Tatjana Pokorny
· 05.09.2021
Die Kieler Woche ist wonnig und sonnig in ihre 127. Edition durchgestartet. Nach etwas flauem Beginn am Samstag wurde Sonntag gesegelt, als gäbe es kein Morgen…
Wenn es ein gutes Bild dafür gibt, wie sich große Publikumssportveranstaltungen nach den harten Corona-Rückschlägen, Absagen und Einschränkungen des vergangenen Jahres wieder in Sportfeste mit Atmosphäre und Aufbruchsgeist verwandeln, dann ist es am Eröffnungswochenende der 127. Kieler Woche entstanden: Zu sehen waren heiter durchs Olympiazentrum Kiel-Schilksee pilgernde Menschen statt aussperrende Bauzäune, miteinander agierende Aktive statt menschenleerer Hafen schon ab 18 Uhr, satter Segelgenuss auf dem Wasser statt gebremste Freude an Deutschlands ältester und größter Regattawoche. Die „Wiederauferstehung“ der Kieler Woche, die zwar auch im Corona-Jahr 2020 dem Sturm der Absagen getrotzt hatte, aber im Abseits der Öffentlichkeit stattfinden musste, macht die Veranstalter, ihre Partner und die Segler in diesem Jahr sichtlich glücklich. Zwar kann noch nicht in allen Bereichen schon wieder aus dem Vollen geschöpft werden, denn von zehn Olympia-Disziplinen werden ab Donnerstag nur drei, darunter die beiden neuen Surf-Wettbewerbe iQFoil Frauen und iQFoil Männer, ausgetragen. Daran sind das Pandemiegeschehen, die erneute Verschiebung der Kieler Woche in den frühherbstlichen September und die daraus resultierende Kollision mit internationalen Regatten aber nicht alleine schuld. Die olympische Beteiligung an der Kieler Woche lässt in nacholympischen Zeiten traditionell nach und baut sich bis zu den nächsten Olympischen Spielen erst wieder auf. Was daran liegt, dass die Kieler Woche dann erneut zur gesuchten Qualifikationsbühne für Trainings und internationale Vergleiche wird.
Die glücklichen deutschen Medaillengewinner der Olympischen Spiele in Japan waren auch ohne eigene Wettfahrten in Kiel gefragt. Der Deutsche Segler-Verband (DSV) hatte sein Tokio-Erfolgsteam am ersten Samstag der Kieler Woche zur Ehrung geladen. Mit einer Silber- und zwei Bronzemedaillen hatten die Segler zu den erfolgreichsten deutschen Sportlern der Olympischen Spiele gezählt. Beim Empfang im Bundesstützpunkt Kiel wurden sie schon auf der Treppe mit Goldkonfetti begrüßt. „Der DSV, alle Trainerinnen und Trainer, das Nationalteam – alle haben einen super Job gemacht. Am Ende ist es natürlich eine individuelle Geschichte, denn keiner kann bei Olympia mit zu euch aufs Boot. Am Ende habt ihr das gerissen, und ich bin stolz darauf, dass ihr zu Kiel, zu Schleswig-Holstein gehört“, sagte Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer. Scherzend setzte er hinzu: „Und beim nächsten Mal ist dann Gold fällig.“ DSV-Präsidentin Mona Küppers, die den Olympioniken im German Sailing Team sehr persönlich gratulierte, reagierte heiter auf Kämpfers goldene Träume: „Gut, dass er jetzt keinen Druck aufgebaut hat.“
In diesem entspannten Stil startete die Kieler Woche heiter, sonnig und wonnig in ihre 127. Edition. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hat Deutschlands älteste und größte Segelregattawoche am Samstagnachmittag eingeläutet, Segelstar Boris Herrmann das Startzeichen mit einem Schiffshorn gegeben: lang-kurz-kurz-lang für „Leinen los!“ Zuvor hatte der 40-jährige Vendée-Globe-Fünfte mit seinem Team am Welcome Race teilgenommen, konnte aber die Stärken seines schnellen GC32-Katamarans „Malizia I“ in den anfangs zu leichten Winden nicht ausspielen und erreichte die Ziellinie der Strecke von Kiel nach Eckernförde auf dem Wasser als zweites Team. Streckenrekorde ließen die flauen Bedingungen an diesem Tag nicht zu, wohl aber pure Freude am Segeln. Das Heimspiel vor Kiel genoss Herrmann sehr: „Das war Champagner-Segeln bei Kieler Kaiserwetter, einfach ein toller Tag auf dem Wasser.“ Es war sein erstes Rennen seit dem spektakulären Zieldurchgang bei der Vendée Globe am 28. Januar dieses Jahres.
Rund 2700 Aktive aus 27 Nationen und 900 Wasserfahrzeuge werden die Kieler Woche in diesem Jahr über neun Tage prägen. Den Auftakt am ersten Wochenende bestritten 160 „Big Boats“ auf den Seebahnen und die internationalen Klassen. Paralympics-Sieger Heiko Kröger vom Norddeutschen Regatta-Verein übernahm nach technischen Problemen mit seiner neuen 2.4mR-Yacht auch auf einem sehr kurzfristig geliehenen Boot souverän die Führung in seiner Klasse. Kieler-Woche-Rekordsieger Wolfgang Hunger aus Strande und sein Vorschoter Holger Jess aus Eckernförde setzten ihre Jagd auf Titel Nummer 24 für den Steuermann nach Rang vier in der einzigen Samstag-Wettfahrt der 505er am Sonntag mit Rang zwei sowie drei Tagessiegen in Serie bei herrlichem Ostwind offensichtlich entschlossen fort. Holger Jess sagte: „Wir sind auch die Einzigen, die für diesen Wind in den vergangenen Wochen trainiert haben. Das zahlt sich aus, je mehr Wind ist. Einmal haben wir uns heute selbst geschlagen, aber unser Boot ist richtig schnell.“ Zweite im 50er sind mit sechs Punkten Rückstand auf die Klassenkönige Jan-Philipp Hofmann und Felix Brockerhoff vom Düsseldorfer Yacht-Club.
Am Sonntag wurde auf allen Bahnen gesegelt, als gäbe es kein Morgen. Die vorhergesagten mäßigen bis frischen östlichen Winde sorgten dafür, dass in allen Klassen mindestens vier Wettfahrten ausgetragen wurden. Wettfahrtleitungen und Aktive waren auch deshalb so eifrig, weil die Windprognosen für die kommenden Tage auf eher flaue Bedingungen hindeuten. Für die Hälfte des Feldes der „fliegenden Wespen“ (Waszp-Klasse) waren die bis zu anderthalb Meter hohen Wellen in fünf Rennen am Sonntag allerdings doch zu viel des Guten. Sie mussten vorzeitig die Segel streichen. Der Kieler Vize-Europameister Adrien-Paul Farien liegt mit einem Punkt Rückstand auf Wazp-Spitzenreiterin Mathilde Robertstad aus Norwegen als bester deutscher Starter nach fünf Wettfahrten auf Platz zwei. Zu den Zwischenstände für alle Klassen und die Seebahnen geht es hier (bitte anklicken!).
Den folgenden Absatz haben wir aktualisiert: Das Welcome Race von Kiel nach Eckernförde gewann am Wochenende in ORC 1 Sven Zollers X-50 „Bajazzo“ vom Segler-Verein Elmshorn vor Steffen Müllers Brenta 60 „Almost Nothing“ von der Burger Segler Vereinigung und Lars Hückstädts XP-44 „X-Day“ vom Plöner Segler-Verein von 1908. Auf dem Rückweg hatte Ralf Lässigs "Xenia" die Bugspitze in ORC 1 vor Hückstädts "X-Day" und Müllers "Almost Nothing" im Ziel. In ORC 2 dominierte die X-41 „Sydbank“ mit der Crew um Torsten Bastiansen (Flensborg Yacht Club) nicht nur überlegen die Hin- und Rückregatta, sondern setzte sich damit auch in der ORC-Gesamtwertung durch. Aufs ORC-2-Podium segelten auf der Hinregatta auch Henry Wulfs Crew auf der X-41 "Stardust" (Kieler Yacht-Club) und die Farr 40 OD "Farr-Lässig"(NaturFreunde Braunschweig) mit dem Team um Michael Schulz. Auf dem Rückweg erkämpften Christoph Mählmanns Mannschaft auf der "Rarotonga" Platz zwei und die Schulz-Crew erneut Platz drei. In ORC 3 siegte auf Kurs Eckernförde Jan Oswalds "Freya" (Kieler Yacht-Club) vor Knut Freudenbergs "Halbtrocken" (Segler-Vereinigung Flensburg) und dem "Sharifa"-Team um Rasmus Töpsch (Yacht-Club Strande). Auf dem Weg zurück ins Olympiazentrum war die "Halbtrocken" vor Kai Haupthoffs "Varuna X Press" (Segelclub Eckernförde) und "Sharifa" als erste im Ziel. Das Rennen in ORC 4 machte zum Auftakt Raoul Küblers "Tam Tam 2" (Akademischer Seglerverein in Kiel) vor Leif Kemmerichs "Fakse" (Sail-Lollipop Regatta Verein) und Michael Matzkes "Lotta" (Segler-Vereinigung Altona-Oevelgönne). Auf dem Rückweg nach Kiel konnte nur die "Lotta"-Crew ihre Platzierung wiederholgen. Den ORC-4-Sieg auf Kurs Kiel holte Sven Claussens "Black Jack" (Norddeutscher Regatta Verein) vor Olaf Höhns "Caelestia" (Hohwachter Yacht-Club). Die Aalregatta nach Yardstick gewann Wolfgang Koglins Streamline „Boba Fett“ vom Klub am Rupenhorn vor Sönke Drillers X412 MK1 „NixmitX“ vom Wassersport-Club Gifhorn und der X-99 „Six-Pack“ von Alexander Gensch.