La Boulangère Mini-TransatKniffliger Auftakt zur zweiten Etappe

Jochen Rieker

 · 28.10.2023

Schaulaufen beim Prolog vor La Palma am Mittwoch. So etwa wird es beim Start am Samstag hier aussehen | La Boulangère Mini-Transat/A. Pilpré
Am Samstag um 12.52 Uhr Ortszeit ertönt vor Santa Cruz de La Palma das Vorbereitungssignal. Der Start zur 2.700 Seemeilen langen zweiten Etappe des La Boulangère Mini Transat ist für 13 Uhr angesetzt (14 Uhr MESZ). Die Teilnehmer fiebern nach drei Wochen Pause schon seit Tagen darauf hin. Aber es warten auch Herausforderungen

Zwischen 8 und 9 Uhr senkt sich hinter den Teilnehmern des Mini-Transats unerbittlich ein Mantel der fast völligen Unerreichbarkeit. Während gestresste Manager ins Schweigekloster gehen oder andere Formen des “Digital Detox” wählen, sind es bei den Soloskippern die Klassenregeln, die ihnen für etwa zwei Wochen zwangsweise telekommunikative Entgiftung bringen.

Weg mit dem Smartphone! Schluss mit all seinen Ablenkungen, aber auch den Segnungen, die es bringt. Von da an bleibt nur Seefunk und ein Kurzwellenradio, um sich auszutauschen und an aktuelle Wetterinformationen zu kommen.

Vor allem Letzteres wird hart. Denn wie schon auf dem ersten Teilstück von Les Sables-d’Olonne nach La Palma verspricht das zweite, die Königsetappe nach Guadeloupe, taktisch anspruchsvoll zu werden – nicht nur, aber vor allem zu Beginn.

Das hat auch mit zwei Wegpunkten zu tun, welche die Optionen der Ministen erheblich einschränken. Sie wurden am Donnerstag bekannt gegeben, wohl um das Feld beisammenzuhalten.

Zunächst gilt es, die südlich von La Palma liegende Kanareninsel El Hiero an Steuerbord zu lassen. Das verursachte schon Grummeln bei vielen der noch verbliebenen 87 von ursprünglich 90 Skipperinnen und Skippern, weil sie eine Route favorisiert hatten, die zunächst nach Norden geführt hätte.

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Ein zweiter, rein virtueller Wegpunkt liegt auf 35° Nord und 34° West, also rund 800 Seemeilen westlich auf etwa halber Höhe zwischen Kanaren und Kapverden. Auch er zwingt das Feld auf eine südliche Route.

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Bis gestern war das Credo, fix um El Hiero zu segeln, um dann gleich wieder nach Norden oder Nordwesten zu laufen, um einer Schwachwindzone südlich der Kanarischen Inseln zu entgehen. Inzwischen aber sieht es so aus, als lohne der Schlenker nicht. Denn im Süden scheint sich der Nordost-Passat zu etablieren, der einen schnellen Ritt nach West verspricht.

Die Frage ist nur: Wann abbiegen und Kurs auf den zweiten Wegpunkt nehmen? Eher früher, bei dann kürzerem Weg, dafür mit dem Risiko, löchrige Bedingungen vorzufinden. Oder später, mit mehr Druck, aber längerer Strecke. Das wird für Fans spannend, für die Segler knifflig. Krasse Ausreißer sind nach den jüngsten Prognosen eher nicht zu erwarten, denn die Wegpunkte wirken wie Leitplanken und hegen das Feld in den ersten Tagen ein.

Wie sich die Mini-Transat-Segler der Prototypen-Wertung auf Etappe zwei vorbereitet haben

Anders als bei den Serienbooten sind die Abstände bei den Protos recht eng. Nur etwa vier Stunden lagen am Ende von Etappe 1 zwischen P1 und P9. So kann eigentlich jeder der Topgruppe noch über alles gewinnen.

Das anfangs leichtwindige Wetter wird es den beiden Foilern von Carlos Manera (P1) und Caroline Boule (P20) kaum erlauben, sich abzusetzen. Und auch im Passat bieten ihre Tragflügel auf den zu erwartenden tiefen Kursen kaum nennenswerte Vorteile. Hier kann sich das Szenario der ersten Teilstrecke wiederholen.

Allerdings will Caroline Boule den für sie und das Potenzial ihrer “Nicomatic” enttäuschenden Auftakt hinter sich lassen und angreifen. Wie sie gegenüber YACHT online erklärte, lag ihr Rückstand am Ende nicht nur an den Bedingungen, sondern vor allem an der mangelnden Stromversorgung.

“Von Kap Finisterre bis La Palma haben es meine Solarzellen kaum geschafft, den Akku zu füllen”, sagte sie. “Ich musste tagelang fast pausenlos von Hand steuern.” Mehr als zwei, drei Stunden unter Autopilot seien nicht drin gewesen, und dies auch nur tags, bei vollem Sonnenschein. Das Problem hat die französisch-polnische Hochsee-Novizin inzwischen behoben und neue Regler eingebaut.

Und auch für die zu erwartenden VMG-Downwind-Kurse im Passat hat sie eine Lösung, wenn auch noch wenig erprobt: “Caro”, wie ihre Freunde sagen, will nach Rücksprache mit ihrem Konstrukteur Sam Manuard beide Foils gleichzeitig einsetzen, was mehr Auftrieb produziert. Die etwas geringere Geschwindigkeit aufgrund des erhöhten Widerstands nimmt sie bewusst in Kauf, denn auch so müsste sie schnellster Mini im Feld sein – dann nur nicht mit ganz so viel Abstand zu den anderen wie auf einem Flügel.

Nach wie vor ist sie vom Konzept ihres Bootes überzeugt. In La Palma war ihr anzumerken, wie schwer sie an ihrem Ergebnis zu tragen hatte. Sie wirkte auch Tage nach der Ankunft noch schwer deprimiert, hat inzwischen aber wieder Zuversicht getankt und Abstand gewonnen. Wie schon im Interview vor knapp einem Jahr glaubt sie an den Erfolg foilender Minis im Hochsee-Einsatz. „Wir haben noch nicht gesehen, wozu die Boote wirklich imstande sind“, sagt die Ingenieurin, die in der Moth-Klasse ihr Faible fürs Fliegen entdeckt und ihre laufende Promotion an der Ecole Polytechnique in Paris derzeit ausgesetzt hat, um genug Zeit für ihr Mini-Transat-Projekt zu finden.

Sie ist nicht die Einzige in der Proto-Wertung, die sich viel vorgenommen hat. Victor Mathieu (967, P2), nur knapp geschlagener Zweiter auf Etappe 1, zählt angesichts der Prognosen fraglos zu den Siegkandidaten, ebenso natürlich wie Carlos Manera (1081, P1). Und eigentlich alle anderen der Top 9.

Auch Uros Krasevac sollte man auf dem Schirm haben. Er ist ein exzellenter Segler, hat schon beim Silverrudder beeindruckt und ist derzeit bester Skipper mit einem vor 2010 gebauten Boot. Der Slowene jobbte im Sommer bei Seascape, durfte dort seinen Mini modifizieren und erhielt in La Palma Unterstützung von einem seiner Bootsbau-Kollegen. Er will aufs Podium.

Das könnte durchaus gelingen, denn aufgrund der Wegpunkte und der Windprognosen sieht es zumindest in der ersten Woche nicht danach aus, als ob die Scow-Minis eine zwingende Überlegenheit hätten. Im Gegenteil – die Routings favorisieren eher die Allrounder.

Das war auf Etappe eins schon so, wo in der Serienwertung erstmals seit Langem wieder die älteren und konservativeren Pogo 3 vor den Plattbug-Maxi 6.50 von David Raison rangierten.

“All in” für Lisa Berger bei den Serien-Minis

Die einzige deutschsprachige Starterin bei diesem Rennen erwartet “ein sehr spezielles Mini-Transat”. Zum einen wegen der Entscheidung der Wettfahrtleitung für die Wegpunkte, zum anderen wegen der dadurch eingeschränkten taktischen Möglichkeiten.

Die 31-Jährige vom Attersee wirkte gestern wie befreit und zugleich hoch konzentriert. Die Maleschen mit dem gerissenen Wasserstag ihres Maxis “Dimension Polyant”, den sie auch “Mojo” nennt, weil sie sich darauf so wohlfühlt, hatte sie schon auf halber Strecke von Etappe eins überwunden, den Frust einer schier endlos währenden Flaute in Sichtweite des Ziels ebenso. Das spricht für ihren Biss, ihre Reife und die gute Vorbereitung durch ihre Mentaltrainer von OneDay, die auch für Boris Herrmanns Team Malizia arbeiten.

Am Dienstag traf sie sich mit den Mitgliedern ihrer Mini-Trainingsgruppe von La Rochelle, deren Coach eigens angereist war. Am Mittwoch und gestern Abend gab es ausführliche Wetter-Briefings von Christian Dumard, einem der besten Meteorologen und Regatta-Routiers weltweit. Seit Dienstag hat Lisa Berger ihr Boot auf Vordermann gebracht, vor allem aber das nur notdürftig reparierte Wasserstag getauscht. “Jetzt stresst mich nix mehr”, sagte sie im Gespräch mit YACHT online gestern Mittag.

An ihrem Ziel einer Top-10-Platzierung hält sie fest. In der Gesamtwertung wird das schwierig, weil sie aus Etappe eins mit Platz 44 happige 38 Stunden Rückstand auf Sieger Michael Gendebien hat. “Aber für mich zählt jetzt sowieso nur die nächste Etappe. Das ist das eigentliche Transat, dafür sind wir alle hier.”

Den Auftakt degradiert sie schmunzelnd zur bloßen “Überführung”. Weil das Boot nun heil hier sei, werde sie vom Start weg anders als in den Vorbereitungsregatten, bei denen stets die Sorge um das Erfüllen der Qualifikation mitsegelte, alles geben.

Am Freitag hat sie frischen Proviant an Bord verstaut: “Äpfel, Bananen, Mandarinen, außerdem dunkles Vollkornbrot aus Österreich und verschiedene Aufstriche”. Sie mag aber auch Gefriergetrocknetes und isst zum Frühstück schon mal herzhaft statt süß. Mal sehen, wohin sie ihre Erfahrung, ihr Durchhaltewillen und die Unterstützung von Freunden und Familie noch bringt.

Ihre beiden größten Sponsoren hat die sympathische Oberösterreicherin übrigens in Deutschland gefunden: Neben Dimension-Polyant, dem Weltmarktführer für Segeltuche, ist auch der Verein Trans-Ocean an Bord von Lisa Bergers AUT 980.

Ihr Mentor, Wolfgang Quix, war 1977 selbst Teilnehmer am allerersten Mini-Transat; er startete auf einer Waarschip 570, weil es die Mini-Klasse seinerzeit noch gar nicht gab. Inzwischen ist Quix fröhliche 86 Jahre alt und nach wie vor so etwas wie die sportliche Seele des TO. Er kam persönlich nach Les Sables, um Lisa zu verabschieden. So geht Ehrenamt!

Der Start zur zweiten Etappe wird auf Facebook und der Event-Homepage live übertragen. Auf YACHT online halten wir Sie über alle wichtigen Ereignisse während des Rennens auf dem Laufenden.

Zum GPS-Tracker geht es hier.

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