Tatjana Pokorny
· 06.09.2020
Wer schon einmal bei der Kieler Woche war, kann sich kaum vorstellen, wie still es im Olympiazentrum in Schilksee ist. Auf dem Wasser aber geht es zur Sache
Wer die Kieler Woche kennt, würde das aktuelle Szenario im Olympiazentrum Kiel-Schilksee kaum für möglich halten. Es ist abends um 18 Uhr im Hafen der weltgrößten Regattaserie so still, dass man eine Euromünze weithin fallen hören könnte. Die 126. Edition der „Mutter und Vater aller Regattaserien“ ist genau so, wie sie in Corona-Zeiten angekündigt wurde: Es gibt Segelsport satt. Sonst wenig bis nichts. Das ist das Opfer, was Veranstalter und Teilnehmer in diesem ungewöhnlichen Jahr zugunsten ihres Sports gebracht haben. Gesellschaftliche Begegnungen jeglicher Art – mit Ausnahme von Aktivitäten der Helferteams und einer kleinen täglichen Pressekonferenz – können im von Bauzäunen übersäten und auf diese Weise nach Bootsklassen geordneten Hafenareal nicht stattfinden. Die Aktiven halten sich tagsüber an die strengen Vorgaben, tragen an Land ihre Masken und konzentrieren sich auf ihren Sport.
Bislang haben sich durch die Temperaturmessungen bei den Teilnehmern auf dem morgendlichen Weg zum Hafen und anschließend möglichen weiteren Tests nur fünf Verdachtsfälle ergeben – alle wurden zu ihrer und der Erleichterung der Veranstalter final negativ getestet. Für Kieler-Woche-Organisationsleiter Dirk Ramhorst, seine 300 Helfer und die Akteure auf den Bahnen sind das sehr, sehr gute Nachrichten. Sie wirken wie Balsam auf den angespannten Nerven bei diesem ersten internationalen Segelgroßereignis seit Ausbruch der Corona-Pandemie. FiRS-Schnelltests geben vor Ort auf Basis von Speichelproben und der Untersuchung im Infrarot-Spektrometer bei auffälligen Temperaturmessungen binnen Minuten Aufschluss. Mit diesem Testverfahren zeigen der Flensburger Professor Patrick Warnke und Kollegen aus dem britischen Manchester im Biocel-Analytics-Einsatz im Olympiazentrum, wie schnell und kosteneffektiv Verdachtsfällen noch vor den deutlich teureren PCR-Tests begegnet werden kann. Für die Segler sind die Tests im Olympiazentrum kostenfrei.
Auf den Bahnen in der Strander Bucht und weiter draußen zeigen die Aktiven, was sie nach monatelanger Pause sportlich noch draufhaben. Dabei ging es in den Starts und rund um die Tonnen auch mal lauter zu. Kieler-Woche-Organisationsleiter Dirk Ramhorst, der nach zwei Tagen ohne einen einzigen Corona-Fall nach höchst angespannten Wochen wieder vorsichtig lächeln konnte, berichtete nach seinen Abstechern auf den Bahnen am Wochenende augenzwinkernd: Man merke vielen Crews noch an, dass sie ein wenig „eingerostet“ seien. Rund 1500 Aktive messen sich in der ersten Kieler-Woche-Halbzeit miteinander. Davon etwa 200 auf 26 Booten bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft der ORC-Yachten, insgesamt etwa 750 auf „Big Boats“ und eindrucksvolle 280 Seglerinnen und Segler allein in den Klassen J/24, J/70 und J/80.
Neben Meisterschaftsrennen und Titelkämpfen wurden am Auftaktwochenende der Kieler Woche auch die Klassiker Aalregatta und Welcome Race ausgetragen. Die Aalregatta gewann Thomas Beyers Crew auf der Arcona 370 „Lilla Blas“ vom Kieler Yacht-Club vor Thomas Zagers Dehler 38 C „Saona“ von der Burger Segler-Vereinigung und Martin Görges Kieler J 120 „Hunky Dory“. Gefeiert wurden die Spaßregatten in Eckernförde zwar nicht wie üblich mit einer großen Seglersause, doch die Stimmung war trotzdem gut und auch von Dankbarkeit geprägt, überhaupt wieder im Einsatz sein zu dürfen. Zur Siegerehrung wurden die erfolgreichsten Teams der Aalregatta und der Welcome Races in Eckernförde einzeln und per Funk aufgerufen.
Während die Crew auf der größten Yacht des Starterfeldes, der Maxi 75 „Calypso“, die See auf Kurs Kiel-Eckernförde in Böen um bis zu 30 Knoten locker durchschnitt, stampfte das kleinste Boot im Feld, die gerade einmal 24 Fuß lange Waarschip „Findus“, mit gerefften Segeln durch die Wellenberge. Die Rückregatta von Eckernförde nach Kiel führte in diesem Jahr nicht wie gewohnt zum Kieler Leuchtturm, den die Wettfahrtleitung in Corona-Zeiten nicht hätte betreten dürfen, sondern bis in die Kieler Innenförde. Wobei Wind und Wellen sich inzwischen etwas beruhigt hatten und den teilweise erschöpften Segelsportlern beim Einsatz in Regie von Wettfahrtleiter Ralf Paulsen und seinem Team gnädiger gesonnen waren.
Zwei Teams durften sich am Ende über Doppelsiege im Welcome Race freuen: In der Gruppe ORC III und IV konnte sich sowohl in der Hin- als auch in der Rückregatta Jürgen Klinghardts „Patent 4“ mit Steuermann Henning Tebbe aus Hamburg durchsetzen. In ORC II dominierte Werner Lemmels Berliner „Rarotonga“ ihre Flotte. Wechselhaft dagegen verlief das Welcome-Race-Geschehen in Klasse ORC 1: Den Sieg in der Hinregatta sicherte sich das Jugendprojekt des Kieler Yacht-Clubs mit der Baltic 52 „Zukunft IV“ und dem Team um Steuermann Johannes Müller. Auf dem Rückweg verwandelte Gerhard Clausens Team die Größe und Schnelligkeit seiner Maxi Dolphin 75 „Calypso“ auch berechnet in den Sieg.
Bei der Internationalen Meisterschaft ORC konnten einige Teams das Blatt am Sonntag zu ihren Gunsten wenden und vor den nächsten drei Rennen am Montag eine zwischenzeitlich neue Hackordnung herstellen: Steuermann Gordon Nickel und die Crew auf Axel Seehafers X-41 „Sportsfreund“ eroberte mit den Rängen drei, drei und eins die Führung in ORC I und II vor Jens Kuphals modifizierter Landmark 43 „Intermezzo“ und Michael Berghorns Langstreckensiegerin „Halbtrocken 4.5“. In ORC III lösten Kai Mares und sein Team auf der Italia 9.98 „Immac Fram“ Knut Freudenbergs Mannschaft auf der First 36.7 an der Spitze des Feldes ab. In ORC IV blieb Jan Schmidts Melges 24 OD „Bostik Bad Boys“ das Maß der Dinge.
Auf den Kursen in der Strander Bucht wird die erste internationale Halbzeit der Kieler Woche in den Jollenklassen noch bis Dienstag fortgesetzt. Hier sind Kieler-Woche-Rekordsieger Wolfgang Hunger (22 Titel!) und Vorschoter Holger Jess die Stars auf dem Wasser. Nach den ersten sechs Rennen hatte das Duo aus Strande und Eckernförde die Bugspitze wieder vorn. Nachdem sich die beiden an Tag eins noch über einen gebrochenen Block, mangelnde Geschwindigkeit und sich selbst geärgert hatten, lief es am zweiten Tag mit den Einzelrängen eins, eins und drei wieder nach Plan. Den Kieler-Woche-Organisatoren sprach Lokalmatador Hunger seinen Dank fürs nimmermüde Engagement in schwerer Zeit aus: „Es ist klasse, dass die Kieler Woche stattfinden kann und sich so viele daran beteiligt haben, das zu ermöglichen.“
Hier geht es zu den Ergebnissen der 126. Kieler Woche.