Olympia 2012"Copenhell" in der Segelarena

Tatjana Pokorny

 · 03.08.2012

Olympia 2012: "Copenhell" in der SegelarenaFoto: Marina Könitzer
Toni Wilhelm bei seinem Tagessieg

Toni Wilhelm lässt es mit dem ersten Tagessieg krachen. Und Großbritannien fiebert den Medaillenrennen der Stare und Finnsegler entgegen.

  Zwei, die sich verstehen und respektieren: Dorian van Rijsselberge und Toni WilhelmFoto: Marina Könitzer
Zwei, die sich verstehen und respektieren: Dorian van Rijsselberge und Toni Wilhelm

Toni Wilhelm will es wirklich wissen. Der Schwarzwälder hat seine Medaillenambitionen am Samstagnachmittag mit einem dicken Ausrufezeichen versehen, als er die achte Wettfahrt gewann. "Ich habe im Ziel so geschrien vor Freude, dass ich beim Jubeln sogar ins Wasser gefallen bin", berichtete der sympathische Schwarzwälder, der erstmals dem "Fliegenden Holländer" Dorian van Rijsselberge die Flügel ein wenig stutzen konnte. Der humorvolle und bei den Surfern sehr beliebte Windsurfer aus den Niederlanden hat bislang fünf Siege in acht Wettfahrten eingefahren und kann sich seine Goldmedaille mit einem weiteren Glanztag bereits am Sonntag in den letzten beiden Wettfahrten vor dem Medaillenrennen sichern.

  Toni Wilhelm bei seinem TagessiegFoto: Marina Könitzer
Toni Wilhelm bei seinem Tagessieg

"Es gäbe keinen verdienteren Sieger", sagt Toni Wilhelm, "Dorian surft hier fast wie von einer anderen Welt." Seine eigene Leistung beim Tagessieg fasste Wilhelm so zusammen: "Ich hatte einen geilen Steuerbord-Start. Hinter mir sind alle peu à peu rausgefallen. Auch taktisch war ich saugut und mit viel Speed unterwegs, konnte dann gut covern und den Vorsprung ins Ziel bringen."

Nicht annähernd so entspannt wie Wilhelm und van Rijsselberge, der augenzwinkernd auf Nachfrage von YACHTY online sagte, er hätte heute gleich zwei Raketen an Toni Wilhelms Board gesichtet, präsentierte sich Großbritanniens Medaillenkandidat Nick Dempsey, der sich trotz der Ränge zwei und drei sicht- und hörbar darüber ärgerte, dass ihm Wilhelm in der achten Wettfahrt enteilt war. "Ich werde nicht gerne von einem Deutschen geschlagen", gab der Brite brummig von sich. "Dann soll er sich mal schön weiter ärgern", gab Wilhelm heiter zurück. Seine bisherige Taktik will der 29-Jährige aus Dogern für die ausstehenden beiden Wettfahrten am Freitag nicht ändern. Er weiß aber: "Wenn jemand morgen schon beginnt, auf andere zu fahren, dann muss ich mich dem natürlich stellen. Davor habe ich aber keine Angst. Ich bin schnell unterwegs."

  Selbstbewusst im Olympiarevier und optimistisch trotz Flüchtigkeitsfehler: Moana Delle auf dem RS:X-BoardFoto: Marina Könitzer
Selbstbewusst im Olympiarevier und optimistisch trotz Flüchtigkeitsfehler: Moana Delle auf dem RS:X-Board

Auch Wilhelms Trainingsparterin Moana Delle surft im Olympia-Revier vor Weymouth weiter auf der Erfolgswelle. Die Kielerin belegte am Samstag die Ränge vier und neun und hat als Gesamt-Sechste vor den beiden letzten Wettfahrten bis zum Medaillenrennen sieben Punkte Rückstand auf den Bronzeplatz. In Führung liegt die Spanierin Marina Alabau knapp vor Lee-El Korsitz aus Israel.

  RS:X-Start auf Kurs "The Nothe"Foto: Marina Könitzer
RS:X-Start auf Kurs "The Nothe"

Moana Delle verschenkte am Samstag eine bessere Platzierung durch einen Flüchtigkeitsfehler, als sie beim Verstellen ihren Trapeztampen nicht vollständig einrasten ließ und ins Wasser fiel, als der ausrauschte. „Ich habe den Bademeister gegeben“, erzählte sie freimütig, „das ist sehr ärgerlich, aber ich werde morgen wieder versuchen, schön zu racen.“ Man glaubt es ihr aufs Wort. Beide deutsche Surfer beeindruckten schon vor Beginn der Olympia-Regatta mit ihrer erfrischenden Freude und haben davon auch nach kleinen Dämpfern nie etwas eingebüßt.

"Mehr als alles geben geht nicht"

  Will im Medaillenrennen noch einmal angreifen: Simon GrotelüschenFoto: Marina Könitzer
Will im Medaillenrennen noch einmal angreifen: Simon Grotelüschen

Etwas enttäuscht kam der Lübecker Simon Grotelüschen nach der zehnten und letzten Wettfahrt vor dem Medaillenrennen in den Olympia-Hafen. "Das war ein Satz mit X – nix", kommentierte der 25-Jährige seinen Tag und startet am Montag als Siebter in das Medaillenrennen der Laser. Eine Chance mehr auf Edelmetall hat er nicht mehr. "Meine Taktik für die Startkreuzen war diese Woche einfach nicht so glücklich", sagte Grotelüschen, "aber ich habe mir nichts vorzuwerfen: Mehr als alles geben kann man nicht." Der Australier Tom Slingsby segelt mit 25 Punkten und 14 Zählern Vorsprung vor dem in dieser Woche überragend segelnden Zyprioten Pavlos Kontides dem Olympiasieg entgegen, den er vor vier Jahren in China – auch damals schon als Top-Favorit – so bitter verpasst hatte. Um Bronze werden voraussichtlich der Schwede Rasmus Mygren (60 Punkte) und der Kroate Tonci Stipanovic (61 Punkte) ringen. Keine Medaillenchance mehr hat der Olympiasieger von 2008: Paul Goodison liegt mit nur drei Punkten Vorsprung vor Simon Grotelüschen auf Platz sechs. Den würde der lange Lübecker gern noch überholen.

Die 470er-Seglerinnen Kathrin Kadelbach und Friederike Belcher aus Hamburg liegen nach vier Wettfahrten auf Platz neun, ihre Münchner Team-Kameraden Ferdinand Gerz und Patrick Follmann nach sechs Rennen auf Platz 15. Franziska Goltz konnte am Samstag die neunte Wettfahrt nicht beenden, weil sie nach einer erneuten gelben Flagge – nicht streichbar – disqualifiziert wurde. Die 27-Jährige erreichte im letzten Rennen vor dem Finale der Laser-Radial-Seglerinnen Rang 21. Damit beendet die Schwerinerin ihre Olympiapremiere auf Platz 26.

Showdown in der Segelarena

Zehntausend Fans und mehr werden am Sonntag ab 13 Uhr Ortszeit zu den ersten beiden Medaillenrennen der Regatta der XXX. Olympischen Spiele erwartet. Serviert werden zu Füßen der alten Festung "The Nothe" mit ihren großen, von Tausenden Zuschauern besetzten Wiesen auf dem gleichnamigen Publikumskurs zwei Schlager dieser Serie: die doppelt gewerteten Finalläufe der Stare und der Finnsegler.

  Mindestens 4500 Zuschauer werden ihre Favoriten am Sonntag von "The Nothe" aus anfeuern. Tausende mehr werden von den Stränden aus zusehen – hier genießt Simon Grotelüschen das Segeln vor PublikumFoto: Marina Könitzer
Mindestens 4500 Zuschauer werden ihre Favoriten am Sonntag von "The Nothe" aus anfeuern. Tausende mehr werden von den Stränden aus zusehen – hier genießt Simon Grotelüschen das Segeln vor Publikum

In beide Rennen starten britische Teams als Top-Favoriten. Als Erste ziehen die Kielboote in die Arena ein. Spitzenreiter sind Doppel-Olympiasieger Iain Percy und Andrew "Bart" Simpson (18 Punkte) aus Großbritannien mit einem Vorsprung von acht Punkten auf ihre brasilianischen Verfolger, Doppel-Olympiasieger Robert Scheidt und Bruno Prada (26 Punkte). Weitere vier Punkte hinter den Südamerikanern lauern die Schweden Freddy Loof und Max Salminen (30 Punkte) auf ihre Chance. Die viertplatzierten Norweger Eivind Melleny und Petter Morland Pedersen (53 Punkte) können nicht mehr in den Kampf um die Medaillen eingreifen. Für die Berliner Gesamt-Siebten Robert Stanjek und Frithjof Kleen (64 Punkte) geht es um einen Platz zwischen vier und zehn. Kleen sagte: "Wir freuen uns auf das Finale und die Erfahrung, vor jubelndem Publikum zu segeln." Kleens Medaillentipp: "Es wird ausgehen wie in China: Percy vor Scheidt vor Loof."

Es kann nur einen geben

Im Anschluss an das Starboot-Finale folgt am Sonntag ab 14 Uhr Ortszeit eine Segelschlacht von historischer Bedeutung: Im Medaillenrennen der Finn Dinghis geht es um den 52 Jahre alten Olympia-Rekord des legendären dänischen Seglers Paul Elvström, der zwischen 1948 und 1960 vier Goldmedaillen bei vier aufeinanderfolgenden Olympischen Spielen gewann. Rekordbrecher will Großbritanniens Segelstar Ben Ainslie sein, der 1996 seine erste olympische Silbermedaille und seitdem weitere drei Goldmedaillen gewann. Mit dem möglichen vierten Olympiasieg könnte der 35-Jährige Elvströms Bestmarke knacken.

Verhindern will das mit allen Mitteln Elvströms Landsmann Jonas Hogh-Christensen. Der 31 Jahre alte Steuermann aus dem dänischen Gentofte zieht mit zwei Punkten Vorsprung in das Finale der besten zehn Finn-Dinghi-Segler ein. Im doppelt gewerteten Medaillenrennen bedeuten zwei Punkte einen Platz. Ergo: Wer gewinnt, kann nach Gold greifen, muss allerdings gleichzeitig ein Auge auf den Niederländer Pieter-Jan Postma haben. Und so sind die Karten verteilt: Joans Hogh Christensen führt nach zehn Rennen mit 26 Punkten. Zwei Punkte dahinter hat Ben Ainslie mit 28 Punkten sicher einen Plan geschmiedet, wie er den Spitzenreiter vom Kurs abbringen kann. Pieter-Jan Postma hat mit 42 Punkten noch eine kleine Chance, in den Kampf um Gold und Silber einzugreifen, muss aber andererseits seine Verfolger fürchten. Jonathan Lobert (47 Punkte) aus Frankreich, Ivan Gaspic (47 Punkte) und Vasilij Zbogar (49 Punkte) hätten auch gern die Bronzemedaille.

Wer ist der Größte aller Zeiten?

In Dänemark sind alle Augen auf Jonas Hogh-Christensen gerichtet, der am Vortag des wichtigsten Rennens seiner Segelkarriere sagte: "Es ist egal, ob Ben Gold gewinnt und Elvströms Rekord bricht oder nicht: Für mich wird immer Elvström der größte Segler aller Zeiten bleiben. Elvström hat so viel für den Segelsport getan, und er hat immer gesagt: 'Wenn du gewinnst, aber dabei den Respekt deiner Konkurrenten verlierst, dann hast du nichts gewonnen."

Zur erwarteten Strategie Ainslies sagte Hogh-Christensen: "Ben ist der beste Segler unserer Zeit. Er ist smart genug, sich nicht auf ein reines Duell mit mir einzulassen. Wir müssen beide auf den Holländer achten. Außerdem gehören zum Tango tanzen zwei. Ich will da rausgehen und Gold gewinnen. Meine bisherigen Ergebnisse auf dem Nothe-Kurs sprechen für mich. Das Finn Dinghi ist die härteste Klasse der Olympischen Spiele. Mit einem der besten Segler aller Zeiten am Start. Ich kann mir keine größere Herausforderung vorstellen."

  Jonas Hogh-Christensen im Gespräch mit YACHT onlineFoto: tati
Jonas Hogh-Christensen im Gespräch mit YACHT online

Im Gespräch mit YACHT online sagte Hogh-Christensen aber auch: "Es ist Ben, der mit dem Rücken zur Wand steht. Ich schlafe dieser Tage sicher besser als er." Jonas Hogh-Christensens dänische Freundin Julie, die seit kurzem in Hamburg-Eimsbüttel lebt und arbeitet, wird das Rennen gemeinsam mit Jonas Eltern verfolgen. Es dürfte ein Thriller werden. Mit einem Dänen, der Rock- und Metal-Musik mag und deswegen in Kopenhagen das Festival "Copenhell" als Mitgründer veranstaltet. Kann dieser rotbärtige Sympathieträger am Sonntag auch im Duell zum höllischen Gegner für Ben Ainslie erwachsen und den mit allen Wassern gewaschenen Briten und seine "Mission Gold" stoppen?

Ainslie versprach: "Mein Begehren, diese Goldmedaille zu gewinnen, ist fast schon beängstigend." Die englische Zeitung "Guardian" schrieb: "Ben AInslie könnte das letzte Wort bei den Spielen haben." Die BBC meldete: "Ben Ainslie ist bereit für den Kampf um Gold." Der "Telegraph" stellte fest: "Ben Ainslie hat es selbst in der Hand." Dem ist nichts hinzuzufügen außer dem Tipp, das Rennen im Live-Stream von ARD (sportschau.de) und ZDF (zdfsport.de) zu verfolgen.