Mini-TransatDie Story von einem Podiumsplatz, der keiner werden durfte

Tatjana Pokorny

 · 28.09.2025

Die Nachricht der Rennleitung zum Etappenabbruch.
Foto: Hendrik Lenz

Der Düsseldorfer Mini-Segler Hendrik Lenz wurde – wie alle anderen Starter – in vollem Lauf von der Annullierung der ersten Etappe erwischt. Er lag zu dem Zeitpunkt – nicht ganz wie alle anderen – auf dem herausragenden dritten Platz in der Serienbootwertung. Den Etappenabbruch im im La Boulangère Mini-Transat hält er für gerechtfertigt, auch wenn er die verlorene Chance bedauert und dem Sturm vorne im Feld hätte entgehen können.

​Cascais statt Kanaren. Überführung statt Rennmodus. Im La Boulangère Mini-Transat steht die Welt der Segler Kopf, seitdem die erste Etappe am Donnerstag abgbrochen wurde und die Solisten nach Aufforderung der Rennleitung Schutzhäfen angelaufen sind. Nur die beiden Proto-Spitzenreiter haben ihren Kurs von Las Sables-d’Olonne nach Santa Cruz de La Palma fortgesetzt, weil sie zum Zeitpunkt der Entscheidung schon weit nach Süden vorgedrungen waren und keine Sturmbedrohung für sich sahen.

Mini-Transat ohne Wertung für Etappe eins

Benoït Marie („Nicomatic – Petit Bateau“) und Alexandre Demange („DMG Mori Sailing Academy 2“) hatten am Sonntagmittag noch rund 100 und knapp 200 Seemeilen bis zum Etappenhafen Santa Cruz de La Palma zu segeln. Eine Wertung aber, das wissen sie, wird es nach der offiziellen Annullierung der ersten Etappe im Mini-Transat auch für sie nicht geben.

Der Fall liegt anders als noch vor vier Jahren, als Melwin Fink und weitere Solisten bei einem herannahenden Sturm die erste Etappe trotz Schutzhafen-Empfehlung fortgesetzt hatten. Damals war diese Aufforderung der Rennleitung zum Aufsuchen eines Schutzhafens nicht direkt mit dem offiziellen Etappenabbruch verknüpft worden. Jetzt war sie es.

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Der Aufforderung folgten 86 Teilnehmer und liefen sieben unterschiedliche Häfen an der portugiesischen Küste an. Zwei der insgesamt 90 Skipper und Skipperinnen waren zuvor mit Mastbrüchen ausgeschieden, zwei setzten ihren Kurs fort. Alle anderen warten an diesem Sonntag in den Häfen auf bessere Bedingungen zur Überführung nach La Palma. Dort startet die mit 2700 Seemeilen mehr als doppelt so lange zweite Etappe nach Guadeloupe am 25. Oktober.

​Teurer Schutzstopp für Mini-Transat-Segler

Unter den Wartenden sind auch Hendrik Lenz („Monoka“), Victor David („Ich bin en Solitaire“) und Thiemo Huuk („Europe“). Sie befinden sich mit weiteren 28 Miniisten in Cascais bei Lissabon, warten dort auf die erstbeste Chance zum Weitersegeln. Weitere 31 Solisten befinden sich beispielsweise in Peniche. Bis heute mussten alle nach offizieller Vorgabe warten. In der kleinen Leidensgemeinschaft in Cascais hat sich inzwischen die Idee entwickelt, am Montag gemeinsam weiterzusegeln.

Bis dahin müssen die Minisegler in Cascais klarkommen mit dem, was sie haben. Viel ist es beim ungeplanten Zwischenstopp nicht. Und inzwischen sind sie noch einige Euro ärmer, denn beim Reinfahren nach Cascais wurde den schutzsuchenden Seglern direkt 65 Euro für den Schlepp des Hafenmeisters zum Liegeplatz abgenommen, obwohl ein Mini-Transat-Begleitboot dabei war und dessen Crew angeboten hatte, den Dienst zu übernehmen. Dazu sollen in der schicken Marina von Cascais für drei Nächte Notunterschlupf 160 Euro Liegeplatzgebühren pro Mini anfallen.

Im gut geschützten Hafen erlebten die angekommen Mini-Transat-Segler den draußen tobenden Sturm nur gedämpft. Abzuwettern haben sie in ungewöhnlicher Lage andere Probleme. So hatten die Segler anfangs kein Handy zur Kommunikation, das ihnen aber über eine gut organisierte Notfallkette der Veranstalter in den vorbereiteten Ziplok-Beuteln bald überbracht wurde.

Etappen-Aus trifft Lenz in Top-Position

Offiziell abgebrochen worden war die Etappe am Donnerstag (25. September). Alle Solisten hatten diese Nachricht via Tracker erhalten: „Etappe abgebrochen. Der Hurrikan Gabrielle nähert sich der portugiesischen Küste. Nehmt Kurs auf den nächsten Hafen, um dort vor Samstag, den 27. Schutz zu suchen.“ Das Aus für die Etappe traf jene hart, die sich bis dahin eine starke Platzierung erarbeitet hatten. Zu ihnen zählte auch der Düsseldorfer Hendrik Lenz.

Den Respekt, den er sich mit Rang drei bei Abbruch ersegelt hatte, den kann ihm keiner mehr nehmen. Für die Wertung aber ist die Leistung – wie auch die Leistungen aller anderer – nach der Annulierung verloren. Vorschläge einiger Segler, wenigstens einen Zwischenstand in die Wertung aufzunehmen, gibt die Segelanweisung laut Rennleitung nicht her. Trotz der Enttäuschung hält Hendrik Lenz den Abbruch für gerechtfertigt, auch wenn er ihm die Chance auf einen Podiumsplatz geraubt hat und er nach eigener Einschätzung dem Sturm wie Benoït Marie und Alexandre Demange voraussichtlich entgangen wäre.

Es war unter den gegebenen Umständen die richtige Entscheidung.” Hendrik Lenz

Für etwa die ersten zehn Boote wäre der Sturm nicht relevant gewesen, sagt Hendrik Lenz. Und weiter: “Ich hatte den Sturm für mich nicht als kritisch eingestuft. Aber es hat relativ viel Bruch in der Flotte gegeben. Für die war es allemal die richtige Entscheidung. Und man kann eine Etappe natürlich nicht nur für die Hälfte der Flotte abbrechen. Eine halbe Entscheidung ist nicht gut, auch wenn es für uns sehr, sehr schade ist.“

“Schau auf den Tracker, schau auf den Tracker!”

Hendrik Lenz hatte die Abbruchnachricht der Rennleitung nicht sofort mitbekommen, weil das leise Piepen des Trackers in der lauten Anbordkulisse seines Vector-Minis untergegangen war. Weil er sich zu dem Zeitpunkt aber ein spannendes Duell mit Deniz Bagci um Platz drei geliefert hatte, in dem Bagci alles versucht hatte, aber nicht am rasend schnellen Deutschen vorbeikam, funkte der „Sonmez Global“-Skipper Hendrik Lenz an: „Schau auf den Tracker, schau auf den Tracker! Dann reden wir.“

Lenz las die Nachricht der Wettfahrtleitung und kam der Aufforderung nach, den Erhalt zu bestätigen. Dabei wusste er: Sein bis hierher herausragend bestrittenes Rennen war Geschichte. In Cascais sagt er zwei Tage danach: „Wir haben alle so gekämpft, so hart gearbeitet. Das tat schon weh.“ Weil er wie Bagci und andere recht weit draußen vor der Küste segelte, muss er 140 Seemeilen „zurück“ nach Nordosten segeln, um Cascais zu erreichen.

“Positiver Schock” im ersten Mini-Transat

Im Schutzhafen reflektierte Lenz am Wochenende den Etappenverlauf bis zum Abbruch. Er erinnert sich, wie Wetternachrichten der Wettfahrtleitung ihn an den ersten zwei Tagen kaum und vor allem rauschend erreichten. Kurz dachte er, sein Empfänger sei kaputt, doch andere in der Flotte hatten die gleichen Probleme. So hatten die Segler an den ersten beiden Tagen dieser ersten Mini-Transat-Etappe nur dürre Infos über Hoch- und Tiefdruckgebiete, keine detaillierten Wetterdaten, keine Positionsangaben für die Flotte.

„Wir sind auf den Wetterdaten von Tag eins gefahren“, erinnert sich Lenz. Ein erstes Ranking sah er erstmals an Tag drei. Da lag er plötzlich auf Platz drei. „Das war dann ein positiver Schock“, so der Mini-Transat-Erstteilnehmer, der sich zuvor auch ohne ausführliche Daten dazu entschlossen hatte, das große Verkehrstrennungsgebiet vor Kap Finisterre innen, also zwischen Küste und Verbotszone zu passieren. Erst danach wechselte er auf die Westflanke. Die Kombination hat ihm „gegen den Trend der Lorient-Segler“ starke Gewinne gebracht.

Von Thaïs Le Cam, die bei Etappen-Abbruch auf „Frerots Ad“ als sehr starke Vierte der Protoflotte nicht sehr weit von Hendrik Lenz entfernt segelte, hatte der Deutsche gehört, dass ihr Vater Jean Le Cam grundsätzlich empfiehlt, das Verkehrstrennungsgebiet vor Kap Finisterre außen zu passieren. Auch der eigene Trainer der Lenz-Gruppe in La Rochelle hatte „außen“ empfohlen, doch in stiller Übereinstimmung mit seinem Trainingspartner Nicolo Gamenara entschied sich Lenz für „innen“ – und wurde dafür belohnt.

Bugsprietbruch kann Lenz nicht stoppen

„Das war superschnell“, erzählt er, „mit Spi medium und zwei Reffs im Groß war die kleine Dose mit bis zu 18, 20 Knoten irre schnell.“ Weniger erfreulich war, dass der „Monoka“-Bugspriet nach dem Verkehrstrennungsgebiet brach. Da war das Innenstück der Steckkonstruktion herausgebrochen. In Ermangelung eines Hammers hat Lenz das Alurohr mit einer Winschkurbel „wieder reingekloppt“ und die zuvor rausgebohrte Niete durch eine Schraube ersetzt. „Es sah nicht schön aus, hat aber funktioniert. Ich habe danach wieder den Code Zero gesetzt. Das hat gehalten“, so Lenz.

Dass er mit den führenden Booten in den ersten drei Tagen fast 600 Seemeilen abgaloppierte, ist imposant. Insbesondere nach „meinem schlechtesten Start aller Zeiten“. Lenz hatte nach dem Start am 21. September in flauen Winden und alter Welle anfangs Probleme, „die Karre wieder in Gang zu kriegen“. Dann tastete er sich zunehmend effektiver in sein Rennen. „Nach sechs, sieben und auch mal zehn Knoten herrschte bei der Île d‘Yeu null Wind. Ich bin fast noch ins Sperrgebiet reingedriftet, der Wind kam aus komischen Richtungen“, erinnert er sich an den Auftakt zu seinem ersten Mini-Transat.

In der Nacht folgte das Kontrastprogramm: ein brutaler Reach mit Winden um 20 bis 30 Knoten. „Die anderen haben den Code Zero stehengelassen. Ich habe mir gesagt: Das mache ich nicht!“, berichtet Lenz. Als er vom ersten Mastbruch hörte, fühlte er sich in seiner Entscheidung bestätigt. Dabei hatte er in dieser ersten Nacht auch erstmals stark mit Übelkeit zu kämpfen. „Danach war es vorbei. Ich fand gut, wie gut ich mit Eimer gesegelt bin“, sagt er Tage später grinsend.

Im Downwind-Donner am Feld vorbei

Sein Sturm in Richtung Spitze begann nach Rundung des im Norden der Biskaya positionierten Wegpunkts. Lenz berichtet: „Da hat meine Zeit angefangen. Es herrschte immer noch starker Wind. Das war ein Downwind. Ich habe mit dem Spi medium eine ‚Cinese Jibe‘ gemacht, dann den Code Zero gesetzt und eine Stunde geschlafen. Dann habe ich wieder den Medium gesetzt und alle überholt. Ich war tiefer und schneller unterwegs als beispielsweise Pierrick Evenou, der mit seiner Pogo 3 mehr Tiefe fahren müsste als sonstwer.“

Etwas gegessen habe er erstmals nach eineinhalb Tagen. An Bord herrschte eine konstante Nässe, wie Lenz sie noch nie erlebt hatte. „Äpfel und Paprika waren Matsch, der Schlafsack klitschnass, es gab kein trockenenes Fleckchen mehr an Bord. Aber es war auch wirklich Knall in der Luft“, erinnert sich der Mini-Transat-Stürmer an die druckvolle Phase.

Als er schließlich als Dritter der Serienbootwertung sogar bis auf 20 Seemeilen an den zweitplatzierten Paul Cousin heranrückte, dachte Lenz – noch ohne Information zu den Zwischenständen unterwegs: „Entweder hat Paul es verrissen oder ich bin wirklich richtig schnell.“ Letzteres war der Fall, was auch sein Sparring-Partner Nicolo Gamenara auf „Red Hot Mini Pepper“ und Deniz Bagci beeindruckt bestätigten. Sie seien einfach nicht mehr an ihm vorbeigekommen.

Blaue und grüne Flecken nach Reparatur im Mast

Hendrik Lenz glaubt, dass auch das neue Antifouling Anteil am Speedvermögen seines Minis hat. „Die Werft unseres Vertrauens in La Rochelle hat Nautix A4 draufgesprüht. Die kümmern sich da um alle Minis. Man kann alle Vorarbeiten selber durchführen, dann wird es etwas günstiger“, erzählt Lenz.

Und auch das berichtet der 30 Jahre alte Skipper: „Ich musste am Tag vor dem Abbruch der Etappe in den Mast klettern, habe mich dabei blau und grün geschlagen. Am Windgeber haben dem Propeller zwei Schaufeln gefehlt. Dann dreht er nicht mehr richtig und du hast keinen richtigen True Wind Angle mehr. Ich habe versucht, es im Kompassmodus zu lösen, dann aber doch schnell den Spi runtergenommen und hoch.“ Das haarige Reparaturmanöver war am Mittwoch in 16 bis 18 Knoten Wind gelungen.

„Es war das erste Rennen, bei dem ich das Gefühl hatte, mit den Schnellsten wirklich mithalten zu können“, zog Hendrik Lenz in Cascais Bilanz. Und mehr noch: Er ließ Gegner stehen, die ihm bei anderen Rennen mindestens ebenbürtig oder schneller waren. Mit gemischten Gefühlen blickt er nun dem verbliebenen Abschnitt des Kurses von Cascais nach Santa Cruz de La Palma entgegen. Ohne Wettkampfmodus können sich die rund 750 Seemeilen quälend lang gestalten, sagt Lenz. Hier geht es zum weiter live laufenden Tracking, das Stillstand und Bewegung der Mini-Transat-Segler zeigt.

Das lange Warten auf die Mini-Transat-Flotte

Etwas Ablenkung von den Ereignissen gab es für die Miniisten am Wochenende in Cascais bei Abstechern nach Lissabon. Den unternahmen sie in Segelbekleidung, Lenz in Flipflops und andere in Crocs, weil dieser Stopp nicht geplant war und niemand etwas anderes dabei hat. „Wir haben Glück, dass wir hier so viele zusammen sind“, so Lenz, dessen Mutter vor dem Etappenabbruch ihren Flug nach Santa Cruz de La Palma sogar noch vorverlegt hatte, um vor Ort zu sein, wenn der Sohn mit der Top-Gruppe ins Ziel kommt.

Wie ihr, ergeht es vielen Familienangehörigen, Freunden und Helfern, die nurn im Etappenhafen sehr viel länger auf die Flotte warten müssen als gedacht, während die Segler sich voraussichtlich am Montag ihren Kurs nach La Palma fortsetzen werden. Lenz sagt: „Wir werden vielleicht versuchen, eine virtuelle Startlinie zu legen und noch ein bisschen ernsthaft zu segeln. Man glaubt ja nicht, wie langweilig es ohne Wettkampf auf dem Mini werden kann. Das ist mir schon auf dem Weg nach Cascais aufgefallen. Das waren sehr lange 140 Seemeilen, obwohl ich Bücher und Hörbücher dabeihatte.“

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