Der Comeback-Tag der deutschen Medaillenjäger in Enoshima"Es war wichtig, diese Antworten heute zu geben"

Tatjana Pokorny

 · 29.07.2021

Der Comeback-Tag der deutschen Medaillenjäger in Enoshima: "Es war wichtig, diese Antworten heute zu geben"Foto: Sailing Energy
Hat sich an Tag fünf der Olympia-Regatta reingehängt und selbst belohnt: Philipp Buhl gelang am Donnerstag das erhoffte Comeback nach den Dämpfern vor zwei Tagen. Er ist wieder im Spiel, wenn es am Freitag in den letzten beiden Wettfahrten der Hauptrunde um den Einzug ins Medaillenrennen geht

Deutschlands erfolgreichste Olympiasegler – Laser-Weltmeister Philipp Buhl und die 49er-Asse Erik Heil/Thomas Plößel – sind wieder im Spiel

Philipp Buhl hat sich nach seinem schwarzen Dienstag bei der Olympia-Regatta vor Enoshima zur rechten Zeit in die Spitzengruppe der Laser-Besten zurückkatapultiert. Abgekämpft, aber glücklich stapfte er am späten Donnerstagnachmittag durchs Hafenvorfeld. Der Sonthofener Laser-Weltmeister hat in zweimal 50 physisch und mental fordernden Minuten in Winden von anfangs zwölf, später 17 bis 18 Knoten die richtigen Antworten auf die Herausforderungen seines Kurses gefunden. "Ich habe mich nicht geschont", gab der 31-Jährige im Gespräch im Olympiahafen nach den Rennen zu Protokoll. Er fühle sich "kaputt und gut", sagte der Steuermann, für den heute so viel auf dem Spiel stand.

Buhl hat dem enormen Druck am Abgrund seiner Olympia-Träume standgehalten und sich mit den Rängen drei und vier vom ungemütlichen 13. Platz wieder auf den siebten vorgearbeitet. Von dort ist die Aussicht auf das Erreichen des Medal Race zwei Rennen vor dem Finale nun eine schönere. Gleichzeitig weiß der Hauptbootsmann der Bundeswehr, dass er noch zwei gute Ergebnisse einfahren muss, will er nach der erhofften Medaille greifen. Die Wettfahrten neun und zehn der mit 35 Booten besetzten Laser-Flotte finden am Freitag auf dem sehr küstennahen Kurs Enoshima statt. Die bisherigen fünf Segeltage bei der Olympia-Regatta haben gezeigt, dass es dort unbeständig zugehen kann. Buhl weiß: "Es könnten schweinische Rennen werden. Da muss man auch ein bisschen Schwein haben."

  Gab alles am Donnerstag und rückte um motivierende sechs Plätze vor: Philipp Buhl im LaserFoto: Sailing Energy / Philipp Buhl
Gab alles am Donnerstag und rückte um motivierende sechs Plätze vor: Philipp Buhl im Laser

An der Spitze des Laser-Feldes hat sich am Donnerstag zunächst der Australier Matt Wearn mit zwei Tagessiegen festgesetzt. "Die hätte ich auch gern gehabt", entfuhr es Buhl, "meinen Respekt für diese Leistung an Matt." Es ist jener Matt Wearn, dem Buhl ausgerechnet in dessen Heimat Australien im Februar 2020 den Weltmeister-Titel vor der Bugspitze weggeschnappt hatte.

Für Buhl bedeutete der Triumph die Erfüllung eines seiner beiden großen Ziele und den ersten deutschen WM-Sieg in einer olympischen Segeldisziplin nach 20-jähriger Durststrecke. Für den aus der Segelstadt Perth stammenden Matt Wearn bedeutete der Vize-WM-Titel nach stark bestrittener Serie eine kleine Enttäuschung, die ihm jetzt bei Olympia eine Extra-Portion Motivation mitgeben dürfte. Dennoch bleibt der 25-Jährige aus Down Under vorsichtig: "Ich habe einen Streicher von 28 Punkten auf der Liste. Eine Medaille habe ich zu diesem Zeitpunkt also keinesfalls sicher." Soll heißen: Ein zweites hohes Ergebnis in einem der beiden letzten Rennen vor dem doppelt gewerteten Finale könnte den Australier empfindlich treffen. Wie beinahe jeden Laser-Top-Akteur auch, der am Freitag um den Einzug ins Medaillenrennen der zehn besten Steuerleute kämpfen wird.

Dazu zählt bei seinem vierten Olympiaeinsatz der aktuell Zweitplatzierte Pavlos Kontides, der 2012 vor Weymouth mit Silber die erste Medaille für einen zyprischen Sportler in der olympischen Geschichte gewonnen hatte. Buhls Trainingspartner Hermann Tomasgaard aus Norwegen hat als Dritter ebenso gute Chancen auf die Finalteilnahme und eine Medaille wie der Brasilianer Robert Scheidt. Der Doppel-Olympiasieger greift bei seinem siebten Olympia-Einsatz nach dem sechsten Edelmetall. Vor Buhl liegen außerdem noch der Kroate Tonci Stipanovič, 2012 Olympia-Vierter und 2016 Silbermedaillengewinner, sowie der Franzose Jean-Baptiste Bernaz.

Es ist alles angerichtet für furiose letzte Rennen in der Hauptrunde und das Finale der besten zehn Laser-Könner am 1. August. Buhls Trainer Alex Schlonski sagt: "Philipp muss morgen gut und mutig segeln, nicht blind in die Ecken hämmern und auch ein bisschen Schwein haben. Wenn er morgen wie heute unter zehn Punkten bleiben kann, dann kann er sich die Medaille noch verdienen."

  Matt Wearn hat von der WM 2020 im eigenen Land noch eine Rechnung offen. Aber kann er die Führung auch halten, die er sich am Donnerstag mit zwei Tagessiegen gesichert hatte?Foto: Sailing Energy / World Sailing
Matt Wearn hat von der WM 2020 im eigenen Land noch eine Rechnung offen. Aber kann er die Führung auch halten, die er sich am Donnerstag mit zwei Tagessiegen gesichert hatte?

"Unser Speed war heute mächtig"

Wie Buhl gelang es am Donnerstag auch seinem Segelfreund Erik Heil und dessen Vorschoter Thomas Plößel vom norddeutschen Regatta Verein, den ernüchternden Vortag vergessen zu machen. Deutschlands 49er-Galionsfiguren hatten am Mittwoch mit den Rängen 13, 5 und 14 zu viele Federn gelassen – in den stärkeren Winden fehlte es ihnen an Speed. "Wir konnten nicht die volle Leistungsfähigkeit abrufen", erklärte Marc Pickel das Ungemach.

Weil die Corona-bedingte kurze Vorbereitungszeit in Japan nur leichte Windbedingungen geboten hatte, fehlte den Deutschen wichtige Erfahrung fürs Set-up ihres Bootes in stärkeren Winden wie am Mittwoch. "Wir hatten keine Chance, das Material in diesen Bedingungen wie gestern bei 14 bis 18 Knoten zu testen, konnten das nicht gut genug vorbereiten. Das hat uns ein bisschen auf dem Hinterfuß erwischt und fühlte sich nicht gut an, weil es eigentlich Paradebedingungen sind. Da geht es im Rennen zu 90 Prozent über Speed, weil der Wind kaum dreht. Hat man den Speed nicht, zahlt man dafür", erklärt Pickel im Gespräch mit YACHT online in Enoshima.

Das Team wäre nicht so erfolgreich wie mit WM-Silber 2019 und WM-Bronze 2020, wenn es nicht technisch blitzschnell reagieren könnte. "Man muss dann schnell wieder aufbauen können", sagt Marc Pickel, "heute haben Erik und Thomas ihre Sache gut gemacht. Es war wichtig, diese Antwort heute auf dem Wasser zu geben." Die Antwort fasste Steuermann Erik Heil am späten Nachmittag nach den Rängen zwei und drei in Worte: "Unser Speed war heute mächtig." Mit der Überzeugung, nun für alle Bedingungen bestens gewappnet zu sein, starten die wieder stechenden deutschen 49er-Asse am Freitag in die zweite Halbzeit ihrer Serie. Angeführt wird ihr Klassement nach sechs Wettfahrten von den Briten Dylan Fletcher und Stuart Bithell. Die Top-Favoriten Peter Burling und Blair Tuke liegen auf Platz vier, nachdem America's-Cup-Überflieger Peter Burling am Donnerstag vom Boot gerutscht war und die Kiwis mit gemischter Bilanz der Ränge zehn und eins in den Hafen zurückkehrten.

  Der prominente neuseeländische 49er-Steuermann "Pistol Pete" Burling fiel am Donnerstag kurz vom Boot. Die Quittung: Rang zehn. Vom späteren Tagessieg hielt das Malheur die Kiwis aber nicht ab, die zwar ihre einstige Dominanz noch nicht wiedererlangt haben, aber im Kampf um die Medaillen eine Macht bleiben, mit der zu rechnen ist.Foto: Sailing Energy / World Sailing
Der prominente neuseeländische 49er-Steuermann "Pistol Pete" Burling fiel am Donnerstag kurz vom Boot. Die Quittung: Rang zehn. Vom späteren Tagessieg hielt das Malheur die Kiwis aber nicht ab, die zwar ihre einstige Dominanz noch nicht wiedererlangt haben, aber im Kampf um die Medaillen eine Macht bleiben, mit der zu rechnen ist.
  Erik Heil und Thomas Plößel glänzten am Donnerstag mit überragender GeschwindigkeitFoto: Sailing Energy / World Sailing
Erik Heil und Thomas Plößel glänzten am Donnerstag mit überragender Geschwindigkeit

Neben Buhl und Heil/Plößel überzeugten auch die anderen deutschen Crews am fünften Regattatag in der Sagami-Bucht. Die 470er-Seglerinnen Luise Wanser und Anastasiya Winkel hatten die Trauer über ihre Doppel-Disqualiffikation von den beiden Auftaktrennen am Vortag offensichtlich erfolgreich aus den Köpfen verbannt – oder waren gerade deshalb so wach und angriffslustig unterwegs. Die Crew vom Norddeutschen Regatta Verein, die mit der Straflast von zweimal 22 Punkten als 19. das Feld von hinten aufrollen musste, arbeitete sich mit den Rängen fünf und vier direkt auf Platz zwölf vor.

"Man musste heute clever sein und smart segeln", sagte Steuerfrau Luise Wanser glücklich über die Fortsetzung der beeindruckenden Ergebnisse auf dem Wasser. Und kämpferisch: "Wenn wir gestern 100 Prozent gegeben haben, dann waren es heute 120 Prozent." Der Antrag des German Sailing Team auf eine Wiedereröffnung des Verfahrens, an dessen Ende die norddeutschen Damen am Mittwochabend aufgrund einer 200 Gramm zu schweren Trapezhose von den Rennen eins und zwei disqualifiziert worden waren, lehnte die Jury am Donnerstag ab. Dadurch verloren die Hamburgerinnen die Plätze neun und fünf aus den ersten beiden Rennen. Eineinhalb Stunden hatte die zweite Jury am Donnerstagabend über den Wiederaufnahmeantrag der Deutschen diskutiert. Am Ende blieben die zweimal 22 Punkte stehen und begleiten Luise Wanser und Anastasiya Winkel bis zum Finale. Nicht ausgeschlossen, dass die ehrgeizigen Seglerinnen vom German Sailing Team die heftige Bestrafung, die einen ärgerlichen Fehler des Teams überhart sanktioniert hat, auch in den kommenden Tagen in eine Portion Extra-Motivation umwandeln können.

  An Land verloren sie die Ergebnisse ihrer ersten beiden gelungenen Olympia-Wettfahrten endgültig, auf dem Wasser starteten sie ihre Aufholjagd im Kampf gegen reichlich Strafpunkte und gaben Weltklasse-Antworten: die 470er-Seglerinnen Luise Wanser und Anastasiya WinkelFoto: Sailing Energy / World Sailing
An Land verloren sie die Ergebnisse ihrer ersten beiden gelungenen Olympia-Wettfahrten endgültig, auf dem Wasser starteten sie ihre Aufholjagd im Kampf gegen reichlich Strafpunkte und gaben Weltklasse-Antworten: die 470er-Seglerinnen Luise Wanser und Anastasiya Winkel

Die Kieler Katamaran-Segler Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer begeisterten am Donnerstag erneut ihre Beobachter und Fans. Mit zwei dritten Rängen setzte die KYC-Crew ihre Erfolgsserie vom Vortag fort, bevor sie in der dritten Wettfahrt des Tages kenterte und sogar in der Situation zeigte, aus welchem Holz sie geschnitzt ist: Das Mixed-Duo richtete den Nacra 17 blitzartig schnell binnen einer halben Minute wieder auf und rettete noch Rang elf ins Ziel sowie den formidablen dritten Platz im Zwischenklassement. Als Basis für den vielversprechenden Zwischenstand nannte Kohlhoff sein Team: "Wir sind mit unserem Coach Marcus Lynch ein solides Dreiergespann, in dem alles an- und ausgesprochen wird." Über seine erst 21 Jahre alte Vorschoterin sagte der Steuermann bei seinem zweiten Olympia-Einsatz: "Ich würde mit niemandem anderen Nacra 17 segeln als mit Alica."

  Konstante Weltklasseleistungen zeigen Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer bei der Olympia-Premiere der erst 21-jährigen Vorschoterin. Als Gesamt-Dritte pausieren die Kieler am FreitagFoto: Sailing Energy / World Sailing
Konstante Weltklasseleistungen zeigen Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer bei der Olympia-Premiere der erst 21-jährigen Vorschoterin. Als Gesamt-Dritte pausieren die Kieler am Freitag

Laser-Radial-Steuerfrau Svenja Weger wahrte an Tag fünf ihre Chance auf das Medaillenrennen der besten Zehn mit den Rängen acht und zwölf. Nach acht Rennen ist die Kielerin nun 13. in der Gesamtwertung und sagte: "Das waren solide Ergebnisse heute. Da kann ich morgen noch einmal voll angreifen."

Der sechste Tag der Olympia-Regatta verspricht viel Spannung. In den Laserflotten fallen die Entscheidungen über den Einzug in die Medaillenrennen der jeweils besten zehn Steuerfrauen und Steuermänner. Die Finalläufe werden nach einem weiteren Ruhetag am 1. August für die jeweils zehn besten Frauen und Männer ausgetragen werden. Die Skiff-Akteure sind ebenso gefordert wie die 470er-Felder, während die Nacra-17-Flotte pausiert. Das ideale Schlusswort für den Glanztag der deutschen Segler in der Hitzeschlacht von Enoshima fand Segel-Teamchefin Stegenwalner: "Tage wie diesen wünscht man sich als German Sailing Team. Ich freue mich sehr für unsere Seglerinnen und Segler, die einen überaus erfolgreichen Tag hatten. Wir hoffen und trauen es unseren Crews zu, dass es so auch am Freitag weitergehen kann.“