Den 6. November wird Victor David nie wieder vergessen. Der in Paris lebende Deutsch-Franzose, der sich teilweise gemeinsam mit den deutschen Mini-Solisten Hendrik Lenz und Thiemo Huuk auf die gemeinsame Mini-Transat-Premiere vorbereitet hatte, lag mit seiner Pogo bei 16°N und 43°30W mitten auf dem Atlantik etwa an 25. Position in der Flotte der Serienboote. Den guten Zwischenstand hatte er sich nach schwachem Start nach und nach erarbeitet. Er war gerade unter Deck, als ihn erst ein Sonnenschuss und dann ein bedrohlicher Knall in etwa 25 Knoten Wind überfielen.
Die Bedingungen waren zu dem Zeitpunkt gegen 11 Uhr morgens unangenehm. “Vor allem war die Welle relativ kurz, so dass mein Boot wirklich ständig in die Welle reingedonnert ist. Es kam viel Wasser über Deck und ich habe mich gerade drinnen kurz ausgeruht. Da war auch die Hölle los. Meine Avocados waren durch die Gegend geflogen, hatten sich mit Meerwasser vermischt. Überall war so eine grüne Suppe und ich musste einfach mal etwas ausruhen. Ich saß da, als plötzlich der Sonnenschuss kam. Und drei Sekunden später der große Knall…”
Was war passiert? Victor David sagt: “Meine erste Vermutung – und ich glaube, daran wird es wahrscheinlich gelegen haben – ist, dass das T-Profil, mit dem das V1-Kabel, also die Hauptwante oben im Mast verankert ist, kaputtgegangen ist. Ich bin einen Sonnenschuss gefahren. Dadurch war natürlich ein bisschen Wumms auf dem Mast. Dann ist das Teil irgendwann kaputtgegangen. Und dann hat den Mast seitlich nichts mehr festgehalten. Ich war drinnen, als der Mast kaputtgegangen ist, habe nicht genau gesehen, was zuerst gebrochen ist.”
Mit Abstand im Ziel war Victor David überzeugt, dass der Sonnenschuss “vor allem am Seegang, an der kurzen Welle”, gelegen habe. “Der Autopilot war ein bisschen überfordert”, so David. Fast drei Meter vom Mast sind abgebrochen. “Es ist halt so eine Sollbruchstelle bei diesen Masten, da über der zweiten Saling. Da ist es oft ein bisschen fragiler. Es ist eine klassische Stelle. In Anführunsgzeichen habe ich Glück gehabt, dass es da gebrochen ist und nicht tiefer. Dadurch konnt ich noch ein bisschen Masthöhe nutzen, aber alles, was Spi oder Gennaker war, ging nicht mehr.”
Sein Großsegel hat Victor David nach dem Unglück kaum mehr angefasst. Er sagt: “Es war noch realitiv viel Fläche oben. Als der Mast gebrochen ist, wurde das Groß gar nicht mal so sehr beschädigt, sah noch ganz okay aus. Mit der Zeit aber kamen schon der Verschleiß und auch ein paar Löcher ins Groß. Auf jeden Fall hatte ich noch genug Fläche vom Groß übrig, vor allem unten. Wodurch ich dann noch ganz guten Speed hatte. Deswegen hatte ich entschieden, es so gut wie möglich zu verriegeln, dass es nicht weiter verrutscht.”
Die Chance, unter den gegebenen Bedingungen noch einmal in den Mast zu gehen, sah Victor David nach seinem Mastbruch im Mini-Transat nicht. “Ich hatte ja kein Fall mehr, mit dem ich mich absichern konnte. Wenn, dann wäre ich barfuß und ohne Sicherheitsausrüstung da hochgegklettert. Das war mir zu gefährlich. Ich wollte nicht noch einen zweiten Unfall verursachen. Dann habe ich mich entschieden, erst einmal mit Sturm- und Großsegel weiterzumachen. Das hat ganz gut geklappt.”
Victor David verlagerte das Gewicht im Boot nach vorne. “Dadurch ist das Boot sogar ganz gut in die Surfs reingekommen. Das hat teilweise sogar ganz gut funktioniert. Ich habe auch zehn, elf Knoten Speed in den Surfs gesehen. Aber ich wusste natürlich auch, dass der Wind irgendwann abschwächen würde. Schon am nächsten Tag war ich nur noch fünf Knoten schnell, am Tag danach waren es nur noch drei Knoten. Es ging sehr, sehr schnell runter.”
Er habe nach dem Mastbruch relativ schnell begriffen, dass es mit den sportlichen Element vorbei war, sagt Victor David in der Retrospektive. Nach dem Knall schnell an Deck gekommen, hatte er sofort nach oben geschaut. Seine Erinnerung: “Da konzentriert sich das Gehirn zunächst auf die Dinge, die zu tun sind: alles einholen, was möglich ist, alles sichern. Und dann bin ich zusammengebrochen. Es dauerte 48 Stunden, bis ich wieder in den „Minimalmodus” zurückgekehrt bin, nur um zu realisieren, was da passiert war.”
Es ist brutal: In zwei Sekunden ist alles vorbei. Drei Jahre Arbeit ... und das Rennen ist vorbei.” Victor David
“Es war hart. Ich habe mich die ersten zwei Tage danach wirklich im Boot eingeschlossen. Ich habe alles zugemacht. Ich wollte nichts mehr mitkriegen, habe mir Noise-Cancelling-Kopfhörer aufgesetzt, damit das Geräusch vom knallenden Mast nicht hören muss. Ich habe auch alle Fenster abgedeckt und bin wirklich nicht aus dem Boot rausgegangen, habe mich abgeschottet.”
Ich konnte nicht mehr. Ich wollte den gebrochenen Mast nicht sehen, also blieb ich unter Deck.” Victor David
Die Geräuschkulisse war für den Solisten grausam. Victor David sagt: “Erstmal hängen Kabel auf Kabel. Das reibt aneinander und ist schon einmal ein sehr unangenehmes Geräusch. Unsere Boote sind ja reine Nussschalen. Und dann hallt es halt sehr stark. Die Geräusche werden drinnen noch verstärkt. Der Mast selber, das abgebrochene Stück, hing ja an den ganzen Fallen, die da noch durchgingen. Bei jeder kleinen Welle knallte das abgebrochene Stück Mast dann gegen den stehenden Restmast.”
In Gefahr gefühlt habe er sich nach dem Mastbruch nie, nur zunächst einige Tage aus dem Spiel genommen. Ab Tag vier nach dem Mastbruch habe er angefangen, wieder Musik zu hören. “Bei mir hilft Musik enorm, um die gute Laune wieder herzustellen”, erzählt Victor David. Auch habe er viel geschrieben, sein Logbuch mit den Gedanken gefüllt, die ihm durch den Kopf gingen. “Das hat auch geholfen. Von Tag zu Tag wurde mir klarer, dass es mit dem Rennen vorbei ist und ich das akzeptieren muss”, sagt er viele Tage später im Mini-Transat-Zielhafen.
Auch hält er sich alleine auf See vor Augen, “dass es hätte schlimmer kommen können”. Platz 56 war nicht das Ergebnis, dass er wollte. Aber es ist ein Ergebnis, das sein abgeschlossenes Mini-Transat besiegelt. “Ich hoffe, für Thiemo wird es auch reichen”, sinnierte Victor David in Saint-François. Der Mast von “Europe”-Skipper Thiemo Huuk war noch vor dem eigenen Unglück am 3. November gebrochen. Wodurch Huuk eine deutlich längere Strecke unter Notrigg zurückzulegen hatte. Hier ist sein Weg im Tracking für das Mini-Transat zu verfolgen.
“Europe”-Skipper Huuk hatte morgens am 17. November als letzter Steuermann im Rennen noch knapp 300 Seemeilen vor sich. Victor David blickt inzwischen auf “zwei Kapitel” der zweiten Etappe im Mini-Transat zurück: “Man kann es auch so sehen, dass ich Glück gehabt habe, dass ich das zweite Kapitel erleben durfte. Die anderen hatten das nicht. Und es hatte auch was: Diesen komischen Rhythmus zu haben, das ist auch ganz interessant. Ich habe die Zeit etwas aus dem Blick verloren. Das war auch irgendwie cool. Deswegen wollte ich auch in der letzten Nacht noch nicht ankommen.”
Ich bin sehr froh, angekommen zus ein, aber natürlich auch ein bisschen traurig, dass es vorbei ist.” Victor David
Statt mitten in der Nacht endlich die Ziellinie zu passieren, hat Victor David die Nacht noch draußen auf See vor Guadeloupe verbracht. “Ich wollte noch nicht ankommen. Ich habe mich da auf See richtig wohlgefühlt, hätte wahrscheinlich noch ein paar Tage weitersegeln können. Wenn das Rennen eh schon im Eimer ist, muss man das Beste aus der Situation machen. Als alle Tage gleich waren, kam ich in eine Art Ruhezustand. Da macht man ein bisschen Frieden mit sich selbst. Und das habe ich geliebt”, sagte er am späten Sonntagabend im Gespräch mit YACHT online.
Als Victor David dann aber am Morgen danach ins Ziel kam, übertraf die Ankunft alle Erwartungen. “Ich bin beim ersten Sonnenschein ins Ziel gefahren, dachte, dass wahrscheinlich noch alle schlafen. Dann standen aber alle am Steg. Das war ein krasses Gefühl. Das tat gut – mit meiner ganzen Familie. Zwei Freunde aus Aachen sind auch da. Wir sind direkt an den Strand. Ich habe Glück gehabt, denn die meisten fahren heute schon wieder weg. Gutes Timing…”