Tatjana Pokorny
· 09.12.2025
Der Mini mit der Bugnummer 934 ist in aller Munde. Mathis Bourgnon hat den Entwurf von 2017 zum Sieg in der besonders kompetitiven Prototypen-Division getrieben. Der Schweizer Coup gelang aus drei Gründen: 1. Top-Favorit und Superfoiler Benoit Marie ging nach zu viel Bruch im Endspurt die Puste aus. 2. Mathis Bourgnon segelte seinen acht Jahre alten Mini kompromisslos intensiv, galoppierte mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 7,9 Knoten über den 2.613 Seemeilen langen Kurs von den Kanaren nach Guadeloupe. 3. Das Siegerboot „Assomast“, Vorläufer der Vector-Minis, einst von Etienne Bertrand für das Offshore Team Germany entworfen und bei Magic Marine in Tunis gebaut, ist erprobt und segelt auf seinem vollen hohen Potenzial.
2017 erreichte Profi Jörg Riechers mit diesem Boot unter seinem ersten Namen „Lilienthal“ mit Platz zwei das beste GER-Ergebnis in der Mini-Transat-Geschichte. 2019 segelte Morten Bogacki „Lilienthal“ auf Platz drei, obwohl er das Kraftpaket auf der ersten der beiden Etappen nach dem Ausfall des Autopiloten über fünf Tage lang ausschließlich von Hand steuern musste. Bourgnon hatte das Boot mit kleinem Budget erneut zur Form auflaufen lassen. Und wie! Noch schöner macht seine Geschichte der Familienerfolg: 30 Jahre nach dem Mini-Transat-Triumph seines Vaters Yvan Bourgnon hat er es ihm jetzt als einer von fünf Söhnen nachgetan. Zur Freude des Alten, der seinen Sprössling stolz im Zielhafen empfing.
Zehn Jahre jünger als Rennfavorit Benoit Marie, hat der 28-jährige Mathis Bourgnon alles aus seiner „Assomast“ rausgeholt. Es war die Jagd seines Lebens – mit krönendem Abschluss: Erst 55 Seemeilen vor dem Ziel konnte er den schwer angeschlagenen Saison- Dauerdominator Benoit Marie einholen – und niederringen. In einem letzten großen Kraftakt landete Bourgnon seinen Coup, passierte die Ziellinie mit 18 Seemeilen Vorsprung vor Marie. Im Zielhafen Saint-François zitterte der Sieger noch Stunden nach der Jubelankunft und seinem Ausruf: „Es lebe die Schweiz und es lebe der Atlantik!“
Das in diesem Jahr nach dem Sturm-Stopp und der Annullierung von Abschnitt eins auf nur eine große Etappe über den Atlantik reduzierte Mini-Transat war seins, obwohl auch Bourgnon schwer geprüft wurde. Im Zielhafen Saint-François räumte der sympathische Proto-Sieger ein: „Ich habe lange nicht geschlafen, ich habe nur gesteuert, gesteuert … Ich habe mich fertiggemacht. Ich hatte ein paar Probleme mit dem GPS und ich hatte keinen mittleren Spi. Ich bin wirklich an meine Grenzen gegangen, mit viel Stress: dem Stress, ständig mit dem großen Spi zu segeln, dem Knacken des Ruders, von dem ich befürchtete, dass es brechen könnte. Der Schlafmangel war das Schlimmste.“
Auch eine Wal-Begegnung hat Mathis Bourgnon erlebt: „Ich saß gerade gemütlich hinten und aß, als ich ein lautes Geräusch hörte und einen riesigen Rücken auftauchen sah, der so breit wie das Boot war. Er hat mich mit seiner Schwanzflosse auf der Steuerbordseite getroffen.“ Bourgnon berichtete auch vom bemerkenswerten Funkgespräch mit Benoit Marie, als er ihn im Finale einholte: „Wir haben über UKW gesprochen. Wir waren 55 Seemeilen vor dem Ziel. Er sagte mir, dass es für ihn vorbei sei, dass er viel Schaden am Boot habe. Wir respektieren uns gegenseitig sehr.“
Von der 25. Jubiläumsauflage nimmt der geschlagene Top-Favorit Marie aber mit, dass er mit seinem Foiling-Konzept auf dem richtigen Weg ist. Und dazu einen bemerkenswerten Trostpreis mit seinem 24-Stunden-Rekord von 352,59 Seemeilen einfahren konnte. Dabei war „Nicomatic x Petit Bateau“ auf einen Schnitt von 14,69 Knoten gekommen, hatte damit gezeigt, wozu zukünftige Minis in der Lage sein werden. Im Ziel schluckte Marie seinen Frust runter und sagte: „Danke, dass du mich so gepusht hast! Es ist unfassbar, was du geleistet hast!“
Dann gab Marie einen Einblick in seine Endspurtwelt in Trümmern: „Die letzten 24 Stunden waren hart, weil ich alles kaputtgemacht habe: den Bugspriet, das Boot, die Crash-Box … Ich habe das Gefühl, meinem Wegbegleiter wehgetan zu haben, und das gefällt mir nicht. Ich war nicht auf dem Leistungsniveau, das ich mir gewünscht hätte. Mathis hat die Lücke gefunden und genutzt.“ Er, Marie, habe das Rennen aber bis kurz vor Schluss auch genossen. Er sagte: „Diese Transatlantikregatta war ein absoluter Kick. Tag und Nacht mit dem Autopiloten übers Meer zu fliegen war außergewöhnlich!“
Fast wäre es zu dieser Flugschau nicht gekommen, denn schon früh im Rennen hatte Marie ein Foil verloren. Sein Rückblick: „Alles begann damit, dass sich das Steuerbordfoil vom Boot löste. Das Foil brach raus und riss einen Teil des Rumpfes auf. Ich habe alles notdürftig repariert, um das Boot zu sichern, das Wasser auszupumpen und das Leck abzudichten. Es war etwas brenzlig.“ Er habe einen Reparaturstopp erwogen, aber verworfen.
Härter noch hat es bei diesem 25. Mini-Transat zwei von drei deutschen Startern in der Serienbootwertung getroffen. Nur Hendrik Lenz kam nach ein paar Rückschlägen und einem furiosen Schlussspurt mit seinem Bertrand-Vector 650 „Monoka“ als 14. durch. Thiemo Huuk und der Deutschfranzose Victor David bezahlten ihre Mini-Leidenschaft teuer: Sie kämpften sich mit gebrochenen Masten als vorletzter und letzter Serienboot-Skipper auf den Plätzen 56 und 57 ins Ziel. Bereits am 3. November hatte es Thiemo Huuks Bertrand-Vector „Europe“ von 2020 erwischt. Am 6. November dann Davids Verdier-Pogo „Ich bin en Solitaire“ mit gleichem Baujahr.
David hatte sich nach schwachem Start und guten Aufholjagden gerade auf Platz 25 zurückgekämpft. Die Bedingungen waren in Winden um 25 Knoten unangenehm. Seine Erinnerung an den Mastbruch-Moment: „Vor allem war die Welle relativ kurz, sodass mein Boot wirklich ständig reingedonnert ist. Ich hatte mich gerade drinnen kurz ausgeruht. Da war auch die Hölle los. Meine Avocados waren durch die Gegend geflogen, hatten sich mit Meerwasser vermischt. Überall war grüne Suppe. Plötzlich kam der Sonnenschuss. Und drei Sekunden später der große Knall.“
Der Autopilot sei „ein bisschen überfordert“ gewesen. Fast drei Meter vom Mast sind abgebrochen. Davids Einschätzung: „Es ist halt so eine Sollbruchstelle bei diesen Masten, da über der zweiten Saling. Da ist es oft ein bisschen fragiler. In Anführungszeichen habe ich Glück gehabt, dass es da gebrochen ist und nicht tiefer. Dadurch konnte ich noch ein bisschen Masthöhe nutzen, aber alles, was Spi oder Gennaker war, ging nicht mehr.“
Die Chance, noch einmal in den Mast zu steigen, sah David nicht. „Ich hatte kein Fall mehr, mit dem ich mich absichern konnte. Ich hätte barfuß und ohne Sicherheitsausrüstung hochklettern müssen. Das war mir zu gefährlich. Ich habe mich entschieden, erst einmal mit Sturm- und Großsegel weiterzumachen. Das hat ganz gut geklappt.“ Victor David verlagerte das Gewicht im Boot nach vorne. „Da habe ich auch zehn, elf Knoten Speed in den Surfs gesehen.“ Dann nahm der Wind schnell ab.
Die Last der Ereignisse war anfangs erdrückend für Victor David. Er sagt: „Es ist brutal – nach drei Jahren Arbeit ist in zwei Sekunden alles vorbei.“ Nach dem Mastbruch und den wichtigsten Sicherungsmaßnahmen sei er „regelrecht zusammengebrochen“. Er schloss sich zwei Tage ins Boot ein, machte alles dicht, auch die Fenster, und setzte Noise-Cancelling-Kopfhörer auf, „damit ich das Geräusch vom knallenden Mast nicht mehr hören musste“. Erst nach 48 Stunden kehrte er in den „Minimalmodus“ zurück.
Nach zwei Tagen setzte die Akzeptanz ein. Ab Tag vier danach fing David an, wieder Musik zu hören. Auch hat er viel geschrieben, das Logbuch mit seinen Gedanken gefüllt. Mit etwas Abstand blickte Victor David versöhnt aufs Rennen zurück: „Man kann es auch so sehen, dass ich Glück hatte, dieses zweite Kapitel zu erleben. Die anderen hatten das nicht. Es hatte auch was, diesen komischen Rhythmus zu haben. Ich habe die Zeit etwas aus dem Blick verloren, was irgendwie cool war.“ So cool, dass er die letzte Nacht seines Rennens freiwillig länger auf See blieb und die Linie erst mit den ersten Sonnenstrahlen passierte.
Ganz anders, aber mit einem ähnlichen Gefühl ging das Rennen für den besten deutschen Akteur zu Ende: Hendrik Lenz hat zwar mit Platz 14 nicht sein Traumergebnis geholt, doch für ihn galt das Mini-Transat-Motto: Kleine Siege können große sein. Für den Düsseldorfer ging die Transat-Premiere nach Höhen und Tiefen furios zu Ende. Kurz vor dem Ziel 16., konnte der 31-Jährige im Starkwindfinale noch zwei Boote einfangen. Das tat gut. Der 16 Seemeilen vor der Ziellinie gebrochene Bugspriet schockte ihn, hielt ihn aber nicht auf.
Hinter dem mit grünen, blauen und roten Flecken übersäten Solisten lag zu dem Zeitpunkt bereits die letzte Nacht, die „schlimmste Horrornacht des ganzen Rennens“, in der er und die Top-20-Segler um ihn herum mit Gewittersturmböen im Viertelstundentakt konfrontiert waren. Lenz sagt, er habe „mindestens 20 Sonnenschüsse“ erlebt. Der Autopilot war in Böen bis 40 Knoten keine Hilfe mehr. Das stundenlange Handsteuern und Festhaken mit einem Arm unter der Reling hatte heftige Spuren hinterlassen. Der Bugsprietbruch wirkte auf Lenz wie schreiendes Unrecht: Hatte er die nächtliche Tortour überstanden, um nun die hart erfochtene Position wieder zu verlieren? „Ich habe auch mal kurz geheult“, erzählt er später. Auf dem Tiefpunkt erspähte er dann aber etwa vier Seemeilen hinter sich den dichtesten Konkurrenten Pierrick Evenou am Horizont. Ohne Vorsegel. Da schöpfte Lenz neue Hoffnung, den 14. Platz vielleicht doch verteidigen zu können. Kurzerhand knotete er den großen Code Zero am Boot fest und zog ihn am Spifall hoch. „Das war nicht schön, aber schneller als nur mit Fock“, so Lenz.
Bald schien es ihm, „als würde der Spi von Pierrick Evenou den gesamten Horizont ausfüllen“. Doch auch der Franzose hatte auf der Buckelpiste mit Sonnenschüssen zu kämpfen. Alle waren in den letzten Rennstunden müde. Wer jetzt noch kämpfen konnte, hatte einen Vorteil. Lenz konnte. Er brachte den 14. Platz nach 15 Tagen, 23 Stunden, 17 Minuten und 1 Sekunde auf See ins Ziel. Sein Fazit: „Das ist ein super Ergebnis, mit dem ich meinen Frieden machen kann.“
Sein erstes Mini-Transat hat Lenz starke Nehmerqualitäten abverlangt. Die gesamte Mini-Saison über war es für ihn zuvor immer nur aufwärtsgegangen. Dass Transats eine andere Hausnummer als zwei- bis viertägige Mini-Rennen sind, hat er auf vielfältige Weise erfahren. Auch Vector-Skipper Lenz weiß, dass alle Top-Ten-Plätze bei den Serienbooten von Raison-Maxis belegt wurden. Sein Urteil: „Das hat gute Gründe. Es war ein Rennen mit viel Wind, oft 23, 24 Knoten, aber oft auch die Übergangsbedingungen von 16 bis 20 Knoten. Zuzüglich der oftmals kurzen und unangenehmen Welle. Da setzen sich die Maxis ab.“
Dass Lenz am vierten Renntag an Deck ausrutschte und auf die Winsch flog, hatte ihm eine angeknackste Rippe beschert. „Das war big Aua und schlug auf die Laune. Beim Schlafen tat es besonders weh“, erinnert er sich. Für ihn hatte das erste Mini-Transat „dreieinhalb Phasen“: das anfänglich tagelange Topfschlagen in der Dauerflaute für alle, in der er sich oft fühlte, als „hätte ich einen kürzeren Topfschläger als die anderen“. Dann die zweite Phase, in der er wieder bis auf Platz fünf vorrücken konnte. „Da konnte ich in oftmals 24, 25 Knoten gut mithalten“, so Lenz. Sein Vector mag stramme Winde.
Dann aber wuchs sein Rückstand auf Spitzenreiter Paul Cousin in der dritten Phase auf fast 180 Seemeilen an. Die Speedbolzerei der Maxis war mit dem Vector nicht zu halten. „Mein Boot fuhr in 16, 17 Knoten nicht richtig los. Die anderen waren mit 12 bis 15 Knoten Speed unterwegs, ich mit 9. Sonst bin ich gar nicht so, aber ich war so sauer über alles, dass ich einen leeren Wassereimer zertreten habe. Das war auch die Phase, in der ich Rammstein für mich wiederentdeckt habe“, erinnert sich der meist friedliche Lenz an die dunkle Zeit im Rennen und seine musikalische Begleitung dazu.
Der Mini ist in dieser Zeit „komplett nass, wie ich es noch nie erlebt hatte“, erzählt er. Lenz ist überzeugt, dass das Mini-Transat „jeden Herausforderer mindestens einmal bricht“. Die Kunst sei es, „diesen Kopfbruch“, den man in einem solchen Rennen allein und ohne Kommunikation nach außen einfach habe, wieder zu beheben. Lenz sagt: „Irgendwo bricht dich so eine Regatta immer. Die Frage ist nur, wie du danach weitermachst. Das kostet viel Kraft, aber man muss es machen. Felix Oberle (Schweizer, Sechster bei den Protos) sagt dazu: ‚Das ist einfach Transat.‘“
In dieser dritten Rennphase hat Lenz auch mit Autopilotenproblemen in der kurzen und steilen Welle zu kämpfen. Seine strategische Entscheidung, im von ihm dann als „Phase dreieinhalb“ bezeichneten Schlussakt noch einmal nach Norden auszuholen, bildete im Finale die Basis dafür, dass er im Endspurt noch zwei Plätze gutmachen konnte. Lächelnd sagte Lenz im karibischen Zielhafen: „Da habe ich mich mit meinem Boot wieder vertragen.“
Festzuhalten bleibt, dass Hendrik Lenz – wie Felix Oberle bei den Protos – beim Abbruch und der Annullierung von Etappe eins auf einem formidablen dritten Rang lag. Beide zählten naturgemäß zu jenen Solisten, die den Abbruch bedauerten. Was geworden wäre, wenn die Etappe durchgegangen wäre, bleibt Theorie.
Gelernt hat Hendrik Lenz, der in der kommenden Saison vielleicht erste Figaro-Erfahrungen sammeln will, im Mini-Transat vieles. Auch das: „Man kann sich nicht darauf verlassen, was man vorher geleistet hat.“ Vor Proto- Sieger Mathis Bourgnon und Serienboot-Sieger Paul Cousin, der das Ziel fast exakt 24 Stunden vor ihm erreicht hat, zieht Lenz den Hut. Über Cousin sagt Lenz: „Der ist abnormal schnell gewesen.“