Tatjana Pokorny
· 04.10.2024
173 Jahre nach seiner Premiere schlägt der America’s Cup ein neues Kapitel auf: Vor Barcelona beginnt am Wochenende der erste Women’s America’s Cup. Mit dem Startschuss zum historischen Aufschlag eines reinen Frauen-Wettbewerbs unter America’s-Cup-Dach sind auch die Seglerinnen vom AC Team Germany gefordert.
Wie im September schon im Youth America’s Cup, stehen auch die Seglerinnen vom AC Team Germany vor einer Herkulesaufgabe. Unter zwölf Teams sind sie neben Holland die einzigen, die aus finanziellen Gründen bis zum ersten Training in Barcelona nie einen der neuen rasanten AC40-Mini-Cupper gesegelt hatten, auf denen um den Frauen-Pokal gekämpft wird.
Es ist das erste Mal in der langen und schillernden Geschichte der bekanntesten Segelregatta der Welt, dass es einen eigenen America's Cup für Frauen gibt. Dafür haben sich die besten Olympiaseglerinnen und weitere Talente von zwölf Teams aus ebenso vielen Ländern in Barcelona versammelt. Unter ihnen sind 17 Olympia-Medaillengewinnerinnen. Eine von ihnen ist Tina Lutz (Chiemsee Yacht-Club) im Aufgebot des AC Team Germany. Die frühere 49erFX-Steuerfrau gewann 2021 in Enoshima Silber.
Die Frauen vom AC Team Germany haben sich mehr als ein halbes Jahr im Simulator in Kiel intensiv auf die Herausforderung vorbereitet. Alle sechs Frauen kommen in insgesamt acht Fleetraces an zwei Qualifikationstagen in der vierköpfigen Crew auf den AC40-Mini-Cuppern rotierend zum Einsatz. Teamkapitänin ist die ehemalige Nacra-17-Vorschoterin Carolina Werner vom Kieler Yacht-Club.
An ihrer Seite ist als Skipperin Maru Scheel (Kieler Yacht-Club) im Einsatz, die schon im Youth America’s Cup die gleiche Position besetzte und wertvolle Erfahrung am AC40-Steuer in die Frauen-Crew mitbringt. Mit Victoria Jurczok (Verein Seglerhaus am Wannsee) verstärkt die 49erFX-Olympia-Neunte und WM-Dritte von 2016 als dritte Pilotin das Team. Als Trimmerinnen stehen neben Carolina Werner die 470er-Weltmeisterin Luise Wanser und Jill Paland vom NRV Olympic Team im GER-Aufgebot.
Carolina Werner aus Kiel sagt: «Wir wissen um unseren Nachteil, dass wir vor unserer Ankunft in Barcelona wie die Holländerinnen nie einen AC40-Foiler gesegelt haben, konnten aber im Training in Barcelona über drei Tage schon viel lernen. Außerdem hat mit Maru Scheel eine unserer Steuerfrauen schon am Youth America’s Cup auf den gleichen Booten teilgenommen. Sie bringt wertvolle Erfahrung ins Team.“
Ab 4. Oktober sind die Teams im Women’s America’s Cup gefordert. Maru Scheel ist auf der bereits erprobten Backbord-Position gesetzt. Am Steuer auf der Steuerbordseite der von den Vierer-Crews stationär besetzten Positionen wechseln sich Tina Lutz und Victoria Jurczok ab. Als Trimmerinnen rotieren Carolina Werner, Luise Wanser und Jill Paland. Coach der Frauen vom AC Team Germany ist die frühere Olympia- und Weltumseglerin Annie Lush.
Wie steil die Lernkurve des deutschen und auch des holländischen Teams um 49er-Olympiasiegerin Odile van Aanholt sein wird, beschrieb Tina Lutz authentisch: “Unsere Arbeit im Simulator war wertvoll und wichtig. Der Simulator bereitet dich sehr gut darauf vor, die Knöpfe richtig zu drücken. Aber er bereitet dich nicht darauf vor, das Boot korrekt zu steuern. Und auch nicht darauf, die Segel korrekt zu trimmen. Nur auf dem Wasser hast du plötzlich die Segelerfahrung, die Erfahrung des Drucks in den Segeln, die Speederfahrung und die Erfahrung, wie das Boot reagiert.”
“Um das alles zu realisieren, brauchst du natürlich Zeit auf dem Wasser. Du wirst nur eine bessere Segelerin, wenn du Zeit mit dem Segeln verbringst. Also wäre es natürlich der Wunsch gewesen, hier mehr Zeit auf diesen Booten zu verbringen. Zwei Tage waren nicht genug. Wir werden unser Bestes geben. Aber wir haben Take-off-Probleme mit dem Boot. Ich empfinde das als härter als erwartet. Das ist etwas, dass man nicht im Simulator trainieren konnte.”
Gegnerinnen der deutschen Seglerinnen sind in der Qualifikationsgruppe B das Jajo Team Dutchsail, das kanadische Team Concord Pacific Racing, das Swedish Challenge Team powered by Artemis Technologies und das Andoo Team Australia. In der Qualifikationsgruppe A kämpfen die sechs Frauen-Crews der aktuellen America’s-Cup-Kampagnen: das Emirates Team New Zealand, Athena Pathway (unter dem Dach von Ineos Britannia), Luna Rossa Prada Pirelli, NYY American Magic und das Orient Express-L’Oréal Racing Team.
In beiden Gruppen qualifizieren sich die Top-Drei für die Finalserie der besten sechs der insgesamt zwölf Mannschaften. Die Halbfinalserie wird mit vier Fleetreces am 11. Oktober ausgetragen. Die beiden Top-Teams kämpfen im K.o.-Finalmatch am 13. Oktober um den Sieg im ersten Women’s America’s Cup.
Zehn der zwölf Frauen-Mannschaften haben lange vor dem Gipfelsturm zwischen einigen Tagen und mehreren Monaten auf gecharterten oder auch (Team-)eigenen AC40-Yachten trainieren können. Auf die meiste Segelzeit kamen naturgemäß die an die America’s-Cup-Kampagnen angeschlossenen Teams und die Schwedinnen, deren Team über einen eigenen AC40-Foiler verfügt.
Auch deshalb sagte der zweimalige America’s-Cup-Gewinner und Team-Mentor Jochen Schümann: „Dabei sein ist dieses Mal wirklich alles. Den Jugend- und Frauen-America’s-Cup wird es auch in Zukunft geben.“ Nach Schümann geht es vor Barcelona „ums Lernen, Bewahren und Weitergeben“. Für alle nicht am aktuellen America’s Cup beteiligten Nationen würde die Lücke sonst “noch größer”.
Fernziel des laut Schümann „superkleinen Start-Ups“ hinter dem vom Kieler Segler Paul Farien 2022 angeschobenen und inzwischen gewachsenen AC Team Germany ist das deutsche Comeback im America’s Cup. Dafür arbeiten neben den jungen Seglern und jetzt den Seglerinnen auch Jochen Schümann und eine Gruppe Förderer und Vermarkter. Herzkammer des Rennstalls im Aufbruch ist die neu gegründete Kieler Foiling Academy, wo sich der deutsche Cup-Nachwuchs auf einem Simulator intensiv auf die Premieren im Youth und Women’s America’s Cup vorbereitet hat.
Die Aufgabe der im laufenden Cup-Jahr mit Mini-Budget von 300.000 Euro operierenden Kampagne beschreibt Schümann so: „Das ist der Auftakt für langfristig etwas Neues, für eine bessere Zukunft im Youth und Women’s America’s Cup und darüber hinaus für ein echtes deutsches America’s-Cup-Team als echtes Zuhause für Leistung.“
Der Weg dahin ist kein leichter. Die deutschen Seglerinnen haben viel investiert in ihren Einsatz beim Women’s America’s Cup. Sie haben hart für ihre Chance gekämpft. Nicht nur Victoria Jurczok hat dabei in den wenigen Trainingsstunden vor Barcelona die „besten Segelstunden meines Lebens“ auf der AC40-Foiler-Raketen erlebt.
Die neue Lieblingsklasse der internationalen Cup-Segelelite und aufstrebender Talente soll bald schon eine eigene internationale Serie bekommen. Die Teilnahme daran wäre auch für das AC Team Germany ein weiterer wichtiger Baustein auf Kurs Comeback für potenzielle deutsche America’s-Cup-Jäger.
Auffallend erfrischend und authentisch verlief am Tag, an dem Inos Britannia den Louis Vuitton Cup gewann und das goldene Ticket zum Einzug ins 37. Match um den America’s Cup löste, die Vorab-Pressekonferenz zum Women’s America’s Cup. Dort war eine ganz besondere Aufbruchstimmung zu spüren. Es lagen viel frische Energie, echte Begeisterung und reichlich Ehrgeiz in der Luft am Vorabend des Startschusses für die historischen Frauen-Regatta im Namen des America’s Cup.
Die gemeinsame Chance der Seglerinnen beschrieb die kanadische Skipperin Isabelle Bertold gut: “Wenn wir auf dem Wasser sind, dann teilen wir uns den Kurs mit den AC75ern auf der größten Bühne des Segelsports. Wir werden genauso viele Zuschauer haben. Nicht nur die fünf- oder achtjährige Mädchen, die ein weibliches Vorbild im Sport erleben können. Es gilt auch mit Blick auf die kommerzielle Seite. Wir haben in den vergangenen Jahren immer mehr Daten gesehen, die zeigen, dass der Frauen Sport einige der engagiertesten Fans hat.”
Ich glaube, das ist erst der Anfang. Wir werden sehen, wie sich das Frauensegeln und der Frauensport weiterentwickeln: und zwar in rasantem Tempo.” Isabelle Bertold
Das, so Isabelle Bertold, die im knallroten T-Shirt mit der Aufschrift “It’s time!” kam, “treibt auch die Sponsoring-Einnahmen für die Team in die Höhe und sorgt für noch mehr Unterstützung”. Weiter sagte sie zum Wettbewerb in der Gruppe der ‘eingeladenen’ Teams: “In unserem Pool (Red.: Qualifikationsgruppe B) denke ich, dass es weniger Erfahrung auf den Booten gibt. Also wird es darum gehen, es einfach zu halten und so schnell wie möglich zu lernen. Aber meine größte Erkenntnis ist, dass die Rennen wirklich Spaß gemacht haben. Ich kann unser erstes Rennen kaum erwarten.“
Die zweimalige Olympiasiegerin Hannah Mills brachte es auf den Punkt: “Die Generation vor uns hat so sehr an diese Tür geklopft. Ich habe das Gefühl, dass wir diejenigen sind, die da jetzt durchschießen. Und hoffentlich wird sich die Tür dann für die nächste Generation ganz weit öffnen zu unbegrenzten Möglichkeiten in unserem Sport.”
Die holländische Olympiasiegerin Odile van Aanholt berichtete davon, dass sie als Vierjährige schon von Olympia geträumt hatte. Sie wusste bald, dass es als Frau und Seglerin einen realen Weg dorthin geben könnte – und ging ihn erfolgreich bis zum 49erFX-Gold in Marseille. “Dass es für uns einen Weg in den America’s Cup geben könnte, weiß ich erst seit zwei Jahren. Das ist ein großer Schritt. Und ich hoffe, es ist nur der erste Schritt.”
Luna Rossa Prada Pirellis Skipperin Giulia Conti sagte: “Wir alle hier teilen eine tiefe Verbundenheit. Wir sind Teil von etwas Historischem. Das werden wir auch in Zukunft immer teilen. Ich bin wirklich unglaublich stolz darauf, dass wir hier dabei sind.” Die Seglerinnen in Barcelona wollen nicht weniger, als sich auf künftige Rollen im America’s Cup vorzubereiten – und sie zu bekommen.
Der erste Startschuss für den Puig Women’s America’s Cup fällt am Samstag (5. Oktober) ab 14 Uhr. Hier der Live-Link dazu. Am 6. Oktober ist die Qualifikationsgruppe mit den Frauen vom AC Team Germany ebenfalls ab 14 Uhr erstmals geforder. Die Rennen werden hier live übertragen.
Sehens- und hörenswert, weil sehr inspirierend! Die Pressekonferenz mit den Seglerinnen der Teams im 1. Women’s America’s Cup: