Tatjana Pokorny
· 26.06.2024
Die 130. Kieler Woche musste im Olympia-Jahr auf die meisten internationalen Top-Segler verzichten. Knapp fünf Wochen, bevor die ersten olympischen Startschüsse in der Bucht von Marseille fallen, blieb fast die komplette Weltelite dem Klassiker im deutschen Norden fern. Die Ausnahme bildeten der 2020er-Weltmeister Philipp Buhl und seine Trainingspartner Jean-Baptiste Bernaz und Hermann Tomasgaard. Das internationale Top-Trio hat die Kieler Woche bewusst als letzten Regattatest genutzt, während die aktuellen Klassenkönige, der amtierende Olympiasieger und Weltmeister Matt Wearn (Australien) und Michael Beckett (Großbritannien), auf nochmalige Wettkampfpraxis verzichteten.
Man will ja vielleicht auch noch mal was trainieren, was nicht jeder sehen soll” (Philipp Buhl)
“Rennübung ist Rennübung. Für uns war es gut, hier zu sein. Natürlich hilft Revierpraxis in Marseille, aber irgendwann hat man die dann auch gesammelt. Für uns war ein letzter Wettkampf die bessere Wahl”, sagte Philipp Buhl. Mit Augenzwinkern setzte er hinzu: “Man will ja vielleicht auch noch einmal was trainieren, was nicht jeder sehen soll.” Auch sportlich war die international hochkarätige französisch-norwegisch-deutsche Dreiergruppe im Ilca 7 erfolgreich, dominierte das Feld fast im Alleingang und besetzte schließlich das Podium in der Reihenfolge Bernaz, Buhl, Tomasgaard. Ob er dieses Ergebnis auch für Olympia nehmen würde, wenn er könnte? Philipp Buhl dachte nicht lange nach und sagte: “Ich glaube schon.”
Jean-Baptiste Bernaz schnappte sich den Kieler-Woche-Sieg nach packendem Medaillenrennen mit ständig wechselnden Positionen und einflussreichen Schiedsrichter-Entscheidungen mit Rang sieben im Finale. Zeitweise wurde Philipp Buhl im Medaillenrennen sogar als Gesamtsieger geführt, doch schließlich reichten für den sympathischen Franzosen insgesamt 51 Punkte 20 Jahre nach seinem ersten Kieler-Woche-Start zum ersten Kieler-Woche-Titel.
Auf Bernaz’ Schultern lasten daheim viele olympischen Medaillenhoffnungen der Grande Nation. “Es tat gut, noch einmal in einem anderen Revier, bei einer so berühmten Serie wie der Kieler Woche anzutreten. Im Finale hat die Spannung allerdings bis zum Schluss angehalten”, sagte Jean-Baptiste Bernaz vor seinem fünften Olympia-Einsatz. Der 36-Jährige ist sich seiner Rolle als olympischer Hoffnungsträger der Olympia-Gastgeber sehr bewusst. Nach Platz acht bei seiner Olympia-Premiere im chinesischen Qingdao, Platz zehn im britischen Weymouth, Platz fünf in Rio de Janeiro und Platz sechs bei den Spielen in Japan kämpft der 1,90 Meter große Franzose immer noch um seine erste Olympiamedaille.
Olympische Spiele sind der Wettkampf deines Lebens” (Philipp Buhl)
Während der dritte Sparringspartner Hermann Tomasgaard, 30, bei der Olympia-Regatta 2021 in Enoshima schon Bronze gewonnen hat, nimmt auch Philipp Buhl im dritten Olympia-Anlauf seine erste Medaille unter den fünf Ringen ins Visier. Nach Platz 14 in Rio de Janeiro und Platz fünf in Enoshima will er in Marseille mehr. Der 34-jährige Allgäuer sagte in Kiel: “Olympische Spiele sind der Wettkampf deines Lebens. Ich habe bei meinem ersten Mal underperformed, bei meinen zweiten Spielen ging es schon besser.” Was er bei seinem dritten Gipfelsturm will, ist auch auf seiner Homepage zu lesen: “Sein großer Traum: eine Medaille bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 und Los Angeles 2028.”
Der 1,87 Meter große Steuermann, der für den Segelclub Alpsee-Immenstadt und den Norddeutschen Regatta Verein startet, weiß inzwischen gut, was es zum so schweren Sprung auf ein olympisches Podium braucht: „Der unbedingte Wille zu gewinnen ist die Voraussetzung. Dann musst du in der olympischen Woche alle erlernten Skills abrufen können, darfst aber auch nicht überdrehen, wenn es darum geht, die Kür abzuliefern. Ich werde versuchen konzentriert abzuliefern, was ich gelernt habe.“
Philipp Buhl ist der bekannteste Akteur der deutschen Segel-, Windsurf- und Kite-Equipe für Marseille. Insgesamt elf Athletinnen und Athleten vom German Sailing Team hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) pünktlich zur Kieler-Woche-Halbzeit am 26. Juni offiziell nominiert. Neben Philipp Buhl sind es mit den Nacra-17-Seglern Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer (Kieler Yacht-Club) die Olympia-Dritten von Enoshima, die wie Buhl olympische Erfahrung ins Team einbringen. Paul Kohlhoff feierte am “Olympischen Tag” der Kieler Woche seinen 29. Geburtstag.
Alle weiteren unter DSV-Dach nominierten Marseille-Starter nehmen Kurs auf ihre Olympia-Premiere: Im iQFoil-Windsurfen sind es der 2022er-Weltmeister und 2021er-Vizeweltmeister Sebastian Kördel und die mit 22 Jahren teamjüngste Aufsteigerin Theresa Steinlein (beide Norddeutscher Regatta Verein), die in der Bucht von Marseille angreifen wollen. Im ebenfalls neuolympischen 470er-Mixed wollen nach hart umfochtener und bei der EM in Cannes gewonnener Ausscheidung Simon Diesch und Anna Markfort (Württembergischer Yacht-Club/Verein Seglerhaus am Wannsee; Joersfelder Segel-Club) um eine Medaille kämpfen. Im 49er FX haben sich Marla Bergmann und Hanna Wille (Mühlenberger Segel-Club) ihre Olympia-Fahrkarte nach zuletzt rasantem Aufstieg in die Weltelite verdient. Leonie Meyer (NRV) und Jannis Maus (Cuxkiters) wollen der Olympia-Premiere der Kiter ihren Stempel aufdrücken.
Ob aus den elf bislang vom DOSB in acht von zehn olympischen Disziplinen offiziell bestätigten Athleten noch 14 werden, die dann gemeinsam mit der Mannschaft in allen zehn olympischen Segelwettbewerben antreten, bleibt bis Anfang Juli offen. Ilca-6-Steuerfrau Julia Büsselberg (Verein Seglerhaus am Wannsee) und die 49er-Segler Jakob Meggendorfer und Andreas Spranger (Bayerischer Yacht-Club) haben zwar die Nationenstartplätze geholt, aber die jeweils individuelle Qualifikation verpasst. Der DSV kämpft für seine Sportler und hat beim DOSB sogenannte Einzelfallanträge gestellt. In diesen Fällen entscheidet der DOSB Anfang kommenden Monats.
DOSB-Präsident Thomas Weikert, der am Mittwoch erstmals die Kieler Woche besuchte, sagte im Olympiazentrum Kiel-Schilksee: “Wir haben eine große Mannschaft. Es haben sich viele Mannschaftssportarten – mehr denn je – qualifiziert. Das ist erst einmal für die Stimmung in der Mannschaft gut.” Gefragt nach den Chancen für die Segel-Olympioniken, sagte Weikert: “Im Segeln haben wir letztes Mal drei Medaillen gewonnen. Ich will niemanden unter Druck setzen, aber vielleicht ist das auch das Ziel.” Weiter sagte der DOSB-Präsident zu den erhofften Leistungen des gesamten Team D: “Ich erhoffe mir, dass wir etwas besser abschneiden als bei den letzten Olympischen Spielen. Da waren wir im Ranking bei den Sommerspielen auf Platz neun.”
Zur Medaillensammlung von Team D hatten vor drei Jahren im japanischen Enoshima die DSV-Besten mit drei Medaillen intensiv beigetragen: Tina Lutz und Susann Beucke gewannen Silber im 49er FX, Erik Heil und Thomas Plößel (NRV) holten ihre zweite Bronzemedaille in Folge im 49er. Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer jubelten über Platz drei. Die Nacra-17-Segler vom Kieler Yacht-Club sind im aktuellen Aufgebot für Marseille die einzigen, die schon olympisches Edelmetall gewinnen konnten.
DSV-Präsidentin Mona Küppers blickt den Olympischen Spielen und dem Einsatz der Nationalsegler optimistisch entgegen: “Wir haben eine gute Vorbereitungszeit hinter uns. Wir haben gute Bedingungen da unten. Alle unsere Segler kennen das Revier. Wir haben ein relativ junges Team, das gut drauf ist. Und dann warten wir mal ab ... “ Besonderen Dank richtete Mona Küppers an die Vereine, in denen die Olympioniken ihr Handwerk gelernt haben.