Tatjana Pokorny
· 05.08.2012
Tom Slingsby gewinnt das Gold, das er in China nicht haben konnte. Simon Grotelüschen beendet sein Olympia-Debut mit einer Galavorstellung
Auf den Wiesen und Hängen der Festung "The Nothe" haben sich die deutschen Fans am Montag schon einmal in Stimmung gebrüllt, bevor es am Dienstag für die Surfer um Medaillen geht. Wehende deutsche Flaggen und viel Beifall begleiteten den Lübecker Simon Grotelüschen bei seiner gelungenen Abschiedsgala und dem Sieg im Medaillenrennen in der Segelarena zwischen Weymouth und der Halbinsel Portland.
Dieses Erlebnis nimmt Simon Grötelüschen als schönste Erinnerung von den Olympischen Spielen mit nach Hause: "Was für ein Riesenpublikum! Ich habe meinen Vater, meine ganze Familie, meine Freundin und die vielen Fans gesehen – eine super Unterstützung. Mir war es heute sehr wichtig, mich noch einmal zu verbessern."
Mehr als 5000 Zuschauer sahen zu, als sich der Australier Tom Slingsby seine hochverdiente Goldmedaille sicherte, indem er den Zyprioten Pavlos Kontides in Deckung nahm. Später sagte der als sehr fairer Sportler bekannte Slingsby noch: "Ich hätte die Deckung aufgemacht, wenn er dadurch Silber verloren hätte."
Für Slingsby lief es dieses Mal nach Plan. Der fünfmalige Laser-Weltmeister war schon vor vier Jahren in China als Top-Favorit in die Olympia-Regatta gestartet und musste bitter geschlagen als 22. nach Down Under zurückkehren. Doch er gab nicht auf. "Ich habe die letzten vier Jahre noch härter gearbeitet. Ich habe zwölf Jahre auf diesen Erfolg warten müssen. Wenn ich dieses Mal das Gold nicht gewonnen hätte, hätte ich den olympischen Sport wahrscheinlich an den Nagel gehängt."
Das musste er nicht tun. Dieses Mal hat der sympathische Australier seine Ausnahme-Leistungen voll abrufen können. Es gibt keinen Lasersegler auf der Welt, der dem von Philipp Buhl einmal als "Laser-Gott" bezeichneten Mann die Goldmedaille nicht gönnt. Auch der zweitplatzierte Pavlos Kontides schrieb am Montag Sportgeschichte, weil er seinem Land mit Silber die erste Medaille bei Olympischen Spielen bescherte. Bronze erkämpfte sich nach einer Zitterpartie der Schwede Rasmus Myrgren. Der freute sich im Ziel zunächst riesig, das Duell um Edelmetall gegen Tonci Stipanovic gewonnen zu haben. Dann aber überbrachte der Trainer die Hiobsbotschaft: Gegen den Skandinavier lag ein technischer Protest der Vermesser vor. Der war erst zwei Stunden später vom Tisch. Myrgren kam mit hochgerissenen Armen aus dem Jury-Raum.
Im Laser Radial hatte zuvor die Chinesin Lijia Xu mit ihren Gegnerinnen kurzen Prozess gemacht. Die freundliche Steuerfrau aus Shanghai legte trotz eines Penaltys einen Start-Ziel-Sieg hin und ließ sich auch von der immer wieder angreifenden Marit Bouwmester nicht aus dem Konzept bringen. Im ersten Blitzinterview mit der BBC sagte Lijia Xu: "Ich habe das alles hier mit sehr viel Freude gemacht. Ich habe mein Bestes für Weymouth, für das Publikum und für mein Land gegeben."
Die Holländerin Bouwmester musste sich unter den Augen ihres Freundes Ben Ainslie, der ebenfalls als Fan am Ufer war, mit Silber zufrieden geben. Evi van Acker aus Belgien jubelte im Ziel über Bronze, das sie gegen die attackierende junge Irin Annalise Murphy mühsam erkämpfen musste. Franziska Goltz aus Schwerin hatte ihr Olympia-Debut schon vor dem Medaillenrennen der besten zehn Steuerfrauen als 26. beendet.
Für Tobi Schadewaldt und Hannes Baumann gab es in den letzten beiden Wettfahrten der 49er kein Happy End. Während die Australier und die Neuseeländer ihre Gold- und Silbermedaillen vorzeitig mit einem enormen Punktvorsprung sicherten und am Mittwoch nur noch zum Medaillenrennen antreten müssen, scheiterten die Kieler knapp am Cut für das Finale der besten zehn Crews. Als Elfte reichte es für die Deutschen gerade nicht zum Einzug ins Finale. Tobi Schadewaldt sagte: "Das war knapp an der eigenen Zielsetzung vorbei. Ich bin traurig darüber. Wir haben heute echt gekämpft."
Dennoch zogen die 49er-Segler positiv Bilanz. Tobi Schadewaldt sagte: "Olympia war und ist ein supertolles Erlebnis, auch wenn es für uns eine unglaublich harte Regatta war." Zum geradezu außerirdischen Vorsprung der australischen Spitzenreiter sagte Schadewaldt: "Die segeln in einer anderen Welt, haben ein komplett anderes Speedpotenzial. Dabei können sie natürlich nicht zaubern. Aber der Rest der Flotte rätselt, wie sie das machen."
Die Crew vom Norddeutschen Regatta Verein und vom Yachtclub Berlin-Grünau nimmt sich wie Simon Grotelüschen nach den Olympischen Spielen zunächst eine Auszeit, um über die Fortsetzung der olympischen Karriere nachzudenken. Schadewaldt sagte: "Wir machen erst einmal Pause, aber wir verstehen uns immer noch gut." Hannes Baumann setzte fort: "Wir haben unseren Zenit noch nicht überschritten."
Die Auszeichnung als "Fan des Tages" gebührt dem "Fliegenden Holländer" Dorian van Rijsselberge, der sich einen Tag vor seinem eigenen Finale mit krachend orangefarbener Langhaar-Perücke zu den Fans auf dem Festungsgelände von "The Nothe" gesellte, um Laser-Frau Marit Bouwmester zum Sieg zu schreien. Ganz hat es nicht gereicht. Dafür hat van Rijsselberge am Dienstag den eigenen Olympiasieg im Visier. Rechnerisch ist ihm Gold nicht mehr streitig zu machen. Laut Reglement muss er nur noch zum Rennen antreten.
Der Kampf um Silber und Bronze aber wird auch die deutschen Fans in den Bann ziehen. Denn einer der Hauptakteure ist Toni Wilhelm aus Dogern. Der Schwarzwälder könnte den Briten Nick Dempsey (35 Punkte) noch vom Silberplatz verdrängen, wäre aber auch mit Bronze "superglücklich" und wird deshalb sehr auf den einzigen Mann achten, der ihn noch vom Bronzeplatz verdrängen kann: Przemyslaw Miarcynski startet mit 52 Punkten in das Finale – sechs Punkte mehr als Wilhelm (46 Punkte). Die bedeuten im doppelt gewerteten Medaillenrennen drei Plätze.
Auch Moana Delle steht vor einer interessanten Herausforderung: Als Gesamt-Vierte startet sie mit nur einem Punkt Rückstand auf die Plätze zwei und drei. Wie bei den RS:X-Männern ist auch bei den Frauen die Spitzenreiterin Marina Alabau dem Feld enteilt. Bei den Frauen aber haben die Verfolgerinnen rechnerisch sogar noch Chancen, die Spanierin abzufangen.
So sind Platzierungen und Punkte vor dem Finale verteilt: 1. Marina Alabau (24 Punkte), Lee-El Korsitz (Israel, 38 Punkte), 3. Tuuli Petaja (Finnland, 38 Punkte), 4. Moana Delle (39 Punkte). Bis inklusive der siebtplatzierten Britin Bryony Shaw haben weitere drei Surferinnen noch Medaillenchancen. Viel Luft für taktische Spielchen bleibt da nicht. Und das ist gut für Moana Delle, die "einfach nur schön racen" will.
Gute Nachrichten bescherte Michael Vesper den Seglern bei einem Besuch am Montag. Der Chef de Mission der Deutschen Olympiamannschaft erlebte die beiden Medaillenrennen auf dem Wasser, freute sich "über den großen Erfolg für den jungen Athleten Simon Grotelüschen" und stelle dem Segelsport insgesamt anschließend ein hervorragendes Zeugnis aus: "Mir ist nicht bange um den Segelsport. Er ist olympisch nicht gefährdet. Vor vier Jahren schon und jetzt hier zeigt sich doch seine ganze Attraktivität."
Wer am Dienstag mit den deutschen Surfern mitfiebern will, der ist im Live-Stream von ARD und ZDF (zdfsport.de und sportschau.de) gut aufgehoben. ZDF-Reporter Nils Kaben kommentiert das Geschehen. Das ZDF zeigt auch im Fernsehen Ausschnitte aus dem Rennen.