Tatjana Pokorny
· 26.11.2021
Deutschlands einziger Weltmeister in den Olympiaklassen in den letzten zwei Jahrzehnten nimmt Kurs auf Paris und Marseille 2024. Das Ziel bleibt eine Medaille
Er hat sich einige Zeit für seine Entscheidung genommen, obwohl die Tendenz längst da war: Deutschlands erfolgreichster Lasersegler Philipp Buhl bleibt ein wertvoller Akteur und olympischer Medaillenkandidat für das German Sailing Team. Im Alter von 31 Jahren ist der Allgäuer nach intensivem Abwägungsprozess mit Herz und Verstand in seine vierte Olympiakampagne durchgestartet. Ziel ist die dritte Olympia-Qualifikation in Folge und der erfolgreiche Kampf um eine Medaille vor Marseille in zweieinhalb Jahren. „Ich mache weiter, weil ich den Sport, die Herausforderung und den brutal ehrlichen Wettkampf im Laser so liebe“, erklärt Buhl seine wichtigste Motivation bei der beschlossenen Fortsetzung seiner Karriere.
Buhl trägt dabei auch der Weltmeistertitel, mit dem er Anfang 2020 die zwei Jahrzehnte währende Gold-Flaute des deutschen Segelsports bei Weltmeisterschaften in olympischen Segelklassen so formidabel beendet hatte. Für Buhl war das die ultimative Bestätigung, dass er die Nummer eins der Welt sein kann. „Dass ich den Titel bei Top-Besetzung im Wohnzimmer der schon so lange im Laser dominierenden Australier vor Melbourne gewinnen konnte, hat es einfach doppelt wertvoll gemacht. Darüber bin ich heute noch stolz und glücklich“, sagt er.
Buhls Jagd nach der ebenso ersehnten Olympiamedaille aber ist noch unvollendet. Dabei ist er seinem Ziel nach dem enttäuschenden 13. Platz in Rio de Janeiro 2016 mit Platz fünf in diesem Sommer in Japan schon sehr, sehr nahe gekommen. Nur ein misslungener Regattatag vor Enoshima hat ihn das mit großer Ernsthaftigkeit ins Visier genommene olympische Edelmetall gekostet. Insgesamt aber ging es für den harten Arbeiter, selbstkritischen Analytiker und nimmermüden Antreiber in seiner Karriere trotz einiger Dämpfer meist bergauf.
Nach der knapp verpassten Olympia-Qualifikation für Weymouth 2012 war Buhl zunächst zu dem dominanten Laser-Akteur in der Heimat geworden, der er heute ist. Mit der ersten überraschenden WM-Bronzemedaille 2013 im Oman avancierte der damals 23-Jährige schnell auch zum internationalen Top Player. Es folgten WM-Silber 2015 vor Kingston und noch einmal WM-Bronze bei den Welttitelkämpfen im dänischen Revier vor Aarhus 2018.
Zwischendurch gab es auch einige Ergebnisdellen nach unten, die ihn ebenso geformt haben wie die Erfolge, über die er sich so mitreißend freuen kann. „Wie hart die Konkurrenz in unserer Klasse ist, zeigt sich daran, wie schnell einer aus den Top Ten einmal einen großen Wettbewerb außerhalb der Top Ten beenden muss“, erklärt Buhl die ihn so faszinierende und gleichzeitig motivierende Leistungsdichte in der aktuell ältesten und weltweit verbreitetsten olympischen Segeldisziplin, die inzwischen nicht mehr Laser, sondern ganz offiziell Ilca 7 heißt.
Philipp Buhl erwartet für die olympische Segelregatta 2024 vor Marseille ein ganz ähnlich starkes Feld wie zuletzt in Japan: „Es werden mehr oder weniger dieselben guten Leute sein. Vielleicht ist ja sogar Robert Scheidt noch einmal mit dabei.“ Für den gereiften Vollblutathleten Buhl ist dieses Szenario ein Grund mehr, sich noch tiefer in die Arbeit zu knien, noch intensivere Detailarbeit und selbstkritische Analyse zu betreiben, sein Tun noch stärker zu optimieren. „Ich will die neue Kampagne ganz genau durchdenken, einfach alles auf den Prüfstand stellen und hinterfragen und dann Entscheidungen treffen, die mir gut tun“, sagt er. Er habe diese Art der nie endenden Selbstprüfung und das Hinterfragen aller Details von seinem Vater „in Hunderten Stunden am heimischen Küchentisch“ gelernt. Von Friedl Buhl kommt auch der Satz, den sein Sohn so verinnerlicht hat: "Du musst immer und immer wieder über den Tellerrand schauen."
Die Vorstellung von der Fortsetzung seiner Karriere hatte Buhl zwar schon in Japan im Kopf, wollte sich aber mit Abstand noch einmal selbst prüfen: "Ich musste in mich hineinhören, ob ich noch heiß bin, ob das Glühen noch da ist." Die Antwort auf diese zentrale Fragestellung fiel knapp vier Monate nach dem Olympia-Finale nun positiv aus: "Mein Feuer brennt noch." Seine Entscheidung hat Buhl sehr bewusst getroffen, bevor er mit seinen Partnern über die Zukunft spricht: "Ich habe hart für und mit meinen sehr loyalen Partnern der vergangenen Jahre gearbeitet. Jetzt wollte ich zunächst meine hundertprozentige Bereitschaft zum Weitermachen signalisieren und dann auf der Basis weiterplanen."
"Buhl bohrt das Brett an der dicksten Stelle", hatte einmal der dreimalige Olympiasieger Jochen Schümann über den Allgäuer gesagt und damit Buhls multiple Herausforderungen in der international konkurrenzstärksten olympischen Segelklasse der Solo-Jollensegler beschrieben. An dieser Stelle will Buhl nun massiv weiterbohren und sagt: "Natürlich bleibt die Olympiamedaille das Ziel." Auch vom überschäumenden Gefühl eines WM-Sieges würde er gerne noch einmal kosten. Die nächste Chance dazu hat er nach Platz sechs bei der umstrittenen WM in diesem Jahr vor Barcelona im Mai 2022 bei den Welttitelkämpfen in Mexiko.
Bei seiner Entscheidung pro Karrierefortsetzung hat sich Buhl auch mit den schwierigeren Seiten des Lebens als Leistungssportler auseinandergesetzt: "Natürlich muss man so etwas wie Familienplanung nach hinten schieben und führt eine Art Fernbeziehung." Das Schöne am Leistungssport ist gleichzeitig manchmal das Schwere: "Du bist viel unterwegs in der Welt." An ihm nage des Öfteren der große Abstand von der Heimat, wo Familie und Freunde seine Wohlfühl-Faktoren sind und wo er eines Tages selbst wieder leben will. Während Hamburger oder Berliner Kameraden im German Sailing Team es weniger weit nach Hause hätten, seien die neun Stunden für ihn in die Allgäuer Berge eine nicht mal so eben zu überwindende Distanz. "Ich war während der Pandemie im vergangenen Jahr über längere Zeit zu Hause und habe gemerkt, wie gut mir das getan hat", sagt Sportsoldat Buhl, der in Kiel nahe des Bundesstützpunktes lebt. Seine Vorfreude auf die Weihnachtszeit im heimischen Berghofen ist entsprechend groß.
Auf Kurs Marseille 2024, wo die nächste olympische Regatta ausgetragen wird, will sich Buhl auch Auszeiten für andere Segeleinsätze nehmen. So gewinnt er beispielsweise liebend gerne frische Motivation auf seiner Motte. "Dabei lerne ich immer wieder dazu und tanke Begeisterung für meinen Sport."