Tatjana Pokorny
· 17.03.2023
Wenn Deutschlands beste Ilca-7-Steuermänner bei einer offenen Europameisterschaft auf die Plätze fünf und acht segeln, ist das zum Auftakt der vorolympischen Saison ein starkes Signal. Dabei hat erstmals Nik Aaron Willim seinen Trainingspartner und Weltmeister Philipp Buhl bei einer großen Regatta hinter sich gelassen. Für beide Top-Athleten bedeutet das vor allem eines: sehr viel Motivation
Der eine hat die Europameisterschaft im italienischen Revier von Andora im Glück beendet, der andere etwas nachdenklich: Nik Aaron Willim hat im EM-Rekordfeld der olympischen Ilca-7-Klasse (vormals Laser) mit Platz fünf eine herausragende Serie erfolgreich zu Ende gebracht, das EM-Podium nur knapp verpasst und dazu Deutschlands erfolgreichsten Ilca-7-Steuermann Philipp Buhl hinter sich gelassen.
Nik Willim, der in der gemeinsamen internationalen Trainingsgruppe mit Philipp Buhl, dem amtierenden Weltmeister Jean-Baptiste Bernaz aus Frankreich, dem olympischen Bronzemedaillen-Gewinner Hermann Tomasgaard aus Norwegen und dem Finnen Kaarle Tapper lange schon glänzt, hatte sein Können bislang bei großen Events nicht optimal umsetzen können. Jetzt ist es gelungen – ein Riesenerfolg für den Segler vom Norddeutschen Regatta Verein.
„Philipp war mir immer ein Stück voraus, egal, wie gut ich im Training war“, erzählt der 26-jährige Aufsteiger Willim, „ich verstehe mich extrem gut mit ihm, wir arbeiten eng und angenehm zusammen. Ich freue mich auch, wenn er vorn ist. Wir waren bislang bei Höhepunkten nie ganz auf Augenhöhe. Aber ich habe bei dieser EM für mich gelernt, dass wir auf Augenhöhe sind, wenn ich mein Bestes abrufe.“
“Seine Starts sind ihm besser gelungen als mir”, zollte Meister Buhl dem sieben Jahre jüngeren Mitstreiter Respekt. Seine eigenen Starts hat Buhl hingegen als eine Schwachstelle einer turbulenten EM-Woche ausgemacht, in der es ihm zu oft schwerfiel, “die Laisser-faire-Art der Wettfahrtleitung” für sich zu nutzen. Weil Frühstarts manchmal gar nicht oder nur mit allzu großzügigen Augen geahndet wurden, war der deutsche Fairplayer zu oft zu spät dran. “Ich bevorzuge ein striktes Reglement”, erklärt Buhl sein Problem. Andere passten sich in dieser Woche schneller an den lockeren Stil der umstrittenen Wettfahrtleitung an.
Deren mangelhafte Vorstellung gipfelte gegen EM-Ende nach schwachen Leistungen, abgebrochenen oder nachträglich gestrichenen Rennen und Fehlern in Serie in einem so noch nicht erlebten “Streik” der Teilnehmer. Die Segler blockierten am vorletzten Tag der Titelkämpfe die Sliprampe und ließen das Wettfahrtteam auf dem Wasser eine Stunde warten. Ihre Protest-Aktion verknüpften auch die Besten im Rekordfeld der 186 Teilnehmer aus 45 Nationen mit einem eindringlichen Appell an ihre internationale Klassenvereinigung, bei hochrangigen Regatten für professionelles Regattamanagement zu sorgen.
Die Erkenntnis, dass die beiden deutschen Top-Akteure trotz allem in der Weltspitze agieren, bleibt die gute Botschaft für die gerade beginnende vorolympische Saison. Daran ändern die verpatzten Rennen von Philipp Buhl am letzten Tag nichts, auch wenn sie seine Medaillenhoffnungen radikal platzen ließen. Die Leistung von Nik Willim und Philipp Buhl war in der bereinigten EM-Wertung ohne Übersee-Akteure wie den drittplatzierten Olympiasieger Matt Wearn aus Australien sogar die Plätze vier und sechs wert. Zum EM-Titel segelte Routinier Tonči Stipanovič (Kroatien) vor seinem Landsmann Filip Jurisič.
Die Sicherheit der besten deutschen Akteure bei der stark besetzten EM hat auch Nadine Stegenwalner erfreut: “Wir haben in der Gesamtwertung zwei Top-Athleten unter den besten acht – das ist ein sehr schöner und vielversprechender Einstieg in die vorolympische Saison.”
Dabei hatte die DSV-Sportdirektorin auch schon die Allianz Sailing World Championships aller olympischen Segeldisziplinen vom 10. bis 20. August in Den Haag im Blick. „Dort geht es bereits darum, die Nationenstartplätze für die Olympischen Spiele 2024 zu sichern. Die aktuellen Ergebnisse der Europameisterschaft machen uns sehr zuversichtlich, dass wir dafür im Ilca 7 stark aufgestellt sind.“ Erfolgreichster Perspektivkader-Steuermann des German Sailing Teams bei der EM in Andora war Nico Naujock (Verein Seglerhaus am Wannsee) mit Platz 28.
Dafür, dass es auf Kurs Olympia 2024 für die Top-Kandidaten Buhl und Willim weiter konsequent aufwärts geht, sorgen die Athleten auch selbst. Philipp Buhl hat sich in Zusammenarbeit mit Ilca-7-Bundestrainer Alex Schlonski und seinem Sparringspartner Nik Willim stark dafür engagiert, zu verschiedenen Höhepunkten zusätzlichen Input von Experten ins Team zu holen. In dieser Mission hat der zweimalige Olympia-Starter, Erfolgs-Coach und Youth-America’s-Cup-Team-Förderer Marc Pickel Philipp Buhl Buhl und Nik Willim bei der EM betreut. “Daraus haben sich schon gute Erkenntnisse ergeben”, sagt Buhl. Die Maßnahme wird vom Deutschen Segler-Verband unterstützt, aber von den Aktiven auch selbst zu einem erheblichen Teil finanziert.
“Wir wollen für unser olympisches Medaillenziel 2024 jeden Stein umdrehen und neue Denkweisen nutzen. Dafür nehmen wir auch eigene Kosten in Kauf. Diese Koordination ist aufwändig, aber wir glauben daran, dass es gut und sehr wichtig ist, die Meinung und den Rat von verschiedenen Leuten zu hören, die als Coaches schon olympische Medaillen gewonnen haben oder andere wertvolle Erfahrungen mitbringen”, sagt Philipp Buhl, der gerade gemeinsam mit 470er-Steuermann Malte Winkel zum Aktivensprecher im German Sailing Team gewählt wurde.
Bei der April-Regatta Trofeo Princesa Sofía wird der schwedische Olympiasegler Jesper Stalheim Philipp Buhl und Nik Willim betreuen. In Hyères ist der olympische Silbermedaillengewinner Andreas Geritzer aus Österreich zusätzlich zum geschätzten Bundestrainer Alex Schlonski an Bord, der parallel die Perspektivkadersegler des German Sailing Teams betreut.
Dass Philipp Buhl diese Europameisterschaft nach souveränem Einstieg im Endspurt nicht ganz optimal gelungen ist, ändert nichts an den ehrgeizigen Plänen der deutschen Ilca-7-Medaillenjäger. Der 33-jährige Allgäuer, der für seinen Heimatverein Segelclub Alpsee-Immenstadt und den Norddeutschen Regatta Verein startet und seinen dritten Olympiastart anpeilt, sagt: “Platz acht hier bei der EM ist nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Ich freue mich aber für Nik, auch wenn er mir auf der anderen Seite das Leben schwer macht. Wir sind die beiden Besten unserer Trainingsgruppe. Das ist ein gutes Signal für diese Saison.”
In der nationalen Ausscheidung um nur einen deutschen Ilca-7-Startplatz bei der vorolympischen Testregatta in Marseille in diesem Jahr liegt Nik Willim nun mit zwei Punkten vor Philipp Buhl in Führung. Mit der Semaine Olympique Française wird schon Ende April nur eine weitere Regatta die Entscheidung bringen, wer von den beiden – Geselle oder Meister – im Olympiarevier ein Jahr vor den Spielen wertvolle Erfahrung sammeln darf. Weltmeister Buhl wird sich strecken und alles Können in die Waagschale werfen müssen. Der erfolgreiche Geselle Willim wird seine Chance suchen. Er hat jetzt, was ihm bei der WM 2022 in Mexiko noch fehlte: die physische Stärke, auch im letzten Rennen an einem langen Tag noch durchziehen zu können.
Für Olympia 2024 will Willim “Vollgas geben”: “Dann wird der Bessere von uns fahren. Ich kann das auch schaffen. Es ist gut zu wissen, dass meine Fähigkeiten jetzt dafür ausreichen, Medaillen gewinnen zu können.” Er will solche, von denen Philipp Buhl schon komplette Sätze beisammen hat: Gold, Silber und Bronze hat er bei Europameisterschaften gewonnen. Gold, Silber und Bronze hat Buhl auch bei Weltmeisterschaften abgeräumt. Ihm fehlt die olympische Medaille, für die er seine ganze Erfahrung einsetzen wird.
Zu einem möglichen Duell um die Olympiafahrkarte für 2024 mit dem jüngeren Trainingspartner, den er seit vielen Jahren beflügelt und schätzt, sagte Buhl: “Wenn man nicht in der Komfortzone cruisen, sondern eine Medaille gewinnen will, ist das gut so.”