Dieser Donnerstag war ein harter Tag für die deutschen Seglerinnen im 1. Women’s America’s Cup. Auf dem America’s-Cup-Kurs vor Barcelona hatten die Frauen vom AC Team Germany heftige Rückschläge wegzustecken. Dabei waren sie mit einem sehenswerten Start brillant in den zweiten und schon letzten Qualifikationstag eingestiegen. Die Führung hielten sie auf dem ersten Kursabschnitt lange. Das erste Luv-Tor erreichten die Steuerfrauen Maru Scheel und Victoria Jurczok mit ihren Trimmerinnen Jill Paland und Luise Wanser als Zweite.
Was danach passierte, war für die Zuschauer an den Bildschirmen zunächst nicht zu sehen, weil die TV-Kameras zu dem Zeitpunkt nicht das deutsche Boot verfolgt hatten. “Wir sind von den Foils gefallen”, erklärte Skipperin Maru Scheel später im Gespräch. “Vielleicht war es ein bisschen die falsche Bootseinstellung, vielleicht auch etwas Pech, dass der Wind da gerade so schlagartig runtergegangen ist.”
Danach, so die Kielerin Maru Scheel, “haben wir es nicht geschafft, wieder schnell auf die Foils zu kommen.” Der ärgerliche Absturz aus guter Position hatte Folgen: Weil der deutsche AC40-Foiler in diesem insgesamt fünften Qualifikationsrennen der Kursbegrenzung schon sehr nahe gekommen war, mussten die Frauen im Verdrängungsmodus zunächst quälend langsam wenden, um keinen Penalty zu riskieren.
Erst dann konnte ein neuer Anlauf gestartet werden. “Dann hast du erstmal nur einen Knoten Bootsspeed. Um auf die sechs zu kommen, dauert es relativ lange, weil wir nur mit Luvkrängung wirklich abfallen können. Das braucht eine Weile, bis es dann ganz schnell geht. Da muss man bei einem unerfahrenen Team wie unserem einfach Geduld haben.”
In Rennen sechs erwischte es das AC Team Germany in der Vorstartphase heftig. “Da hatten wir einen Pitchpole. Ich vermute, es war eine heftige Böe, ein zu starker Winddreher oder auch ein zu heißer Winkel”, sagte Maru Scheel. Der deutsche Foiler bohrte sich in etwa 18 Knoten Wind bei knapp 40 Knoten Bootsgeschwindigkeit mit dem Bug voran in die Barcelona-Fluten.
Man sieht dann nur ein riesengroßes Tal vor sich. Eine blaue Wand. Die wird dann weiß und knallt einem ins Gesicht.” Maru Scheel
Wie sich das anfühlte beschrieb Maru Scheel eindrucksvoll: “Erst fliegt die Nase hoch. Dann weißt Du schon… Manchmal landet man dann nur auf dem Bug, aber dieses Mal war der Winkel zu stark. Man hat noch eine Millisekunde, um darüber nachzudenken, ob man sich duckt oder nicht. Aber die Zeit zu reagieren, die hat man nicht mehr wirklich.”
Kälte empfand Maru Scheel beim Aufprall nicht. “Man hat so viel Adrenalin. Ich kann mich nicht erinnern, ob es kalt war. Es war aber super hart. Das Wasser hat echt Kraft. Mein Mikro war weg. Meine Brille war weg. Vicky hat es den Helm vom Kopf gerissen. Die kam irgendwann nach Luv, hat nur noch die Kabel bei mir gesehen. Durch den Abriss war auch das Kommunikationssystem abgerissen.”
Ohne den weggerissenen Helm und ohne den ebenfalls am Bug abgebrochenen Windinstrumentengeber und die kaputte Kommunikationseinheit konnten die Frauen vom AC Team Germany auch nicht an Rennen 7 teilnehmen. “Bei so drehenden Winden ist das kaum machbar, eher schwierig”, sagte Maru Scheel. Der Windgeber konnte in der Zwangspause ersetzt werden. “Der sitzt ganz vorne auf dem Bug und kriegt die volle Wucht ab. Der ist nur fünf, sechs Millimeter stark und bricht dann einfach ab.”
Es hat im Handling und an der Zeit auf dem Boot gefehlt”, fasste Maru Scheel zusammen
Zum achten und letzten Rennen konnten die deutschen Seglerinnen wieder an der Startlinie aufkreuzen. Sie konnten in ihrem letzten Rennen mehr als eine gute Aktion zeigen. Phasenweise in den Top-Drei liegend, war es am Ende vor allem die mangelnde Erfahrung im Umgang mit dem Boot, die das schnell lernende Team immer wieder zurückwarf. “Immer, wenn wir wirklich racen konnten, waren wir auch gut dabei. Unsere Entscheidungen waren gut”, fasste Maru Scheel zusammen.
Das nicht ganz unerwartete Aus nach der Vorrunde kam für die Crew im Women’s America’s Cup mit der wenigsten Erfahrung auf den AC40-Mini-Cuppern und anderen schnellen Foilern nach acht Qualifikationsrennen. “Ich hätte mir schon gewünscht, dass wir einfach mehr Rennen segeln können. In einigen hatten wir einfach Pech, in anderen hat uns das Handling gefehlt. Vielleicht hätten wir auch ein, zwei Entscheidungen anders treffen müssen. Das alles summiert sich und sieht dann am Ende nicht so schön aus und fühlt sich auch nicht so schön an”, sagte Maru Scheel offen.
Andererseits sah sie auch die positiven Aspekte bei einem Gipfelauftritt, bei dem für die B-Gruppe kaum einmal die typischen Barcelona-Bedingungen mit zehn bis zwölf Knoten herrschten. Maru Scheel sagte: “Wir haben hier alles gegeben. Und wir haben viel gelernt. Wir haben ein historisches Event miterlebt und haben auch in einigen Momenten gezeigt, dass wir es verdient hatten, hier an der Startlinie zu sein.”
Nachdenklich fügte die 24-Jährige vom Kieler Yacht-Club, die in dieser Woche so oft über sich hinauswachsen musste, hinzu: “Vielleicht hätten wir in etwas leichteren Windbedingungen, wo es nicht um 60 Grad dreht und von sieben auf 18 Knoten springt, ein bisschen bessere Chancen gehabt, konstanter und weiter vorne zu sein.”
So sieht es auch die erfahrene und ehrgeizige Steuerfrau Victoria Jurczok, 2016 WM-Dritte und Olympia-Neunte im 49erFX: “Mit nur etwas mehr Trainingsmöglichkeiten wäre so viel mehr möglich gewesen. Maru Scheel hat es mega gut gemacht. Auch sie kommt aus dem FX. Die Skiffs sind einfach viel näher dran an diesen Booten hier. Wir hatten Handling-Probleme, aber mit unserem Teamwork bin ich sehr glücklich.”
Was sich Maru Scheel als Jüngste und Skipperin des AC Team Germany neben ihrem Ziel, der Olympia-Qualifikation für 2028 im 49erFX, für die Zukunft wünscht: “Diese Boote machen so viel Spaß zu segeln, dass ich mir wünsche, diese Chance noch einmal zu bekommen. Dann mit mehr Training und vielleicht einem eigenen Boot oder einem Boot in Kooperation mit anderen Nationen. Dass man segeln und lernen kann und dann besser vorbereitet ist für den nächsten Cup.”
Maru Scheel nimmt eine weitere verstärkte Erkenntnis mit nach Hause an die Kieler Förde: “Je mehr man auf schnellen Booten, auf Foiling-Booten trainiert, zu zweit oder zu dritt, desto bessere Chancen hat man. Wir wurden hier jeden Tag in neue Situationen reingeworfen, die wir so noch nicht hatten. Damit muss man lernen umzugehen. Wenn man das in Zukunft besser vorbereiten kann, hilft es enorm. Man sieht es an den Schweden: die haben ein eigenes Boot und sind deutlich besser um den Kurs gekommen.”
Das galt vor allem für den zweiten der beiden Qualifikationstage der Gruppe B der eingeladenen Frauen-Teams im Women’s America’s Cup. Da rasten die am Vortag in leichteren Winden noch nicht ganz so zwingend agierenden top-favorisierten Schwedinnen dominant von Sieg zu Sieg. Sie spielten ihre rund drei Wochen Training auf dem teameigenen AC40-Foiler in den stärkeren Winden voll aus. Auch kamen sie am Donnerstag mit den extremen Druckunterschieden zwischen 19 Knoten und Flautenfallen am besten zurecht.
Da hatten sich der Berg Montjuïc und sein gleichnamiges „Castell“, die über der Stadt Barcelona thronen, mächtig in den insgesamt dritten Renntag des Puig Women's America's Cup eingemischt. Nachdem in der Nacht stürmische Winde durch Barcelona gezogen waren, hatte eine westliche atlantische Luftströmung das Kommando übernommen. Die drehte sich um Barcelonas Wahrzeichen und schuf den unruhigen, böigen und schwer zu interpretierenden Rennkurs, auf dem sich Nosedives, Spin-outs, Penalty-Situationen und eine Kenterung zutrugen wie auf einer Action Bühne.
Als Qualifikationssiegerinnen zogen nach der “Schlacht” die schwedischen Co-Pilotinnen Vilma Bobeck und Julia Gross – eine Olympia-Zweite und eine EM-Dritte im 49erFX – mit ihren Trimmerinnen Ida Svensson (Nacra 17) und Rebecca Netzler (Olympia-Silber mit Vilma Bobeck) ins Halbfinale ein.
Bei 61 Punkten hatten die Schwedinnen zehn Zähler Vorsprung vor den so fulminant in den Women’s America’s Cup gestarteten Holländerinnen (51 Punkte) und 17 Zähler vor den drittplatzierten Spanierinnen (44 Punkte). Das viertplatzierte australische Andoo Team Australia verpasste den Sprung ins Halbfinale mit 39 Punkten knapp. Es folgten mit deutlichem Abstand das kanadische Concord Pacific Racing Women’s Team (13 Punkte) und das Women’s AC Team Germany (10 Punkte).
Die ursprünglich für den Nachmittag angesetzten Rennen 5 bis 6 der Frauen-Crews der America’s-Cup-Rennställe in Gruppe A wurden auf den 10. Oktober verschoben. Weil die Foil-Mechanik des AC40ers der Kanadierinnen bei einem Nosedive mit anschließender Kenterung beschädigt worden war und nicht schnell repariert werden konnte, hätte Hannah Mills britischem Team Athena Pathway sonst das Boot gefehlt. Begründung der Wettfahrtleitung: “Im Interesse der Fairness gegenüber allen Teilnehmern sind die Rennen am Nachmittag gestrichen.”
Am Dienstag wurde dafür bereits der Reserve-Mini-Cupper der Neuseeländer für den Einsatz am Donnerstag fit gemacht. In Gruppe A führen nach den ersten vier der acht Qualifikationsrennen die Frauen vom italienischen Luna Rossa Prada Pirelli Team (33 Punkte) vor dem britischen Team Athena Pathway (29 Punkte). Mit einigem Abstand folgen die Seglerinnen vom Emirates Team New Zealand (18 Punkte), Alinghi Red Bull Racing (15 Punkte), das Orient Express – L’Oréal Racing Team (11 Punkte) und NYY American Magic (6 Punkte).
Für die Frauen vom AC Team Germany zog beim Abschied von Barcelona auch Trainerin Annie Lush Bilanz. Sie war als starke Bereicherung ins Team geholt worden. Die 44-jährige britische Olympia- und Weltumseglerin, die zuletzt mit Team Guyot im Ocean Race im Einsatz war, sagte: “Die sechs Frauen hier waren ein großartiges Team. Ich habe sehr gerne mit ihnen gearbeitet.”
Zu den Crew-Wechseln während der Rennen sagte Annie Lush: “Wir haben in den Rennen rotiert. Das war vielleicht nicht das Beste fürs Leistungsvermögen, aber sie hatten es sich verdient. Sie haben so viel für dieses Projekt gegeben. Sie werden nicht bezahlt dafür, dass sie hier sind. Sie haben sich von ihren Jobs frei genommen, um hier zu sein.”
Zum sportlichen Ergebnis sagte Annie Lush: “Beide Tage waren ein bisschen enttäuschend. Heute war ein harter Tag. Aber sie haben endlich einen starken Start hinlegen können.” Gemeint war die deutsche Start-Gala in Rennen fünf. “Da haben wir den Start gewonnen und vor allen anderen gecrosst, gezeigt, dass wir das draufhaben”, sagte auch Vicky Jurczok in ihrem Fazit. Die Steuerfrau vom Verein Seglerhaus am Wannsee wusste wie ihre Teamkameradinnen, dass vor allem Handling-Schwächen die Ursache für die Rückschläge auch am zweiten und schon letzten Renntag waren.
Auf insgesamt zweieinhalb AC40-Segelstunden kam beispielsweise Vicky Jurczok am Ende des historisch ersten Women’s America’s Cup; inklusive Training im Cup-Revier. Das sind in etwa 2,5 Prozent von dem Trainingspensum, das die schwedischen Seglerinnen auf ihrem teameigenen AC40-Foiler in diesem Sommer absolvieren konnten.
“Im letzten Rennen sind unsere Frauen mit 40 Knoten Downwind-Speed gut über den Kurs gekommen und hatten viel Spaß miteinander. Ich konnte der Anbord-Kommunikation entnehmen, wie stark sie sich gegenseitig unterstützt haben. Das war richtig gut”, lobte Annie Lush die steile Lern- und Leistungskurve.
Was Annie Lush aber auch sah, war ein weiterer Unterschied zwischen dem deutschen und den anderen Teams. In diese Betrachtung bezieht sie die Youth-Crew des AC Team Germany mit ein: “Ja, wir hatten keinen AC40 in der Vorbereitung. Das war ein Faktor. Aber auch ein Punkt ist die Tatsache, dass 100 Prozent der Segler und Seglerinnen in den anderen Teams in Vollzeit segeln. Ich bin nicht sicher, ob es heute noch erfolgreich möglich ist, auf Profi-Niveau zu segeln, wenn man nicht zu 100 Prozent seiner Zeit professionell segelt.”
Lush stellte offen die Frage, ob das ein strukturelles oder auch ein Mentalitätsproblem sei. Die sehr erfahrene Profiseglerin wünscht dem AC Team Germany, dass sich für die Zukunft “eine solche Struktur bildet, die Unterstützung dafür kommt und die Frauen diese Chance dann auch ergreifen”. Und: “Dass dann auf diesem Kurs mehr möglich sein wird.”
Der Sport ist sehr professionell geworden. Das ist hart, aber die Realität.” Annie Lush
Ein Studium neben dem Segelleistungssport bezeichnete Lush als “gute Idee, eine vermutlich sogar sehr sinnvolle, wahrscheinlich aber auch sehr deutsche Sache”. Man habe dann ein “gutes Backup”, könne aber dem Segelsport “nicht alles geben”. Lush weiß: “Es liegt einiges in der Struktur und der Förderung begründet. Die andere Hälfte aber liegt bei den Frauen: Ich hoffe wirklich, dass sich einige von ihnen dafür entscheiden, das hier weiter voranzutreiben.”
Annie Lush hatte auch Einblicke ins zuvor angetretene deutsche Youth-Team gewonnen. In der Gesamtheit ihrer Eindrücke hielt sie zusätzlich fest, dass sie überrascht war, dass die Segler und Seglerinnen “nicht viel mehr racen als sie es tun”. Sie teilt diese Beobachtung mit den wenigen Profiseglern, die der deutsche Segelsport hat. Man müsse, so Lush, auch über den Tellerrand schauen, könne auch in anderen Klassen aktiv sein.
Lush hat auch selbst in ihrer internationalen Karriere immer wieder kämpfen müssen. Sie weiß, dass der 100-prozentige Einsatz ohne Sicherheitsnetz “auch ein bisschen beängstigend” sein kann. Nur sieht die viermalige Matchrace-Weltmeisterin bei angestrebten Erfolgen auf Segel-Weltniveau keine Alternative dazu.
“Der Sport ist sehr professionell geworden. Das ist hart, aber die Realität”, so Lush, die eine fünfjährige Tochter hat, heute auf Mallorca lebt und dort auch als Geografie-Lehrerin an der internationalen Schule arbeitet. Lustig sei es, wenn die Kinder dort beispielsweise beim Thema Piraten lauthals behaupten, dass das doch alles Männer seien. Dann greift Annie Lush in ihr Video-Archiv und zeigt ihnen die spannendsten Videos von den furiosen Frauen im Ocean Race. Und ie abenteuerliche Variante des Profisports wird zum lebendigen Lehrstoff.
Women’s America’s Cup, Qualifikationsgruppe B, Rennen 5:
Women’s America’s Cup, Qualifikationsgruppe B, Rennen 6:
Women’s America’s Cup, Qualifikationsgruppe B, Rennen 7:
Women’s America’s Cup, Qualifikationsgruppe B, Rennen 8: