Tatjana Pokorny
· 16.07.2021
Während die Organisatoren, Gastgeber und Teilnehmer in Japan unter den Corona-Notstandsregeln ächzen, weht im Olympia-Hafen von Enoshima ein Hauch von Freiheit
Der Olympia-Hafen von Enoshima füllt sich täglich mehr. Als letzte Teams werden noch die Australier, Kiwis und Briten erwartet. Seit dem 15. Juli darf offiziell für Olympia trainiert werden. Zuvor war das German Sailing Team ins olympische Dorf eingezogen. Die Zimmer dort sind schlicht gehalten. "Wir schlafen auf Pappkartons, die zu erstaunlich festen Betten zusammengestellt worden sind. Das ist eigentlich ganz lustig. Der Raum ist großzügig, und wir haben einen schönen Blick aufs Wasser", erzählt Laser-Weltmeister Philipp Buhl, der sein Zimmer mit Nacra-17-Steuermann Paul Kohlhoff teilt. Empfangen wurden die DSV-Segler von Glücksschweinen auf ihren Kopfkissen und weiteren willkommenen Gaben – mit den besten Grüßen vom German Sailing Team unter Leitung von DSV-Sportdirektorin Nadine Stegenwalner. Das große Hotel, das zum olympischen Satellitendorf für die Segler umfunktioniert wurde, ist zum Leben erwacht. "Wir können uns ein bisschen bewegen. Das Essen ist gut, das Hotel insgesamt funktioniert auch gut", sagt Buhl nach den ersten Tagen.
Auch in Enoshima – rund eine Autostunde entfernt und südwestlich von der Olympia-Metropole Tokio gelegen – greifen die gleichen harten Notstands-Restriktionen wie überall bei diesen maskierten Olympischen Spielen in Japan. Buhl berichtet: "Man hat sich ja ein wenig an die Masken gewöhnt, aber dass man nullkommanull reden darf, nicht beim Essen, nicht im Aufzug, nicht im Bus, das ist schon schwer." Das olympische Leben findet – auch zum Schutz der Sportler – in "Blasen" und von "Blase" zu "Blase" statt. Es spielt sich zwischen dem olympischen Dorf, den Shuttle-Fahrten in den offiziellen Olympia-Bussen und dem Einsatz im Hafen und in der Sagami-Bucht ab.
Während Blase eins und zwei sehr streng reglementiert sind, weht im weitläufigen Hafen von Enoshima, der schon bei den Olympischen Spielen 1964 Heimathafen der Segler war, ein Hauch von Freiheit. "Manchmal umarmen sich welche, und es wird nicht gleich polizeilich geahndet", erzählt Buhl nach den ersten Tagen mit leisem Lächeln. Nicht nur der 31-jährige Allgäuer vermisst es, Freunden und Gegnern "mal Ellenbogen oder Faust reichen zu dürfen". Dennoch sieht er die positive Seite des olympischen Seins: "Generell haben wir Segler ganz schön Glück, dass wir auf dem Wasser oder auch im Hafen kein Problem haben, uns anzustecken. Das sieht bei Ringern oder in einigen anderen Sportarten vielleicht schon etwas anders aus."
Im Hafen selbst fühlen sich die Olympiasegler fast ein bisschen wie im Paradies. Das weite Gelände und das maskenlose Segeln auf dem jeweils eigenen Boot empfinden sie alle als Glücksfall ihrer Outdoor-Sportart bei diesen von der Corona-Pandemie regierten Spielen. "Hier herrscht eine coole Atmosphäre. Nicht so krass wie befürchtet", sagt Buhl. Entsprechend steigt die Stimmung bei den insgesamt 350 Seglern und Seglerinnen, von denen viele allein nach der Landung am Flughafen Haneda drei bis acht Stunden für die Kontrollen, Corona-Tests und weitere Checks verbracht haben. "Sobald du im Hafen bist, also durch die Absperrungen durch bist, ist da diese schöne Olympia-Stimmung", sagt nicht nur Philipp Buhl. "Überall wehen die Flaggen, die Teamcontainer stehen bereit, die Boote sind gebrandet, die Segler sind in ihrer Teamkleidung unterwegs. Das ist schon Olympia-Flair zu 100 Prozent."
"Vorgestern gab es das Branding für unser Olympia-Boot, und gestern durften wir zum ersten Mal aufs Wasser. Das Design ist ganz cool geworden, und Enoshima hat uns auf dem Wasser mit Leichtwind und Sonne empfangen", erzählt 49er-Steuermann Erik Heil, der mit seinem Vorschoter Thomas Plößel bei den Olympischen Spielen 2016 eine umjubelte Bronzemedaille gewonnen hatte. Auch dieses Mal zählen die Berliner im Kampf um Edelmetall und im Ringen mit den Überfliegern Peter Burling und Blair Tuke aus Neuseeland zum Favoritenkreis. Heil sagt: "Wir haben noch vier Tage Training, dann geht es schon in die Vermessung mit dem Boot. Am 27. ist unser erster Rennstart." Die Skiffsegler greifen erst zwei Tage nach den Laser-Männern, den Laser-Radial-Frauen und den beiden RS:X-Surf-Vertretern (ohne deutsche Beteiligung) ins olympische Geschehen ein.
Philipp Buhl hat an diesem Freitag seinen ersten vorolympischen Ausflug in die Sagami-Bucht absolviert. Sein Eindruck: "Auf dem Wasser war es heute zum Reinkommen ganz schön. Angenehme, moderate Seebrise an einem ziemlich heißen Tag und klarer Blick auf Mount Fuji, der im Hintergrund durch die Seebrisenbewölkung gestochen ist." Das ist die Kulisse für die olympische Regatta, die am 25. Juli beginnt.