Tatjana Pokorny
· 22.06.2023
Es war ein echtes Segelfest zum Ende der ersten olympischen Halbzeit der 129. Kieler Woche: Nach viertägigen Leichtwindqualen, Rennverschiebungen und Nervenpoker erlebten die Olympioniken zum Abschied bei 14 bis 20 Knoten Wind Segelbedingungen zum Genießen. Den Medaillenrennen tat das besonders gut. Hochspannend ging es etwa im neu olympischen 470er-Mixed zur Sache, wo die führenden drei Teams vor dem Finale nur zwei Punkte trennten.
Durchgesetzt haben sich Simon Diesch und Anna Markfort (Württembergischer Yacht-Club/Verein Seglerhaus am Wannsee). Die vermutlich schwerste Crew unter den besten 470er-Mixed-Teams in der herausragend starken deutschen Trainingsgruppe powerte auf dem Kurs in sehenswerter Weise. Rang drei im Ziel reichte zum Gesamtsieg. “Ihr wolltet Spannung? Wir haben sie euch gegeben!”, sagte Vorschoterin Anna Markfort nach den Rennen lachend.
Im vergangenen Jahr hatte sich Anna Markfort kurz vor der Kieler Woche mit Steuermann Simon Diesch zu einem gemeinsamen Test für eine mögliche Olympia-Kampagne verabredet. Bei der Kieler Woche 2022 wurden sie Zweite. Sie beschlossen, Olympia 2024 zusammen ins Visier zu nehmen. Dafür bringt Simon Diesch auch familiäre Erfahrung mit ins Boot: Sein Onkel Jörg Diesch und sein Vater Eckart Diesch gewannen 1976 vor Kingston Olympia-Gold im Flying Dutchman.
Wir segeln alle auf Weltklasseniveau und pushen uns gegenseitig zu Höchstleistungen” (Anna Markfort)
Ein Jahr nach ihrer Entscheidung segeln Simon Diesch und Anna Markfort nun als Vize-Europameister und Kieler-Woche-Sieger auf vielversprechendem Kurs. Als Mitglieder der international stärksten Trainingsgemeinschaft in der neuen Olympiadisziplin 470er-Mixed zollten sie auch ihren Teamkameraden Tribut. “Wir segeln alle auf Weltklasseniveau und pushen uns gegenseitig zu Höchstleistungen. Das wollen wir bis zum Ende tun. Das ist die Stärke unserer Trainingsgruppe. Und das wird der Vorteil der Sieger der nationalen Qualifikation sein, die hoffentlich wir sind”, sagte Anna Markfort. “Wir arbeiten dafür, dass einer von uns die Medaille umgehängt bekommt”, sagte Steuermann Diesch.
Theres Dahnke/Matti Cipra (Plauer Wassersportverein) holten im 470er-Mixed Platz zwei, die Titelverteidiger Malte und Anastasiya Winkel wurden Dritte. Das segelnde Ehepaar aus Kiel startet für den Schweriner Yacht-Club und den Norddeutschen Regatta Verein und vertritt Deutschland bei der vorolympischen Testregatta Anfang Juli in Marseille, wo 2024 um olympisches Edelmetall gerungen wird. Die amtierenden Weltmeister Luise Wanser/Philipp Autenrieth (Norddeutscher Regatta Verein/Bayerischer Yacht-Club) verpassten das Kieler-Woche-Podium als Vierte zwar knapp, konnten die Kieler Woche aber mit dem guten Gefühl des gewonnenen Medaillenrennens abschließen.
Das war so schön, windig und schnell heute” (Sebastian Kördel)
Windsurf-Weltmeister Sebastian Kördel raste am Medaillen-Mittwoch im starken Endspurt noch auf Platz eins. Der Radolfzeller, der am Vortag in zwei Rennen von Flaute und Seegras brutal ausgebremst worden war, ließ seinen Worten Taten folgen. “Ich kann das noch gewinnen”, hatte er angekündigt – und sich über das Viertel- und Halbfinale ins Finale katapultiert. Auch den entscheidenden Lauf der besten drei iQFoil-Asse dominierte der 32-Jährige vom Norddeutschen Regatta Verein klar. Nach Platz zwei im Vorjahr feierte der Hoffnungsträger im neu olympischen iQFoil seinen zweiten Kieler-Woche-Triumph. “Das war so schön, windig und schnell heute.” Seine Bilanz dieser 129. Kieler Woche dürfte eine der ungewöhnlichsten sein: 1, 1, 1, DNC, DNC, 1, 1, 1.
Auch die Hamburgerinnen Marla Bergmann und Hanna Wille vom Mühlenberger Segel-Club kehrten mit strahlenden Gesichtern vom Medaillenrennen zurück in den Olympiahafen Kiel-Schilksee. Die für die olympische Testregatta qualifizierten Seglerinnen von der Elbe holten den dritten deutschen Kieler-Woche-Sieg im 49er FX. Die Senkrechtstarterinnen des vorolympischen Jahres haben ihre Studien auf Eis gelegt und gehen für das Ziel Olympia “all in”.
Steuerfrau Marla Bergmann sagte in Kiel: „Es war sicher nicht ideal, mit einem Frühstart in die Kieler Woche einzusteigen. Wir mussten danach etwas zurückhaltender agieren. Im Finale sind wir volles Risiko gegangen und hatten den besten Start.“ Nur einen Punkt hinter Bergmann/Wille beendeten Maru Scheel und Freya Feilcke vom Kieler Yacht-Club ihre gelungene Kieler Woche. Die gute Zusammenarbeit unter den noch jungen deutschen 49er-FX-Crews hob Hanna Wille hervor: „Wenn wir das Nationenticket für Olympia 2024 lösen wollen, müssen wir zusammenarbeiten, und das funktioniert auch sehr gut. Unser Trainer fördert den offenen Austausch sehr.“
Ein Happy End nach viel Kampf in der bisweilen qualvoll leichtwindigen ersten Hälfte der weltgrößten Segelwoche gab es für die olympischen Bronzemedaillen-Gewinner Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer aus Kiel. Mit dem Sieg im Medaillenrennen schoben sie sich noch auf Platz zwei hinter den Italienern Margherita Porro und Stefano Dezulian vor. Zufrieden waren die erfahrenen Katamaran-Könner damit im kleinen Kieler-Woche-Feld ohne starke internationale Konkurrenz nicht. “Doch wir haben noch ein Jahr bis zu den Olympischen Spielen und fühlen uns insgesamt auf gutem Kurs”, sagte Paul Kohlhoff.
Ziel ist es, bei Olympia 2024 alle zehn Disziplinen zu besetzen” (Nadine Stegenwalner)
So sah es auch DSV-Sportdirektorin Nadine Stegenwalner bei der Antwort auf die Frage, ob die deutschen Nacra-17-Dominatoren womöglich den Anschluss verloren hätten: “Ich sehe nicht, dass Paul und Alica den Anschluss verloren haben. Höhepunkte des Jahres sind die olympische Testregatta in Marseille und die Segelweltmeisterschaften in Den Haag. Da müssen davor auch mal Dinge abgearbeitet werden.” Paul Kohlhoff erinnert sich auch noch gut daran, dass seine Crew bei der olympischen Regatta in Japan einige gute Ergebnisse in Leichtwinden erzielen konnten.
Das gesamte German Sailing Team sieht Stegenwalner olympisch auf gutem Kurs: “Aus unserer Sicht steht der deutsche olympische Segelsport sehr gut da. Wir waren in Tokio mit sechs Disziplinen vertreten, derzeit sind wir in allen zehn Disziplinen gut besetzt. Ziel ist es, bei Olympia 2024 auch in allen zehn Disziplinen an den Start zu gehen.”
Heute war ein genialer Tag mit Kaiserwetter vom Feinsten” (Dirk Ramhorst)
Die weiteren vier Siege in den Olympia-Klassen teilten sich Frankreich, die Türkei, Polen und Dänemark. Die Zwischenbilanz von Kieler-Woche-Sportchef Dirk Ramhorst fiel bei strahlendem Sonnenschein und frischeren Winden am Mittwoch glücklich aus: “Heute war ein genialer Tag mit Kaiserwetter vom Feinsten. Das waren tolle Bilder, die um die Welt gingen.” Zu den vielen Flauten-Ausfällen und Verschiebungen an den ersten vier Tagen sagte Ramhorst: “Wir hätten auch unter dem Regenschirm ohne Wind dastehen können. Stattdessen hatten wir schönstes Sommerwetter. Wir können als Veranstalter nur bestmöglich mit dem Wetter umgehen, das wir haben.”
Im 49er konnten Fabian Rieger/Tom Heinrich (Verein Seglerhaus am Wannsee/Kieler Yacht-Club) mit Platz sechs das beste deutsche Resultat erzielen. Als 49er-Vorschoter von Tim Graf hatte Fabian Rieger 2018 in Aarhus schon WM-Bronze gewonnen. Als sein Steuermann die olympische Karriere beendete, übernahm Fabian Rieger die Pinnte selbst und startete mit Tom Heinrich eine neue Olympia-Kampagne. Jetzt konnte das Duo die ersten Früchte der Zusammenarbeit ernten. Siebte wurden auf der Kieler Förde Jakob Meggendorfer und Andreas Spranger vom Bayerischen Yacht-Club.
In der olympischen Einhandjolle Ilca 7 sorgte Justin Barth vom Berliner Yacht-Club mit seinem dritten Platz ebenso für eine positive Überraschung wie der erst 18 Jahre alte Kieler Lokalmatador Ole Schweckendiek (Kieler Yacht-Club) mit Platz fünf in seinem ersten vollen Segeljahr bei den Olympioniken. Nik Aaron Willim (Norddeutscher Regatta Verein) segelte bei der Kieler Woche auf Platz acht. Der 26-Jährige vertritt Deutschland bei der olympischen Testregatta vor Marseille. Im Ilca 6 erkämpfte Julia Büsselberg vom Verein Seglerhaus am Wannsee als Sechste das beste deutsche Ergebnis. Pia Kuhlmann vom Schaumburg-Lippischen Seglerverein wurde Neunte.
Die insgesamt sehr schwache internationale Kieler-Woche-Beteiligung aus dem Bereich Weltklasse, das betonte Dirk Ramhorst immer wieder, war in diesem vorolympischen Jahr der Nähe zu den Pre-Olympics und dem WM-Gipfel in Den Haag geschuldet. Da haben sich vor allem die Trainingsfenster mit dem Austragungszeitraum der Kieler Woche überschnitten.
“Wir wollen im kommenden Jahr dafür werben, dass die Kieler Woche möglicherweise eine gute Bühne für einen letzten großen Regattatest der Olympioniken sein kann, bevor die Olympischen Spiele einen Monat später stattfinden. Es bleibt eine Herausforderung”, nannte Ramhorst eine von mehreren Ideen, wie künftig wieder mehr Top-Akteure für die olympische Halbzeit der Kieler Woche gewonnen werden können. Nicht zur Debatte stehe auch in Zukunft eine zeitliche Verschiebung der Kieler Woche.