Tatjana Pokorny
· 20.03.2024
Deutschlands beste Olympia-Segler haben viele und hohe Hürden zu nehmen, wollen sie ihr Land bei den Olympischen Spielen vertreten. Da ist zum einen der unabdingliche Nationenstartplatz, damit ein Land überhaupt ein Boot oder ein Board in den jeweiligen Wettbewerb schicken darf. Den haben sich Deutschlands Kite-Männer dank herausragender Leistung von Jannis Maus bereits bei der Europameisterschaft 2023 gesichert. Hier hatte der 27-Jährige als Vierter mit der “besten Leistung meiner Karriere” den Olympia-Startplatz fürs German Sailing Team eingefahren.
Nun kämpft Jannis Maus vom Verein Cuxkiters darum, diesen fürs Team gesicherten Nationenstartplatz auch persönlich besetzen zu dürfen. Mit dem gleichen Ziel aber startete auch sein langjähriger Weg- und Teamgefährte Flo Gruber vom Norddeutschen Regatta Verein in die dreiteilige nationale Ausscheidung. Nur einer von beiden kann am Ende der am 19. März in Los Alcázares begonnenen EM sowie des Spanien-Klassikers Trofeo Princesa Sofía Anfang März und der WM vor Hyères Mitte Mai das Olympia-Ticket lösen.
Gruber oder Maus? Wer nach den drei Regatten alle Nominierungskriterien des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) erfüllt und bei den drei Ausscheidungsregatten mehr Punkte als der andere gesammelt hat, darf für Deutschland die Olympia-Premiere der Kiter in der Bucht von Marseille bestreiten. Beide Top-Kiter trainieren unter DSV-Dach mit Coach Jan-Hauke Erichsen. Doch beide haben auch eigene Trainingsgruppen, mit denen sie in diesem Winter in unterschiedlichen Revieren aktiv waren.
Jannis Maus hat trotz Kälte intensiv im kommenden WM-Revier von Hyères trainiert. Mit “echt hartem, aber früchtetragendem” winterlichen Krafttraining hat er fünf Kilogramm Muskelmasse dazugewinnen und aktuell 92,5 Kilogramm erreichen können. Seine Trainingspartner waren ein Franzose und ein Monegasse: Maxime Nocher und Alexander Ehlen.
Flo Gruber hat im Winter hauptsächlich vor Fuerteventura und im Januar im wärmeren Mexiko trainiert. Zu seiner Trainingsgruppe gehört unter anderen der schnelle Österreicher Valentin Bontus, der die laufende EM als Spitzenreiter eröffnet hat. Bei etwa 95 Kilogramm Körpergewicht und in Spitzen auch etwas mehr, hat Flo Gruber in diesem Bereich weniger Druck als Jannis Maus.
“Es gibt einige mit 100 oder gar 105 Kilogramm, die noch einen Tick schneller sind. Ich habe es auch mal auf knapp unter 100 Kilogramm getrieben, fühle mich dann aber einen Tick träger”, erklärt Gruber den Balanceakt zwischen geschwindigkeitspositiven Kilos und dem besten Aktionsgewicht im physischen Trainingsbereich.
Als Kiter sind Flo Gruber und Jannis Maus in ihren Stärken und Schwächen unterschiedliche Athleten. Der eine – Jannis Maus – hat es tendenziell lieber “tricky”: “Ich mag es gern, wenn etwas ruppiger zugeht, aber auch viele taktische Möglichkeiten da sind. Wenn es darum geht, Winddreher zu sehen und Windlöcher zu vermeiden. Auf dem Wasser fühle ich mich wohler, wenn kabbeliger, wenn das Wasser anspruchsvoller zu fahren ist. Alles, was nicht Flachwasser und geradeauspowern ist.”
Flo Gruber beherrscht unter anderem Letzteres bestens. Weshalb der EM-Einstieg für ihn mit den Rängen 4, 3 und 6 in eher leichteren Winden einen Erfolg markierte. Auch Jannis Maus eröffnete die Europameisterschaft mit den Rängen 4, 4 und 3 stark. DSV-Coach Jan-Hauke Erichsen sagte in Spanien: “Wir sind konservativ und gut in die EM gestartet. Uns ist wichtig, dass sowohl Jannis als auch Flo hier erst mal in die Top-Zwölf fahren (Red.: Das ist eines der bei den drei Ausscheidungsregatten mindestens einmal zu erfüllenden DOSB-Nominierungskriterien). Deshalb haben beide am ersten Tag in schwierigen Bedingungen einen guten Start hingelegt. Ich bin mit dem Auftakt sehr zufrieden und denke, die beiden sind es auch.”
Tatsächlich beantworten sowohl Flo Gruber als auch Jannis Maus die Frage danach, wie sie mit ihrer Duell-Situation in den drei Ausscheidungsregatten umgehen wollen, fast deckungsgleich: Beide wollen in den ersten beiden der drei Regatten maximal Gas geben, ohne groß auf den nationalen Rivalen zu achten. Flo Gruber erklärt: “Es macht keinen Sinn, wenn wir uns in den ersten beiden Ausscheidungsregatten schon verrückt machen. Wenn wir uns der Konkurrenz nicht maximal gut präsentieren, ist es nicht gut für uns. Das sieht man ja auch in anderen Disziplinen wie bei den deutschen 470er-Crews: Schwächelt eine mal, ist eine andere gut. Die Gruppe genießt bei der Konkurrenz einen starken Ruf. Die anderen Nationen sehen das.”
Flo Gruber geht von einem Duell auf Augenhöhe aus. “Es wird auf jeden Fall eine enge Ausscheidung zwischen uns beiden”, ahnt der Mann aus Garmisch-Partenkirchen. Jannis Maus sagt: “Bei den ersten beiden Wettkämpfen ist unser beider klarer Fokus, das Beste für uns selbst rauszuholen. Ich habe auch bessere Erfahrungen damit, wenn ich mich auf meine Rennen konzentriere.” Gut möglich, dass die Entscheidung im Ringen um die Olympia-Fahrkarte erst bei der WM in Hyères fällt. Für einen der beiden sympathischen Kiter wird sich spätestens dort der Olympia-Traum erfüllen, für den anderen platzen.
“Es ist schade, dass beim Segeln nur ein Starter pro Nation dabei sein darf. Da schauen wir manchmal etwas wehmütig auf andere Sportarten, wo in der Leichtathletik auch mal vier Jamaikaner in einem Wettbewerb antreten”, beschreibt Flo Gruber die Herausforderung der Segler, Surfer und Kiter mit einem Beispiel. In seiner Sportart treten in der Bucht von Marseille nicht die Top-20 an, zu denen Gruber und Maus seit Jahren verlässlich gehören. Es treten die besten 20 Nationen in der schnellsten olympischen Segeldisziplin gegeneinander an. Sie rasen mit bis zu 70, 75 Stundenkilometern über ihre Kurse.
Fast ein Vierteljahrhundert schon kennen sich Flo Gruber aus Garmisch-Partenkirchen und Jannis Maus aus Oldenburg. Damals hat der kleine Flo auf den noch jüngeren Jannis aufgepasst. Jannis Maus erzählt: “Er hat mich gebabysittet. Ich war drei, Flo war sechs. Mein Vater war als Snowboardlehrer an der Snowboardschule von Flos Vater in Garmisch-Partenkirchen aktiv. Ich habe da zwar nie gelebt, aber wir waren im Winter immer mal für einige Wochen dort.”
Später trafen sich Gruber und Maus zum Sport oft auf dem größten See der Niederlande. Jannis Maus erinnert sich: “Er aus dem Süden, ich aus dem Norden, sind wir früher oft über Pfingsten auf dem IJsselmeer umhergejagt. Ich habe damals viel gelernt.” Jetzt jagen beide den Traum von der Olympia-Premiere, der sich nur für einen erfüllen kann. Getragen werden beide von Levitaz-Foils in den jeweils individuell geprägten Einstellungen. Beide setzen wie fast alle Top-Akteure auf die Kites von Flysurfer. Sie haben jeweils ihre eigenen “Buddys” bei Wettkämpfen, kommen aber immer noch gut miteinander aus, auch wenn das in der aktuellen Konkurrenzsituation nicht leichter wird.
Am Ende – das wissen beide – wird auch die mentale Stärke eine Rolle in diesem deutsch-deutschen Duell spielen. Auch hier muss sich keiner verstecken. “Da ist auch Flo ganz vorn mit dabei”, attestiert Jannis Maus dem etwas älteren Rivalen. Maus selbst hat mit dem gesicherten Nationenstartplatz im vergangenen Jahr und zuletzt mit einigen Trainingssiegen über Kite-Star Max Maeder Selbstbewusstsein getankt.
Der erst 17 Jahre alte Formula-Kite-Weltmeister startet für Singapur. Als Sohn eines Schweizer Vaters und einer Mutter aus Singapur spricht Maeder Chinesisch, Englisch und Deutsch. Der herausragend agierende Teenager hat sein erstes Profirennen im Alter von elf Jahren bestritten und ist aktuell das Maß aller olympischen Kite-Dinge. An ihm werden sich auch Flo Gruber und Jannis Maus messen.