Max Gasser
· 13.11.2023
Nach seiner Ankunft auf Guadeloupe um 1.26 Uhr in der Nacht von Samstag auf Sonntag gab es für Luca Rosetti noch immer keine Ruhe. Stattdessen begann das Bangen, Spekulieren und Rechnen – ob es denn für den Gesamtsieg reichen wird? Seine direkten Konkurrenten mussten die Ziellinie mit einem größeren Abstand überqueren, als er ihn auf der ersten Etappe eingefahren hatte, als er lediglich Achter geworden war. Und mit über 15 Stunden auf den Belgier Michaël Gendebien war dieser Rückstand alles andere als klein.
Doch Rosetti hatte ein unglaublich souveränes Rennen auf der zweiten Etappe gesegelt, alles schien möglich: “Ich war schon sehr zufrieden, wie ich mein Rennen gemeistert habe, und hatte damit auch das Gefühl, einen guten Job gemacht zu haben, was für mich sehr wichtig war.” Gestern Mittag gab es dann auch die unglaubliche Gewissheit: Der 32-Jährige ist der Sieger der 24. Ausgabe des La Boulangère Mini Transat in der Serien-Wertung.
“Dieser Sieg ist eine große Belohnung! Ich hätte mir keinen schöneren Abschluss für meine vier Jahre im Mini 6.50 wünschen können!”, so Rosetti. 2019 hatte er bereits ein Mini-Transat absolviert, allerdings in der Proto-Klasse und mit dem Abenteuer im Fokus. Jetzt sei er deutlich ambitionierter an den Start gegangen: “Dieses Mal konzentrierte ich mich voll und ganz auf die Leistung und nicht auf den Abenteueraspekt. Ich habe keinen Hehl daraus gemacht, dass ich den Sieg anstrebe.”
Er ist damit nicht nur der erst achte Sieger der Serien-Klasse, der nicht aus Frankreich stammt, sondern auch der zweite Italiener, dem das gelingt. 2019 war es, als sein Landsmann Ambrogio Beccaria an die Spitze stürmte. Jener ist mittlerweile ein gestandener Name in der Class 40 und zählt zu den großen Favoriten beim derzeit laufenden Transat Jacques Vabre. Dort soll es auch für Rosetti hingehen, wie er selbst verlauten ließ: “Ich würde gerne Class 40 segeln und habe mit der Arbeit an meinem Projekt begonnen. Ich weiß, dass diese Veranstaltung (das Mini-Transat, Anm. d. Red.) ein bemerkenswertes Sprungbrett ist.” Auch die deutschen Nachwuchshoffnungen Lennart Burke und Melwin Fink haben nach ihrer Zeit im Mini diesen Weg eingeschlagen.
Sein Können dafür hat nun auch Rosetti beim Mini-Transat unbestritten bewiesen. Denn auch auf der ersten Etappe hatte er lange vorn mitgespielt. Die gewählte Ost-Route zahlte sich schlussendlich jedoch nicht aus, stattdessen war es Michaël Gendebien, der auf einem sehr direkten Kurs triumphierte.
Mit dem Start zur zweiten Etappe kämpfte Rosetti dann gegen einen Rückstand von 15 Stunden und 5 Minuten. “Hätten sich die Passatwinde von Anfang an durchgesetzt, hätten wir uns alle auf die Passatautobahn festgelegt, und es wäre ein Geschwindigkeitsrennen geworden, bei dem es unmöglich gewesen wäre, wirklich einen Unterschied zu machen”, erklärt der Italiener. Doch es kam anders. “Als ich begriff, dass sich nach El Hierro zwei strategische Optionen abzeichneten, wusste ich, dass ich eine Chance hatte.”
Nach einem guten Start war der 32-Jährige zu diesem Zeitpunkt bis ins hintere Mittelfeld zurückgefallen, doch das Feld lag eng beisammen, und Rosetti nutzte seine Chance: “Ich habe mich für die Nordvariante entschieden, und das hat sich als Erfolg erwiesen!” Er habe nie locker gelassen, immer Vollgas gegeben und traf vor allem die richtigen Entscheidungen. Der Italiener hielt sich stets in der nördlichen Gruppe des Feldes, verpasste allerdings auch nie den Absprung, wenn es doch mal weiter in den Süden gehen sollte. “Im Allgemeinen lief alles gut, und ich hatte keine größeren technischen Probleme. Natürlich erlebte ich auch einige schwierige Momente. Das ist normal, wenn man 14 Tage allein auf See ist”, so der Mini-Transat-Gesamtsieger im Ziel.
Allzu viele dieser Momente sollten es jedenfalls nicht gewesen sein, denn Rosetti führte das Feld ab dem 1. November nahezu ununterbrochen an, lag nie schlechter als Platz drei. Anders wäre es auch kaum möglich gewesen, den unüberwindbar erscheinenden Rückstand zu relativieren. Doch Rosetti setzte noch einen drauf und holte fast dreieinhalb Stunden mehr raus, als nötig gewesen wären. “Es ist relativ unbeschreiblich”, sagte er, nachdem sein Sieg klar wurde, “was ich fühle, ist nicht leicht auszudrücken.”
So grandios der Sieg für Rosetti ist, so schrecklich muss das abrupte Ende dagegen für den Belgier Michaël Gendebien sein, der die erste Etappe gewonnen hatte. Zwar konnte er die hervorragende Ausgangslage schon früh nicht vollends bestätigen, segelte allerdings weiterhin ein gutes Rennen. Kurz vor dem Ziel kam es dann jedoch zum großen Fauxpas: Der talentierte Solist passierte ein Sperrgebiet an der falschen Seite. “Ich habe die Segelanweisungen nicht richtig gelesen. Ich dachte, das Gebiet um die Inseln von Petite Terre sei nur eine verbotene Zone. Ich hatte nicht verstanden, dass man sie bei der Ankunft auf der Steuerbordseite lassen musste”, erklärte er den gravierenden Fehler.
Möglicherweise könnte ihm dieser einen Platz auf dem Podium der Gesamtwertung gekostet haben. Aktuell wird er dort auf Platz vier geführt, wie der Regelverstoß bestraft wird, sei allerdings noch gar nicht klar, heißt es vom Veranstalter. Denn der Belgier verließ den Hafen wenig nach seiner Ankunft wieder, um das Sperrgebiet in die andere Richtung zu umsegeln und ins Ziel zurückzukehren. Ob absichtlich oder nicht, brach er dabei allerdings eine weitere Regel – er hätte mindestens 12 Stunden im Hafen bleiben müssen, damit es als offizieller Zwischenstopp gegolten hätte. Fraglich ist dabei allerdings, ob man einen Reparatur-Stopp oder Ähnliches im Zielhafen durchführen darf, vor allem wenn man zuvor bereits die Ziellinie überquert hat.
Fakt ist, dass anstelle von ihm jetzt die beiden Franzosen Bruno Lemunier und Gregoire Hue in der Gesamtwertung auf dem Podest vertreten sind, egal wie die Jury-Entscheidung ausfällt. Er mache sich Vorwürfe, so der belgische Skipper: “Ich bin froh, in Guadeloupe angekommen zu sein und ein vierjähriges Projekt abzuschließen, aber natürlich ist es für mich emotional, die Dinge auf diese Weise abzuschließen.”
Lange im Kampf um den Etappensieg mitgespielt hatte unter anderem auch der Schweizer Felix Oberle. Im Ziel war es dann Platz vier, im Gesamtergebnis Platz fünf. Er überquerte gestern früh die Ziellinie vor Saint-François (Guadeloupe), seine Gesamtzeit über die beiden Etappen beträgt 25 Tage, 10 Stunden, 5 Minuten und 56 Sekunden. “Es ist so cool, hier zu sein, zum ersten Mal den Atlantik überquert zu haben!”, sagte er nach seiner Ankunft. Entgegen dem Sieger Rosetti entschied sich Oberle nach El Hierro für einen radikalen Süd-Kurs. “Ich hatte meine Idee, und es hat ganz gut funktioniert”, so der Schweizer, der zwischenzeitlich mit seiner Stromversorgung zu kämpfen hatte.
In beiden Wertungen nähert sich auch das restliche Feld Guadeloupe. Bei den Serien-Minis sind bereits 30 Schiffe im Ziel, auch bei den Protos sind es über 15.