Women’s America’s Cup“Wir brauchen die gleichen Chancen wie die Männer”

Tatjana Pokorny

 · 05.10.2024

Bereit für eine steile Lernkurve und den Wettkampf im Women's America's Cup
Foto: Ricardo Pinto/America's Cup
Tina Lutz ist neben Maru Scheel und Victoria Jurczok eine von drei Steuerfrauen im AC Team Germany für den Women’s America’s Cup. Deutschlands erste Opti-Weltmeisterin und Olympia-Zweite im 49erFX kämpft wie 50 Top-Seglerinnen aus zwölf Ländern für den weiblichen Aufstieg in die Profi-Welt.

Tina Lutz zählt zu den bekanntesten Seglerinnen Deutschlands. 2005 schon war sie als erste deutsche Opti-Weltmeisterin im gemischten Feld von Jungen und Mädchen ins internationale Rampenlicht gesegelt. Zweimal hatte die Steuerfrau aus dem Chiemgau im 470er und im 49erFX schmerzlich knapp die Qualifikation zu olympischen Gipfelstürmen verpasst.

Mit Olympia-Medaille zum America’s Cup

Im dritten Anlauf kam der Durchbruch für die zweimalige Skiff-Europameisterin: In Enoshima segelte Tina Lutz mit Vorschoterin Susann Beucke 2021 zum umjubelten Olympia-Silber. Es war nach Windsurf-Silber für Amelie Lux in Sydney 2000 erst die zweite Olympia-Medaille für deutsche Segelsportlerinnen.

Nach dem Ende ihrer olympische Karriere und mit dem Master in Wirtschaftspsychologie in der Tasche, ist Tina Lutz inzwischen ins Berufsleben durchgestartet. Doch der Segelsport bleibt ein wichtiger Faktor im Leben der ehrgeizigen Steuerfrau, die 2022 heiratete und in Tirol lebt.

In diesen Wochen ist Tina Lutz eine von sechs deutschen Seglerinnen, die in Barcelona nach den Chancen greifen, die ihnen und elf weiteren prominent besetzten Frauen-Teams der erste Women’s America’s Cup bietet. Nicht alle zwölf Teams starten mit den gleichen Chance ins historisch neue weibliche Cup-Kapitel . Manche Frauen-Crews sind Ableger großer America’s Cup-Kampagnen, andere haben größere Budgets. Viele allerdings, die gerne wollten, haben es erst gar nicht nach Barcelona geschafft.

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Vom Simulator auf den AC40

Die Frauen-Crews der Cup-Teams konnten sich intensiver und mit Zugriff auf AC40-Foiler auf den Gipfelsturm auf der großen America’s-Cup-Bühne vorbereiten. Den deutschen Frauen vom AC Team Germany und auch den Holländerinnen mit den 49erFX-Olympiasiegerinnen Odile van Aanholt und Annette Duetz fehlten im Neuaufbruch die Mittel, einen AC40-Mini-Cupper zu kaufen oder wenigstens ein paar Tage zu chartern. Stattdessen haben sie im Simulator geackert. Stunden, Tage, Monate.

Vor Barcelona hat heute der Women’s America’s Cup begonnen. Zunächst sind in Gruppe A die Frauen der Cup-Teams in vier Rennen gefordert. Am Sonntag startet Gruppe B inklusive AC Team Germany in ihren ersten Renntag mit vier Rennen. Jede Gruppe bestreitet zwei Renntage und insgesamt acht Rennen, bevor sich die jeweils besten drei Teams für die Halbfinalserie am 11. Oktober qualifizieren.

Am 13. Oktober – dem Tag nach dem Startschuss zum 37. Match um den America’s Cup zwischen Ineos Britannia und Emirates Team New Zealand – werden die beiden besten Frauen-Teams um den Sieg im ersten Puig Women’s America’s Cup kämpfen.

Ob Sturm und Flaute: das Ziel bleibt

„Es ist eher unrealistisch zu hoffen, dass wir das Finale erreichen“, sagt Tina Lutz mit Blick auf die Voraussetzungen, die das AC Team Germany hatte. Aber die deutschen Frauen sind dabei, wenn er erste Women’s America’s Cup eine neue Ära einläuten soll. Sie hatten den Mut, diesen Weg zu gehen, als im Aufbruch nicht klar war, wie weit er führen kann und wie hart er werden wird. Sie sind Leistungssportlerinnen, die auch in Sturm und Flaute an ihren Zielen festhalten.

Team-Kapitänin und Trimmerin Carolina Werner, Skipperin Maru Scheel (beide Kieler Yacht-Club), die Steuerfrauen Tina Lutz (Chiemsee Yacht Club) und Victoria Jurczok (Verein Seglerhaus am Wannsee) sowie die beiden Trimmerinnen Luise Wanser und Jill Paland (beide Norddeutscher Regatta Verein) haben persönlich viel investiert, um vor Barcelona dabei sein zu können, wenn der America’s Cup mit dem neuen Frauen-Wettbewerb in die Zukunft segelt.

Dass das Ergebnis auf Basis ihrer Mittel und Möglichkeiten zweitrangig sein und das Dabeisein im Vordergrund steht muss, wenn der Cup-Zug in die Zukunft fährt, hat den deutschen Seglerinnen Nehmerqualitäten abgefordert – und wird es weiter tun. Was sie aber lernen werden, könnte für die Zukunft und nachfolgende Projektchancen wertvoller sein als ein Ergebniserfolg.

Im Interview: Tina Lutz

YACHT online traf Tina Lutz in Barcelona zum Gespräch. Die 34-jährige schaut dabei realistisch auf die Chancen für das AC Team Germany. Sie sieht wie die anderen Teilnehmerinnen vor allem die Möglichkeiten, die der Women’s America’s Cup den Seglerinnen bietet.

Tina, inzwischen hast du vor Barcelona einige wenige Stunden Erfahrung am Steuer eines AC40-Foilers sammeln können. Wie fühlt es sich an?

Es fühlt sich anders an als erwartet. Am Anfang fühlt sich das Schiff an wie ein schwerer Wal. Es liegt im Wasser, es ist riesig, es macht ultralaute Geräusche. Und du sitzt da drin und denkst die ganze Zeit: Was ist das? Was ist das? Und was ist das? Dann kommt der Moment, in dem das Boot abhebt. Und dann wird der ‚schwere Wal‘ plötzlich zu einem fliegenden Geschoss. Du hebst ab und wirst von der Geschwindigkeit nach hinten in den Sitz gedrückt. Und du denkst: Wow! Wahnsinn! Du beschleunigst dann so schnell, ein unglaubliches Gefühl.

Deine Teamkameradin Vicky Jurczok hat das Gefühl schon als „tollste Segelstunden meines Lebens“ beschrieben. Ist das so?

Ja, wenn ich so überlege, was die tollsten Ereignisse meines Lebens waren, dann muss ich wirklich sagen: Klar, die Opti-Weltmeisterschaft zu gewinnen, war mega. Ebenso die olympische Medaille, meinen Mann zu heiraten, aber auf alle Fälle auch hier diese Möglichkeit zu haben, auf so einem AC40 zu segeln. Das ist so gut! Und ich hoffe von ganzem Herzen, dass es weitergeht, dass wir eine Serie zusammenkriegen, dass wir immer wieder mit dem ganzen coolen, talentierten und wahnsinnig erfolgreichen Frauen um den Kurs segeln dürfen.

Wie lange wird es brauchen, bis Seglerinnen ebenbürtig mit Männern um Jobs im America’s Cup und bei anderen großen Events kämpfen können?

Ich glaube, man braucht einfach genug Zeit im Schiff. Wir brauchen die gleichen Chancen, wie sie die Männer haben. Die Männer haben auch die Chance, ohne vorherigen AC75-Erfahrung in Teams reinzukommen. Die Neuen steigen auch das erste Mal auf so ein Schiff. Sie bekommen diese Chance. Bislang haben Frauen diese Chancen nicht bekommen. Da hieß es immer, ja, ihr seid tolle Seglerinnen, aber ihr könnt halt nicht AC40 oder AC75 segeln. Woher auch, wenn du nicht die Chance dazu bekommst. Die haben wir jetzt mit dem Women’s America’s Cup!

Weshalb die Regatta für Top-Seglerinnen einen so hohen Stellenwert hat?

Deshalb ist sie für uns sehr, sehr wichtig! Wenn diese Boote die Boote für den America’s Cup bleiben, dann haben wir jetzt die Chance, allen zu zeigen, wie gut wir auf diesen Schiffen segeln können.

Ich bin mir total sicher, dass gemischte Mannschaften auf den AC75-Yachten viel erfolgreicher wären, weil Frauen Skills mitbringen, die Männer vielleicht nicht ganz so haben.” Tina Lutz

Mit welchem Wunscherfolg?

In jedem Unternehmen wird dafür gepusht, dass man in der Führungsetage Frauen und Männer hat. Dadurch wird quasi das Unternehmen deutlich erfolgreicher. Weil einfach diese unterschiedlichen Ansichten, diese Kombination aus Frau und Mann so stark sein können. Das gilt auch und gerade im Sport. Da müssen wir hinkommen. Aber dafür muss man erstmal den Schritt da rein schaffen.

Du hast schon bei Deinem WM-Sieg im Opti als 15-Jährige Jungs und Mädels besiegt. Die AC40-Foiler können bei zwei fest positionierten Steuerleuten und zwei Trimmern genderneutral gesegelt werden. Auch auf den Cup-Yachten vom Typ AC75 gibt es einige Rollen inklusive den Steuerpositionen, die von Männern wie Frauen ohne Kraftverlust ausgefüllt werden könnten…

Es gibt auf dem AC75 keinen einzigen Grund, warum keine Frau steuert oder trimmt. Frauen können mindestens genauso gut segeln wie Männer. Aber sie haben bis jetzt nicht die Chance bekommen, auf diese Boote zu steigen…

Bei der inspirierenden Pressekonferenz zum Women’s America’s Cup haben vor dem Regattastart alle zwölf Team-Repräsentantinnen bestätigt, dass keine von ihnen bislang auch nur einen Fuß auf einen AC75-Cupper gesetzt hat. Auch nicht die an große Cup-Kampagnen angeschlossenen Frauen…

Ich hoffe, dass dieser erste Women’s America’s Cup der Startschuss dafür ist, die Frauen auch auf die großen Boote zu bekommen. Das ist unser Ziel. Wir wollen die großen Schiffe fahren!

Im SailGP passiert das jetzt erstmals: Im November wird mit Beginn der neuen fünften Saison erstmals eine Frau am Steuer angreifen: Doppel-Olympiasiegerin Martine Grael führt das neue Team aus Brasilien in die Weltliga des rasanten Segelsports mit foilenden F50-Katamaranen. Du kennst sie gut…

(Lacht) Natürlich. Martine ist bei den Olympischen Spielen in Japan Erste geworden, ich Zweite. Ich kenne sie sehr gut. Sie hat ein unfassbares Talent im Segelsport. Ich bin mir sicher, dass sie die Männer schlagen wird, wenn sie genug Zeit bekommt.

Diese Zeit ist auch anderen Neueinsteigern gewährt worden. Das Germany SailGP-Team um Erik Heil kam in seiner Premierensaison nicht über den letzten Platz hinaus, auch wenn es beständig bergauf ging und schon einige sehr starke Rennen dabei waren…

Auch Martine wird diese Zeit brauchen. Die muss man ihr geben. Sie kann nicht von heute auf morgen besser sein als die anderen. Ich hoffe, dass das auch in den Medien akzeptiert wird. Man braucht Zeit auf dem Schiff, um gut zu werden. Das muss man akzeptieren. Ich hoffe, sie bekommt genug Zeit, um diesen Schritt machen und die Männer schlagen zu können. Ich bin mir sicher, dass sie mental stark genug ist, um mit diesem Druck umzugehen. Sie hat schon zweimal Gold bei den Spielen gewonnen. Dazu muss man echt stark im Kopf sein.

Ab dem Zeitpunkt, wo man durch dieses Segeln hier wie die Männer sein Geld verdienen kann, bin ich sofort dabei.” Tina Lutz

Du selbst stehst schon im Berufsleben bei einem Unternehmen, hast aber trotzdem sehr viel Zeit, Aufwand und Arbeit in dieses Projekt mit den Frauen im AC Team Germany gesteckt. Kann das für Dich noch einmal ein neues, sportliches Karriereziel werden?

Wenn man sich mit diesem Segeln hier sein Geld verdienen und eine Karriere aufbauen kann, dann sofort. Aber bislang ist das nicht gegeben. Bislang haben wir nur Geld dafür ausgegeben. Wir haben unsere Reisen selbst bezahlt, also draufgezahlt. Daher kann ich auch meinen Job nicht quittieren. Wovon sollte ich dann meinen Lebensunterhalt bestreiten?

Ein alter Traum?

Ihr kennt mich ja, seit ich Opti-Weltmeisterin geworden bin. Jochen Schümann hat mir den Pokal überreicht. Er war damals schon mehrfacher Olympiasieger. Er hatte zwei Jahre vorher den America’s Cup mit Alinghi gewonnen. Ich habe damals so zu ihm aufgeschaut. Als Opti-Kind, da hast du diesen Gedanken, ja, klar, später will ich natürlich auch im America’s Cup segeln. Ich durfte dann selbst mal bei Chris Dickson mit an Bord (Red.: Dickson war für den America’s Cup 2007 Skipper im America’s-Cup-Rennstall BMW Oracle Racing), damals in Malmö bei einer Vorregatta zum America’s Cup. Der hat mich sogar eine Halse steuern lassen. Für mich war klar, dass ich selbst mal am Cup teilnehmen wollte. Wenn du dann aber älter wirst und deine Erwartungen total gedämpft werden, weil es einfach keine Chance für Frauen gibt, das ist natürlich total schade.

An der Stelle soll der Women’s America’s Cup für eine Kursänderung sorgen. Ist damit eine realistische Hoffnung auf echte Chancen für Seglerinnen verbunden?

Ja! Es ist der Startschuss. Jetzt brauchen wir Geld, damit wir ein Boot kaufen können. Wir brauchen Geld, damit wir trainieren können. Und wir brauchen Geld, damit wir die Segler auch für ihre Arbeit bezahlen können. Ich glaube, dass Seglerinnen hier sehr, sehr viel zu geben haben im Profisport und im America’s Cup.

REPLAY! Der Auftakt im Women’s America’s Cup – das erste Rennen der Gruppe A:

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