Grandiose Svenja-Weger-Gala zum Start der Olympia-RegattaPlötzlich die Beste

Tatjana Pokorny

 · 25.07.2021

Grandiose Svenja-Weger-Gala zum Start der Olympia-Regatta: Plötzlich die BesteFoto: Sailing Energy / World Sailing
Der Regattatag ihres Lebens: Svenja Weger eröffnete ihre Olympia-Premiere mit Rang fünf und einem Tagessieg. Am Ende von Tag eins bei den Olympischen Spielen war sie die souveräne Spitzenreiterin

Svenja Weger hat ihre Olympia-Premiere fulminant eröffnet und sich selbst überrascht: Die Kieler Laser-Radial-Steuerfrau fuhr an ihrem Super-Sonntag allen davon

"Sie muss über sich hinauswachsen und eine Sternstunde haben, um in die Medaillen zu fahren." Das hatte Willy Kuhweide vor diesen Olympischen Spielen über Svenja Weger gesagt. Der Enoshima-Olympiasieger von 1964 konnte nicht wissen, dass die angesprochene Laser-Radial-Steuerfrau ihre Olympia-Premiere mit genau einer solchen Sternstunde eröffnen würde. Tatsächlich waren es mehrere Sternstunden, denn der Auftakt zur olympischen Regatta fiel etwas ausführlicher aus als gedacht. Schuld am unbeständigen und teilweise sehr flauen Wetter zu Beginn des olympischen Gipfelsturms vor Enoshima hat ein Tief, das die versammelte Weltelite des Segelsports im Olympiahafen seit Tagen nur als "Mini-Taifun" bezeichnet. Der bewegt sich östlich von Enoshima von Süden nach Nordosten und hat schwer berechenbare Auswirkungen auf die Wind- und Wetterlage im Olympiarevier der Sagami-Bucht. Weshalb Laser-Weltmeister Philipp Buhl am Abend feststellte: "Heute stimmt keine der Wetterprognosen."

Svenja Weger blieb am ersten olympischen Segeltag ihres Lebens aber unbeeindruckt von den teilweise sehr flauen Winden. Sie blieb unbeeindruckt von der eineinhalbstündigen Startverschiebung zwischen dem ersten und dem zweiten Rennen ihrer mit 44 Booten größten aller Olympia-Flotten in Japan. Und sie blieb auch unbeeindruckt von den hochkarätigen Gegnerinnen, die sonst oft vor ihr die besten Plätze unter sich ausmachen. Doch an diesem ersten Segeltag der XXXII. Olympischen Spiele war alles anders.

  Bewahrte in ihren ersten beiden olympischen Wettfahrten souverän den Überblick: Laser-Radial-Steuerfrau Svenja WegerFoto: Sailing Energy / World Sailing
Bewahrte in ihren ersten beiden olympischen Wettfahrten souverän den Überblick: Laser-Radial-Steuerfrau Svenja Weger

Es war die hellblonde Steuerfrau vom Potsdamer Yacht-Club, die den besten Plan hatte, in beiden Rennen etwas konservativ, aber sehr effektiv aus der Mitte des Feldes heraus startete, sich meist ideal positionierte und auch nach dominanter Führung in der zweiten Wettfahrt die Ruhe bewahrte und den verdienten ersten deutschen Tagessieg für die Segler bei diesen Spielen einfuhr. Mit nur sechs Punkten führt Svenja Weger das Klassement in Japan an. Sie war erfolgreicher als ihre 43 Gegnerinnen aus ebenso vielen Ländern und am Abend ihres Super-Sonntags plötzlich die Beste. Auf die Frage, ob das Ergebnis sie möglicherweise auch selbst etwas schockiert habe, sagte die ruhige Athletin mit den klaren hellblauen Augen nach kurzer Überlegung: "Ein bisschen schon."

  Keine Lautsprecherin, aber eine sehr gute Seglerin: Laser-Radial-Frau Svenja WegerFoto: Sailing Energy / World Sailing
Keine Lautsprecherin, aber eine sehr gute Seglerin: Laser-Radial-Frau Svenja Weger

Wegers letzter großer Erfolg liegt sieben Jahre zurück. 2014 gewann sie die Europameisterschaft und machte sich einen Namen. Doch für Olympia 2016 reichte es nicht zur Qualifikation. In den den folgenden Jahren segelte Weger oft gut, aber nie zwingend genug für einen weiteren großen Titel. Die Sicherung des Nationenstartplatzes für ihre Disziplin Laser Radial für diese Olympischen Spiele gelang ihr bereits bei der Weltmeisterschaft in Aarhus 2018 – noch vor allen anderen Teamkameraden in den deutschen Parade-Disziplinen. Ihre persönliche Nominierung musste sie sich dann hart erkämpfen. In Vorbereitung auf die Spiele ihres Lebens mutete sich die Sportsoldatin in Absprache mit ihrem Trainer Jonsz Stelmaszyk bei den letzten Testregatten in diesem Jahr noch das gezielte Feilen an einzelnen Schwächen zu. Die Quittung in Form miserabler Platzierungen war so schwer zu schlucken wie ein trockenes Brötchen. "Ich wusste, worauf ich mich einlasse, aber es ist trotzdem hart zu akzeptieren", erzählt sie wenige Wochen vor den Olympischen Spielen bei der offiziellen Athleten-Einkleidung von den Tiefschlägen kurz vor Olympia.

  Sailing-Energy-Fotograf Jesús Renedo hat diese schöne Laser-Szene vor der "Sea Candle" von Enoshima eingefangenFoto: Sailing Energy
Sailing-Energy-Fotograf Jesús Renedo hat diese schöne Laser-Szene vor der "Sea Candle" von Enoshima eingefangen

Gut möglich, dass genau diese Rückschläge nun mit dazu beigetragen haben, dass sich Svenja Weger, die zuletzt so intensiv an Teilbereichen ihrer Starts und ihrer Manöver gearbeitet hat, endlich auch effektiver durchsetzen kann. An Segelkönnen hat es ihr nie gemangelt. Eher an Durchsetzungsstärke, am "Killer-Instinkt", wie es Teamkameraden formulierten. Weger selbst sagte dazu vor Olympia abwägend: "Es gibt Situationen, in denen es Sinn macht, in eine enge Deckung zu gehen. Aber eben auch viele, in denen man es smarter und intelligenter lösen kann. Es ist eine Frage der richtigen Interpretation zur richtigen Zeit."

An diesem Sonntag war Wegers Timing brillant. Und ihre Nerven hielten dem Powerplay der Gegnerinnen souverän stand. Die gebürtige Heidelbergerin ist eigentlich keine, die das Rampenlicht sucht. Doch plötzlich stand sie im Olympiahafen mittendrin, hatte die top-favorisierte dänische Weltmeisterin Anne-Marie Rindom nach den ersten zwei Wettfahrten lässig auf Platz zwei verwiesen und startet mit dem gelben Leibchen der Spitzenreiterin in die neue Woche. "Ich bin glücklich und ein bisschen stolz", war ihr nach den Rennen im Hafen von Enoshima zu entlocken. Dabei sah man ihr an, wie ungewohnt die Rolle für sie ist. Überaus sympathisch sagte die leidenschaftliche Wassersportlerin, der im Ziel ihrer gewonnenen Wettfahrt Freudentränen über das Gesicht liefen: "Ich hatte eigentlich gehofft, dass sich meine Olympia-Aufregung nach dem ersten Tag etwas legt. Daraus wird nun wohl nichts." Gerade, weil sie so bodenständig ist, könnte es ihr gelingen, das Momentum festzuhalten und weiter auf der Erfolgswelle zu reiten, die ihr alle gönnen.

  In Olympiawettfahrt zwei erreichte Svenja Weger die Ziellinie als souveräne ErsteFoto: Sailing Energy
In Olympiawettfahrt zwei erreichte Svenja Weger die Ziellinie als souveräne Erste

Allen voran gönnte Philipp Buhl seiner Laser-Teamgefährtin den Erfolg. Der Laser-Weltmeister, der zu seinem WM-Gold so gern noch eine olympische Medaille hätte, eröffnete seine Olympia-Regatta mit Platz zehn solide und patzerfrei, befand sein Resultat für "gut" und sagte: "Ich bin mit dem Ergebnis und meiner mentalen Herangehensweise zufrieden." Die zweite Wettfahrt seiner Laserflotte fiel heftigen Winddrehern mit mehr als 30 Grad zum Opfer und musste abgebrochen werden. Buhl war darüber nicht unglücklich, weil er wie viele Top-Leute mit den seltsamen und unberechenbaren Winden in Durchgang zwei zu kämpfen hatte. Viel mehr freute sich der Allgäuer über den beeindruckenden Auftritt von Svenja Weger. "Ich weiß, dass sie gut ist, hatte aber nach den letzten Ergebnissen schon fast nicht mehr daran geglaubt, dass sie sich durchsetzen kann. Ich freue mich wirklich sehr für sie! Als wir für unsere Rennen auf den Kurs kamen, hatte ich nach ihr geschaut, sie aber nicht gleich entdeckt. Dann erst sah ich, dass sie ganz allein vorn ist. So stark! Ich lag ungefähr 100 Meter hinter der Startlinie und habe für sie gebrüllt."

  Kam in seinem ersten Rennen als Zehnter ins Ziel und freut sich auf drei olympische Wettfahrten am Montag: Laser-Weltmeister Philipp BuhlFoto: Sailing Energy / World Sailing
Kam in seinem ersten Rennen als Zehnter ins Ziel und freut sich auf drei olympische Wettfahrten am Montag: Laser-Weltmeister Philipp Buhl

Für Svenja Weger war dieser erste olympische Segeltag der maskierten Spiele in Japan wie ein kleines Sommermärchen. Sie hatte von Beginn an erklärt, dass ihr das unvorhersehbare und wechselhafte Revier aufgrund seiner Wellen entgegenkommt: "Das Revier liegt mir tendenziell, weil ich meine Vorwindstärke bei viel Welle gut ausspielen kann." Dabei gab es noch gar nicht so viel Welle an diesem Auftakttag auf Kurs Kamakura. Aber was nicht ist, das kann ja noch werden.

Die olympische Regatta wird am Montag für die RS:X-Surfer (ohne deutsche Teilnehmer) sowie Laser und Laser Radial fortgesetzt. Die Laser-Männer müssen voraussichtlich dreimal ran, weil ihre ausgefallene zweite Wettfahrt direkt nachgeholt werden soll. Philipp Buhl freut sich darauf genau so wie Svenja Weger. Die Winde sollen etwas zunehmen. Auch Regen könnte kommen. Für die deutschen Laser-Asse, die am 26. Juli noch einmal unter sich bleiben, bevor am 27. Juli mit Tina Lutz/Susann Beucke und Erik Heil/Thomas Plößel die besten Skiff-Akteure des German Sailing Teams ins olympische Geschehen eingreifen, bedeuten die Aussichten ganz und gar kein Schreckensszenario. Nachzureichen ist, dass der Franzose Jean-Baptiste die erste und einzige Laser-Wettfahrt der Männer vor dem Finnen Kaarle Tapper und Philipp Buhls Trainingspartner Hermann Tomasgaard gewann. Sein Jugendidol Robert Scheidt, Doppel-Olympiasieger und bei seinem siebten Olympia-Einsatz im Alter von 48 Jahren Rockstar der Laser-Szene, hat Philipp Buhl erst hinter sich als Elften ins Ziel kommen lassen. Geht es nach Buhl, darf es in diesem Duell so bleiben. Es dürfte sich aber gern etwas weiter oben im Klassement abspielen.