2012
Segler und Fans trauern mit den Surfern um die verpassten Medaillenchancen. Dennoch: Toni Wilhelm und Moana Delle haben inspiriert
Die Szene war anrührend: Als die deutschen Surfer – geschlagen im Kampf um die Medaillen – am Dienstag in den Hafen zurückkehrten, wurden sie begrüßt wie Sieger. Eine kleine Abordnung deutscher Trainer stand mit übergroßer schwarz-rot-goldener Flagge im Wind, setzte damit ein Signal und feierte Toni Wilhelm und Moana Delle, als hätten sie nicht gerade die ersehnten Medaillen verloren. Während andere geschlagene Athleten ihre Ausrüstung alleine an Land schleppten und durch den Hafen schlichen, bekamen die deutschen Surfer den Rückhalt, den sie sich mit einer Woche mit eindrucksvollen Leistungen verdient hatten. Auch ohne Medaille.
"Man kann auch als Vierter bei Olympia gewinnen", sagte Toni Wilhelm nach dem Medaillenfinale der RS:X-Surfer und setzte damit ein Zeichen gegen den Medaillen-Tunnelblick, der so manch einen an diesem Tag vorzeitig dazu verleitete, vom deutschen Segel-Desaster zu sprechen. Doch wie kann es ein Desaster sein, wenn eine junge Mannschaft vierte, fünfte und sechste Plätze beim Gipfeltreffen ihres Sports erkämpft?
Natürlich hat sich Toni Wilhelm nichts mehr als ein Happy End für seinen Olympiaeinsatz gewünscht. Dafür hat er über Jahre hart gearbeitet und im Olympia-Revier vor Weymouth gekämpft. Bis zuletzt hat er nach der Bronzemedaille gegriffen, die ihm im Endspurt der Pole Przemyslav Miarcynski vor der Nase wegschnappte. "Der gewinnt seit 20 Jahren Medaillen", hatte Wilhelm selbst vor dem Finale gesagt, in das er als Dritter mit sechs Punkten Vorsprung vor dem Polen gestartet war, "das wird kein Selbstläufer." Wilhelm sollte Recht behalten.
Weil der Schwarzwälder ausgerechnet im Schlussspurt nach einem Linksdreher im zu spitz werdenden Winkel seinen Start verpatzte und es in den böigen Winden auf dem kurzen Kurs der Segelarena "The Nothe" auch mit der Aufholjagd nicht klappte, erreichte Wilhelm das Ziel im Finale erst als Neunter. Viel zu spät. Der Pole hatte die Linie als Vierter gekreuzt. Insgesamt 60 Punkte reichten dem erfahrenen Miarcynski im vierten Olympia-Einsatz zur ersten Bronze-Medaille. Toni WIlhelm blieb mit 64 Punkten Platz vier. "Blech", wie er selbst sagte.
Am selben Tag, als die deutschen Dressur-Reiter ihre angestammte Goldmedaille Gastgeber Großbritannien überlassen mussten und die Schwimmer in der Heimat längst als "Null-Nummern" verspottet wurden, kam der Verlust der erhofften deutschen Surf-Medaille bei oberflächlichen Beobachtern nicht gut an. Von "Desaster" war da schnell die Rede. Da fehlen einem die Worte.
Toni Wilhelm hat im Olympia-Revier mitreißende Leistungen gezeigt und war erst am Ende der Serie aus dem Tritt geraten. Seine eigene Bilanz: "Natürlich war ich im ersten Moment sehr enttäuscht. Ich war meinem Traum so nah, habe mein ganzes Leben auf diesen Tag gewartet... und ich habe nach dem Rennen auch eine Träne verdrückt. Vor allem, weil nun erst einmal alles zu Ende ist. Ich hatte eine tolle Zeit mit meinem Coach und eine super Woche. Ich lebe auch ohne meine Medaille weiter."
Und Toni WIlhelm holte noch weiter aus: "Man muss auch anerkennen, dass wir mit der ganzen DSV-Flotte eine tolle Woche hatten. Ein vierter, ein fünfter und zwei sechste Plätze – das sind doch nicht irgendwelche Ergebnisse. Das sind richtig gute Leistungen bei Olympia."
Zu diesen Leistungsträgern zählte auch Moana Delle. Die 23 Jahre junge Surferin war bei ihrem Olympia-Debüt wie Wilhelm mit Medaillenchancen in ihr Finale gestartet. Ein Punkt Rückstand nur auf Doppel-Weltmeisterin Lee-El Korsiz aus Israel, und die Finnin Tuuli Petaja erschien aufholbar. Doch auch Moana Delle wurde im Start von anderen Surferinnen "überfahren" und erreichte die erste Wendemarke nur als letzte der zehn Finalistinnen. Die Kielerin legte eine eindrucksvolle Aufholjagd hin, die jedoch in dem halbstündigen Rennen über die kurzen Kursabschnitte zu nicht mehr führte als Rang sechs.
So musste Delle sich mit Platz fünf bei ihrer Olympia-Premiere anfreunden, während die Medaillen an Spanien, Finnland und Polen gingen. Aber die gebürtige Münsteranerin nahm ihr Schicksal in der gleichen erfrischenden Weise an, wie sie die ganze Regatta über gesurft hatte: "Ich bin traurig und glücklich zugleich. Es ist schade, dass eine mega Regatta mit so einem Rennen zu Ende gegangen ist. Für mich geht hier mit dem Windsurfen ein Lebensabschnitt vorbei. Ich werde mich sicher mal auf ein Kiteboard stellen. Ich habe das früher schon einmal gemacht, fand aber das Windsurfen attraktiver." Auf die Frage nach einem Comeback für den Fall, das der Weltseglerverband seine Entscheidung gegen das Windsurfen noch einmal überdenkt, sagte Delle: "Surfen in Rio? Warum nicht? Klar! Dort herrschen mit den leichten Winden genau meine Bedingungen."
Fast unbemerkt sprangen im Schatten der Medaillenrennen der RS:X-Surfer die 470er-Seglerinnen Kathrin Kadelbach und Friederike Belcher am Dienstag mit den Rängen sechs und fünf auf Platz sechs vor. Mit 25 Punkten Rückstand auf den Bronzeplatz haben die Berlinerin und die Hamburgerin zwar in den verbleibenden beiden Rennen bis zu ihrem Medaillenfinale eine schwere Aufgabe anzugehen. Unlösbar aber ist sie nicht.