Wie sich die Bilder und das Ranking gleichen! Wieder siegte der von David Raison konstruierte Proto mit Bugnummer 1019, der vor zwei Jahren schon Pierre Le Roy als Ersten ins Ziel getragen hatte. Wieder konnte sich ein Mini mit Schwertern gegen zwei Boote mit Foils durchsetzen.
Für Federico “Fede” Waksman, den sympathischen Skipper aus Uruguay, wurde gestern Nachmittag in der Karibik ein Traum wahr. Als erster Südamerikaner triumphierte er beim Mini-Transat, und als erst siebter Nicht-Franzose, der sich bei diesem Hochsee-Klassiker auf den nur 6,50 Meter messenden Booten behaupten konnte.
Sein Erfolg ist umso bemerkenswerter, weil er auf Etappe 1 von Les Sables-d’Olonne nach La Palma nur Neunter geworden war und mehr als vier Stunden Rückstand auf den Spanier Carlos Manera hatte. Dessen Polster aber reichte am Ende nicht - wohl auch, weil er in der ersten Rennwoche der zweiten Etappe, die anfangs von extremem Leichtwind geprägt war, weniger Risiko einging als Fede Waksman.
Am 1. November, Tag drei, trennten sich die Kurse der beiden Top-Favoriten: Manera blieb näher am Großkreiskurs, Waksman halste nach Süden. Gut 30 Stunden später lagen bereits mehr als 180 Seemeilen in Nord-Süd-Richtung zwischen den beiden. Fede verlor aufgrund seines taktischen Schlenkers rechnerisch den Kontakt zur Spitze, die inzwischen der weit nördlich segelnde Slowene Uros Krasevac übernommen hatte, und rutschte auf Rang 15 ab; Manera in der Mitte belegte zu dem Zeitpunkt Platz 10.
Früher als alle anderen hatte Waksman gesehen oder geahnt, dass der Passat im Süden beständiger und etwas stärker wehen würde. Zwar musste er tief fahren, um den Vorteil voll zu nutzen, und es war ein großes Investment, das ihn auch teuer hätte zu stehen kommen können. Doch seine Taktik ging voll auf. Am späten Abend des 2. November übernahm er bereits die Führung im Ranking und loggte beständig Geschwindigkeiten um 14 Konten - wohlgemerkt gemittelt auf fünf Minuten!
Seine besten Etmale sollten von da an trotz mehrerer Halsen, mit denen er sich im optimalen Windfenster hielt, über Tage beständig um und jenseits von 250 Seemeilen liegen - über Grund, nicht durchs Wasser! Und Fede erwischte auch den richtigen Moment, um seine südliche Position wieder zu verlassen.
Am 5. November schwenkte er nach Nordwest und damit auf den direkten Kurs nach Gouadeloupe ein, erneut “just in time”. Da war klar: Nur eine Anomalie im Wetter, technisches Versagen oder ein grober Schnitzer des Skippers könnten ihm den Sieg noch nehmen. Aber Fede behielt die Nerven und die Kontrolle, obwohl er zu diesem Zeitpunkt den mittleren Spi eingebüßt hatte, als ein Beschlag am Bugspriet brach (s. Interview unten).
Im Ziel weinte er, wie schon vor zwei Jahren, als er in der Serienwertung nur 21ter geworden war, diesmal jedoch vor Glück und weil endlich die enorme Anspannung von ihm wich, unter der er zwei Wochen lang gestanden hatte. Umringt von Freunden und Fans ließ er durchblicken, wie groß der Erwartungsdruck war:
Meine Ergebnisse in den Rennen während der Saison haben mir den Status des Favoriten eingebracht, aber mir auch eine gewisse Last auf die Schultern gelegt. Ich habe versucht, mich davon zu befreien, aber das war nicht immer einfach.”
Es muss wie eine Erlösung für ihn gewesen sein, der Ziellinie entgegen zu segeln, das Groß im ersten Reff, mit Genua und Spi max hart an der Kante zum Sonnenschuss, die karibische See blau, die Sonne so strahlend wie sein Gesicht.
Ich bin mit dem klaren Ziel angetreten, zu gewinnen. Ich hätte mir nichts Besseres wünschen können. Ich bin so glücklich, so glücklich!
Auch Waksman härtester Rivale segelte ein starkes Rennen - wenn man von seinem Festhalten an der direkten Kurslinie absieht, die sich im Rückblick zwar als Fehlentscheidung herausstellte, strategisch aber durchaus sinnvoll war, weil er so die Gruppe im Norden nicht ganz ziehen ließ.
Entsprechend abgeklärt das Fazit des Spaniers, dessen von Sam Manuard konstruiertes Boot erst vor einem Jahr zu Wasser ging. Als er im Dunkeln ankam, wirkte er eher enttäuscht. Später begann er immer mehr, seinen zweiten Platz zu bejubeln.
Auf dem Podium zu stehen, ist natürlich großartig! Ich hatte einen kleinen Schaden, der mich schnell daran erinnerte, dass man bei einer Atlantiküberquerung erst mal auf die andere Seite kommen muss, bevor man an den Sieg denken kann”
Sein Proto, der mit der 1081 die höchste Baunummer aller beim Mini-Transat gestarteten Boote trägt, hatte durchaus Siegpotenzial, wie Manera mit Platz eins beim Leichtwind-Finish der Auftaktetappe bewies. Er war auch über den Atlantik häufig bei den schnellsten. Manera betonte, “dass das Boot sehr schnell segeln kann”. Es habe viel Kraft gekostet, sowohl körperlich als auch mental.
Tatsächlich bleiben die Anstrengungen, die das Mini-Segeln im Passat mit sich bringt, enorm - insbesondere bei tiefen Raumschotskursen, wo Sonnenschüsse oder Patenthalsen an der Tagesordnung sind. Obwohl er eigentlich Erster werden wollte, so der Spanier, sei der zweite Platz in der Gesamtwertung “trotzdem sehr zufriedenstellend”.
Ich habe mir nicht viel vorzuwerfen. Alles in allem bin ich sauber gefahren”
Bis zum Ende der Etappe habe er “nicht aufgegeben”, so Manera. “Ich habe gepusht, gepusht, gepusht! Ich konnte sehen, dass ich das Tempo habe und Fede zeitweise Meilen abnehmen konnte.” Wie sehr Druck machte, zeigte sich beim Passieren der Ziellinie, als seine “Xucla” unter Code Zero segelte - völlig untertakelt für den abgeflauten Wind.
Der Grund: “Heute Morgen war ich in den Starkwindböen wirklich schnell, aber dann ist mein großer Spinnaker und danach mein Medium-Spin gerissen. Also musste ich das Tempo ein wenig drosseln, um die letzten Seemeilen zu schaffen.”
Am Ende habe ich ein positives Gefühl. Es ist nicht das intensivste, denn ich hätte gerne gewonnen, aber ich bin trotzdem sehr glücklich"
Als schnellste Frau im Feld wird die Skipperin des Raison-Designs Dritte, dicht gefolgt von Julien Letissier, der damit Dritter in der Gesamtwertung ist. Marie zählte zu den wenigen Mutigen, die von Beginn an auf einen südlichen Kurs setzten, so wie Laure Galley auf “DMG Mori”, die freilich nie den Anschluss an die Spitze schaffte.
Die ersten Serienboote werden in der Nacht von Samstag auf Sonntag deutscher Zeit erwartet. Luca Rosetti sieht wie der sichere Sieger aus, gefolgt vom fantastisch segelnden Schweizer Felix Oberle. Die Gesamtwertung ist noch offen - da geht es um wenige Stunden, und es können sich außer Luca Rosetti mindestens noch zwei Skipper Hoffnungen machen. Wir werden auch über diese Entscheidung ausführlich berichten.
Hier Auszüge aus einem Gespräch mit den Veranstaltern kurz nach dem Zieldurchgang:
"Es ist unglaublich. Das ist das Ergebnis harter Arbeit. Wie alle anderen Teilnehmer habe ich dieses Projekt über mehrere Jahre hinweg aufgebaut. Es war eine große Investition und ein großes Opfer. Beim Mini-Transat geht es nicht nur darum, das Boot zu segeln, sondern um so viel mehr. Nachdem ich 2021 zum ersten Mal an dem Rennen teilgenommen habe, habe ich viel gelernt, sowohl technisch als auch in Bezug auf das Wetter und viele andere Dinge. Ich habe mich weiterentwickelt und in vielem verbessert. Ich bin mit dem klaren Ziel angetreten, zu gewinnen. Ich hätte mir nichts Besseres wünschen können. Ich bin so glücklich, so glücklich! "
"Der Rückstand war groß und klein zugleich in Bezug auf ein Transatlantikrennen. Ich wusste, dass ich mir keinen Fehler erlauben durfte, vor allem, weil Carlos auf jeden Fall attackieren würde. Ich wusste, dass er nicht aufgeben würde, und das tat er auch nicht. Um überhaupt eine Chance auf den Sieg zu haben, musste ich nicht nur vor ihm ins Ziel kommen, sondern auch einen gewissen Abstand zwischen uns beiden herausfahren.
Am Ende konnte ich mich absetzen und einen Vorsprung von 80 Meilen ins Ziel retten. Es war lustig, denn während des Rennens kommunizierten er und ich regelmäßig über UKW-Seefunk. Wir haben die Rennstrategie besprochen, unsere Entscheidungen diskutiert... Ich glaube, wir haben uns beide auf das konzentriert, was gerade passierte, ohne zu früh auf das Ergebnis zu schauen oder uns selbst zu bewerten. Das Mini-Transat ist ein Langstreckenrennen, sowohl für die Segler als auch für die Boote, und man muss erstmal ankommen, wenn man gewinnen will. "
"Ja, ich glaube, wir haben alles richtig gemacht. Ich für meinen Teil bin gut angekommen. Ich habe alles gegeben, um im Ziel nichts zu bereuen. Natürlich hatte ich auch einige technische Probleme. An den windigsten Tagen ist mir der Bugspriet gebrochen. Mein kleiner Spinnaker ist daraufhin ins Wasser gefallen und hat sich im Schwert verfangen. Ich fand eine Lösung, um den Bugspriet zu reparieren, aber dann blieb mir nichts anderes übrig, als mit meinem großen Spi zu segeln, was mir am Ende vielleicht geholfen hat, so schnell zu sein!” (lacht)
"Ja, es ist verrückt! Meine Ergebnisse in den Rennen vor der Saison haben mir den Status des Favoriten eingebracht, aber mir auch eine gewisse Last auf die Schultern gelegt. Ich habe versucht, mich davon zu befreien, aber das war nicht immer einfach. Die ganze letzte Woche des Rennens lag ich in Führung, aber erst 250 Meilen vor dem Ziel in Guadeloupe habe ich gemerkt, dass es gut aussieht und dass ich, wenn ich meinen Teil des Rennens gut mache, den ersten Platz belegen kann - sowohl in der Etappe als auch in der Gesamtwertung. Natürlich denke ich auch an Carlos, der mein Freund ist und dem ich dafür danke, dass er so ein guter Gegner war. "
"Auf jeden Fall. Vor zwei Jahren habe ich im Ziel geweint. Das war auch diesmal so, aber nicht aus demselben Grund! Ich bin so glücklich! So glücklich! Für mich ist das ein echter Erfolg. Das Mini-Transat ist nicht nur ein Rennen gegen andere, sondern vor allem gegen Dich selbst. Man muss an seine Grenzen, vielleicht mehr denn je. Es erfüllt mich mit einem Gefühl von Stolz, dieses Projekt erfolgreich zu Ende gebracht zu haben. "
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