Tatjana Pokorny
· 20.07.2021
Vor Enoshima haben die 350 Segler die ersten Trainingstage in der Sagami-Bucht absolviert. Fern von den Restriktionen an Land genießen sie die Freiheit auf See
Enoshimas Segelrevier in der Sagami-Bucht zeigt sich eine Woche vor Beginn des olympischen Gipfelsturms von seiner schönsten Seite. Die dort seit Tagen trainierenden 350 Segler und Seglerinnen aus 63 Nationen sind begeistert von den Bedingungen und ihrer Freiheit auf See, wo sie keine Masken tragen müssen und ein gewisses Maß an Regatta-Normalität genießen. Mit der Vorfreude steigt auch die Anspannung. DSV-Sportdirektorin Nadine Stegenwalner, die wie Physiotherapeutin Johanna „Jojo“ Wichelmann mit dem Segelteam im Olympischen Segel-Dorf wohnt, während Trainer und Betreuer mit ihren internationalen Kollegen in einem zusätzlichen Hotel untergebracht sind, sagte vor den ersten Startschüssen: „Das gesamte Team arbeitet ruhig, konzentriert und fokussiert, die positive Anspannung steigt. Olympische Spiele sind immer etwas ganz Besonderes. Dass diese Spiele unter den außergewöhnlichen Umständen stattfinden und wir hier sein dürfen, ist ein Privileg, dessen sich jeder in unserem Team sehr bewusst ist.“
Gleichzeitig unterstrich die Dirigentin der Segler im Team D den Anspruch, mit dem die sechs Frauen (alle erstmals bei Olympia) und vier Männer (alle zum zweiten Mal dabei) in sechs Crews bei diesen Spielen der XXXII. Olympiade ab dem 25. Juli bis zum 4. August antreten: "Wenn die olympische Regatta beginnt, kämpfen unsere Segler und Seglerinnen um Medaillen und ihre Träume. Keiner und keine hat trotz persönlicher Ziele vergessen, dass sehr viele Menschen dazu beigetragen haben, dass sie das hier tun können: Eltern, Vereine, der Verband, Sponsoren und persönliche Förderer, die Bundeswehr, der DOSB, die Sporthilfe, das BMI und viele mehr. Uns allen ist deshalb vor dem Startschuss sehr wichtig, einmal danke zu sagen. Wir sind gekommen, um erfolgreich zu sein. Es kann also losgehen.“
Gut möglich, dass es stürmisch losgeht. Die Vorhersagen nach der moderaten Trainingswoche weisen auf möglicherweise mehr Wind hin. Aktuell wird noch bei 27 Grad Tagestemperatur, rund 87 Prozent Luftfeuchtigkeit und fünf bis zehn Knoten Wind gesegelt. Zum Auftakt der Olympia-Regatta am 25. Juli könnte es nachmittags regnen. Die Prognosen zeigen auch mögliche Gewitter für den Folgetag. Genauer werden es die Segler kurz vor ihren ersten Starts wissen. Relevant sind die Szenarien zu Beginn aus deutscher Sicht für Laser-Ass Philipp Buhl und Laser-Radial-Steuerfrau Svenja Weger, sie sind als erste Starter des German Sailing Teams gefordert. Und sie sind bereit. Svenja Weger berichtete aus dem Yachthafen von Enoshima vor ihrer Olympia-Premiere: "Wir haben mit meiner Trainingsgruppe in den vergangenen Tagen verschiedene Bahnen abgesegelt, sodass wir das Revier möglichst gut kennenlernen. Besonders war für mich die Übergabe des olympischen Bootes, fertig gebrandet, mit meinem Namen im Segel und der Deutschland-Flagge. Das war mein Gänsehaut-Moment. Auf dem Wasser sieht man die Gennaker und Spinnaker in Nationalfarben – ein cooles Gefühl. Ich freue mich richtig, wenn es jetzt endlich losgeht.“
Auch Philipp Buhl freut sich sehr auf seinen Einsatz. Der amtierende Weltmeister, der bei seinem ersten Olympia-Einsatz in Rio de Janeiro mit Platz 14 unter seinen Möglichkeiten geblieben war und sehr mit sich gezürnt hatte, will um eine Medaille kämpfen. Experten trauen sie ihm zu. In YACHT 16 (kommende Woche am Kiosk) lesen Sie, wie der dreimalige Olympia-Sieger Jochen Schümann und Segelidol Willy Kuhweide das Leistungsvermögen von Philipp Buhl und seinen Teamkameraden einschätzen. So viel vorab von Schümann: "Philipp hat alle Möglichkeiten und die besten Chancen, aber er bohrt das Brett auch an der dicksten Stelle." Soll heißen: In keiner der zehn olympischen Disziplinen gibt es mit bis zu zehn Steuerleuten so viele mögliche Gold- und Medaillen-Kandidaten wie in der Einmann-Jolle Laser. Buhl ist in Top-Form, seine Gegner auch. Zu erwarten ist ein heißer "Tanz" – nicht auf auf dem Vulkan, aber doch zumindest vor der Kulisse von Mount Fuji.