Jochen Rieker
· 28.09.2023
Bis zu 30 Knoten Wind, drei Meter Welle, beides von vorn. Der heutige Tag wird dem Gros der 90 Soloskipperinnen und -skipper noch mal auf die Knochen gehen, vielen auch auf die Nerven. Denn wenn Minis für irgendwas gemacht sind, dann nicht für eine lange Kreuz bei rauem Wetter. Sie können das ab, und die Segler sind vorbereitet auf solche Bedingungen. Aber Tage wie diese zermürben dennoch.
Schon gestern häuften sich die ersten Schäden, zwei Minis liefen Gijon an für Reparaturen. Und es ist absehbar, dass bis zum späten Abend, wenn die Front durchgezogen sein sollte, weitere hinzukommen. Anders als in den ersten Tagen des Mini-Transats lässt sich die Flotte heute über MarineTraffic quasi in Echtzeit verfolgen, weil die Boote in Landnähe segeln und permanent AIS-Daten funken. So lassen sich die Vier-Stunden-Intervalle des Race-Trackers gut überbrücken.
Die kleinen lilafarbenen Symbole, anhand derer man die Mini-Flotte entlang der nordspanischen Küste leicht ausmachen kann, wirkt wie ein Schwarm. Doch tatsächlich beginnt sich das Feld aufzufächern, und das wird sich heute fortsetzen. Vor allem bei den Protos gibt es eine Zweiteilung.
Bis zu dem Schweizer Benoit Alt auf Position 18 liegen jeweils nur wenige Meilen zwischen den topplatzierten Booten. Da ist noch einiges an Bewegung zu erwarten. Dann aber tut sich eine 20-Meilen-Kluft auf zu François Letissier auf P19, die nicht so leicht zu überwinden sein wird.
In Anlehnung an das häufig verwendete Bild, wonach die Reichen reicher werden, kommentierte Andraz Mihelin, CEO von Seascape und in den 2000er-Jahren zweifacher Mini-Teilnehmer in der Proto-Klasse, gestern Abend gegenüber YACHT online kurz und knapp: “Die Armen werden abgehängt.”
Während Carlos Manera inzwischen knapp vor Federiko Waksman liegt und damit die Breitbandigkeit seines Sam-Manuard-Designs mit Schwertern und Foils unter Beweis stellt, konnte Caroline Boule bisher nicht die Trümpfe ihre voll flugfähigen “Nicomatic” ausspielen. Auch ihre Kurswahl wirkt leicht erratisch. Zwar hält sie den Abstand zur Spitze bei um die 20 Seemeilen, was sie im Foil-Modus binnen 5, 6 Stunden egalisieren kann. Doch die Bedingungen, die sie braucht, sind nicht in Sicht.
Im Gegenteil: Auf den nach der Passage des Kap Finisterre zu erwartenden tiefen, leichtwindigen Raumschotsgängen werden andere, auch ältere Protos eher bevorteilt sein.
In der Serienwertung überzeugt weiterhin Felix Oberle aus der Schweiz, dessen aktuell vierter Platz wegen seiner günstigeren Position in Luv tatsächlich noch mehr wert ist, als im Ranking ablesbar. Die Spitzenreiter liegen nur etwas mehr als 20 Seemeilen hinter den besten Protos, was angesichts der langen Leichtwindphase sehr für die Klasse der Serien-Skipper spricht. Unter deren Top Ten segeln nicht weniger als acht eine Maxi 6.50, nur zwei Pogo 3 können die Spitze halten, obwohl die Scows noch gar nicht ihre Idealbedingungen gehabt haben.
Lisa Berger, einzige deutschsprachige Soloskipperin und erste Österreicherin am Start des Mini-Transat, hat inzwischen ihre Aufholjagd gestartet; sie liegt nach einem Hänger in zweiten Nacht, der auf eine Reparatur hindeuten könnte, aktuell an Position 44. Kommt sie heute gut durch die Starkwindphase, bleiben ihr noch mehr als 1.000 Seemeilen, um sich weiter nach vorn zu arbeiten. Ihr Vorteil: So groß wie bei den Protos sind die Lücken im Feld der Serien-Minis noch nicht.
Zum offiziellen Tracker des La Boulangèree Mini Transat geht’s hier: bitte klicken!