Tatjana Pokorny
· 29.07.2012
Vorhang auf zur Olympia-Premiere für Simon Grotelüschen: Der Lübecker Lasersegler startet heute in seine beiden ersten Rennen vor Weymouth
Zum ersten Mal seit 16 Jahren wird bei den Olympischen Spielen ab heute wieder ein deutscher Lasersegler auf Medaillenjagd gehen. 1996 war es Stefan Warkalla, der in einem dramatischen Finale knapp an der möglichen Bronzemedaille vorbeisegelte und Fünfter wurde. Jetzt will es Simon Grotelüschen wissen.
Der Mediziner steht nach 17 Jahren Segeln vor dem Höhepunkt seiner Sportkarriere und ist in bestechend guter Form. Auf die Teilnahme am letzten Trainingsrennen am Sonntag hatte der Lübecker selbstbewusst verzichtet: „Das verlängert die Regatta doch nur.“
Simon Grotelüschen fühlte sich am Montagmorgen vor seiner Olympia-Premiere rundum wohl. Im typisch britischen Town House der deutschen Segler teilt er sein schönes Zimmer im obersten Stockwerk mit 470er-Segler Ferdinand Gerz aus München. Mitgebracht hat er ein Poster, ein Bild von sich und seiner Freundin Geeske sowie eine Karte seiner Mutter. Die Eröffnungsfeier hat er „wie in einem Traum“ erlebt.
Anders als der olympische Laser-Favorit und mehrfache Weltmeister Tom Slingsby oder der britische Olympiasieger Paul Goodison hat Grotelüschen zwar bislang noch keinen ganz großen Titel bei Welt- oder Europameisterschaften gewonnen, doch seine Leistungskurve ist in den letzten zwei Jahren eindrucksvoll gestiegen.
Grotelüschen ist wie eine Handvoll weiterer Konkurrenten dran am „Starkwindgott“ Slingsby, wie ihn Sparring-Partner und Kieler-Woche-Bezwinger Philipp Buhl einmal nannte. Der Australier ist die Nummer eins der Lasersegler, das Maß der Dinge im Wettkampf auf den nur 4,20 Meter langen Jollen. „Slingsby ist bei allen Bedingungen der Top-Favorit“, sagt Grotelüschen, der für sich nicht von einer möglichen Medaille, sondern lieber von seiner „bestmöglichen Leistung“ spricht, wenn es um die persönlichen Olympiaziele geht.
Er selbst sei, so Grotelüschen schnörkellos, mental gut eingestellt und habe auch seine einstige Leichtwindschwäche überwunden. „Früher war es für mich undenkbar, ein Leichtwindrennen zu gewinnen, heute gelingt mir das ohne Probleme.“ Dass sich der Kampf um olympische Medaillen vor allem im Kopf abspielt, will der selbstbewusste und mit 1,95 Meter längste Leistungsträger unter den deutschen Seglern nicht bestätigen: „Die mentale Verfassung ist nur ein Baustein. Da bin ich gut aufgestellt. Basis für den Erfolg aber ist die Geschwindigkeit. Mit Taktik allein lässt sich keine Regatta gewinnen.“
Der Laser schreit nach athletischen Seglern. „Man muss sich quälen können“, weiß der lange Norddeutsche. Grotelüschens Gardemaß bringt als Hebel Vorteile mit sich, seine sehr langen Beine eher nicht. Je länger sie sind, so sagt er, desto schwieriger sei es, sie ökonomisch einzusetzen.
Schnell ist er trotzdem, der Stolz des Lübecker Yacht-Clubs, der bei seiner Vorbereitung auch von der Zusammenarbeit mit dem ihm in der nationalen Olympiaqualifikation unterlegenen Sonthofener Sportsoldaten Philipp Buhl profitierte. „Ich bin Philipp sehr, sehr dankbar. Wir sind ganz unterschiedliche Segler, ergänzen uns aber gut“, attestiert Grotelüschen dem jüngeren Buhl.
Grotelüschens letztes Weltcup-Ergebnis im Olympiarevier konnte sich sehen lassen. Der 84 Kilogramm schwere Steuermann wurde hier vor Weymouth Sechster – eine Frühstart-Disqualifikation verhinderte die durchaus mögliche Podiumsplatzierung. Grotelüschens sportliche Vorbilder sind der deutsche Basketballer Dirk Novitzki und der norwegische Biathlet Ole Einar Bjoerndalen – beide geschliffene Diamanten ihrer Disziplinen, die mindestens zwei Eigenschaften mit Grotelüschen teilen: den Spaß am Wettkampf und einen Hang zum Perfektionismus.
Grotelüschen hat sich nach fünf Jahren geteilter Freude zwischen Segel- und Feldhockeysport als Teenager für die größere Freiheit in Wind und Wellen entschieden, weil er dafür mehr Leidenschaft empfand. Für ihn ist Segeln am schönsten, „wenn ich in sechs Beaufort Wind die Wellen herunterbrettere und trotzdem noch alles unter Kontrolle habe“. Grotelüschen schätzt die Vorteile des Individualsports, hat aber inzwischen auch die Nachteile des Einzelsportlers erlebt: „Niederlagen und Erfolge gemeinsam wegstecken und genießen hat auch etwas für sich.“ Diese Erkenntnis mag ihn später einmal auf andere Boote führen.
Zurzeit aber ist der Laser Mittelpunkt seines Lebens. Der zielstrebige Lübecker nimmt sich auch an Land die Freiheit, seinen Weg ungestört zu gehen. Er lässt sich und seinen Tagesablauf grundsätzlich nicht von äußeren Umständen beeinflussen. Er braucht Gewohnheit und Ruhe für seine Konzentration. Das gilt für Trainingseinsätze genauso wie für Regatten. Und so ist zwar seine ganze Familie mit den vier älteren Geschwistern und Freundin Geeske in England, wenn ihr Sohn, Bruder und Freund als Olympionik angreift, doch treffen wird Simon sie während der Regatta nicht. Er kann und will an seiner Wettkampfroutine nichts ändern: „Meiner Vorbereitung muss sich alles unterordnen.“
Dass Sten Nadolnys Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ zu Grotelüschens Lieblingsbüchern zählt, passt ein wenig zum Reifeprozess der deutschen Lasersegler und zu Simon Grotelüschen. Die Hauptfigur John Franklin, ein englischer Kapitän und Polarforscher, hat Mühe, der Schnelllebigkeit seiner Zeit zu trotzen, wird aber mit seiner Beharrlichkeit trotzdem ein erfolgreicher Entdecker. Es geht um das richtige Tempo. Den ganz persönlichen Weg. So wie bei Simon Grotelüschen. Er wird die olympische Herausforderung auf seine Weise annehmen. Und hat dabei prominente Fans wie den dreimaligen Olympiasieger Jochen Schümann, der sagt: „Simon wird definitiv um eine Medaille kämpfen.“