Jochen Rieker
· 21.09.2025
Sieben Starts, sieben Siege. Das ist die makellose Bilanz des 38-jährigen Franzosen, der 2013 schon einmal das Mini Transat gewonnen hat, auf einem konventionellen Boot. Jetzt tritt er mit dem besten Foiler an, der je gebaut wurde. Als Ingenieur hat er zusammen mit Sam Manuard selbst an der Konstruktion mitentwickelt, die bei Idealbedingungen gut ist für Etmale von um die 400 Seemeilen. Im Interview erzählt Benoit Marie, was es brauchte, um den Mini 6.50 hochseetauglich zu machen, wie es sich anfühlt, mit 25 Knoten übers Wasser zu fliegen, und warum er glaubt, dass eines Tages auch Fahrtenboote auf Foils segeln werden.
Naja, statistisch gesehen stimmt das sicher. Ich habe alle Rennen bisher gewonnen, viele sogar sehr deutlich. Aber ich würde nie antreten mit dem Gefühl, der sichere Sieger zu sein, zumal ich sehr starke Konkurrenten habe. Allen voran Alexandre Démange von DMG Mori und Julien Letissier auf Frerots. Oder auch Mathis Bourgnon und Basile Gautier.
Ich bin in der Qualifikation wirklich ans Limit gegangen und habe hart gepusht, um Schwächen am Boot rechtzeitig feststellen und beheben zu können. Aber so werde ich nicht transatlantik segeln, da muss ich erst mal im Ziel ankommen, um zu gewinnen. Deshalb glaube ich, dass ich nicht die gleiche Überlegenheit werde zeigen können. Aber natürlich hoffe ich, dass ich gewinne.
Aber sicher! Auf dem Papier ist die Sache klar: Da sind die Foiler überlegen, einfach deshalb, weil der Widerstand mit wachsender Geschwindigkeit nicht zu-, sondern abnimmt. Das gibt uns einen großen Vorteil, stellt uns aber auch vor eine Herausforderung. Der Vorteil ist das gewaltige Geschwindigkeitspotenzial. Bei idealen Bedingungen, in mäßigem Wind und bei flacher See oder sehr langer Dünung, sind wir bis zu zehn Knoten schneller als die anderen Prototypen. Aber damit wächst auch das Risiko, dass wir das Boot in kurzen, steilen Wellen zerlegen. Das ist das Dilemma, macht die Sache so knifflig.
Ich glaube, dass wir sie inzwischen gefunden haben. Es braucht dafür drei Voraussetzungen. Vor zwei Jahren hatten wir sie noch nicht, als Caro am Start war (Caroline Boule, seine Partnerin, die beim vorangegangenen Mini Transat nur den 15. Gesamtrang schaffte; d. Red.). Zunächst mal kommt es auf ein gutes Design an; ein foilender Mini muss sehr leicht sein, zugleich aber sehr robust, um gut mit Seegang klarzukommen. Der zweite Erfolgsfaktor liegt im Autopiloten; wir haben mit Mad-in-Tech fast zwei Jahre an der Feinabstimmung gearbeitet, wir haben die gleiche Technik wie ein moderner Imoca, haben einen eigenen System-Ingenieur für die Programmierung der ganzen Parameter. Anders geht das nicht. Und schließlich muss man als Skipper wissen, wann und wie man das Tempo drosselt – über die Stellung der Foils, den Trimm der Segel und über die manuellen Vorgaben an den Autopiloten. Das erfordert einen langen Abstimmungsprozess. Wir haben vor fast vier Jahren begonnen mit „Nicomatic – Petit Bateau“ und wir haben nie aufgehört mit der Weiterentwicklung.
Zum Beispiel haben wir jetzt einen anderen Computer für die Steuerung des Autopiloten wie auch einige neue Sensoren. Und wir haben viel genauere Parameter und verschiedene Modi, nach denen die Selbststeuerung arbeitet. Das allein macht einen riesigen Unterschied. Mit dem neuen Steuergerät hat Caroline voriges Jahr beim SAS-Race den Weltrekord für Mini 6.50 aufgestellt: 322,7 Seemeilen in 24 Stunden, und das einhand! Das war vorher undenkbar.
Einer der Hauptunterschiede ist, dass Mad-in-Tech bei der Steuerung auch den temporären Ausfall von Sensoren kompensieren kann. Wenn also der Sensor für die Geschwindigkeit durchs Wasser ausfällt oder der Kompassgeber, dann führt das nicht sofort zu einem Sonnenschuss. Der Computer schaltet dann auf Sensoren um, die ähnliche Daten liefern, zum Beispiel das GPS für Kurs und Geschwindigkeit. Oder er arbeitet mit dem Durchschnitt der letzten Werte, wenn es keine anderen Sensoren mit vergleichbaren Informationen gibt. Der Autopilot schaltet dazu blitzschnell in einen „Failsave“-Modus und warnt uns akustisch. Sonst wären wir bei über 20 Knoten Geschwindigkeit aufgeschmissen. Das ist Caro beim Mini Transat 2023 passiert. Seither haben wir wirklich alles verbessert und teils ausgetauscht; selbst die Kabelwege haben wir optimiert.
Wir bewegen uns in einem extrem großen Geschwindigkeitsbereich. Das System muss in der Lage sein, in Verdrängerfahrt bei vier, fünf Knoten zu funktionieren, aber auch im Flugmodus bei über 30 Knoten. Das war die Herausforderung. Inzwischen funktioniert die Selbststeuerung hervorragend. Wir sind unter Autopilot schon 31 Knoten gesegelt, ohne dass es haarig geworden wäre – fast so schnell wie mit der Pinne.
Wir sind tatsächlich noch in einem Pionier-Stadium, aber dafür sind wir schon extrem weit gekommen. Es ist umwerfend! Ich habe so ein Glück, „Nicomatic – Petit Bateau“ segeln zu dürfen. Sie zählt für mich zum aufregendsten, was es gibt.
»Wir sind unter Autopilot schon 31 Knoten gesegelt, ohne dass es haarig geworden wäre!«
Gute Frage. Ich würde sagen, dass es mehrere Gründe sind, die zusammenwirken. So haben wir in diesem Jahr mit dem Einstieg von „Petit Bateau“ als Sponsor zum ersten Mal wirklich das Budget, das wir uns immer erhofft hatten. Die ersten paar Jahre waren wir echt am Limit. Jetzt konnten wir den Autopilot entscheidend optimieren, neue Segel bauen lassen. Und wir konnten uns erlauben, Sachen kaputt zu machen, weil wir wussten, dass wir das Geld haben würden, sie zu reparieren und das Boot so zuverlässiger zu machen. Das ist ein Riesenunterschied, als wenn du immer in der Sorge lebst, bei der nächsten Qualifikationsregatta vielleicht nicht am Start sein zu können.
Ah, sie waren viel zu klein! Vor allem das Großsegel. Wir waren von Beginn an unglücklich darüber, hatten aber kein Budget für einen neuen Satz. Jetzt sind wir auch bei einem anderen Segelmacher, X Voiles, die mich schon vor zwölf Jahren bei meinem ersten Mini Transat ausgestattet hatten. Die Segel sind nicht nur größer, sondern stehen auch besser und sind robuster. Zuvor waren wir untertakelt bei Leichtwind, was uns wirklich geschadet hat. Jetzt haben wir diese Schwäche komplett ausgemerzt.
Ja, absolut. Im Mini Fastnet sind wir kaum je gefoilt und haben dennoch gewonnen. Das zeigt, was für eine clevere Konstruktion wir haben. Das war auch das Ziel unserer Weiterentwicklung: Egal wie die Bedingungen sind, das Boot darf nicht benachteiligt sein. Und wenn alles passt, können wir das Potenzial der Foils nutzen, um uns entscheidend abzusetzen. Das hat uns diese Saison so stark gemacht. Und es gibt noch etwas, was ich gar nicht genug betonen kann: Diese Kampagne ist eine Teamleistung. Ich bin der Skipper und an Bord verantwortlich. Aber ohne Caro wären wir nicht da, wo wir jetzt stehen. Sie ist ein Schlüsselfaktor des Erfolgs. Sie leitet das Team, verwaltet das Budget, findet und betreut die Sponsoren. Ohne sie gäbe es uns nicht!
(lacht) Oh nein! Überhaupt nicht!
Die ersten zwei Stunden nicht, da war der Seegang noch zu grob. Aber von da an war ich nicht mehr an der Pinne. Ich glaube, ich habe zwölf Stunden geschlafen.
Aber ja! Natürlich schläfst du nicht stundenlang am Stück, sondern in kurzen Intervallen von zehn, fünfzehn Minuten. Aber das nur aus Sicherheitsgründen, um Ausguck zu gehen. Das Boot brauchte mich da nicht.
Ich schlafe grundsätzlich unter Deck. Wenn du im Cockpit bist, musst du dauernd eingepickt sein, weil es einfach zu gefährlich wäre, über Bord zu gehen, wenn das Boot abschmiert oder mit dem Bug in die See eintaucht. Es wäre auch zu nass an Deck. Und wenn wir beschleunigen, dann rüttelt und vibriert es so sehr, dass sogar Sitzen unkomfortabel ist, weil du dich permanent verkeilen musst. Ruhe findest du deshalb wirklich nur im Liegen, in der Kajüte. Wir haben sogar ein recht bequemes Bett, wenn man es so nennen mag: eine Kohlefaser-Rohrkoje mit einem Beanbag als Auflage, die ich so anwinkeln kann, dass ich zwischen Deck, Rumpfwand und Carbongestell komplett eingekeilt bin. So wie auf den Imocas und Class 40.
Es hängt alles vom Seegang ab. Wenn der passt, dann ist alles super entspannt, super stabil. Das Boot krängt ja kaum, und du schwebst dann wirklich über den Wellen, zumal die Foils wie Stoßdämpfer fungieren. Da kann ich dann auch ungehindert übers Deck gehen und auf dem Vorschiff Segel wechseln. Aber so ist es eben nicht immer. Beim Mini Transat zum Beispiel werden wir auf der zweiten Etappe von den Kanaren in die Karibik im Passat weitaus härtere Bedingungen haben: mit relativ konfusem, steilen Seegang. Da musst du langsam machen, wenn du nicht riskieren willst, dass du über die Wellen katapultiert wirst. Aber auch langsamer zu segeln, birgt Risiken, weil es die Gefahr erhöht, von den Foils zu fallen. Da kann es sein, dass ich über Tage nicht aufrecht an Deck stehen und mich ausstrecken kann.
Gar nicht!
Zwei Wochen nichts Warmes?
Ich nehme sicher keinen Gaskocher mit an Bord; das wäre viel zu gefährlich. Ich werde meistens kalte Fertignahrung essen und dazu vielleicht vier, fünf Tüten mit Expeditions-Mahlzeiten, die sich selbst erwärmen.
Auf der langen Etappe von den Kanaren an werden wir so an die 15 Knoten loggen, denke ich.
Es wird darum gehen, smart zu segeln. Was hätte ich davon, hohes Risiko zu gehen und Mastbruch zu erleiden oder strukturelle Schäden am Rumpf oder den Foils? Ich muss ja die Ziellinie nur eine Sekunde vor dem Zweiten kreuzen. Mein Ziel wird sein, auf der ersten Etappe keinen großen Rückstand zu kassieren bei Leichtwind, und mich dann abzusetzen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Ich brauch dazu ja nur ein paar Stunden auf den Foils, dann bin ich weg. Zum Beispiel vor dem Durchgang einer Front, wenn die See noch flach ist und der Wind zunimmt. Dann kann ich zehn Knoten schneller segeln als alle anderen. Das wird ein, zwei, drei Mal pro Etappe der Fall sein. Da kann ich den Unterschied machen. Ansonsten werde ich versuchen, einen guten Schnitt zu halten, aber nichts Verrücktes anzustellen.
»Wir haben eine Art SUV konstruiert – nicht maximal schnell bei flachem Wasser, dafür aber stabil bei Welle.«
Das war genau der Gedanke, als wir das Boot zusammen mit Sam Manuard konstruiert haben. Wir hätten auch die Option gehabt, kleinere Foils zu bauen, wie Carlos Manera auf seinem Mini „Xucla“. Aber wir sind „all in“ gegangen. Bei meinem ersten Mini-Transat-Sieg hatte ich im Ziel einen Vorsprung von 2 Stunden und 15 Minuten. Diesmal sollte deutlich mehr drin sein.
Ich glaube, es lag vor allem an den Budgets. Es ist wirklich schwer, für einen Mini die erforderlichen Mittel aufzutreiben. Und dann bringen die Foils einfach auch viel zusätzliches Gewicht, weshalb die frühen Boote bei Leichtwind chancenlos waren. Das galt zum Beispiel auch für „Arkéa“, das wahrscheinlich radikalste Konzept bisher. Und dann brauchte es Zeit für die nötigen Evolutionen im Foil-Design. Unsere Flügel sind quasi selbstregulierend und viel seegängiger als etwa die des „Pogo Foiler“ von 2018. Im Vergleich haben wir eine Art SUV konstruiert – nicht maximal schnell bei flachem Wasser, dafür aber stabiler bei Welle. Ich glaube, das war die Schlüssel-Entscheidung, weil wir die Foils jetzt immer nutzen können.
Ganz sicher. In fünf Jahren werden wir fünf Boote mit dem Potenzial von „Nicomatic“ sehen, in zehn Jahren 15. Dann wird der Mini 6.50 die spannendste Klasse im Hochsee-Rennsport sein. Ich erinnere eine Regatta, da saß ich nachts im Cockpit, wir flogen im Mondlicht mit 25 Knoten Speed über die See. Wenn du das erlebst, willst du nie wieder zurück. Es ist pure Magie!
Um die zweite Frage zuerst zu beantworten: Ja, ich bin sicher, dass wir eines Tages foilende Minis in Kleinserie für 350.000 Euro bauen können. Bei „Nicomatic – Petit Bateau“ war das etwas anders, weil wir sehr viel in die Konstruktion investiert haben. Kilian Goldbach hat sie maßgeblich gebaut, ein deutscher Komposit-Experte, der weltweit zu den Besten zählt und sonst im America’s Cup und der Formel 1 arbeitet. Wir wollten da keine Kompromisse eingehen. Deshalb hat unser Mini etwa die Hälfte einer Class 40 gekostet. Wenn ich meine und Caros Stunden vorsichtig mit einrechne, reden wir über einen Gesamtwert von etwa 600.000 Euro. So viel haben wir natürlich nicht bezahlt, weil wir umsonst gearbeitet und auch viel Material geschenkt bekommen haben. Wahrscheinlich waren es bisher 400.000 Euro an harten Kosten. Zum Vergleich: Ein Proto ohne Foils kostet heute zwischen 300.000 und 330.000 Euro.
Alles! Auch wenn es ein viel größeres Boot ist und einen kompletten Ausbau haben wird, steckt unser ganzes Know-how darin. Es gibt uns auch eine bessere ökonomische Basis, um unsere Familie zu ernähren, da wir bald Eltern sein werden. Es ist übrigens interessant, wie viel Interesse wir inzwischen haben, wie viele Anfragen wir bekommen – auch von großen Serienwerften.
Davon bin ich fest überzeugt. Wir sehen es ja sogar schon bei Motorbooten, wo Foils mehr Effizienz und Fahrkomfort bringen können. Und wir werden eines Tages auch Performance-Cruiser sehen, die fliegen. Die Skaw Paradise, die bereits diesen Winter zu Wasser geht, ist ein Vorbote von dem, was noch kommt. Wir arbeiten jedenfalls bereits an dieser Zukunft.
Oh, das liegt sehr lange zurück. Als ich sechs Jahre alt war, habe ich die ersten Bilder von „L’Hydroptère“ gesehen. Das war 1993/94. Mich hat das so fasziniert, dass ich meine Eltern bat, mit Alain Thébault Kontakt aufzunehmen, dem Skipper. Ich wollte unbedingt auf diesem Boot mitsegeln. Daraus wurde natürlich nichts, aber die Bilder von diesem fliegenden Riesen hab ich nie vergessen. Und als dann 2013 der America’s Cup in San Francisco live übertragen wurde, ist meine alte Liebe noch mal ganz neu entflammt. Jetzt gab es mit den AC 72 Boote, die sogar am Wind foilen konnten. Mir war sofort klar, dass es von da an keinen Weg zurück geben kann. Deshalb bin ich nach meinem ersten Mini Transat in die Moth-Klasse gewechselt. Ich war sogar mal Siebter bei den Moth Worlds. Was ich da an Erfahrung und Wissen gesammelt habe, führte am Ende zu „Nicomatic“.
Ich werde ein bisschen Wetter -Routing machen, ansonsten vor allem abschalten und ausspannen. Wir haben uns in den vergangenen Jahren die Seele aus dem Leib geschuftet. Jetzt tanke ich Energie. Du musst heiß sein auf das Rennen, auf die Strapazen, die damit verbunden sind. Für mich ist es wichtig, dabei auch Spaß zu haben, sonst bin ich nicht gut.