Du kannst eine Woche lang alles richtig machen, wie etwa Felix Oberle (SUI 1028) oder wie Federico Waksman (URU 1019), und dann doch nach hinten durchgereicht werden. Oder du bist mutig, investierst in eine Position im Westen, so wie Michael Gendebien (BEL 921) oder Mael Cochet (FRA 621), und findest dich plötzlich im Kampf um die Podiumsplätze wieder.
Die Top Drei in beiden Klassen vorherzusagen, wäre selbst am Wochenende noch einem Sechser im Lotto gleichgekommen. Und so sind einige Favoriten ziemlich hart gestrauchelt, während andere sich allen Widrigkeiten des launischen Wetters zum Trotz durchsetzen konnten – allen voran die beiden Spitzenreiter bei den Protos: Victor Mathieu auf seinem schon etwas älteren David-Raison-Mini “Celeris Informatique” (FRA 967) und Carlos Manera auf dem 2022er-Foiler “Xucla” von Sam Manuard (ESP 1081).
Die beiden messerten sich den ganzen Morgen um den Sieg auf Etappe 1: Manera mehr aus Nordost kommend, mit dem lange Zeit frischeren Wind und deutlich mehr Speed, Mathieu mehr aus Nord. Gestern früh hatte der Franzose, der sein Leben komplett dem Hochseesport verschrieben hat, noch mehr als 40 Seemeilen Vorsprung vor Manera – bei nur noch rund 200 Seemeilen Reststrecke bis La Palma. Ein so großes Polster, dass Wetter-Router Christian Dumard nicht mehr an Mathieus Sieg zweifelte.
Doch es kam, einmal mehr, anders. Manera, dessen Boot über C-Foils und Schwerter verfügt und daher auf allen Kursen als sehr schnell gilt, konnte die Differenz binnen 24 Stunden vollständig egalisieren. Heute Früh lag er dann mehrfach vorn, bei so geringen Abständen, dass die Auflösung des Trackers kaum ausreichte, um die Situation auf dem Wasser adäquat widerzuspiegeln. Es ging sprichwörtlich um ein paar Hundert Meter.
Carlos Manera schnappte sich in dem wie in Zeitlupe ausgetragenen Foto-Finish schließlich Platz 1 vor Victor Mathieu. Er brauchte 9 Tage, 19 Stunden, 40 Minuten und 38 Sekunden für die auf direktem Weg 1.351 Seemeilen von Les Sables nach La Palma. Tatsächlich segelte er 1.580 Meilen durchs Wasser, was eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 6,7 Knoten bedeutet.
Der Abstand zu Mathieu betrug am Ende gerade mal zehn Minuten. Der Franzose segelte mit 7,0 Knoten im Schnitt sogar deutlich schneller, legte aber mit 1.642 Seemeilen mehr Strecke zurück.
Auch dahinter blieb es spannend – und eng. Julien Letissier (”Frérots Branchet”, FRA 1069), der über die gesamte Etappe stets in Kontakt zur Spitzengruppe geblieben war, sicherte sich mit einem beeindruckenden Endspurt im Passat Platz 3. Er pushte besonders in der Hochgeschwindigkeitsphase, in der er beständig Etmale von an die 300 Seemeilen loggte.
Mit Laure Galley (”DMG Mori”, FRA 1048) und Marie Gendron (”Léa Nature”, FRA 1050) segelten gleich zwei Frauen unter die Top Fünf, die von Beginn an zu den Favoritinnen gezählt hatten. Beide haben vergleichsweise wenig Zeit auf Manera verloren, sodass sie für den Gesamtsieg weiterhin in Frage kommen. Ihre Boote sind Carbon-Ausführungen des Maxi 6.50 von David Raison.
Federico Waksman, der mehr als die Hälfte der ersten Etappe dominiert hatte, konnte ausgerechnet dann nicht mehr mithalten, als der Passat einsetzte. Er hatte kurz zuvor über technische Probleme berichtet, die ihn erkennbar gehandicapt haben. Auch seine Positionierung östlich des Großkreiskurses erwies sich im Nachhinein als unglücklich. Sein Rückstand wird ihn schmerzen, aber auch er ist noch im Spiel um den Sieg, wenn am 28. Oktober Etappe 2 angeschossen wird.
Das wird für Caroline Boule so kaum gelten. Sie lag heute um 10 Uhr noch 150 Seemeilen zurück auf Platz 19 – nicht das, was sie sich erhofft hatte für ihren Sam-Manuard-Foiler “Nicomatic” (FRA 1067), der theoretisch das höchste Geschwindigkeitspotenzial aller Minis am Start hat.
Bei den Serienbooten sieht alles nach einem Sieg des Belgiers Michael Gendebien aus, der um 10 Uhr heute Früh noch acht Seemeilen ins Ziel hatte und knapp fünf Meilen Vorsprung vor Justin Baradat.
Krass: Die Top Sechs segeln allesamt auf Pogo 3, erst auf P7 rangiert der beste Maxi 6.50. Es ist wie eine Umkehr der Entwicklung aus den vergangenen beiden Jahren, welche die von David Raison geprägten Scow-Designs klar favorisierte. Grund für die Dominanz: der hohe Leicht- und Amwind-Anteil, der die ansonsten etwas in die Jahre gekommene Konstruktion von Guillaume Verdier bevorteilt. Mal sehen, wie das auf der zweiten Etappe aussieht.
Für Felix Oberle aus der Schweiz bleibt der Ausgang des Auftaktrennens noch einigermaßen offen. Er lag heute Morgen an P14 mit noch 120 Seemeilen ins Ziel. Das wird sein Zeitkonto arg belasten. Er hatte in einen östlichen Kurs investiert, der bis zum Wochenende höchst vielversprechend aussah – dann aber ging alles über West.
Dennoch kann er sich in der Position noch deutlich verbessern, denn der Nordost-Passat schwächt sich zum Abend hin ab und hinterlässt, was die Druckverhältnisse betrifft, einen ziemlichen Flickenteppich. Damit kommt ein auf Binnenrevieren groß gewordener Skipper erfahrungsgemäß gut zurecht.
Auch Lisa Berger (”Dimension Polyant”, AUT 980) könnte das in die Karten spielen. Sie hat schon in der Frühphase des Rennens ein Problem gehabt, das sie zurückwarf und bis zuletzt hinderte, ihr Speed-Potenzial auszuschöpfen. Bei noch 230 Seemeilen zum Ziel wird sie wohl erst am Freitagabend ankommen. Eine schwere Hypothek für die Gesamtwertung, für die sie ein Top-Ten-Ergebnis angestrebt hatte. Aber sie kann kämpfen.