Kristina Müller
· 31.03.2020
Jahrelang planen, tüfteln und trainieren Segler für eine Teilnahme am legendären Mini-Transat. Lina Rixgens über ihren Weg zum Rennen im Herbst 2021 – Teil 1
Derzeit bereiten sich so viele deutsche Segler auf das nächste Mini-Transat vor wie noch nie: Sie wollen bei der legendären Einhandregatta von Frankreich in die Karibik im Herbst 2021 an den Start gehen. Dann werden wieder 80 Solisten in 6,50 Meter kurzen Hochseebooten versuchen, den Atlantik zu bezwingen.
Dabei ist auch die Kölnerin Lina Rixgens, 25, die 2017 als erste deutsche Seglerin überhaupt das Rennen beendete (Porträt in YACHT 21/2016). Vier Jahre nach ihrer Ozean-Premiere im Mini will die Medizinstudentin nun 2021 erneut durchstarten, diesmal in einer Scow, einer Wevo 6.50.
Auf YACHT online berichtet Lina Rixgens über die Vorbereitung auf das Offshore-Abenteuer und die Herausforderungen einer Mini-Transat-Kampagne, bei der die Skipper weitaus mehr als nur Segler sind: In Eigenregie organisieren und finanzieren sie ihr Projekt und trainieren für die Teilnahme am Mini-Transat, bei dem schon viele Profisegler ihre ersten Offshore-Meilen sammelten.
Im ersten Teil berichtet Rixgens von der Übernahme ihres nackten, neuen Bootes und der Mammutaufgabe, es in einen segelklaren Zustand zu bringen.
Es juckt überall. Die Glasfasersplitter piksen an den Armen, an den Beinen, im Rücken. Meine Augen tränen. Es ist heiß. Ich liege auf der Seite verdreht in der 80 Zentimeter Durchmesser großen „Achterkoje“ meines werftneuen Minis, in der Hand Schraubenzieher und Muttern für die Spischotklemme, die Finger voller Sika.
Es ist Mitte Juni 2019, draußen ist schönstes Segelwetter: Sonne satt, mittags 30 Grad, das Elbwasser kräuselt sich, und die Bäume um das Werftgelände herum wiegen sich im Wind. Ich möchte endlich segeln!
Doch davon bin ich immer noch weit entfernt. Vor zehn Tagen ist mein Wevo 6.5 von der italienischen Werft Cima Boats in Hamburg angekommen. Ein nacktes Boot, Decksbeschläge, und alles Weitere wollte ich selbst anbauen. Seit Monaten schon plante ich an den Abenden akribisch, welche Blöcke wie angebracht werden sollten, wo die Klemmen ihre besten Positionen im Cockpit haben würden, welche Leinen ich als Spifallen und welche als Schoten nehmen wollte.
Probesegeln und Kauf
Ein halbes Jahr vor der Auslieferung war ich das erste Mal in Italien, um die Werft in Grosseto und den ersten fertigen Wevo 6.5 im Rahmen von dessen Bootstaufe an der Adria anzuschauen. Die Werft ist zwar in einer kleinen Halle untergebracht, und lediglich drei Mitarbeiter sind an dem zweiten Wevo zugange. Doch zwischen Spaghetti ai frutti di mare und dem obligatorischen Espresso wird klar, dass das Duo aus Werftchef Iris Cima und Konstrukteur Oris D’Obaldo sich über Jahre überzeugende Gedanken über alle Details gemacht hat.
Das Probesegeln verschob sich noch um einige Wochen, doch das Warten lohnte sich: Ich war absolut begeistert von den Segeleigenschaften dieses neuen Serienminis! Polare und Fakten sprechen zwar für sich, aber das Gefühl muss auch stimmen, wenn man sich zwischen mehreren Minis entscheiden muss. Am Wind kamen wir auf für diese Boote sagenhafte 6,5 Knoten Geschwindigkeit, und im Reach gelang es uns selbst untertakelt kaum noch, unter 10 kn zu kommen. Besonders beeindruckend waren aber die Stabilität des Bootes und die Tatsache, dass im Vergleich zu anderen Minis wenig Wasser überkommt. Meine Entscheidung war also gefallen und der Vertrag zwei Wochen später unterschrieben.
Deckslayout und Beschläge
Parallel zu meinem Medizinstudium in Belgien verbrachte ich nach langen Arbeitstagen im Krankenhaus Stunden am Telefon mit Sverre Reinke – meinem Freund, Co-Skipper und Préparateur des Mini 982. Ich wälzte Tabellen von Herstellern, kommunizierte immer wieder mit der Werft, wog Kosten ab, bestellte Ausrüstung.
Für das Deckslayout spielen die Position und die Wahl der Decksbeschläge eine entscheidende Rolle. Natürlich gab es konstruktionsbedingt einige Positionen, die durch Verstärkungen bereits vordefiniert waren, aber die meisten konnte ich selbst festlegen. Durch die vielen Seemeilen, die ich 2016/2017 auf einer Pogo 2 im Rahmen meiner ersten Mini-Transat-Kampagne gesegelt bin, wusste ich nun ganz genau, wo meine optimale Sitzposition beim Steuern ist, wo ich welche Klemme für eine bestimmte Leine haben möchte oder für welche Leinen ich welche Untersetzungen brauche.
So war es mir zum Beispiel wichtig, dass sowohl die Travellerleine als auch die Leine für den Feintrimm des Backstags in Steuerposition schnell und einfach mit der vorderen Hand erreichbar sind, da man die hintere Hand zum Steuern benötigt. Auf beinahe allen Kursen wird das Großsegel vor allem über die Travellerstellung und kaum über die Großschot getrimmt.
Diese Überlegung hatte zur Folge, dass insbesondere für den Traveller zwei liegende Blöcke mehr angebaut werden mussten, damit die Leine gut umgelenkt werden kann. Der Backstag-Feintrimm besteht aus einer Talje mit zwei Dreifach-Blöcken, die ganz vorne im Cockpit am Decksaufbau ansetzen und entlang der Sitzbank bis nach hinten zum Backstag-Grobtrimm durchlaufen. Im Vergleich zu meiner Pogo 2 habe ich jetzt mehr Weg zum Ziehen, eine Untersetzung mehr und weniger Risiko, dass sich die Talje in den Fußstützen verhakt.
Ich habe mich bei den Decksbeschlägen für einen Mix aus altbewährten Blöcken und Fallenstoppern sowie neuen, leichteren GFK-Padeyes und Thimbles entschieden. Natürlich kommt es bei Hochseeregatten in erster Linie auf das Gewicht an, aber auch um Funktionalität und eine hohe Zuverlässigkeit. So wurde die Travellerschiene extra im Werk in den USA auf die genaue Krümmung vorgebogen, für den Trimm der Fock habe ich jedoch wie auf vielen neuen Regattabooten üblich ein 3D-Holepunktsystem gewählt.
Bei einem zweiten Besuch in der Werft hatte ich gemeinsam mit den Werftarbeitern schon Winschen, Klemmen und Fallenstopper für das Pit positioniert und angebracht. Außerdem konnte ich bei dem Infusionsprozess von Pinne und Niedergangsluke zuschauen, was für mich als Ingenieurslaien ein interessanter Einblick war.
Doch auch jetzt, nach der Anlieferung des kleinen Racers in Wedel bei Hamburg, sind die Kartons immer noch voll mit Padeyes, weiteren Klemmen und Blöcken, die alle noch angeschraubt werden wollen. Insgesamt werden es 27 Curry- oder PXR-Powerklemmen, 8 Fallenstopper, 2 Constrictor-Klemmen, 20 Blöcke, 16 Padeyes, 35 Thimbles und 3 Winschen sein, die ich anbringen werde.
Die Leinen
Nach Arbeitsende in der Halle bleiben abends immer noch ein paar Stunden Zeit zum Spleißen der Leinen. Wer schon einmal das Cockpit eines Minis gesehen hat, der weiß, dass dort für ein nur 6,50 Meter langes Boot ganz schön viele Leinen zusammenkommen. Dazu tragen unter anderem der 3D-Trimm der Fock, die Backstagen und der verstellbare Gennakerbaum bei. Insgesamt beläuft es sich bei mir auf 450 Meter Tauwerk an Deck. Mit einer Kombination aus eigener Erfahrung und großartiger fachlicher Beratung wählte ich aus den vielen möglichen Dyneemakernen und -mänteln das für meine Zwecke beste Tauwerk aus. Bei Einhand-Hochseeregatten kommt es vor allem darauf an, Tauwerk auszuwählen, das den kontinuierlich hohen Anforderungen über einen langen Zeitraum standhält.
Bei Fallen, Backstagen und Achterholern – die den Gennakerbaum, Wanten und Mast nach Lee und Luv abspannenden – muss auf einen Kern mit sehr geringem Reck geachtet werden. Die Fallen wählte ich, um vor allem Gewicht im oberen Teil des Mastes zu sparen, in nur 6-mm-Stärke. Achterholer und Backstagen sind mit 8 und 10 mm Durchmesser die dicksten Leinen an Bord. Diese haben vor allem eine statische Belastung zu halten, es laufen nur wenige Meter durch die Klemmen, und das auch nur kurzzeitig – etwa bei einer Halse oder dem Setzen des Gennakers.
Die Schoten und die Travellerleine hingegen werden am häufigsten aktiv benutzt. Auch wenn man bei einer Solo-Atlantiküberquerung natürlich eher die Wellen aussteuert, als tagelang aktiv den Gennaker zu trimmen, so müssen Gennaker-, Fock- und Großschoten doch eher einen weichen Mantel und einen dickeren Kern haben, um gut handelbar zu sein. Alle weiteren Leinen werden so dünn und damit so leicht wie möglich gehalten. So gibt es beispielsweise noch drei Reffleinen fürs Großsegel, eine für die Fock, drei Leinen pro Seite für den Trimm des 3D-Systems der Fock, ein Babystag, um das Pumpen des Mastes zu verhindern, ein Wasserstag für den Gennakerbaum, mit dessen Hilfe man ihn in der Höhe verstellen kann, eine Leine, mit der man ihn aus dem Cockpit ausklappen kann und einige mehr.
Alles, was gespleißt werden kann, wird auch gespleißt. Knoten werden vermieden. Weiteres Gewicht wird im Mastbereich gespart, indem die Fallen zu einem großen Teil abgemantelt werden. Dafür kommt im Bereich der Fallenstopper noch ein zusätzlicher Mantel aus Technora drauf, um bessere Haltekraft zu erlangen. Doch einige arbeitsreiche Abende ist noch Zeit, bis die Fockschot um die Winsch gelegt und der Gennaker das erste Mal am Fall hochgerissen werden wird.
Der Rumpf
Währenddessen wird in den Werfthallen ganze Arbeit geleistet und nach Auslasern der Konstruktionswasserlinie und Auftragen des Antifoulings ist der Moment des Folierens gekommen.
Das gesamte Boot sollte ein Branding in den Farben meines Hauptsponsors bekommen. Lange habe ich daran mit Sponsor und Designer gesessen, bis der perfekte Grau-Grün-Mix auf Rumpf und Segeln herauskam. Dass mein größter Sponsor von 2017 als Hauptsponsor meiner 2021 Kampagne eingestiegen ist, ist großartig und gab mir von Anfang an Planungssicherheit, die Möglichkeit, diesmal einen neuen Mini auszuwählen, und insgesamt mehr Zeit zum Segeln.
Der Rumpf wird somit direkt in der Werfthalle in Folie eingepackt, die Segel werden vom Segelmacher zum Bedrucken und Bekleben geschickt. Stolz wird die folierte 982 von der Elbe nach Travemünde an die Ostsee gefahren, und ich bereite sie an den Abenden nach meinem jetzigen Praktikum an der Uniklinik Lübeck weiter vor.
Im nächsten Blogbeitrag: Reinkranen, Riggen, Regattafieber – Die ersten Schläge mit der Wevo 6.50 „Whomper“
Allein über den Atlantik: Rückblick auf Linas Mini-Transit 2017
Lina Rixgens, 25, hat im Opti Segeln gelernt, später erfolgreich Europe-Regatten absolviert. Als Schülerin hat sie bereits zweimal den Atlantik auf einem Zweimastschoner überquert. Dabei entstand ihr Wunsch, Hochsee- mit Regattasegeln zu verbinden, womit sie später auf der „Haspa Hamburg“ begann. 2015 stieg Rixgens ins Mini-Segeln sein. Für die Transat-Vorbereitung zog sie nach La Rochelle und legte zwei Urlaubssemester ein.
Für ihre Teilnahmen beim Mini-Transat 2017 (Platz 49) wurde die Medizinstudentin aus Köln von Trans-Ocean ausgezeichnet. Als erste deutsche Frau beendete sie damals das Solo-Atlantikrennen. 2021 will sie wieder dabei sein und auf einer neuen Wevo 6.5 aus Italien angreifen, einem neuen Mini-Design mit Scow-Bug.