Jochen Rieker
· 14.08.2022
Eines der taktisch anspruchsvollsten Rennen der Mini-Klasse ist entschieden. Der favorisierte Franzose Pierre Le Roy gewinnt beide Etappen der Wettfahrt Les Sables–Les Açores–Les Sables in der Proto-Wertung. Felix Oberle aus der Schweiz wird bester deutschsprachiger Segler
Das Gros der Miniisten ist noch auf See. Die letzten Solo-Skipper werden erst Dienstag im Ziel erwartet. Doch am Sonntag fielen die Entscheidungen – endlich, muss man sagen. Bis zuletzt nämlich war unklar, wer am Ende vorn sein würde. Um die Podiumsplätze wurde in der Proto-Klasse bis am frühen Nachmittag gebangt. Und vermutlich hat kaum ein Hochseerennen der Klasse so viel Nerven gekostet wie dieses.
Dass die Wetterlage der zweiten Etappe diffizil sein würde, war schon vor dem Start in Horta auf den Azoren klar. Wie sehr aber, zeigte sich erst im Rennverlauf. So knifflig waren die Bedingungen, dass zahlreiche Figaro-Skipper, die in einer Woche ihren Saison-Höhepunkt aussegeln, gebannt den Tracker verfolgten und das Wetter studierten. Das sagte Proto-Triumphator Pierre Le Roy gegenüber YACHT online heute Mittag.
Ein Hochdruckkeil spaltete den Kurs gewissermaßen diagonal von Südwest nach Nordost. Die Teilnehmer mussten sich für eine längere, aber mehr achterlichen Wind verheißende Strategie entscheiden, oder für eine lange Amwind-Strecke nahe dem Großkreiskurs nach Les Sables. Der Vorteil lag zuerst bei der Südgruppe, bevor die Nord segelnden Skipper profitierten.
Am Ende gewann mit Pierre Le Roy einer aus der Mitte, wenn auch knapp. Er kam nur rund drei Stunden vor dem auch gesamt Zweitplatzierten, Jacques Delcroix, ins Ziel. Aufgrund seines überlegenen Sieges in der ersten Etappe hätte Le Roy aber auch eine deutlich schlechtere Platzierung nicht den Gesamtsieg nehmen können.
Hinter den beiden Franzosen querte als Dritter Uros Krasevac die Linie. Der Slowene hatte sich an die Empfehlung seines Routiers Jure Jerman gehalten und war lange stur nach Norden gesegelt, was ihn anfänglich ans Ende der Proto-Klasse brachte. Dann aber kam Payback-Time. Zwischenzeitlich führte der auf einem Sam-Manuard-Design von 2009 gestartete Rookie die Wertung an, musste aber bei der Querung eines Zwischenhochs Le Roy und Delcroix ziehen lassen.
Krasevac, der erst seit diesem Frühjahr in die Mini-Klasse eingestiegen ist, egalisierte mit dem dritten Platz seine traumatische Erfahrung beim Finish der ersten Etappe. Dort hatte er, ebenfalls auf Rang 3, das Ziel schon zum Greifen nah, musste aber im letzten Moment einem auslaufenden Boot ausweichen und verlor wegen ablandiger Tide und Schwachwind mehr als vier Stunden und einen Platz. Diesmal ließ er nichts anbrennen.
Allerdings war sein Achtungserfolg hart erkämpft. Schon nach wenigen Tagen versagte an seinem Bordrechner der Wind-Modus für den Autopiloten; der Slowene konnte fortan nur noch nach Kompasskurs steuern lassen. Kein großes Problem bei Leichtwind, aber undenkbar in der zuletzt frischen Brise, mit der er ins Ziel kam. „Ich musste die letzten 50 Stunden fast durchweg von Hand steuern“, sagte der Mann mit der Ukulele.
Noch schwerer aber fand er, die richtigen taktischen Entscheidungen zu treffen. Kein Wunder: Die Mini-6.50-Segler können nicht Grib-Files aus dem Netz ziehen und am Laptop durch ausgefeilte Routing-Programme auswerten lassen. Stattdessen stehen ihnen nur rudimentäre Wetterinformationen per Funk zur Verfügung, die zu verstehen akustisch oft schwierig bis unmöglich ist. Umso höher ist die Leistung von Pierre Le Roy einzuordnen, der sich seinen eigenen Reim auf die Launen der Natur machte.
Der Schnellste aber war Le Roy nicht. Diesen Bestwert angelte sich Uros Krasevac. Mit 1.664 Seemeilen segelte er die größte Strecke, weil er so weit nördlich hielt, und mit 7,1 Knoten die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit aller Solisten. Zum Vergleich Le Roy: 1.533 Seemeilen und 6,7 Knoten im Schnitt.
Wer bei den Serienbooten in der Gesamtwertung aufs Podium kommt, war bei Redaktionsschluss Sonntagabend 22 Uhr noch nicht ausgemacht. Felix Oberle ist theoretisch ein Kandidat, allerdings könnte er mit dem zu erwartenden Gesamtrang 10 in der zweiten und Rang 4 in der ersten Etappe auch knapp am Podest vorbeischrammen. Er hat sich dennoch sehr stark präsentiert und dürfte beim Mini-Transat in einem Jahr zu den besten Nicht-Franzosen im Feld zählen.
Felix Oberle hat seinen zehnten Platz in der zweiten Etappe bestätigt. Mit einer Gesamtzeit von 20 Tagen 23 Stunden und 12 Minuten wird er in der Wettfahrt Fünfter, mit weniger als drei Minuten Rückstand auf Platz vier. Damit bestätigt er seine gute Form aus Etappe 1.
Weiter hinten im Feld segelt derzeit die Österreicherin Lisa Berger auf Platz 48. Sie musste gestern und heute eine Zone mit extrem leichten Winden passieren, was sie zurückwarf. Sie hat noch ca. 250 Seemeilen bis ins Ziel.
Hier geht es zum Tracker der SAS-Regatta, wie das Rennen Les Sables–Les Açores–Les Sables in Kurzform heißt (bitte klicken!)